BiblioBus de l’Université populaire jurasienne, unterwegs

Dates mit Büchern

Michael Guggenheimer

Etes-vous livre? - Der Bibliobus

Eine Bibliothek, die Bücher an 103 Standorten in 72 Ortschaften ausleiht? Das gibt es! Ein Blick auf die Landkarte des Kantons Jura und des Berner Juras, die der Verein der Jurassischen Bibliothekare (Association jurasienne de bibliothécaires) herausgibt, beweist es. Seit bald vierzig Jahren bedienen Bücherbusse oder Bibliobusse Lesehungrige in 103 Dörfern und Weilern regelmässig mit Lesestoff. Drei speziell eingerichtete Busse sind im Jura unterwegs, sie halten nach einem ausgeklügelt ausgearbeiteten Fahrplan sogar in Orten, in denen es heute weder ein Postbüro noch einen Lebensmitteladen oder eine Molkerei mehr gibt. Je nach Anzahl Bewohner und Bibliotheksbenutzer halten die Busse jeweils eine halbe Stunde bis zu dreieinhalb Stunden, alle zwei Wochen oder einmal im Monat. Fast 38 000 Kilometer legen die drei Bibliobusse im Jahr zurück und bedienen rund 70 000 Lesende mit Lesestoff.

Zum Beispiel Malleray-Bévillard. So heisst ein Bahnhof südwestlich von Moutier, der sich auf der Grenze der beiden Ortschaften Malleray und Bévillard befindet. Im Jahr 2015 haben sich die beiden Ortschaften zusammengeschlossen und zählen zusammen 4000 Einwohner. Wie in anderen Gemeinden im Jura sind hier feinmechanische Betriebe aus der Uhrenbranche ansässig. Ein Donnerstagnachmittag neben dem Bahnhofsgebäude. Einer der drei Bibliobusse, die der Université populaire jurasienne, der Jurassischen Volkshochschule, gehören, fährt gerade vor, am Steuerrad der diplomierte Bibliothekar und Buschauffeur Nicolas Burkhardt. Kaum ist der Wagen geparkt, öffnet sich die Tür des Busses. Wenige Minuten später erscheinen zuerst einige Frauen mit Einkaufstaschen, sie steigen ein und geben dem Bibliothekar und seiner ortsansässigen Assistentin Elisabeth Jecker Bücher, die sie beim letzten Halt des Bibliobusses vor zwei Wochen ausgeliehen haben. Bibliothekar und Assistentin kennen fast alle Bibliotheksbenützer in Malleray und Bévillard beim Namen: Er ist seit dreissig Jahren im Jura mit Büchern unterwegs, sie war schon vorher als freiwillige Helferin mit dabei.

Der Bus der Marke Volvo, mit dem Nicolas Burkhardt diese Woche in Malleray-Bévillard angekommen ist, ist das neuste Fahrzeug der Bibliobusflotte, Das Innenleben des 17 Tonnen schweren Fahrzeugs ist in Finnland vom Spezialwerk Kiitokori nach Wünschen der Bibliothekare eingerichtet worden. Etwas mehr als eine halbe Million Franken kostet die Anschaffung eines modernen Bibliobusses. Die Erfahrung zeigt, dass ein Bibliobus etwa zwanzig Jahre im Einsatz sein kann. Kiitokori ist der erfahrenste Hersteller von Spezialbussen in Skandinavien und hat schon zahllose Bücherbusse nicht nur in Finnland und Schweden absetzen können. Auf engstem Raum gilt es, möglichst viele Bücher transportieren zu können. Dass die Büchertablare leicht zur Karrosseriewand geneigt sind, hat damit zu tun, dass die Bücher in den Kurven und auf Steigungen nicht aus den Büchergestellen herauskippen sollen. Erstaunlich sind die geräumigen Platzverhältnisse im Bus. Zu beiden Seiten eines Ganges befinden sich vom Boden bis zur Decke gefüllt die Büchergestelle. Man staunt, wenn man vernimmt, dass der Bus 6000 Bücher transportiert. Auf der rechten Seite des Busses, nennen wir sie ruhig wie in der Schifffahrt üblich die Steuerbordseite, befindet sich die Belletristik. Auf der gegenüberliegenden Backbordseite sind die Sachbücher und Zeitschriften. Deutsche und englische Bücher sind hier auch im Angebot. Die Kinderbücher finden sich auf Kniehöhe der Kinder, reich ist die Auswahl an Bandes dessinées sowie an DVD’s und Zeitschriften. Das Programm der Volkshochschule sowie Hinweise auf kulturelle Veranstaltungen im Jura finden sich im Bus.

