Bibliothek des Jüdischen Museums Hohenems, Österreich

Eröffnungsgeschenke

Michael Guggenheimer

Was machen, wenn die museumseigene Bibliothek, die unter beengten Verhältnissen in einem kleinen Raum und in einem Nebengebäude untergebracht ist, aus allen Nähten platzt? Aufheben? Einer anderen Bibliothek zur Aufbewahrung geben? Glück in der Raumnot hatte das Jüdische Museum im österreichischen Hohenems (Vorarlberg). Auf der gegenüberliegenden Strassenseite stand seit längerer Zeit ein grösseres Ladenlokal leer, hier wurde nun eine schmucke Bibliothek eingerichtet. Und weil jetzt endlich mehr Raum für die Bücher zur Verfügung steht, kann die Bibliothek Besuchern gute Lese- und Arbeitsplätze anbieten. An den Schaufenstern sind heute Sätze von Historikern und Philosophen wie Hannah Arendt, Walter Benjamin oder Filmer Béla Balázs und Schriftstellerin Lizzie Doron zu lesen.

Blick in die Bibliothek mit Lesenden

Die neue Bibliothek ist eine für jederman zugängliche Fachbibliothek: Die Geschichte der Juden in Hohenems und im Vorarlberg, Österreich und die Juden, die Juden in der benachbarten Schweiz und im süddeutschen Raum, jüdisches Brauchtum und Religion, Zionismus, die Geschichte Israels, Antisemitismus sowie der Holocaust sind ihre Kernbereiche. Daneben finden sich Lexika, Wörterbücher, Hebräischlehrbücher, Bibliographien, Bücher zur Museologie, zum Ausstellungswesen sowie zur Museumspädagogik. Das bedeutet, dass die Bibliothek sowohl den Mitarbeitenden des Museums dienen soll als auch interessierten Privatpersonen und Schulen.

Ganz Besonderes liessen sich Museumsleiter Hanno Loewy und Kuratorin Annika Reichwald zur Eröffnung einfallen: Sie luden die Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde ICZ aus Zürich, die anderthalb Jahre zuvor ihr 75. Jubiläum feiern konnte, zu einer „Langen Nacht des jüdischen Buches“ ein. Die ICZ-Bibliothek ist die älteste durchgehend geöffnete jüdische Bibliothek im deutschsprachigen Raum. Zwölf Autoren, die im Jubiläumsbuch der Zürcher Bibliothek Texte verfasst haben, lesen am Eröffnungstag von abends um 7 bis nach Mitternacht eigene Texte vor. In jedem dieser Texte wird ein Buch aus den Beständen der Zürcher Bibliothek vorgestellt. 75 Bücher weist das Jubiläumsbuch „Quelle lebender Bücher“ auf, für jedes Bibliotheksjahr ein Buch.

Nicht wenige der vorgestellten Bücher, das zeigte der Abend, führt auch die Hohenemser Museumsbibliothek. Besonders berührend die Lesung von Eva Koralnik, langjährige Leiterin der international renommierten Literaturagentur Liepman: Zum ersten Mal seit ihrer Flucht in die Schweiz in der Zeit des Zweiten Weltkrieges weilt sie wieder anlässlich der Bibliothekseröffnung im Vorarlberg. Und gleich nach ihrer Lesung entdeckt ein Besucher in einem Buch der Bibliothek eine Fotografie von ihr als Kind auf Zwischenstation im Vorarlberg. Eva Grabherr, Museumsmitbegründerin, berichtet über die ersten Bücherbestände des Museums. Sie spricht über den „Löwenbergfund“, eine Dokumentensammlung in hebräischer als auch in lateinischer Schrift einer ehemals in Hohenems lebenden jüdischen Familie aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Noch zählt die neue Bibliothek erst 9000 Bände. Aber der Bestand wächst von Woche zu Woche. Zur Eröffnung bringt Schriftsteller Charles Lewinsky aus Zürich eine Einkaufstasche voller Bücher mit: Geschenke der Zürcher ICZ Bibliothek. „Nahezu täglich werden es mehr Bücher“, gibt Museumsleiter Hanno Loewy den Vorarlberger Nachrichten bekannt. Vorlässe und Nachlässe, die auf ihre Bearbeitung warten, sind in den Gestellen eines Nebenraums in Schachteln gestapelt, Schenkungen und Anschaffungen lassen die Bibliothek wachsen. Rechtzeitig zur Eröffnung trifft eine Schenkung ein: Bücher über Gedenkstätten in Österreich und Deutschland. Ganz bescheiden steht in einem der Regale Aron Tänzers Standardwerk aus dem Jahr 1905 über die Juden von Hohenems. Jüdisches Leben in Hohenems hat nämlich eine lange Tradition: Im Jahr 1617 hatte es mit der Ansiedlung der ersten Juden durch die örtliche Reichsgrafenfamilie seinen Anfang und endet 1942 mit der Deportation der letzten Jüdin ins Konzentrationslager Theresienstadt. Noch heute sind viele Spuren der jüdischen Geschichte in der kleinen Stadt an der Grenze zur Schweiz vorhanden. Zum Beispiel der noch benutzte Friedhof, die ehemalige Synagoge, die frühere jüdische Schule, das Altersheim der jüdischen Gemeinde sowie zahlreiche Bürgerhäuser. Hohenems besitzt ein Jüdisches Viertel, welches weit über Vorarlberg hinaus als eines der wenigen so lückenlos erhalten gebliebenen Ensembles mit jüdischer Geschichte gilt. Im Jahr 1996 erfolgte dementsprechend die Unterschutzstellung der wesentlichsten Teile des Jüdischen Viertels durch das österreichische Bundesdenkmalamt.

