Boekhandel Dominicanen, Maastricht (NL)

Die Bücherkirche

Michael Guggenheimer

Blick vom Eingang in die ehemalige Kirche

„Ein Besuch in dieser Buchhandlung , die in einer alten Kirche beherbergt ist, ist ein Muss bei einem Aufenthalt in Maastricht.“ Das meint die Reisehomepage Tripadvisor. Und die englische Tageszeitung Guardian hat es im Jahr 2008 klipp und klar so formuliert: “The fairest bookshop of the world, a bookshop made in heaven”. Im Juli 2015 veröffentlichte der amerikanische Fernsehsender CNN eine Liste mit den 18 „coolest bookshops of the world“ und platzierte „the fairest bookshop“ auf Platz 7. Gemeint war mit diesem mehrfachen Lob die Buchhandlung Dominicanen in Maastricht in der 700 Jahre alten ehemaligen Dominikanerkirche. Seit zweihundert Jahren finden in diesem gotischen Sakralbau keine Gottesdienste mehr statt, die grosse Kirche steht unter Denkmalschutz, sie diente früher als Fietsenstalling, als bewachte Fahrradgarage mit Reparaturwerkstatt, später dann als Quartier eines Karnevalvereins. Boxkämpfe haben hier ebenso stattgefunden wie Automobilshows. Jetzt sind hier Bücher zuhause.

Zehn Jahre sind es her, seitdem in der hohen gotischen Kirche eine Buchhandlung eingerichtet wurde. Sieben Tage pro Woche ist sie offen, ein Magnet auch für Menschen, die keine Bücher in Niederländisch lesen. Vorne, im leicht erhöhten einstigen Priesterchor wurde ein ein Café (mit exzellentem Apfelkuchen!) eingerichtet, wo auch regelmässig Lesungen und Diskussionsveranstaltungen stattfinden.

Blick zum Ausgang mit Kasse. Links der zweistöckige Einbau aus Stahl

Im hohen Mittelschiff steht eine gewagte asymmetrisch platzierte, moderne, zweistöckige, 30 Meter lange und 7,5 Meter hohe Stahlkonstruktion, die das Amsterdamer Architekturbüro von Evelyne Merkx und Patrice Girod als eine Art Bücherhaus im Kirchenschiff konstruiert hat. Man steigt die Stahltreppe hinauf und wähnt sich auf einer Aussichtsplattform eines Hochseeschiffs, von der aus man nach oben und unten blicken und ungewohnte Aussichten erleben kann. Nur sieht man hier nicht die See, sondern ein Büchermeer.

Bücherschiff. Zweite Etage des Einbaus aus scharzem Stahl

An den Seitenwänden der dreischiffigen gotischen Kirche Bücher sowie auf dem Bücherturm im Mittelschiff, werden Bücher, CDs, DVDs, Zeitschriften und Zeitungen angeboten, 20 000 Titel sollen es sein. Von Architektur bis hin zu Zeichenbüchern: Hier sind alle Sparten vertreten. Auffallend das grosse Angebot an juristischer Literatur in Englisch und Niederländisch, was mit der Universität zu erklären ist, an der Rechtswissenschaften nicht nur in Holländisch, sondern auch in Englisch unterrichtet werden.