Bibliothekar und Chauffeur N. Burkhardt und Biblithekarin E. Jecker

Nicht einmal 15 Minuten nach der Ankunft befinden sich schon zwölf Menschen im Bus. Während sich die beiden ersten Besucherinnen immer noch angeregt unterhalten, suchen andere die Büchergestelle nach Buchtiteln ab. Auf einer Liste neben der Eingangstür sind 15 Namen von Benützern eingetragen, die Bücher bestellt haben, die Nicolas Burkhardt heute mitgebracht hat. Es sind Bücher, die die Benutzer im Onlinekatalog gefunden haben und die im Büchermagazin oder in einem der beiden anderen Busse waren. Männer und Frauen aller Altersgruppen treffen im Bus ein, Primar- und Sekundarschüler, Mütter mit ihren kleinen Kindern sowie Rentner. Ganz hinten im Heck sitzen zwei Kinder auf einer Bank und schauen sich Comicbände an.

Alle zwei Wochen bedient der Bibliobus Malleray-Bévillard. Selten kommt es vor, dass ein Bibliobus bei starkem Schneefall eine Ortschaft nicht erreichen kann. In St.Ursanne, welches im Tal des Flusses Doubs liegt, ist das schon passiert: Die steile schneeverwehte Strasse war ein zu grosses Risiko. Dafür ist dann der Bus einige Tage später gekommen. An fünf Tagen pro Woche sind die drei Bibliobusse im Jura unterwegs. 5 Chauffeure und 10 Bibliothekarinnen zählt die Crew, die von Delémont aus, wo die Busse stationiert sind, von Julie Greub geleitet wird. „Êtes-vous livre aujourd’hui“ heisst der Werbespruch der Bücherbusflotte in Anspielung auf „Êtes-vous libre aujourd’hui“: Der Bibliobus lädt so zu einem Date mit guten Büchern ein. Mindestens ein Mal im Monat hält der Bibliobus an jeder der 103 Stationen an, in den grösseren Dörfern zweimal im Monat. Finanziert wird die mobile Bibliothek von den Kantonen Jura und Bern, jede Ortschaft zahlt zudem pro Bibliotheksstunde Fr. 150.-, die Benutzerinnen und Benutzer können zwei unterschiedliche Benutzermodelle eingehen. 81 500 Bücher zählt die fahrende Bibliothek, je 6000 pro Bus und einen grossen Bestand in den Magazinräumen in Delémont, 4500 Titel werden im Jahr hinzugekauft.

Als Bibliothekar und Chauffeur Nicolas Burkhardt nach 19.30 Uhr Malleray-Bévillard wieder verlässt hat er 311 Bücher ausleihen können. Am nächsten Tag wird er die Bewohner der Ortschaften Grandval, Eschert und Crémines mit Büchern beliefern können.

BiblioBus de l’Université populaire jurasienne
Zentrale: Rue de chêtre 36
2800 Delémont
T: 032 421 40 10
www.bibliobus.ch

 

18’000 auf Achse

Heinz Egger

Büchernarren und -närrinnen jeden Alters gibt es überall. Nehmen wir an, Sie wohnen in Fahy. Hm, Sie wissen nicht wo dieser zauberhafte Ort liegt? Die fast acht Quadratkilometer grosse Gemeinde mit gut 450 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt auf 567 Metern über Meer auf der Hochfläche des Tafeljuras. Sie ist, Luftlinie gemessen, neuen Kilometer von Porrentruy entfernt und grenzt an Frankreich. Und auch hier werden Leseratten mit dem begehrten Stoff bedient. Nein, eine Gemeindebibliothek ist es nicht. Aber der BiblioBus der Université populaire jurasienne kommt hier vorbei. Wann Sie ihn dort antreffen und wie lange er offen hat, finden Sie auf der Website www.bibliobus.ch.

Das Fahrzeug sieht von aussen tatsächlich einem Bus ähnlich. Nur vorne und hinten gibt es allerdings Fenster, denn die übrigen Seitenwände sind innen mit Büchergestellen bedeckt. Frau Julie Greub, die Direktorin von Bibliobus, lässt mich raten, wie viele Medien an Bord seien. Ich setze mich, als der Bus in Mallerey-Bévilard Halt macht auf die Sitzbank unter dem Fenster an der Rückseite des Fahrzeugs und schaue die Gestelle entlang. Wie viele könnten es sein? Ich sage, es könnten 600 sein. Nicolas Burkhardt, der Bibliothekar und Chauffeur an Bord, und Julie Greub schmunzeln und verkünden stolz: „Es sind 6000“. In der Tat ist der Bus innen von oben bis unten voller Bücher, Zeitschriften, DVDs, CDs, Hörbücher und Video-Kassetten. Ich kann es kaum fassen und verspreche mit einem Augenzwinkern, bis zum Ende des Besuchs nachzuzählen. Ist das nicht unglaublich? Und es verkehren im Kanton Jura und im Berner Jura drei solche Busse. 18’000 Bücher auf Achse. Und wenn wieder ein Bibliobus in Malleray-Bévilard hält, dann ist es ein anderer mit neuen 6’000 Medien. Und dann kommt der dritte Bus mit wieder neuen 6’000 Titeln. Insgesamt verfügt die mobile Bibliothek über 75’000 Medien!