Eröffnet wird die Bibliothek aus Anlass und zur Feier des 25-jährigen Bestehens des Jüdischen Museums von Hohenems. Den Grundstock für die Bestände hat vor bald drei Jahrzehnten der deutsche Historiker und Jurist Karl Heinz Burmeister gelegt, der sich für die Geschichte des Bodenseeraums und für die Geschichte der Juden in diesem Raum interessierte. Burmeister war Direktor des Vorarlberger Landesarchivs in Bregenz. Wichtige Buchgeschenke für die Bibliothek stammen aber auch aus der Schweiz: Rabbiner Hermann Schmelzer von St.Gallen ist einer der Buchdonatoren. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die ‚Lesegesellschaft Hohenems’, deren Versammlungsraum im Museum zu sehen ist, eine der ersten Lesegesellschaften des Vorarlbergs überhaupt war. Schaut man sich die Bestände der neuen Bibliothek an, so stellt man fest, wie sehr das Leben in der einstmals von vielen Juden bewohnten kleinen Stadt, heutige Studenten interessiert. Seminar- und Magisterarbeiten zur Geschichte der Juden in der Vorarlberger Gemeinde sind hier zu finden. Ein schönes Fundstück das Buch „The J. Street Project“ von Susen Hiller: Sie fotografierte Strassenschilder in 303 Ortschaften, in denen Strassen das Wort Jude führen: Judengasse, Am Judenfriedhof, Jüdenstrasse, Judenlohweg, Judendorf, Judenbühl sind nur einige unter ihnen.

Jüdisches Museum Hohenems
Villa Heimann-Rosenthal
Schweizer Str. 5
6845 Hohenems
T: +43 (0)5576 73989-0
www.jm-hohenems.at

 

H(a)ut ab!

Heinz Egger

Regen prasselt auf den gepflasterten Vorplatz. Die Räume sind hell erleuchtet. Auf den Fenstern prangt gross die Aufschrift „Bibliothek Archiv“. Zwei Kerzen flackern vor der Tür der neuen Bibliothek des Jüdischen Museums Hohenems. Drinnen herrscht ein Gedränge. Jeder Stuhl ist besetzt. Den Gestellen entlang stehen die Leute.

Eingangstür zur Bibliothek

Hut ab! So viele Besucherinnen und Besucher ehren die Anstrengungen der Museumsleitung, eine eigene Bibliothek zu bekommen, um der Öffentlichkeit die Bücherschätze zugänglich zu machen. Endlich ging der Wunsch in Erfüllung, mehr Raum und damit bessere Bedingungen für die Mitarbeitenden zu schaffen und für den Empfang von Schulklassen einen Seminarraum zu haben.

Hut ab! Es braucht Mut und Zuversicht, dass die Bibliothek auf lange Sicht bestehen bleibt und für diese Zeit für deren Unterhalt und Erweiterung auch Geld vorhanden ist.

Hut ab! Der Raum ist schön. An den Fenstern stehen Zitate von Franz Kafka, Walter Benjamin, Lizzy Doron und Hannah Arendt. „Nur von den Dichtern erwarten wir Wahrheit.“, steht zum Beispiel von Hanna Arendt. Der einen Fensterfront entlang läuft eine hölzerne Bank. Farbige Kissen setzen einen frohen Akzent zu den dunkelgrauen, metallenen Büchergestellen. Es ist auch zwischen den Gestellen sehr hell, so dass überall gelesen werden kann. Am Ende der Gestellgänge steht ein bequemer, gepolsterter Stuhl.