Zu Beginn und bis zum Zeitpunkt ihrer Zahlungsunfähigkeit war die niederländische Buchhandelskette Selexcyz Hausherrin in der ehemaligen Dominikaner Klosterkirche. Der frühere Ortsdirektor Ton Harmes hat nach deren Insolvenz und Schliessung 235 000 Euro aufgebracht, mit denen er Bücher und Mobiliar zahlte, weitere 100 000 Euro holte Harmes in sieben Tagen: Rund 600 ‚Freunde von Dominicanen‘ haben Geld via Crowdfundig eingeschossen. Wer dabei mitgeholfen hat, kann man einzelnen Tablaren in den Regalen entnehmen, die Namen der Spender sind dort immer wieder angebracht. Das markante Kirchengebäude gehört weiterhin der Stadt. Dass er im Alter von 63 Jahren noch Besitzer und Manager einer Grossbuchhandlung werden könnte, hatte sich Harmes nicht vorgestellt. Seine Bücherkirche ist mittlerweile zu einem wahren Touristenmagnet geworden, der über eine Million Besucher im Jahr anzuziehen vermag. Wer ungestört hier Bücher kaufen möchte, der besuche Dominicanen am besten frühmorgens. Die Grossbuchhandlung, die heute keiner Kette mehr angeschlossen ist, hat sich bestens erholt. Wo einst eine Zeitlang leere Zeitschriften- und Zeitungswände eine Tristesse ausstrahlten, füllen an die 400 Zeitschriftentitel sowie Wochen- und Tageszeitungen aus mehreren Ländern Europas wieder die Gestelle und sind die Bücherregale wieder gefüllt. Man schlendert über im Kirchenboden eingelassene Grabsteine von Bischöfen und Mönchen durch die hohe Kirche, nimmt zur Kenntnis, dass die Bücherproduktion in Holland hohe Zahlen aufweist. Denn Romane mit unglaublichen Auflagen von bis zu 300 000 Exemplaren sind in den Niederlanden keine Seltenheit. Eine grosse englischsprachige Abteilung führt Dominicanen. Dass so wenige deutschsprachige Bücher in der Bücherkirche angeboten werden, hat nichts mit einer Abneigung der deutschen Sprache und Literatur gegenüber zu tun: Die deutsche Stadt Aachen, von Maastricht aus mit dem Linienbus Nr. 50 bequem erreichbar, ist nunmal für Freunde deutscher Bücher zu nah, als dass es sich lohnen würde deutschsprachige Bücher in Maastricht anzubieten.

Boekhandel Dominicanen
Dominicanerkerkstraat 1
6211CZ Maastricht
T: 0031 43 4100 010
www.libris.nl/dominicanen

 

Tempel des Buches

Heinz Egger

„Eigentlich sollte ich nun ein Experiment machen mit dir“, sagt mein Freund. „Ich sollte dir mit deinem Schal die Augen verbinden, dich führen und die Augen erst wieder freigeben, wenn du dich hingesetzt hast.“ Ich muss meinen Freund etwas verwirrt angeschaut haben. Er setzte nach: „Doch, du kannst mir vertrauen“. Oh, am Vertrauen liegt es sicher nicht, dass das Experiment nicht zu Stande kam. Ich getraute mich ganz einfach nicht, ich war zu scheu. Wie hätte das auch ausgesehen: Zwei gestandene Männer gehen Arm in Arm durch eine ziemlich belebte Strasse. Der eine hat mit einem Schal die Augen bedeckt. Und er tappt unsicher Schritt für Schritt voran.

Im Nachhinein muss ich zugeben, das Experiment hätte sich gelohnt. Aber auch ohne verdeckte Augen war es ein überraschender Blick, der sich vor uns auftat, als wir durch das massive Metalltor und die Glastür schritten. Höhe, Tiefe, Breite. Säulen rissen den Blick hoch zu den Kreuzrippen. Von rechts ragte eine schwarzer Einbau bis in den Hauptgang des Mittelschiffs.

Wir wollen zuerst in diesem gotischen Bau, der einst eine Kirche war, ankommen. Im Chor setzen wir uns hin. Wir geniessen Kaffee und Kuchen und lassen unseren Blick wandern. Graue, runde Säulen mit achteckigen, dünnen Kapitellen tragen die Spitzbögen. Durch die hoch oben gelegenen gotischen Fenster strömt Tageslicht. Das Glas ist transparent, profan sozusagen. Die Fenster haben drei Teile, darüber sitzt ein Vierpass. Die Steinverzierungen erscheinen schwarz im hellen Licht. Farbreste verblasster Malereien in den Flächen des Kreuzrippengewölbes muten wie ein modernes Gemälde an.

Aufgang zum zweiten Stock des Einbaus aus Stahl. Hinweis auf engl. Bücher

Und dann ist die Kirche doch fast halbiert durch den schwarzen Einbau. Er hat zwei Etagen. Die Konstruktion ist aus Metall. Die Treppentritte nach oben dröhnen beim Aufstieg. Ja, es hätte auch einen Aufzug gegeben, aber ich wollte den Aufstieg erleben und immer wieder schauen, wie sich der Blick ins Schiff verändert. Der zweite Stock ist wie eine Aussichtsplattform hoch über den Wogen des Meeres. Viele Leute strömen in den Raum, einige bleiben vorne stehen, andere wandern um die Bücherinseln, wieder andere gelangen gemessenen Schrittes bis zum Café, einige kehren zurück zum Ausgang. Es ist ein Gewusel von Köpfen.

