12. Frauenfelder Buch- und Druckkunst-Messe, Frauenfeld

Feines in Kleinauflagen

Michael Guggenheimer

„Ich komme aus Chemnitz. Aber ich bin in Karl-Marx-Stadt geboren“, sagt Bettina Haller lachend. Nicht zum ersten Mal ist sie aus Sachsen nach Frauenfeld gereist, um im Kulturzentrum Eisenwerk Bücher vorzustellen, die sie in einer limitierten Auflage in ihrem Atelier ‚Sonnenberg-Presse’ hergestellt hat. Haller wählt überschaubare literarische Werke aus, die Texte setzt sie von Hand in Bleisatz, die Illustrationen, Acrylstiche und Holzschnitte stammen von ihr. Marlen Haushofers „Der Sonntagsspaziergang“ und Fernando Pessoas „Diese ganze Landschaft ist nirgendwo“ hat sie mit anderen Publikationen mitgebracht. Die Frauenfelder Buch- und Druckkunst-Messe ist eine wichtige Station auf ihren Reisen zu Messen, zu denen Liebhaber von schönen Büchern, die in kleinen Auflagen erscheinen, pilgern.

Bücher besprechen mit dem Künstler

Ruth Loibl aus dem deutschen Rheinfelden hat die grosse Broschur „Lebenswandel“ mitgebracht: Dreizehn Migranten erzählen ihre Geschichte und berichten von ihrem Heimweh. Auch sie hat den Text von Hand gesetzt. Bettina Haller, Ruth Loibl, Sabine Golde aus Leipzig, Sarah Wiame aus Paris, Karl-Friedrich Gross aus Freiburg im Breisgau und Theo Hurter aus Flaach kommen alle zwei Jahre für drei Tage an die kleine aber feine Messe nach Frauenfeld, die der Autor, Drucker und Verleger Beat Brechtbühl und sein Atelier Bodoni im November 2014 zum zwölften Mal organisiert haben. Und sie alle haben ein treues Stammpublikum. Da ist etwa Julia Vermes aus Basel. Über dreissig Jahre lang hat sie in einer Bank gearbeitet. Ihre Leidenschaft aber galt schönen, besonderen Büchern. Sie bewegt sich langsam von Stand zu Stand in den beiden Hallen des Eisenwerks, sie kennt fast alle Aussteller, sie weiss zu jedem etwas zu erzählen. Vermes sammelt Alphabete und Brieföffner. Und frühe Bände der Insel-Bücherei. „Inselträume“ heisst ein Buch, in dem ein Teil ihrer Sammlung gezeigt wird: 42 Künstlerinnen und Künstler haben aus Anlass des hundertjährigen Bestehens der Insel-Bücherei 66 Bände neu gestaltet, bemalt, auseinandergenommen und neu geklebt, die Buchdeckel neu interpretiert. Bei Karl-Friedrich Gross entdeckt sie Thomas Manns Erzählung „Der Tod in Venedig“ in einer deutschen und einer französischen Ausgabe. Gross hat die beiden Bücher illustriert. Stadtveduten, Menschen, Intérieurs sind da zu sehen, es sind Collagen, Aquarelle, Zeichnungen. „Das Echo der Photographie“ heissen zwei andere von ihm von Hand hergestellte Einzelstücke: Auf jeder Doppelseite eine kleine Fotografie, die er zeichnend und malend neu interpretiert.

Theo Hurter hat 32 Büchlein mitgebracht, alle im selben Format. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern, die er selber auswählt, publiziert er originalgraphische Bücher, die vom Layout über den Druck bis zur Bindung im eigenen Haus hergestellt werden. Gedruckt werden die Publikationen auf einer Kleinoffsetmaschine oder mit einer kleinen Auswahl an Bleischriften auf einer Abziehpresse. „Mit der Veröffentlichung der Bücher biete ich, selbst freischaffender Künstler, Kolleginnen und Kollegen eine Plattform, auf der sie neue technische Wege gehen und grossen Einfluss auf den Herstellungsprozess nehmen können. „The time between meeting and finally leaving ist sometimes called falling in love“ heisst ein Büchlein von Käthe Schönle, die in Wien lebt. Hurter hat die Künstlerin während ihres Aufenthaltes als Artist in Residence in der Villa Sträuli in Winterthur kennengelernt. „Die Künster, die ich dazu einlade, mit mir eine Publikation zu machen, bleiben 3 bis 7 Tage in meinem Atelier. In dieser Zeit entsteht das jeweilige Büchlein von der Originalgraphik bis zum Druck“, sagt Hurter.

Stephan Burkhardt und Hans-Ulrich Frey vom Offizin Parnassia in Vättis sind wieder mit von der Partie. In ihrer Werkstatt hoch oberhalb von Bad Ragaz arbeiten sie als Schriftengiesser, Hand- und Maschinensetzer in Blei, Papierschöpfer, Buchgestalter, Drucker und Buchbinder. Dass sie historische Schriften besitzen, mit denen sie sogar für Colleges in Cambridge drucken, verleiht ihrer Arbeit eine so grosse Ausstrahlung, dass sie mit Material im Gewicht einer Tonne nach Korea eingeladen wurden, wo sie im „Museum of Early Printing“ vor Fachpublikum ihre Druckkünste vorgeführt haben.

