Buchhandlung Das Narrenschiff, Basel

Literarische Weltreisen

Michael Guggenheimer

Die Buchhandlung „Das Narrenschiff“ in Basel stellt eine Besonderheit dar: Ein Unternehmen mit mehreren traditionsreichen Verlagen unterschiedlicher Grösse und mit einer eigenen Druckerei ist Eigentümer der Buchhandlung. Viele Jahre lang war die Buchhandlung vorher in Privatbesitz und befand sich in einem Innenhof in der Basler Innenstadt. Ihr Kennzeichen war schon zu jener Zeit die reiche Auswahl an belletristischen Titeln sowie an Büchern aus den Bereichen Psychologie und Ethnologie, Politik, Philosophie und Umwelt. Eigentümerin war damals Beatrice Alder, die aus der traditionsreichen Buchhändler- und Verlegerfamilie Helbing stammt, der die mittlerweile nicht mehr existierende Buchhandlung Helbing & Lichtenhahn gehört hat. Beatrice Alder hat ihren schönen Buchladen im Schmiedenhof vor bald 15 Jahren dem Druckerei- und Verlagsunternehmen Schwabe verkauft, welches vor drei Jahren das langjährige Domizil im Gebäude der Stadtbibliothek aufgeben musste, weil die Basler Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG) im Rahmen einer Neuausrichtung ihrer Bibliothekspläne und wegen der Vergrösserung der Bibliothek den Mietvertrag kündigte. Klaus Egli, Direktor der Stadtbibliothek hat einmal gesagt, die Bibliothek sei die „am besten versteckte Bibliothek Europas“. Das mag in einem gewissen Sinn früher auch für die Buchhandlung gegolten haben.

Grosszügig und hell ist der Verkaufsraum im Narrenschiff

Was sich mit dem Umzug vom Schmiedenhof an die neue Adresse an der Steinentorstrasse Ecke Klosterberg verändert hat, ist die Fläche der Buchhandlung und die Helligkeit. Heute liegt das Narrenschiff nicht mehr versteckt: Von den Wagen der Strassenbahnlinie Nr. 6 aus sieht man sie beim Vorbeifahren. Gleich nebenan befindet sich das Schauspielhaus. Eine grosse Fensterfront lässt viel Tageslicht in die Buchhandlung hinein. Die Buchhandlung ist gewissermassen luftiger geworden. Was geblieben ist und ausgebaut wurde, ist die Vielfalt und Tiefe des Bücherangebots. Rechts und links der Verkaufstheke weist die Buchhandlung zwei Abteilungen auf. Links zur Steinentorstrasse hin befindet sich die reich dotierte Belletristikabteilung. Rechts zum Klosterberg hin ist der Bereich der Sachbücher, sind die Geisteswissenschaften zu Hause. Raffiniert die Unterteilung der Belletristik nach Ländern, die zu literarischen Weltreisen einlädt: An einem breiten Korpus beginnt die fremdländische Belletristik bei Japan und wandert über Indien, Korea und China in die Mongolei, in den Irak bis hin nach Russland und dann nach Brasilien, Chile und über Kolumbien und Kuba nach Mexiko. Die deutschsprachige Literatur ist von Andersch bis Zeh und Zweig vertreten, ebenso die Belletristik aus dem angelsächsischen Raum. Die „Neuerscheinungen Schweiz“ sind nach dem Alphabet geordnet. Wesentlich reicher als an den meisten anderen anderen Buchhandlungen auch das Angebot an literarischen und philosophischen Zeitschriften: Sinn und Form, der Merkur, Der blaue Reiter, Hohe Luft, Widerspruch, die Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, das Kursbuch, die Zeitschrift für Ideengeschichte, die Neue Rundschau, die Horen und Lettre Internationale. Ein Sofa, drei Tische, eine tiefe Fensternische: Platz zum Lesen ist da, wenn man sich nicht gleich entscheiden kann, welche Zeitschrift, welches Buch man mitnehmen will.

