Alfred Barth AG, Zürich

Bücher am Bahnhof

Michael Guggenheimer

Vor der Abreise noch eine Ferienlektüre? Barth hat sie!An keiner Buchhandlung komme ich so häufig vorbei wie an Barth in Zürich. Und das seit bald 45 Jahren. Nirgends habe ich schon so viele Bücher angeschaut wie hier. Es ist die Buchhandlung in der alten Shoppingmeile unter dem Bahnhofplatz. ShopVille heisst der Ladenbereich, den Namen darf man aber gleich wieder vergessen. Einem Ortsfremden müsste ich eine Karte zeichnen, um zu erklären, wo sich die Filiale von Foto Ganz oder der Kopierladen unter dem Bahnhof befinden, eine Beschreibung der Lage der Buchhandlung aber ist überflüssig: Alle, die regelmässig mit der Bahn unterwegs von oder nach Zürich sind, wissen, wo sich Bücher Barth befindet.

Bücher Barth, so steht es Blau auf Weiss an den Schaufenstern genau gegenüber der Hauptrolltreppe des Bahnhofs. Seit 1970 schon. Man könnte meinen, eine Bahnhofsbuchhandlung sei vornehmlich ein Ort für Krimis, seichte Liebesromane und Ratgeberliteratur. Das mag andernorts zutreffen. Bücher Barth führt auch Krimis,  Liebesromane und Ratgeberbücher, ist aber zuerst eine hervorragende Buchhandlung mit einem breiten Bücherangebot. Keine andere Buchhandlung in Zürich hat so grosszügige Öffnungszeiten. Von Montag bis und mit Freitag von 7 Uhr morgens bis 9 Uhr abends. Am Samstag wird das Geschäft eine Stunde früher geschlossen, dafür ist das Bücherreich am Sonntag ganztags geöffnet.

Der Sonntag ist mein Lieblingstag bei Barth. Denn dann ist nämlich Sascha Klauser da. Nichts gegen seine Kolleginnen und Kollegen, die alle bestens ausgebildet und zuvorkommend sind. Sascha Klauser, der früher an fünf Tagen in der Woche hier gearbeitet hat, darf heute kürzer treten. Klauser war dreizehn Jahre lang Leiter der Buchhandlung. Und was viele seiner Kunden nicht wissen: Er malt und hat in den 70er Jahren Einzelausstellungen in der Zürcher Galerie Arrigo und im Museum Strauhof gehabt. Irgendwann gab er das Malen für eine längere Zeit auf. Doch seit kurzem malt er wieder. Ich stelle mir vor, dass er unter der Woche liest und liest und liest. Lese ich nämlich in der Frankfurter Allgemeinen am Sonntag oder in der Wochenendeausgabe der Süddeutschen Zeitung eine Lobeshymne auf eine Neuerscheinung, die ich unbedingt gleich und sofort haben muss, lesen will, besitzen möchte, dann hat Sascha Klauser das Buch entweder schon gelesen oder bereits bestellt und die Rezension kennt er auch. Ich habe mich mit Sascha Klauser schon über Bücher unterhalten, von denen keiner in meinem Freundeskreis etwas wusste. Und ich staune immer wieder über sein Gedächtnis. Ich weiss, das war jetzt ein Loblied auf einen Buchhändler, dessen Kniegelenke so sehr schmerzen, dass er nur noch an einem Tag in der Woche seinen Stehberuf ausüben kann.

Es soll noch gesagt sein, dass Bücher Barth stets die aktuellsten, die anspruchsvollsten Neuerscheinungen aus den Bereich Belletristik, Politik und Gesellschaft führt. Und seitdem das frühere Hauptgeschäft von Alfred und Helena Barth an der Bahnhofstrasse im Jahr 2012 geschlossen wurde, führt der Laden unter dem Bahnhofplatz auch ein grosses Sortiment an Landkarten und Reiseführern. Der Übersetzer und Autor Stefan Zweifel soll in der Zeitschrift DU geschrieben haben, dass Bücher Barth die beste Bahnhofsbuchhandlung Europas sei. Das mag etwas hoch gegriffen sein. Wenn man aber den Sonntag hinzuzählt, den Tag, an dem Sascha Klauser an sechs Stunden in der Buchhandlung steht, berät, verkauft, die Bücher in Geschenkpapier einpackt, dann trifft der Satz zu.

