Antiquariat Peter Petrej, Zürich

 Männer. Meistens über 50

Michael Guggenheimer

Gleich beim Eingang dieser kleine runde Tisch. Zwei Kaffeetassen, zwei Wassergläser, eine Packung Zigaretten, ein Aschenbecher. Hinter einer Vitrine und einer niedrigen Trennwand sitzt Buchantiquar Peter Petrej am Computer und bereitet die nächste Newsletter seines Antiquariats vor. Unüberhörbar, der Mann ist ursprünglich ein Österreicher. Aber doch schon so lange in der Schweiz, dass man rasch mit ihm im Gespräch bei der Schweizer Innenpolitik landet. Ein Antiquar so gesprächig und gastfreundlich, dass man sich bald am kleinen runden Tisch bei einem Gespräch mit einem weiteren Kunden und mit Petrej sitzt, in dem es um Flüchtlinge in der Schweiz heute und zur Zeit des Dritten Reichs geht, um Liegenschaftenpreise im Universitätsviertel und um verdichtetes Bauen in Zürich. Und immer wieder findet sich im Gespräch ein Faden zu den vielen Büchern, die in den Räumen einer früheren Metzgerei lagern: Der Antiquar, dessen Erstberuf Maschinenzeichner war und der immer schon leidenschaftlich gerne gelesen hat, holt, ohne lange suchen zu müssen, ein Buch über den Fotografen Robert Capa herbei, findet sofort Mario Erdheims Buch „Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit“ und weiss genau, wo sich das Buch „Der Tod als Text und Signum“ befindet. Die gute Ordnung macht es möglich. Und wirklich, Peter Petrejs Bücherreich ist so wohlgeordnet, dass man sich in jedem Lesegebiet, das einen beschäftigt, schnell zurechtfindet: Gleich links beim Betreten des Antiquariats die vielen grossformatigen Kunstbände. Kunst bildet einen Schwerpunkt im Bücherreich des Antiquars. Künstlermonografien, Bildbände über einzelne Epochen der Kunst, Bücher zur Fotogeschichte und zu einzelnen Fotografen. Leise klassische Gitarrenmusik begleitet einen beim Stöbern im Antiquariat, das sich unweit von Universität und Eidgenössischer Technischer Hochschule (ETH) befindet und wo man dennoch nur selten Studenten begegnet. „Antiquare sind in der Regel über 50 Jahre alt. Und ihre Kunden sind es auch, meistens sind die Kunden Männer“, sagt Petrej.

Bücher und Bilder. Hier eines von Lustig

Bücher über Bücher. Und zwischendurch Bilder von Valentin Lustig, einem im rumänischen Siebenbürgen geborenen Kunstmaler, dessen Ölbilder zahlreiche Anspielungen auf mythische und biblische Themen enthalten und der sich einer individuellen und symbolischen bis ins Groteske reichende Bildersprache bedient, die verschiedene Deutungen zulässt. Ein Bild von einer Fischküche, in der menschengrosse Fische zubereitet werden, ein anderes Bild einer nur spärlich bekleideten Dame, die einen blauen Fisch verzehrt oder das Bild einer ältlichen Dame auf einem Felsvorsprung, die einen Fisch in einem schiefen Aquarium betrachtet. Die Bilder hat Petrej einer Sammlerin abgekauft, die sich mit dem Maler überworfen hatte. Auf die Bilder angesprochen, sagt Petrejs Gehilfe, er hätte sie vor lauter Katalogarbeit noch gar nicht wirklich wahrgenommen.

Peter Petrej kennt den Markt gut und sagt, dass das Internet einerseits die Preise für antiquarische Bücher kaputtgemacht habe, andererseits aber ganz neue Kundenbeziehungen erlaube: Stolze 24 000 Newsletters verschickt er alle zwei bis drei Wochen, Listen neuer Bücher, Texte über Neueingänge. So viele verschiedene Kunden finden ihren Weg nicht in einem Jahr an die Sonneggstrasse, was auf die gewandelten Kaufgewohnheiten im Bereich antiquarischer Bücher hinweist. Ohnehin ist nicht klar, wie lange Petrejs Buchladen an der Sonneggstrasse noch bleiben kann: Die ETH hat das Haus vor geraumer Zeit erworben, mittlerweile gehört ihr eine ganze Häuserzeile an der Strasse. Der Druck der Institute ist stark. Petrej rechnet damit, dass er eines Tages ein Etagengeschäft betreiben wird, in dem bei weitem nicht alle die Bücher Platz finden werden, die vorübergehend sein Eigentum sind.

