Buchhandlung im Volkshaus, Zürich

Links

Michael Guggenheimer

Es ist die Vorurteilsfalle: Beim Anschauen der Homesite der Buchhandlung im Volkshaus stosse ich auf eine Unterseite mit dem Titel „Links“. Ich denke spontan an linke Bewegungen, an Sozialdemokratie, an Sozialismus, an die kleine kommunistische Partei PdA, an Widerstandsbewegungen sowie an linke Theologen in Lateinamerika und bin überrascht, dass diese Seite bloss „Links“ in der englischen Bedeutung des Wortes aufweist, mit dem Verlage hingewiesen wird, die die Buchhändler besonders mögen. Die Buchhandlung im Volkshaus ist für mich die linke Buchhandlung Zürichs. Erst recht seitdem es die Buchhandlung Pinkus an der Froschaugasse nicht mehr gibt. Wo gibt es sonst noch in Zürich so viele gesellschaftskritische Bücher zu kaufen? Wo sind sonst in der Stadt so viele linke und kritische Zeitschriften zu finden? Nirgendwo.

Die Buchhandlung im Volkshaus ist aber noch viel mehr als das. Zwar gibt es das Antiquariat Germond an der Frankengasse, das auf Sportbücher spezialisiert ist. Aber keine andere Buchhandlung in Zürich dürfte so viele Fussballbücher, auch ganz aktuelle, führen wie die Buchhandlung, die bis vor zwei Jahren noch Buchhandlung am Helvetiaplatz geheissen hat. Dass Tommy Egger, der eine der beiden Besitzer, ein exzellenter Fussballkenner und bekennender Anhänger des FC Basel ist, dürfte mit ein Grund sein für die vielen Fussballbücher.

In der "Katakombe", wo jeweils die Lesungen stattfinden

Links und fussballfreundlich. Das sind zwei Merkmale. Psychoanalyse und Lacan im speziellen sind zwei weitere. Eine ausgezeichnet und grosszügig geführte Lyrikabteilung, ein gut sortiertes Gestell mit Theaterliteratur und eine süsse Erotikabteilung, die nicht im Keller versteckt wird, sondern im Galeriegeschoss thront, auch das ist die Buchhandlung, von der aus Martin Bossard, der andere Teilhaber, mit dem roten – und mit dem Namen der Buchhandlung beschrifteten – Lieferauto oder mit dem Rad zu Lesungen fährt, an denen er den Bücherstand betreut. Was es mit der hinter einer Tür versteckten Abteilung albanischer Bücher an sich hat? Sie befindet sich in einem Nebenraum der Katakombe, jenes Teils der Buchhandlung im Kellergeschoss, in dem regelmässig Lesungen stattfinden, Lesungen, die anders, häufig weitaus mutiger und origineller sind als Lesungen anderer Buchhandlungen in Zürich. Lesungen mit israelkritischer Palästinaliteratur in einer Buchhandlung gefällig? Hier finden sie statt. Eine Lesung mit einem Freizeitautor aus dem Kreis 4, der anderswo in der Stadt seine Quartiergeschichten nicht vortragen könnte: Hier gibt es sie. Veranstaltungen mit dem in Kanada lebenden serbischen Autor David Albahari? Nur hier! Dass vor Jahren sogar ein Buch erscheinen konnte, in dem es ausschliesslich um die vielen Lesungen in der Katakombe geht, ist wohl ebenso bezeichnend wie das Lesezeichen, das man manchmal nach einem Bucheinkauf in dieser Buchhandlung bekommt: „Jelinek, Marx, Freud“ sind die drei Autorennamen auf dem Lesezeichen, nicht Martin Suter und Paulo Coelho. Die Liste der Autorinnen und Autoren, die hier in den letzten Jahren gelesen haben, ist eindrücklich. Manchmal müssen die Lesungen angesichts des grossen Publikumsandrangs in einen grösseren Saal verlegt werden: Gut deshalb, dass sich die Buchhandlung im grossen Volkshaus befindet, wo im selben Gebäude mehrere Säle zur Verfügung stehen. Gerhard Schröder und David Grossman haben schon oben im Haus gelesen. Ein Blick in das Buch „Die Katakombe – Zürichs Literatenkeller 1940-1973“ von Marthe Kauer, die die Buchhandlung noch unter ihrem ursprünglichen Namen „Genossenschaftsbuchhandlung im Volkshaus“ geführt hat, zeigt noch andere Namen von Autoren, die hier einst zu Gast waren: Bert Brecht mit Georg Solti als Begleiter am Klavier, Mascha Kaléko, Hans Weigel , Margarete Susmann und die beiden damals noch jungen Autoren Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt.

Dienstags und freitags findet auf dem nebenan gelegenen Helvetiaplatz der grosse Lebensmittelmarkt statt. Manchmal kaufe ich auf dem Markt Früchte und Gemüse ein, hole Brot am Stand der Kilchberger Bäckerei und gehe anschliessend bei Martin Bosshard und Tommy Egger vorbei, um noch ein Buch in die Einkaufstasche zu legen, das ich im Café Casablanca an der Langstrasse bei einem grossen Milchkaffee und Birchermüesli zu lesen beginne.

