Kunstort
Michael Guggenheimer
Freunde von auswärts nehme ich auf Stadtspaziergänge durch Zürich mit, wobei ich jeweils die Altstadt auslasse. Die lässt sich mit dem Stadtführer von Merian oder Polyglott auch ohne mich erkunden. Die Stadtkreise 3, 4 und 5 sind die Gegenden, in denen sich die Entwicklung der Stadt am besten zeigen lässt. Im Kreis 5 stets auf dem Besichtigungsprogramm stehen Schiffbau, Viadukt, Freitag-Containerturm, Puls 5, das Haus Zürich-Paris, das Museum für Gestaltung. Und immer auch der Löwenbräu. Zu den vier besonderen Buchhandlungen in diesem Stadtkreis gehört natürlich die Buchhandlung „Kunstgriff“ im ehemaligen Löwenbräu. Unbedingt! Als sie während des Umbaus des Löwenbräuareals fast zwei Jahre lang in Albisrieden untergebracht war, da hat sie ein bedauerliches Schattendasein geführt. Wie gut, dass „Kunstgriff“ jetzt wieder dort ist, wo viel Kunst zu sehen ist. Im selben Gebäude zwei herausragende Museen für zeitgenössische Kunst, hervorragende Galerien, zwei Kunstbuchverlage. Kurzum: Hier stimmt alles für Menschen, die sich für zeitgenössische bildende Kunst interessieren.
Eigenartig nur, wie mager, wie zurückhaltend die Homepage der Buchhandlung „Kunstgriff“ ist. Dabei ist die Buchhandlung ein Bücher-Eldorado für Freunde der heutigen Bildenden Kunst. Das beginnt bereits mit dem hohen, langen Raum. Grosszügig ist der weisse Raum mit seinem grauen Betonboden. Und schön eingerichtet. Clubtische und bequeme Designstühle an einer Fensterfront, wo man sich hinsetzen und Bücher anschauen kann. Espresso, Vivi Cola (wo gibt es denn die noch in Zürich?), Quöllfrisch Bier. Weisswein und Mineralwasser aus Appenzell werden hier serviert. Nichts in diesem Raum wirkt eingezwängt. Ein fast 20 Meter langes Büchergestell ist vollbepackt mit Büchern über Malerei, Fotografie , Plastik, Videokunst. Und weil das Gestell hoch ist, steht eine Metallleiter denjenigen Kunden zur Verfügung, die aus einem der oberen Tablare ein Buch anschauen wollen. Wohltuend auch, dass die Kunstbände hier nicht eingeschweisst sind. Leise Musik im Hintergrund, so leise, dass sie animiert, nicht stört. Auffallend das junge Publikum. Auch auffallend leise. Man ist eben vertieft in der Kunst.
Der Hund, der hier auch zuhause ist, heisst – passend zum Angebot – Beuys, die grosse Pflanze vor der Verkaufstheke ist eine Montserra Deliciosa, die bei einem Möbelhändler keinen Platz gefunden hat und hier für längere Zeit zu Gast ist. Buchhändler Markus Schmutz hat die Buchhandlung 1997 gegründet, assistiert wird er von Monika Stalder. Im Hintergrund hält Verleger und Kunstmäzen Michael Ringier seine schützende Hand über das Unternehmen, was dann spürbar wird, wenn man den kleinen Prospekteturm seines Kunstbuchverlags JRP Ringier an einer Ecke sieht und feststellt, dass der schwere Prachtsband von John Armleders „About Nothing“ gleich elfmal im Büchergestell auf Kunden wartet. Ohne die Grosszügigkeit des Kunstsammlers und ohne die Hartnäckigkeit des Buchhändlers wäre ein solche Buchhandlung kaum möglich. Sie nimmt es auf mit all den Museumsbuchhandlungen in Deutschland, die dort meistens einem einzigen Unternehmen gehören. Natürlich kann man hier auch Kunst kaufen: Gerade jetzt sind es Fotos von Kunstaktionen von Roman Signer. Wunderbar alphabetisch geordnet ist die lange Bücherwand. Monographien, Ausstellungskataloge, nicht wenig Kunsttheorie: Die Hochschule der Künste ist nicht weit weg. Deutschsprachige Bücher und Bücher in englischer Sprache, Bücher aus Frankreich sind hier allerdings kaum anzutreffen. Und weil die Buchhandlung „Hochparterre“, die sich im selben Stadtkreis befindet, auf ein Angebot an Kunstbüchern verzichtet, findet man bei „Kunstgriff“ keine Architekturbücher: Wer solche sucht, wird auf den Quartiersnachbarn verwiesen.
Wer im Löwenbräu eine der Ausstellungen besucht hat, bringt es kaum über sein Herz, das Haus zu verlassen, ohne im „Kunstgriff“ gestöbert zu haben. Ein Lieblingsbuch habe ich hier schon mehrfach gekauft und dann weiter verschenkt: Peter Fischlis und David Weiss’ „Findet mich das Glück“, erschienen just im Verlag der Buchhandlung Walther König. Und eines der schwersten Bücher in meiner Bibliothek ist eben Armleders „About Nothing“. Auch dieses Buch hier gekauft. Übrigens: „Kunstgriff“ ist auch an Sonntagen offen, dafür an den museumsfreien Montagen geschlossen. Da die Kunsthalle und das Migros Museum für Gegenwartskunst jeweils zeitgleich ihre neuen Ausstellungen einrichten, ist die Buchhandlung während den Umbauzeiten an Sonntagen geschlossen. Und wer ganz besondere Ansichtskarten sucht, der findet sie hier ebenso wie eine gute Auswahl von Kunstzeitschriften.