Zum Ausgang hin schauend auf der linken Seite finden sich antiquarische Bücher. In einer Vitrine liegt ein sehr alter, grosser Band in einer V-Liege, damit sein Rücken nicht überbeansprucht wird. Oder die acht Bände „Beschryving van Oost-Indiën“ von Valentyn warten auf einen neuen Besitzer. Auf der gegenüber liegenden Seite steht eine Reihe von Gestellen mit der Aufschrift „Regionaal“. Da stehen Secondhand-Bücher zu Limburg: Natur, Kunst, Literatur, Architektur, Theater und Musik, Dörfer und Städte, Karneval und Folklore, Minen und Bergbau und natürlich zu Maastricht. Alles ist auf Holländisch. Alle Gestelle tragen eine Nummer und um jede Verwechslung mit einer anderen Nummerierung auszuschliessen steht jeweils: Kaastnummer 215.

Auf dem kleinen Bänklein entlang der Balustrade liegen viele Bücher auf. So dicht beieinander sind sie aufgeschichtet, dass niemand sich hinsetzen kann, um ein Buch etwas gründlicher anzusehen, bevor es gekauft wird. Die aufgelegten Bände richten sich an Studenten. Ein roter Punkt weist darauf hin, dass beim Vorlegen eines Studentenausweises Rabatte gewährt werden.

Ein schwarzer Sänger im roten Anzug mit weissem Hemd und schwarzer Fliege, der schon vom Café aus zu sehen ist, kündet an, wo die Musikabteilung liegt. CDs und DVDs mit Musik und Filmen und eine grosse Sammlung an Vinylschallplatten belegen den grösseren Teil des ersten Stocks im schwarzen Einbau. Im Teil gegen das Hauptschiff finde ich unter anderem Bücher für das Erlernen des Holländischen, Lehrbücher über Computer, Big Data oder Fotografie. Überrascht hat mich ein Buch über das Fotografieren mit Drohnen von Wiebe de Jager.

Ich steige hinab und spaziere zwischen den Büchern langsam wieder zum Café. Unterwegs fallen mir kleine Bücher auf. Diese sind sehr handlich, nicht ganz so gross wie die bekannten Reclam-Bände, dafür aber einiges dicker. Sie sind auf Dünndruckpapier gedruckt.„Dwarsligger“ heissen sie. „Querlieger“ könnte man die als Marke eingetragenen Büchlein nennen, denn der Rücken des Bandes liegt beim Lesen horizontal.

Auf dem Weg hinten um den schwarzen Einbau zurück zum Ausgang passiere zuerst die Kinderbuchabteilung, die sehr schön in einer Apside eigerichtet ist, und dann die Auslage an Kunstbüchern: Fotografie, Architektur, Malerei. An der Wand des Seitenschiffs steht weiss auf rosafarbenem Untergrund in Grossbuchstaben „Art for all, art on every wall“. Grosse Bildbände des Taschen Verlags liegen auf. Zum Beispiel über Al Weiwei, Michelangelo oder Calatrava. Dann entsprechend aufgemacht und sehr schwer „100 Contemporary Concrete Buildings“ und „100 Contemporary Wood Buildings“.Die ausgedehnte Abteilung englischer Bücher findet sich entlang dem schwarzen Einbau. Kurz vor dem Ausgang dann links an der Wand des Seitenschiffes einige Meter Zeitschriften. Es sind unzählige Titel, die allermeisten auf Holländisch. In den Zeitungsgestellen links von den Ausgangstüren holländische und internationale Presse. Selbstverständlich ist auch die NZZ international vom heutigen Tag erhältlich.

Ich trete wieder hinaus ins Tageslicht. Die Sonne blendet. Ich schaue zurück auf den metallenen Eingang. Es ist ein asymmetrisches Portal mit zwei Flügeltüren. Die Flächen sind mit Rost überzogen. Die Buchstaben des Wortes Buch sind in verschiedenen Sprachen aufgeschweisst. – Ein Tempel des Buches, der jeden empfängt, der sich bilden will.

 

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