Buchhandlung im Volkshaus
Stauffacherstrasse 60
8004 Zürich
T: 044 241 42 32
www.volkshausbuch.ch

Dieser Miesmacher!

Heinz Egger

Blick vom ersten Stock hinab in die Buchhandlung

Dumpf, ja leicht hohl tönt es. Er klopft immer wieder mit seinem knochigen Finger auf den Buchdeckel. „Genau so ist es,“ wettert er, „genau das passiert. Digitale Demenz haben wir, überall.“

Die junge Buchhändlerin schaut ihm in die Augen. Stechend sind sie, voller Feuer. Ein Funkeln liegt in ihnen. Sie weiss, der alte Mann ist ein Eiferer. Aber, das hat sie mehrmals schon feststellen können, ganz unrecht hat er nicht.

Das Buch „Digitale Demenz“ von Markus Spitzer aus dem Droemer-Verlag kennt sie von einer Rezension in der Zeitung. ViellBuecherkiste mit Michaeleicht wird sie es lesen, denn die Zitate aus dem Buch haben sie aufgerüttelt. Und sie weiss, dass auch ihr Chef ähnlich denkt und spricht.

Sie hört dem Alten zu: Die Sprache verkomme. Die jungen Leute hätten keine Ahnung mehr, wie etwas träf zu sagen sei. Alles sei flach, ein Einheitsbrei. Zudem fehle es an der Vernetzung der Informationen miteinander. Kunststück, wenn alles und jedes schnell aus dem Netz geholt werde. Der Computer stelle keinen Gewinn dar. Im Gegenteil. Immer wieder sei bei jungen Leuten Gesagtes gleich wieder aus dem Hirn weg, auch wenn die zu verknüpfende Sache bloss 30 Minuten zurückliege.

Plötzlich hebt den er den Finger und zeigt auf die Buchhändlerin. „Lesen müssen Sie, lesen. Und zuerst dieses Buch. Das wird Ihnen die Augen öffnen. Auch für Pädagogen und Manager wäre es eine Pflichtlektüre.“

Sie sucht nach einer Möglichkeit, das Thema zu wechseln, den Herrn abzulenken. Sie wendet sich kurz zur Seite, streckt ihre Hand über die Theke und greift nach einem kleinen Bändchen aus der edition suhrkamp digital: Markus Metz, Georg Seesslen, Kapitalismus als Spektakel oder Blödmaschinen und Econotainment. Sie spürt, dass die spitzen Thesen der beiden Autoren zum stänkernden Herrn passen werden. Sie hält ihm das Buch hin und sagt: „Oh, schauen Sie, dieses Buch wird Ihnen auch gefallen: Die Autoren beschreiben den Anbruch einer neuen Phase des Kapitalismus. In dieser wird er sich endgültig in ein gigantisches Spektakel verwandeln. Blödmaschinen – das sind mediale, soziale und technologische Apparate – verbreiten die Botschaft: Das Glücksrad dreht sich, es gibt die Guten und die Bösen, jeder kann mitmachen oder zumindest mitreden, Ökonomie ist auch nur ein Reality-Format. Die Autoren illustrieren ihre These an zwei aktuellen Beispielen, nämlich der ֽ‚Redbullisierung‛ von Sport und Freizeit sowie der posthumen Verherrlichung von ‚Saint Steve‛ Jobs.“

Kaum hat sie das gesagt, staunt sie über sich selbst. Hier hat sie so leicht wiedergegeben, was sie auf der Website von Suhrkamp gefunden hat. Vom Buch hat sie keine Seite gelesen. Und die Website hatte sie vor weniger als 30 Minuten nur aufgerufen, weil ein Kunde gefragt hat, was bei der Verlagsangabe „digital“ bedeute. Das Werk liege ja analog, als gedrucktes Buch vor. Sie hatte keine Antwort gewusst. Das war ihr peinlich. Aber auch das weiss sie noch: Es sind aktualitätsbezogene, thesenstarke Bände. Sie sind kurz, so 90 Seiten. Die Titel erscheinen innerhalb weniger Wochen gedruckt und online: darum der Zusatz „digital“.

Der Alte schaut sie etwas misstrauisch an. Er zweifelt wohl an der Kompetenz der jungen Frau. Trotzdem lässt er sich das Bändchen geben. Er verzieht sich auf einen Stuhl neben der Treppe, die in die „Katakombe“ hinabführt.

 

2 thoughts on “Buchhandlung im Volkshaus, Zürich

  1. Tommy Egger

    Lieber Michael, ich danke Dir ganz herzlich für das tolle Portrait unserer Buchhandlung. So viel Lob lässt mich fast ein wenig erröten…

    Reply

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