Nachtrag: Am 28. Februar 2019 hat die Buchhandlung Kunstgriff im Zürcher Löwenbräu Areal nach 23 Jahren ihre Türen endgültig geschlossen. „Leider ist die intensive Suche nach einem starken Partner zur Weiterführung der Buchhandlung ohne Erfolg geblieben“, sagte Buchhändler Markus Schmutz. Der frühere Partner war Kunstmäzen Michael Ringier, u.a. Verleger des Kunstbuchverlags IRP Ringier.
Buchhandlung Kunstgriff
Limmatstrasse 270
8005 Zürich
T: 044 272 90 66
http://www.kunstgriff.ch/
L’art pour l’art
Heinz Egger
Was mir zuerst auffällt, sind die Dimensionen. Das neu renovierte Gebäude der ehemaligen Brauerei Löwenbräu hat Grösse. Die Räume sind sehr hoch, weiss gestrichen. Ich glaube, mich darin zu verlieren.
Zwei mächtige Flügeltüren geben den Blick frei in die Buchhandlung Kunstgriff. An der abschliessenden Wand des langen Raums hängen Bilder. Unverkennbar sind die Arbeiten von Roman Signer mit Rauch und Feuer.
Die grossen Fenster lassen das Weiss der Wände leuchten. In den Fensternischen stehen Designer-Möbel. Sie sind von inch, wie ein Plakat an der Eingangstüre meldet. Sie sind bequem und laden ein, ein wenig zu verweilen und vielleicht etwas von dem zu trinken, was auf der kleinen Karte angeboten wird.
An der gegenüberliegenden Wand reichen die Büchergestelle aus verzinktem Blech bis an die Decke. Stehen die obersten Bücher in vier oder fünf Metern Höhe? Eine Leiter steht zur Verfügung, um sie zu erreichen. Nur, wer möchte auf einer dünnen Sprosse stehend die Regale durchstöbern? Dort oben, wo sich Rücken an Rücken drängt ein dickes Buch herausholen und darin blättern? Wohl ist es besser, schon zu wissen, was man braucht. So kann man es an der Theke verlangen.
Diese Theke ist zweistufig, schwarz. Ein grosser Bildschirm mit silberner Rückwand und Logo dominiert. Auf der niedrigeren Stufe liegen Bücher auf, das Ende der höheren besetzen weisse Designer-Vasen. Hinter dem Bildschirm sitzt jene junge Frau, die einem wohl jedes Buch holt, das man wünscht. Sie ist schwarz gekleidet und hat einen fast durchsichtigen Teint. Sie trägt eine Nickelbrille. Ihr rötliches Haar ist streng nach hinten zu einem Dutt zusammengenommen. Sie spricht fliessend Englisch mit einer Kundin und gleich darauf Französisch mit einer anderen. Ihre Muttersprache ist aber ein breiter Dialekt, vielleicht bernisch, solothurnisch oder oberaargauisch gefärbt.
Zum Schmökern eignen sich die beiden grossen Holztische mit flilgranen Beinen. Darauf sind viele Titel ausgelegt. Namen wie Gary Simons, Hanne Darboven, Kwiekulik, André Thomkins, Dirk Bonsma, Sterling Ruby, Gianni Piacentino, Neo Rauch, Pierrette Bloch, Doug Aitken, Richard Tuttle oder Valeria Napoleone sagen mir nichts. Auch wenn Phyllida Barlow „Fifty Years of Drawing“ zusammenträgt nicht. Einzig das Buch Poems von Carl Andre, in dem mit der Schreibmaschine hergestellte Buchstabenbilder und Gedichte versammelt sind, finde ich hinreissend, gekonnt und ausdrucksstark. Ich hielt dieses Buch schon anderswo in den Händen.
Wer sich in der modernen Kunst und ihrer Szene auskennt, wird hier sicher fündig werden. Ich werde hingegen nicht recht froh. Zu leicht ist es heute, Tintenspritzer, Collagen, Fotos von Rissen in Wänden und anderes mehr zwischen zwei Buchdeckel zu bringen und für 79 Franken zu verkaufen.
P.S.1. Der Versuch, ein Bild von der Buchhändlerin zu schiessen, wird scheitern. Entweder hält sie gleich die Hand vors Gesicht oder wird verlangen, das Foto zu löschen. – Eigentlich hat sie völlig recht, wenn sie ihr Recht am eigenen Bild schützen will.
P.S.2. Wie schreibt man eigentlich Kunstgriff als Name für die Buchhandlung korrekt? Mit grossem K oder kleinem? – Beide Schreibweisen sind auf der Eingangstüre zu sehen. Oder in Grossbuchstaben wie auf dem Web?
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