Monthly Archives: Februar 2015

Librairie Albert le Grand, Fribourg

Envie de livres

Michael Guggenheimer

Jahrzehntelang gab es in Zürich an der Bahnhofstrasse eine grosszügig dotierte Buchhandlung für französischsprachige Bücher. Jahrzehntelang gab es in Zürich am Limmatquai eine weitere, ausgesucht gute Buchhandlung für Literatur aus der Westschweiz und Frankreich. Tempi passati. Die Librairie Payot und die Buchhandlung Romanica sind nicht mehr. Geblieben ist eine bescheidene französischsprachige Abteilung im Buchhaus Orell Füssli Kramhof. Daraufhin, dass eine rege Gemeinde kulturell interessierter Westschweizer und Franzosen in Zürich besteht, deutet die Internetplattform www.auxartsetc.ch: Buchempfehlungen, Hinweise auf französischsprachige Gastspiele im Schauspielhaus und auf Filme werden hier laufend aktualisiert. Wer wissen möchte, was an französischsprachiger Kultur in und um Zürich passiert, wird alle zwei Wochen per Mail informiert. Und wer französischsprachige Bücher kaufen will? Marie-Hélène Comment aus Toulouse, seit Jahren in Zürich wohnhaft, bestellt heute ihre französischen Bücher bei der Buchhandlung Klio an der Zähringerstrasse. Zweimal im Jahr begibt sie sich mit der Bahn zum Stöbern und zum Grosseinkauf zur nächstgelegenen hervorragenden französischsprachigen Buchhandlung Albert le Grand nach Fribourg.

Taschenbücher so weit das Auge reicht, Rücken an Rücken

Etwas weniger als anderthalb Stunden dauert die Bahnfahrt. In Fribourg den Bahnhof verlassen, nach links die Avenue de la Gare hinuntergehen und in der ersten kleinen Querstrasse, der Rue de Romont, nach links zur Librairie Albert le Grand an der Rue du Temple 1, die im Schatten der Reformierten Kirche liegt. Marie-Hélène Comment schwört auf diesen Laden mit seinen drei Stockwerken. Obschon die Buchhandlung nach Albert dem Grossen, dem Dominikanermönch und Theologen aus dem 13. Jahrhundert, benannt ist, strahlt sie keinerlei ältliche, fromme oder katholische Ambiance einer religiösen oder theologischen Buchhandlung aus. Albertus Magnus, Namenspatron der Freiburger Universität, war ein Mann von breitem Wissen. Er hinterliess eine wissenschaftliche Arbeit von grossem Massstab, besonders brillant auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Das mag bei der Namenssuche für die im Jahr 1964 gegründete Buchhandlung eine Motivation gewesen sein. Denn die Buchhandlung Albert le Grand führt zwar im Erdgeschoss breites Sortiment belletristischer Bücher, erweist sich aber im Untergeschoss und im ersten Stockwerk auch als eine hervorragend bestückte Buchhandlung für Kunstbücher, Philosophie und wissenschaftliche Literatur aus allen Wissensgebieten.

Abdo Sawwaf, gebürtig aus Damaskus, später Besitzer einer französischsprachigen Buchhandlung in Buenos Aires, der an der Pariser Sorbonne Philosophie studiert hatte, hat nach seinem Umzug in die Schweiz, wo er sein Doktorat an der Freiburger Universität machte, gemeinsam mit Freunden die Buchhandlung an der Rue du Temple gegründet. Zu Beginn führte die Buchhandlung auch noch deutschsprachige Bücher. Dass heute nur vereinzelte Bücher in deutscher Sprache bei Albert le Grand zu haben sind, hat damit zu tun, dass es in der zweisprachigen Stadt gut dotierte deutschsprachige Buchhandlungen gibt. War die Theologie zu Beginn bei Albert le Grand gut vertreten, so wurde auch sie mit der Zeit aufgegeben, weil die vorwiegend katholische Stadt mit der Buchhandlung St. Augustin einen auf katholische Theologie spezialisierten Ort verfügt. Stark vertreten sind seit Anbeginn die Philosophie und die Humanwissenschaften.

Heute führt Abdo Sawwwafs Sohn Samir die Buchhandlung. Der studierte Mathematiker hat die Buchhandlung thematisch geöffnet: Von den exakten Wissenschaften über die Medizin bis hin zur Ökonomie und den Sozialwissenschaften bietet die 500 Quadratmeter grosse Buchhandlung Fachbücher an. Dass hier aber nicht nur die Wissenschaften zählen, zeigt ein Blick auf das reiche Angebot: Architektur, Kunst und Reisen im ersten Stockwerk, wo auch Kinder- und Jugendbücher zu haben sind. Die berühmte Reihe La Pléiade mit den Klassikern von Balzac bis Zweig, die Bücher der Verlage Minuit, Gallimard, Seuil und Actes Sud, die Taschenbuchreihen Dix/ Dix-Huit, Que sais-je? von Band Nummer 18 mit dem Titel „Histoire de l’architecture“ bis hin zum Band mit der Ziffer 3954 „L’école de Palo Alto“ ebenso wie die Reihe Flammarion Champ mit der Werbezeile „Tous les savoirs en poche“. Alles da! Im Erdgeschoss in einem breiten Gestell und gut präsentiert die „Littérature suisse“ und die „Histoire suisse“ und die Bücher der Westschweizer Verlage Zoé, L’aire bleue, l’Âge d’homme und Poche suisse. In der Deutschschweiz auf der Suche nach guten französischen Büchern nicht fündig geworden? Die Bahn fährt alle 30 Minuten von Zürich oder Basel nach Fribourg, meint Marie-Hélène Comment.