Bücherbestellung am PC im Bus

Wie in jeder Bibliothek kann natürlich auch von daheim aus online oder im Bus am PC bestellt werden. Wenn der Bus ankommt, liegen die Bücher beim Bibliothekar. Nicolas Burkhardt hat ein winziges Büro in seinem Bus. Es hat gerade Platz für einen schmalen Tisch, einen Bildschirm und hinter und neben ihm Gestelle, in denen die Retouren verstaut werden. In Malleray-Bévilard gehen in den dreieinhalb Stunden, in denen die fahrende Bibliothek offen ist, etwa 100 Medien pro Stunde über diesen kleinen Tisch. Das ist viel Arbeit. Und dabei wird auch immer etwas geredet. Nicolas Burkhardt ist vor 30 Jahren zum Team gestossen. Er ist Bibliothekar, die einzige weitere Bedingung für die Anstellung war, die Fahrprüfung für ein „Poids lourd“ zu absolvieren. Und ein Schwergewicht ist der Bus mit seinen 18 Tonnen. Nach so vielen Jahren kennt man sich eben. Und da kann es auch einmal sein, dass jemand einen Karton Eier bringt und den liebenswerten Bibliothekar bittet, diese im Nachbardorf für den Bruder bereitzuhalten. Das erzählt Nicolas Burkhardt mit einem Lachen im Gesicht. Bestimmt hätte er noch viele weitere solche Episoden zu erzählen. Im Team arbeiten zwei Bibliothekarinnen und zwei weitere Bilbliothekare mit dem Fahrausweis für schwere Motorfahrzeuge.

Viel Lesefutter für junge Leseratten

Wenn die Schlange der Wartenden an seinem Tischchen einmal weg ist, steht er auf, geht den Gestellen entlang, ordnet Bücher, stellt eines so, dass sein Cover zu sehen ist und begrüsst die Leserinnen und Leser. Auch die kleinen, für die ein ausgesprochen breites Angebot bereit steht. Ein besonderes Schwergewicht bilden Bilderbücher und Comics, aber auch Graphic Novels für Erwachsene. So sitzen denn einige Kinder am Boden, blättern in Büchern – leider nicht immer sehr sorgfältig – und wählen, was ihnen gefällt.

Die Jahresabonnemente sind sehr günstig. So bezahlt ein Erwachsener für das Standardabonnement, für das er bei jedem Durchgang des Busses 5 Medien und zwei Zeitschriften mitnehmen darf, 18 Franken. Kinder 5, als Familie 35.

Natürlich kennt Nicolas Burkhardt seinen Bestand genau. So kann er auch beraten. Und es werden oft Fragen gestellt, die er gern beantwortet. Wenn er Bücher empfiehlt ist es meist das, was ihm selber gut gefallen hat, oder was viele verlangen – grundsätzlich „ce qui touche“. Dabei muss es nicht immer das allerneueste Buch sein. So zeigt er mir beispielsweise von Reymond Jean „Une fantasme de Bella B. et autres récits“. Die Sammlung von Erzählungen erschien zum ersten Mal 1983 (mehr darüber unter: www.actes-sud.fr/catalogue/litterature/un-fantasme-de-bella-b).

Obwohl die Büchergestelle schmal sind, ist es eng im Bus, wenn bis zehn Personen darin ihre neue Lektüre suchen. Es geht kaum, ohne dass man sich berührt. So fällt denn sehr häufig ein „Pardon“ oder ein „Excusez-moi“, bis man durch die steile Treppe wieder ins Freie tritt.

Draussen gehen heftige Regenschauer nieder. So bleiben einige Besucherinnen und reden noch miteinander. Und wie ist es im Winter? – Der Bibliobus ist mit automatischen Ketten für den Notfall ausgerüstet. Eigentlich können fast alle Orte auch im tiefen Winter angefahren werden. Einzig ganz steile Strecken, wie jene hinunter nach Ste. Ursanne, können hin und wieder nicht befahren werden, sagt Nicolas Burkhardt.

Sie sehen, in Fahy sind Sie davon nicht betroffen und sie können davon ausgehen, dass der Bibliobus schön alle vier Wochen auf den Dorfplatz fährt und Sie wieder mit Lesestoff, sogar deutschem und englischem, versorgt.