Maghreb und Mittelalter
Michael Guggenheimer
Schlendert man dem Zürcher Neumarkt vom Seilergraben in Richtung Niederdorf entlang, dann begegnet man ausgesuchten Läden, die anders als jene an der Bahnhofstrasse keinen grossen Ketten angehören: Möbeldesign, Hüte und Schmuck. Noch bevor der Neumarkt in den Rindermarkt übergeht, steigt man linkerhand die enge Spiegelgasse hinauf. Rechts steht eine Ladentür offen und gibt den Blick frei auf eine Farbenpracht: Kelims aus Persien, Anatolien und dem Kaukasus sind hier ausgestellt, Bodenkissen, Kopfkissen, Hocker und Tischdecken aus dem Nahen Osten, Gabbeh- und Kaschkuliteppiche liegen auf dem Boden und hängen an den Wänden, Orientalischer Jazz erklingt aus Hasan Ermis Laden.
Geht man weiter hügelaufwärts, steht wieder eine Ladentür offen. Klassische Musik oder Musik aus dem Maghreb erklingt im Laden, Pantoffel, wie man sie aus Marokko kennt, hängen im Schaufenster an einer Schnur, ein handgeknüpfter Teppich ist an einer Schaufensterwand zu sehen. Bücher sind hier ausgestellt, welche die Spezialität des Ladens noch nicht verraten. Man muss schon den Bücherladen Medieval betreten, um herauszufinden, worin sich dieser Buchort von anderen unterscheidet. „Bücher, Musik, art & vie, Kunsthandwerk, Marokko“ steht auf den beiden Schaufenstern.
Pascal Wehrle ist seit bald zwanzig Jahren Besitzer von Medieval. Vor vierzig Jahren weilte er zum ersten Mal in Marokko, mehr als hundert Mal war er schon dort, sein Buchladen heisst im Netz auch „Le Maroc Art et Vie d’une Culture“. Und wirklich, keine andere Buchhandlung der Deutschschweiz hat ein so grosses Angebot an Büchern über den Maghreb. Wehrle ist ein Marokkokenner, ein Fan dieses Landes am Atlantik. Mitten in der Neustadt von Marrakesch und gleich hinter dem Marché central besitzt er eine 180 Quadratmeter grosse Wohnung mit Aussicht auf die Stadt und auf die Atlasgebirgskette, die er Feriengästen vermietet, wenn er in Zürich weilt. Reich ist die Auswahl an Büchern zu Marokko und Tunesien im Medieval. „Küchen der Medina“, „Marrakech. Le secret des maisons-jardins“, „Tanger. Porte entre deux Mondes“, „Moussems et fêtes traditionelles au Maroc“, „Marocco, Jews and Art in a Muslim Land“, „Die arabische Welt im 20. Jahrhundert“, „Zu Gast in Marokkko“. „Gewürzküche aus Marrakesch“, „Coiffures féminines du Maroc au Sud du Haut-Atlas“ und „Ma Cuisine Marocaine“: Eine grosse Anzahl der Titel über den Maghreb sind in französischer Sprache, der zweiten Sprache der Region aus der Zeit der französischen Kolonien. Das Bücherangebot reicht aber weit über den Maghreb, Wehrles Interesse an der arabischen Welt beschränkt sich mittlerweile nicht mehr nur auf den Maghreb.
Zweites Hauptthema unter den Büchertiteln: Das Mittelalter. Pascal Wehrles Vorgängerin war die Gattin eines Uniprofessors für antike und christliche Geschichte, den Geschäftsnamen Medieval hat Wehrle mit der Buchhandlung übernommen, um mit dem Maghreb ein weiteres Bücherthema einzuführen. Der Blick fällt auf Bücher wie „Die Goten“, „Karl der Grosse, „Adel in Nordwestsachsen“, „Religion und Kultur in Deutschland 1400 – 1800“, „Wien im Dreissigjährigen Krieg“, „Die Welt der Karolinger“ und Huyzingas „Herbst des Mittelalters“.