Librairie Albert le Grand S.A
Rue du Temple 1
1700 Fribourg
T: 026 347 35 35
http://www.albert-le-grand.ch/

 

Parce qu’il arrive, qu’on …

Heinz Egger

Collage -1: Vorbei am Plakat mit der langen Liste aller Abteilungen der Buchhandlung steige ich in den Keller hinab. Wissenschaft dominiert dort. Da ich Fotos schiessen und mich wohl länger zwischen den Gestellen aufhalten werde, wende ich mich an die Buchhändlerin an der Kasse, die gerade einen Kunden verabschiedet. Ich drücke ihr ein Buchzeichen in die Hand und erkläre auf Französisch, was buchort.ch ist. Hm, mein Französisch ist rostig geworden, da ich es kaum mehr brauchen kann. Das Ohr ist nicht mehr gewohnt, schnell und leise Sprechenden zu folgen. Ich muss mehrmals nachfragen …

Es gibt einen Tisch mit einem Stuhl davor. Doch benutzbar ist der Tisch nicht, denn das ganze Tischblatt ist mit Büchern belegt. Trotzdem lege ich meine Schreibuntensilien darauf und schaue mich um. Gleich neben meinem iPad liegt ein postgelbes Büchlein: Parce que les études scientifiques ça va bien deux minutes. Eine Sammlung praktischer Poesie, erschienen bei Le Contrepoint. Ein Beispiel:. Le sourire forcé auf travail est mauvais pour la santé. Ein erzwungenes Lächeln bei der Arbeit schadet der Gesundheit. Dies der Schluss einer amerikanischen Studie, die im Journal der Academy of Management publiziert wurde (aom.org/journals und goo.gl/c1NoG). – Ja, und wie oft haben wir schon gute Miene zum üblen Spiel gemacht?

Über den Gestellen, die dicht bepackt sind, hängen weisse Tafeln, die Orientierung geben: chimie, biologie, droit, électronique, mathématique. Dann eine lange Wand mit, psychoanalyse, psychopathologie, psychologie, pédagogie, psychologie pratique. Unzählige Bände von Que sais-je?. Ja, was weiss ich!

Collage 0: Das gelbe Büchlein in der Hand steige ich die Treppe wieder hoch. littérature, histoire-politique, philosophie erwarten mich.

Die Titel der Bücher sprechen mich an. Sie geben sofort „Einblick“ ins Werk. Auch die Titelbilder springen mich an. Sie stehen in engem Bezug zum Titel. Meine ich das nur, oder sind die Buchdeckel ansprechender als auf Deutsch? Sind sie so viel witziger? Oder hängt das nur damit zusammen, dass ich noch keinen davon früher gesehen habe? Wie auch immer, ich fühle mich wohl beim Betrachten der Auslage.

Wieder richte ich mich auf dem belegten Tisch ein. Neuerscheinungen aus dem Bereich Histoire-Politique umgeben mich. Es ist erschlagend, was alles in den Regalen steht. Tageslicht fällt durch runde Öffnungen in der Decke und bringt die Hundertschaften von weissen Buchrücken zum Strahlen.

Unter Schweizer Literatur finde ich wenige mir bekannte Autorinnen und Autoren. Chappaz und Chessex natürlich, Camartin, der aber kein Romand ist. Bouvoir, Bille, Contat, Delarue. Das ganze Alphabet durch nur mir Unbekannte. Warum kennen wir sie nicht in der Deutschschweiz?

Grosse Abteilung mit Reiseführern und -literatur

Collage 1: Ich bin müde und überwältigt durch den Reichtum des Angebots. Das Obergeschoss ist viel grösser. Hier stehen die Bücher zur Informatik, die Dictionnaires. Sogar einer in Arabisch-Französisch steht da! Wunderbar ist es, seitenweise die elegante arabische Schrift zu sehen! Dann Reiseführer ohne Zahl. Ihre Rücken ergeben ein wildes Mosaik von Farben, Buchstaben und Bildern. Eine kleine Abteilung mit Kinderbüchern und daneben ebenso klein Handwerk und Kreativität. Ich finde einen dünnen Band mit dem Titel Labo Collage, 52 exercices créatifs et ludiques. Ich blättere darin, beginne zu lesen, die Illustrationen zu betrachten und schon kann ich das ursprünglich aus dem Amerikanischen stammende Werk nicht mehr zwischen Origami und Aquarellieren zurückstecken.

Gewöhnlich kaufe ich bei einem Besuch einer Buchhandlung ein Buch. Diesmal sind es zwei und erst noch auf Französisch! – Parce qu’il arrive qu’on change d’habitude. Wäre das vielleicht ein weiteres gelbes Bändchen in der längeren Reihe Bücher mit ähnlichem Titel, erschienen bei Le Contrepoint?