Schön und grosszügig werden die Bücher im wissenschaftlichen Teil der Buchhandlung präsentiert. Geschichte von den Grundlagen der Geschichtswissenschaft bis hin zum 21. Jahrhundert, die Grundlagen der Ethnologie, Bücher zu den Weltreligionen und eine Abteilung Cultural Studies. Bei den Philosophen, einem Schwerpunkt der Buchhandlung, sind von Adorno bis Zizek alle bedeutenden Philosophen vertreten. Alte Vertreter der Philosophie wie Aristoteles und Hume, Platon und Rousseau sind zwischen Agamben und Rawls, Sloterdijk und Lévinas zu finden. Petra Kiefer ist die Leiterin der Buchhandlung, sie wählt Autoren und Titel aus. Ihr zur Seite stehen Nathalie Reichenstein und Julian Hafen. Was vom Personal nicht eigens ausgewählt werden muss, weil es zur Verlagsgruppe des Mutterhauses gehört, sind die hauseigenen Publikationen des Schwabe Verlags, des englischsprachigen Verlags Bergli Books, des Verlags Johannes Petri und des Zytglogge Verlags, den der ehemalige Berner Besitzer Hugo Ramseyer nach Basel verkauft hat. Der Schwabe Verlag ist für Publikationen in den Bereichen Geistes- und Kulturwissenschaften spezialisiert, seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Philosophie, Geschichte, Kunst- und Architekturgeschichte. Der 1990 von Dianne Dicks gegründete Verlag Bergli Books ist auf Bücher über die Schweiz in englischer Sprache spezialisiert, Über 50 000 Exemplare wurden von Titeln gedruckt, in denen Ausländern das Schweizerdeutsche näher gebracht wird. Eine Spezialität des Inprints Zytglogge sind die CDs des Berner Troubadours Mani Matter, der 2016 achtzig Jahre alt geworden wäre.

Der Name der Buchhandlung ist übrigens eine Reverenz an das 1494 in Basel erschiene Buch „Das Narrenschiff“ des Humanisten Sebastian Brant. In über 1000 Verskapiteln werden in diesem Buch ebenso viele Narrentypen auf einem Schiff beschrieben. Im Jahr 2016 wird die Basler Marke „Das Narrenschiff“ 40 Jahre alt. In einer Reihe von Veranstaltungen soll dieses Jubiläum gefeiert werden.

Buchhandlung Das Narrenschiff
Steinentorstrasse 11
4010 Basel
T: 061 278 98 10
www.dasnarrenschiff.ch

 

Flug des Kranichs

Heinz Egger

Das Narrenschiff - eingeklemmt zwischen Steinentorstrasse und Klosterberg

Zuerst einmal werden wir zum Narren gehalten. Wir gehen vom Rathaus zielstrebig zum Schmiedenhof. Der schöne Platz mit den neu gestrichenen Häusern empfängt uns mit seiner Pracht. Aber dort, wo einst die Buchhandlung Das Narrenschiff war, da werden heute Burger feilgeboten. „Keep calm and eat a burger“ wirbt ein schwarzes Plakat für das Lokal mit dem Namen 1777. In der Stadtbibliothek, die sich im renovierten Haus eingerichtet hat, weiss man Rat. Das Narrenschiff ist an die Steinentorstrasse weitergesegelt. Dort ankert es eingeklemmt zwischen der Steinentorstrasse und dem Klosterberg.

Über den Bug steigt man ein. Links und rechts der Eingangstür ein Schaufenster. Im linken entdecke ich Bücher aus dem Verlag der Weltreligionen. Da liegen mehre Bände der Mischnah, beispielsweise Saaten, Seder Zera’im, in der sämtliche Vorschriften und Regelungen zur Landwirtschaft versammelt sind. Vor dem rechten Schaufenster stehen zwei hölzerne Kästen auf schlanken Beinen. Darin sind Bücher, die zum halben Preis angeboten werden.

Wer den Laden betritt, steht gleich vor der Theke mit dem Empfang und der Kasse. Ein junger Mann ist dort. Er ist Buchhändler und seiner Sprache, die zwar immer wieder baslerische Klänge enthält, merkt man den Walliser an. Julian Hofer stammt aus Brig und will die „Üsserschwiz“ etwas kennenlernen. Er findet, der Umzug habe sich für die Buchhandlung gelohnt. Er sagt dies, auch wenn er erst seit dem Umzug im Unternehmen ist. Auf seiner Theke liegen stapelweise Krimis – das Werk soll am Abend an einer Lesung vorgestellt werden.