Lesender im Fauteuil zwischen den Gestellen

Bis die Eröffnungsveranstaltung beginnt, ist Zeit genug, sich in den Beständen umzusehen. Hut ab! Da wird einiges angeboten: An den Frontseiten der Gestelle hängen Schilder, die über den Inhalt Auskunft geben. Die Systematik der Bibliothek folgt einem Buchstabensystem. A steht für Allgemeines, B für Judentum Allgemein, G für Italien, H für Frankreich, J für andere Länder, K für Belletristik, L für Sondergebiete und Z für Zeitschriften. Die einzelnen Abteilungen weisen eine differenzierende Feinunterteilung auf. Die Bibliothek ist eine Themenbibliothek. Die Bestände zeigen, dass es sich um eine Studienbibliothek handelt. Sie eignet sich für alle, die sich breit informieren wollen. Es ist also auch ein idealer Ort für Schulklassen, die sich mit dem Judentum allgemein, dem Leben der Juden und ihren Gebräuchen oder aber mit der Geschichte der Juden speziell im 20. Jahrhundert befassen.

Ein Schulchan Aruch hebräisch-deutsch steht da und lädt ein, sich in die Kurzfassung der jüdischen Gesetze einzulesen. Oder ein mehrbändiges Werk mit Sagen der Juden. Oder eine Literaturgeschichte der synagogalen Poesie. Oder Bände über die Frau im Judentum. Oder Kochbücher. Oder die Geschichte zahlreicher grosser Gemeinden in Österreich und Deutschland liegt auf, beispielsweise von Hohenems, Linz oder Salzburg, Leipzig, Köln oder Hamburg. Ein bedeutender Teil der Bücher befasst sich mit dem Holocaust. Ein Werk fällt auf. Unter der Signatur La 18, Jüdische Soldaten, findet sich von Bryan Mark Rigg „Hitlers jüdische Soldaten“. Das Buch erzählt mit Bildern und Dokumenten von den zahlreichen Juden in Wehrmachtsuniform. Juden fanden sich in niederen Chargen genau so gut wie unter den Offizieren. Als Belege sind von Hitler unterzeichnete Dokumente enthalten, die die Wiederaufnahme ins Heer erlauben. Unglaublich. Die Belletristik-Abteilung ist bescheiden. Sie soll aber ausgebaut werden. Nur, wer liest in einer Präsenzbibliothek einen mehrere hundert Seiten langen Roman?

Die Eröffnungsreden starten mit Dankesworten. Es brauchte viele Gespräche und viel Überzeugungsarbeit, um an Geld zu kommen. Zwischen der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) und Hohenems besteht eine lange Beziehung. Die Zürcher Bibliothek ist die nächstgelegene jüdische Bibliothek. So sind denn auch Vertreterinnen und Vertreter aus Zürich anwesend. Zur Eröffnung erhält die Hohenemser Bibliothek eine grosse Tasche voller Bücher aus Zürich. Es sind alles Doubletten, die in Hohenems ein neues Zuhause finden. Auch der Museumsleiter, Hanno Loewy, wird beschenkt. Natürlich ist es auch ein Buch: „Die Geschichte der jüdischen Gemeinden Zürichs“ mit einer Widmung der ICZ-Präsidentin Shella Kertész. Zum Fest lesen einige Autorinnen und Autorenn aus „Quelle lebender Bücher“, dem Buch zum 75-jährigen Bestehen der ICZ-Bibliothek, vor. Es wird eine „Nacht des jüdischen Buches“. Auch beim letzten Vortrag sind noch immer fast alle Stühle besetzt. Der Abend endet nachdenklich mit den Nachschriften von Heimrad Bäcker. Die Leute stehen noch in kleinen Gruppen zusammen, während leise das Podium abgebaut, die Mikrofone verstaut und die Leselampe weggestellt werden.

Buch "Haut ab!", Jüdisches Museum Berlin

Beim Hinausgehen ein letzter Blick zwischen die Gestelle. Ein dunkles Cover. „Haut ab!“ heisst es gross darauf. Nein, es ist nicht ein Ausruf aus der Judenverfolgung, auch nicht die Aufforderung, die Räume endlich zu verlassen nach der langen, intensiven Veranstaltung. Es sind Beiträge zur Diskussion um die rituelle Beschneidung.

 

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