In einem schmalen Gang lagern vom Boden bis zur Decke die Bücher zu den Sammelgebieten Schweiz, Helvetica, „Kantönli“, Medizin, Naturwissenschaften, Totentanz, Sterben, Geografie und Essen. Inmitten geografischer Literatur findet sich eine Abteilung mit der sonst nirgendwo in einem Antiquariat bisher gesehenen Aufschrift „arctica“. In einem anderen Raum sind Psychologie samt Psychoanalyse und Philosophie, die Ethnologie und Literaturgeschichte daheim. Und weil Kunst, Architektur und Fotografie hier besonders gepflegt werden, stapeln sich im hintersten Raum nochmals die Bücher aus diesen drei Gebieten. Mit selten anzutreffenden Judaica aus dem Begin des 20. Jahrhunderts ist Petrejs Bücherreich dotiert. Wer Kinderbücher von früher sucht, solche, mit denen er selber gross geworden ist, der findet bei Petrej ein gutes Sortiment solcher Erinnerungen. Bevor er Bücherhändler geworden sei, sei er Büchersammler gewesen, erzählt Petrej. „Als ich 1984 im damals grössten Antiquariat der Stadt Zürich «Das gute Buch» an der Rosengasse, bei Sigismund Seidenberg, meine Lehre als Antiquarsgehilfe begann, wusste ich noch nicht, dass ich mich dort mit dem Virus der Bibliophilie infizieren würde.“ „Das gute Buch“ in der Altstadt existiert nicht mehr, aber tausende von Büchern aus diesem Bücherreich sind heute immer noch zu sehen, sie wurden als Raumschmuck im Boutiquehotel B2 in Zürich eingesetzt. Am Montag und Dienstag ist Petrejs Geschäft geschlossen, an diesen beiden Tagen reist er zu Menschen, die ihre Bibliothek oder die Bibliothek verstorbener Angehöriger, auflösen wollen. Da schaut er sich um, kauft ein oder lässt es manchmal auch sein. An schönen Tagen im Sommer, seine Kunden wissen es, öffnet er sein Bücherreich erst um 11 Uhr, weil er sich vorher in der Limmat treiben lassen will. Sammelleidenschaft, Gemütlichkeit und Geschäftstüchtigkeit sind diesem Mann eigen, der beim Verkauf seiner Bücher nicht über Preise verhandelt und doch manchmal ohne explizit darauf hinzuweisen, mit einem Augenzwinkern einen sympathischen Preisnachlass zugesteht.

Antiquariat Peter Petrej
Sonneggstr. 29
8006 Zürich
T: 044 251 36 08
https://www.buch-antiquariat.ch/

 

Der faire Preis

Heinz Egger

Ein stämmiger Mann mittleren Alters tritt durch die Türe. Er trägt ein weisses T-Shirt. Breite Hosenträger halten ein paar Motorradfahrerhosen über dem vorstehenden Bauch. Er schwitzt. Kein Wunder bei der Kleidung und bei sommerlichen Temperaturen.

Der Kaffeetisch am Eingang

Er hat sein Moto gegenüber zu einer kleinen Reparatur gebracht. Da er auf deren Fertigstellung warten kann, besucht er das Antiquariat von Peter Petrej. Es liegt im Hochschulquartier. Weit und breit sind keine weiteren Läden zu sehen an der Sonneggstrasse. Und doch, in seinem Lokal war einst eine Metzgerei.
Gleich beim Eingang steht ein Salontischchen. Darauf steht ein Aschenbecher, einer von der alten Sorte mit dickem Bauch, in den ein Zigarettenstummel und Asche beim Drücken des weissen Knopfs mit Schwung versenkt werden. Eine Zigarettenschachtel liegt daneben. Nein, im Ladenlokal wird natürlich nicht geraucht! Aber wer es bei einem längeren Besuch im Antiquariat draussen tut, weiss wenigstens, worin die Reste des Rauchopfers begraben werden können. Zwei ausgetrunkene Kaffeetassen warten darauf, abgeräumt zu werden. Drei Fauteuils bilden eine kleine Gruppe um den Tisch.