Die Buchhandlung ist U-förmig und grosszügig angelegt. Links geht es zur Belletristik, rechts zu den Geisteswissenschaften. Es ist hell in den Räumen. Die dunklen Gestelle stellen einen starken Kontrast zu den weissen Wänden und der Decke mit den eingelassenen Lämpchen her. Und da und dort leuchtet feuriges Rot. Die Unternehmensfarbe der Schwabe AG, zu der nicht nur die Buchhandlung Das Narrenschiff, sondern eine Druckerei, vier Verlage und weitere Unternehmensteile gehören. Natürlich sind die Werke der Verlage verfügbar. So stehen da beispielsweise aus dem Schwabe-Verlag Werke zur Philosophie, Geschichte, Kunst- und Architekturgeschichte. Das Historische Wörterbuch der Philosophie oder das Historische Lexikon der Schweiz fallen mir auf. Aus dem Verlag Petri, der ein sehr vielfältiges Programm aufweist, sticht mir der weisse Blériot-Flieger, der über ein Buchcover knattert ins Auge: Der Alpenflug, ein Roman von Michael Düblin. Seit Juli 2015 besitzt Schwabe die Aktienmehrheit am Zytglogge-Verlag. Der Verlag bleibt jedoch eine eigenständige Aktiengesellschaft und will als unabhängiger Verlag seine Arbeit der vergangenen 50 Jahre mit attraktiven, besonderen und „quergeistigen“ Publikationen weiterführen, wie es im Editorial des Herbstprogramms 2015 heisst.

Die Belletristik-Abteilung lässt sich sehen. Hinter der Theke stehen die Neuerscheinungen mit einem Schwergewicht auf den Schweizer Autoren. In allen Gestellen geben metallene Schildchen den Namen des Autors an. Längliche Rollkorpusse sind schwer beladen. Oben geben die Bücher an, was darunter in den Fächern für weitere Autoren aus dem entsprechenden Land oder der Weltgegend zu finden sind. Zahlreiche Japaner sehe ich, zum Beispiel Hurakamis IQ84 als gebundenes Buch oder als Taschenbuch. Dann mehrere Bände Kawakami, Kenzaburo und Ogawa. Einem Büchlein kann ich nicht widerstehen. Es sind eigentlich drei dünne Bücher, die mit einem Faltband miteinander verbunden sind. Der Stapel schützt den Inhalt perfekt. Es sind Gedichte von Tanikawa Shuntarô. Auf dem Titel steht nur „minimal“. Auf dem Deckel des ersten Buchs prangt ein schwarzer Origami-Kranich. Auf den drei Büchlein, erhebt sich ein Kranich ganz sanft in die Höhe. Auf jeder ersten Seite ist er ein wenig höher. Seine Schwingen tragen ihn davon. Sein Abbild scheint durch die dünnen Doppelseiten durch – er ist zwischen den Seiten gedruckt. Die Gedichte stehen auf gefaltetem Papier, dessen Innenseite blau ist. Links stehen die japanischen Texte, rechts die Übersetzungen von Eduard Klopfenstein. Die Gedichte sind minimalistisch und erzeugen gerade dadurch einen starken Eindruck. Erschienen ist das aufwändig gestaltete Buch im Secession Verlag für Literatur.

In einem weiteren Korpus stehen die Bände Der anderen Bibliothek: schöne Rücken mit Goldverzierungen und -buchstaben. In einer Nische mit rotem Hintergrund steht auf einem Präsentationsständer ein Ölbild, signiert OA. Davor, wie zufällig hingestellt, eine Kassette mit drei Büchern von Jan Philip Reemtsma, Schriften zur Literatur.

In einer Ecke links der Eingangstüre laden ein Sofa, zwei Tischchen und weissschalige Designerstühle zum Verweilen ein.

Ich greife ins Schaufenster und angle mir den Band Frauen – Seder Nashim. Ich blättere darin und sehe lauter Vorschriften über die Stellung der Frau. Es geht ums Familienrecht, die Eheschliessung, Eheverträge und Scheidungen. Auf www.verlagderweltreligionen.de finde ich später einen sehr guten Text über die Bedeutung der Mischna. Unter anderem stellt sie eine ergiebige und von römischer und christlicher Geschichtsschreibung unabhängige historische Quelle für die Zeit des Neuen Testaments dar.

Während ich staunend in dem Buch lese, macht sich der Buchhändler bereit. Die Krimis sind alle in Kartonschachteln verpackt. Sie stehen auf einem Gepäckrolli. Er klemmt sich die hellblaue Geldkassette unter den Arm und verabschiedet sich, um den Büchertisch für die Lesung aufzubauen.

 

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