Alfred Barth AG Buchhandlung
Bahnhofspassage ShopVille
8001 Zürich
T.: 044 215 44 66
www.barthbuch.ch

 

Ritual des Ankommens

Heinz Egger

Emilies Schweigen. Egal, wie lange die Abwesenheit war, immer wenn sie im Hauptbahnhof in Zürich ankamen, fiel ihm das auf. Schon geraume Zeit bevor der Zug in der Halle stillstand, verfiel sie in Schweigen. Es war, als konzentrierte sie sich ganz darauf anzukommen.

So war sie auch heute noch auf der Rolltreppe hinunter ins ShopVille darin gefangen. Dann plötzlich schaute sie ihn an und sagte: „Wie immer?“ – „Ja, wie immer“, entgegnete er, während sie die Rolltreppe verliessen. Er bog links ab, um das Nötigste für den Abend und den Morgen wie Brot und Milch zu kaufen, während sie sich der Buchhandlung Barth zuwandte.

Breites Sortiment von der Belletristik bis zur Philosophie und Landkarten

So ein Tag, an dem an der Beerdigung eines Onkels wieder einmal ein Schwätzer die Predigt auf den Untergang Roms gehalten hatte, verlangte danach, in das Labyrinth der Welt einzutauchen, das es zwischen Buchdeckeln zu entdecken galt. Für sie waren alle Bücher, die sie gelesen hatte, Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen.

Da lagen sie nun, schön in angenehmer Höhe ausgelegt, die vielen Titel mit den brennenden Themen der Welt:

Wie viel Bank braucht der Mensch? – Emilie kannte die neuesten Schlagzeilen der Schweizer Grossbanken. Die Tage des Zweifels, ob sich die völlig entfesselte Geldindustrie zähmen liesse, kannte sie nicht, denn sie war überzeugt, dass dieser Moloch sich nicht bändigen liesse. Ihre Lust, dagegen zu kämpfen, war erloschen.

Warum Nationen scheitern. Solches fragte sie sich nicht. Sie sagte sich: „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“. Sie war keines Wegs apolitisch, nein, sie wusste für den Rest des Lebens einfach, für welche Werte sie stimmte.

Seit ein Rechtsstreit um die Erbschaft ihrer Eltern entbrannt war und sie ihr Geld bei den Anwälten versickern sah, sagte sie wiederholt: „Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter“. Ob sich das Thema bis nächstes Jahr im Frühling erledigen werde? „Solange es Prosecco gibt, gibt es Hoffnung“, sagte sie sich.

Emilie blickte auf und sah ihren Mann mit den Einkäufen in einer Plastiktüte durch die Tür schreiten. Sie legte das Buch „Der Mann mit der Tür oder vom Nutzen des Unnützen“ von Klaus Merz zurück ins Gestell und ging auf ihren Mann zu. Sie umarmten und küssten sich. Und seine Frage, ob sie Wünsche habe, beantwortete sie fast schon philosophisch: „Besser wäre: keine. Und du weisst doch, dass ich hier zwar die Ideen, meinen Lesestoff aber in der Bibliothek hole“.

Zitierte Titel:
Emilies Schweigen von Bundi, Markus
Gefangen von Cross, Neil
So ein Tag von Waechter, Philip
Predigt auf den Untergang Roms von Ferrari, Jérôme;
Das Labyrinth der Welt von Forte, Dieter
Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen von Elsner, Gisela
Wie viel Bank braucht der Mensch? von Fricke, Thomas
Die Tage des Zweifels von Camilleri, Andrea
Erloschen von Kava, Alex
Warum Nationen scheitern von Acemoglu, Daron
Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen von Spilker, Frank
Für den Rest des Lebens von Shalev, Zeruya
Die Erbschaft von Shakespeare, Nicholas
Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter – 48 Geschichten für Fritz Bauer von Kluge, Alexander
Bis nächstes Jahr im Frühling von Kawakami, Hiromi
Wünsche von Kuckart, Judith
Besser wäre: keine von Röggla, Kathrin

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