Nicht besonders auffällig für den Besucher ist, dass auch in diesem Antiquariat die Bücher – es sind laut Website über 60 000 – vom Boden bis zur Decke allen Wänden entlang Rücken an Rücken stehen. Aber die Schilder der Kategorisierung leuchten weiss mit schwarzer Schrift. Und manche grössere Abteilung ist innerhalb feiner gegliedert bis hinab zur alphabetischen Ordnung nach Autoren.
Der Besucher entdeckt eine recht grosse Judaika-Sammlung. Er greift nach Erich Hausmanns „Hinéni. Erinnerungen eines jüdischen Pädagogen – Ein Bericht aus einer bewegten Zeit“ und findet darin eine Widmung mit Unterschrift des Autors. Ein schönes, fast neues Buch. Ein berührender Eintrag mit klarer, altväterischer Schrift, aber durchzogen vom feinen Zittern einer alten Hand.

Überhaupt fällt ihm auf, dass neben sehr alten Büchern auch viele ganz moderne in den schwarzen Regalen stehen.

Er wendet sich um. Gegenüber sind in den Gestellen 21 bis 24 die Kinderbücher. Ohne Enkelkinder interessiert ihn das weniger, auch wenn eine so grosse Anzahl da steht. Aber links davon in einem schmalen Gestell entdeckt er Bücher zum Surrealismus. Schräge Dinge mag er. Dada, beispielsweise. Eine Ausgabe von René Clairs „Die Prinzessin aus China“ findet er. Nur soviel zum Protagonisten: Nach dem Erwachen gilt sein erster Blick der Morgenzeitung, nicht etwa um die neuesten Nachrichten zu lesen, sondern um aus den Endbuchstaben einer unbestimmten Spalte das Schicksal des Tages zu erfahren. Das Buch erschien im Diogenes Verlag 1954. Dann blättert er in der Anthologie der Abseitigen, herausgegeben von Carola Giedion-Welcker. Dieses Exemplar gefällt ihm besonders, weil der Umschlag von Richard Paul Lohse gestaltet worden ist. Das Buch erschien im Benteli Verlag 1946 und enthält Texte und biographische Angaben zum Beispiel von Arp, Ball, de Chirico, van Doesburg, Einstein, Hennings, Jarry, Kandinsky, Klee, Picabia, Picasso, Rousseau, Schwitters und Tzara. Diesem Buch kann er nicht widerstehen und klemmt es sich unter den Arm.

Was Peter Petrej ankauft: Bücher, Grafik, Plakate aus Bibliotheken und Nachlässen

Im nächsten Raum findet er einen Ständer mit Broschuren. Oben prangt ein Schild „ankauf von büchern, grafik und plakaten, auch ganzen bibliotheken und nachlässen“. Das ist nicht so spezifisch, denkt er. Worin liegen denn die Schwerpunkte dieses Antiquariats? Bis hierher sah er bibliophile Bücher, gleich beim Eingang, Judaica, Kinderbücher, Literatur, Architektur. Letztere zeigt gewichtig ein schulterhoher Stapel dicker Bücher. Es sind die gebundenen Zeitschriften Casabella der Jahrgänge 1994 bis 2010. Sie gehörten einst Professor Wolfgang Schett vom Departement Architektur der ETH. Dann Kunst, sei es als Künstlerbiographie oder Bildband.

Er ist müde und kehrt an den Ausgangspunkt seiner Reise zurück, in den Eingangsbereich, wo auch Peter Petrej am PC sitzt. Sie kommen ins Gespräch. Das geschieht leicht, weil Peter Petrej gerne mit seinen Kunden redet. Nicht nur weil er selber viel Spannendes weiss und eine bewegte Lebensgeschichte hat, sondern auch weil die Kunden gar oft etwas zur Erweiterung seines Geschichtenbestandes beitragen können. So sitzen sie denn bald am kleinen Tischchen und trinken Kaffee.
Natürlich dreht sich das Gespräch um die Entwicklungen in der Antiquarenszene und damit auch um die Preisentwicklung. Die Aussichten sind nicht rosig. Peter Petrej sagt, er glaube nicht mehr an einen fairen Buchpreis. Je nach Käufer – ja, Frauen seien sehr selten in Buchantiquariaten anzutreffen –, ob er reich oder eher arm, ob er sozialistisch oder kapitalistisch eingestellt sei, gebe es eine andere Sicht auf den Preis. Muss also jeder Preis unter Preisgabe seiner politischen Einstellungen und des Kontostandes ausgehandelt werden? – Wohl nicht. Peter Petrej hat ein gutes Gespür für sein Gegenüber.

 

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