Frauenfelder Buch- und Druckkunst Messe
http://www.waldgut.ch/e62/e1690/

 

Die dritte Zeile

Heinz Egger

Überwältigend. Es ist einmal ein visuelles Erlebnis, von Stand zu Stand zu gehen. So viele kreativ gestaltete Bücher berauschen. Jeder Blick fängt etwas Unerwartetes, Überraschendes und Verlockendes ein. Von weitem ist erkenntlich, dass hier nicht die Massenware aufliegt, sondern fein Ausgesuchtes, das in kleiner oder gar kleinster Auflage hergestellt wird.

Die Bücher sind von auserlesener Qualität - ein visuelles, haptisches und olfaktorisches Ereignis.

Und es ist weiter ein haptisches Erlebnis. Ansichtsexemplare liegen fast überall auf. Ein Einband aus Schleifpapier, einer aus handgeschöpftem Büttenpapier, einer aus schwerem Graukarton, einer aus in Papier eingearbeitetem Seidenstrumpf – natürlich mit Fallmasche! –, einer aus Pergament oder ganz edel aus Ziegenleder. Fast unendlich sind die Variationen und es berückt, mit den Fingern über das Material zu streichen, die Oberfläche zu erkunden, dem welligen Blattrand entlangzufahren. Allerdings darf nicht jedes Buch einfach in die Hand genommen werden. Baumwollhandschuhe liegen zwischen den ausgestellten Exemplaren und machen unmissverständlich klar, dass sie zu tragen sind. Begreiflich, wer möchte schon auf einem mit weissem Ziegenleder bezogenen Einband oder auf Pergament Schweissflecken oder Fettflecken von Handcrème?

Und zum Dritten ist es ein olfaktorisches Erlebnis. Neue Bücher verströmen den Duft von Papier und Farbe. Mehrere Drucker sind am Werk. In ihrer Nähe wabern Lösungsmitteldüfte.
Schaut man die Bücher an, so entdeckt man solides Handwerk. Es ist nicht wie mit dem Hardcover, das ich kürzlich von einem renommierten Verlag erstanden habe: Ein Blick hinter das Kapitalband, das an einer Stelle gar lose ist, zeigt, dass der Buchblock bloss geleimt und mit Papier verstärkt ist. Am Stand des Centro del libro in Ascona bestätigt eine der Buchbinderinnen die Entwicklung: In der Unibibliothek in Luzern, wo sie arbeitet, verlieren zum Teil neue Bücher bereits Seiten und müssen für den häufigen Gebrauch zuerst neu gebunden werden.
Nein, bei den handwerklich gefertigten Bänden sind die Papierlagen deutlich zu sehen. Die Kapitalbänder sitzen fest und ein Blick zwischen Buchrücken und Buchblock zeigt die Heftung. Einige Bücher zeigen die Bindung gar aussen. Beispielsweise die japanische Bindung bei Ingo Cesaro, dem Ehrengast der diesjährigen Messe.

Er ist ein mächtiger Mann, schwarz angezogen mit wallender, grauer Mähne und Backenbart. An seinem Stand liegen viele seiner Werke auf. Er ist Autor, Drucker, Herausgeber und Galerist in einer Person. Eine seiner Spezialitäten ist das Haiku, das kleine Gedicht mit fünf, sieben und nochmals fünf Silben pro Zeile. Er hat enge Beziehungen zu Japan. Haikus von ihm wurden schon ins Japanische übersetzt. Er sagt, dass die Japaner von Kindsbeinen an Haikus arbeiten, dass es Zeitungen mit Tausenden von Haikus gebe. Und eigentlich gehörten die Haikus ins Private. Sie seien für den Japaner eine der wenigen Möglichkeiten, Gefühle auszudrücken. Für den Japaner seien zudem nur die ersten beiden Zeilen eines eines gelesenen oder gehörten Haikus wichtig. Die dritte Zeile, die oft nach einem Gedankenstrich folgt, versuche jeder selber zu ergänzen.
So legt ein angesprochenes Thema den Samen für unzählige weitere Gedichte und somit für weitere Sammlungen und Bücher.

3 thoughts on “12. Frauenfelder Buch- und Druckkunst-Messe, Frauenfeld

  1. Julia Vermes

    Ihre Webseite habe ich schon vor paar Tagen mal angeschaut und finde bewunderstwert was Sie dort leisten: das Medium Buch gerade durch das Medium Internet lebendig zu erhalten. Ich werde von Zeit zu Zeit weiterhin Ihre Webseite besuchen. J. Vermes

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  2. Bettina Haller

    Habe mich sehr gefreut, von Freunden und von mir zu lesen …!!! Viele Grüße und gute Wünsche für Sie beide und Ihre Bücherort-Exkursionen von Bettina Haller

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  3. Pingback: EDICION – Die kleine Bieler Büchermesse | Buchort

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