Musik aus dem Maghreb, Textilien aus Nordafrika, Seidenkrawatten aus Syrien, Gewürzmischungen aus Marokko und eine reiche Auswahl von Pantoffeln, die er aus Marrakesch mitgebracht hat, gehören ebenso zu den Nonbooks wie Parfums mit dem Namen „Air de désert Marrocain“ und „ Le Maroc pour elle“ des Schweizer Chemikers und Parfumeurs Andy Tauer, der in seiner Homepage mitteilt: „What started as a fragrance for a friend with a bookshop developed into a brand with a face and fragrances that are known world wide by perfume lovers searching for the best.“ Beim Freund handelt es sich eben um Pascal Wehrle, der ursprünglich eine Lehre als Schallplattenverkäufer absolviert und anschliessend für die Schallplattenfirmen Decca umd EMI gearbeitet hat.
Weilt Wehrle wieder einmal in Marrakesch vertritt ihn Mariette Althaus im Laden. Die Westschweizer Übersetzerin, die seit viele Jahren in Palmeira im Süden Portugals lebt, kommt mehrmals im Jahr in die Schweiz, um im Medieval auszuhelfen. Mit dem deutschen Künstler Sigmar Polke hat sie zusammengearbeitet und gelebt. In Portugal übersetzt sie Kunstbücher, in Zürich versinkt sie die Bücherwelt von Medieval. Sie liebt den Laden, liebt Geschichten und mag die Parfums von Andy Tauer und sagt: „Wie Sie sehen redet man hier mehr als man verkauft.“, wobei sie gerade mehrere Bücherkisten mit Publikationen zum Iran einpackt, weil die Buchhandlung Medieval an einer Feier zum Nouruz, dem persischen Neujahr, in Zürich einen Büchertisch führt. Und Pascal Wehrle fügt an, dass die Besorgung von Publikationen für das Asien-Orient-Institut der Uni Zürich ein wichtiges Standbein von „Medieval“ sei. Tonnen von arabischen Büchern habe er bei Buchhändlern im Marrakesch schon für das Institut besorgt. Zu seinen Stammkunden gehören Studierende, Assistenten und Professoren des Asien-Orient-Instituts, die gerne in der kreativen Unübersichtlichkeit des Ladens herumstöbern und ihre Entdeckungen machen. Mehrmals in der warmen Jahreszeit organisiert Wehrle zudem Lesungen in einem versteckten privaten benachbarten Altstadtgarten. TV-Sprecher Egon Fässler liest dann aus Tausendundeiner Nacht vor, anschliessend werden Getränke aufgetischt.
Buchhandlung Medieval
Spiegelgasse 29
8001 Zürich
T: 044 252 47 20
www.lemaroc.ch
Exotisch
Heinz Egger
Medieval – mittelalterlich; Art et Vie – Kunst und Leben. Was da den Besucher erwartet, wenn er in den winzigen Laden tritt? Nach der engen Türe gibt es zuerst eine Überraschung. Am Boden und in einem Korb leuchten lederne Schuhe für daheim in allen Farben und Grössen. Auch im Schaufenster hängen sie, mit Wäscheklammern an einer Schnur aufgereiht. Die Buchhandlung heisst zwar immer noch Medieval, aber sie hat sich unter Pascal Wehrle längst weiterentwickelt. Der Quereinsteiger – er war einst Schallplattenverkäufer – ist ein grosser Marokko-Fan. Es erstaunt deshalb nicht, dass in seinem Sortiment viel über dieses Reiseland zu haben ist. Neben den erwähnten Schlüpfschuhen gibt es Handgewobenes wie Kissen und Tücher, Teppiche, Kunsthandwerkliches und Musik. Das ursprünglich aufs Mittelalter ausgerichtete Angebot hat er um Themen aus Nordafrika und dem Orient erweitert. Es gibt eine Zusammenarbeit mit dem Orientalischen Seminar der Universität Zürich. Pascal Wehrle besorgt via einen Buchhändler in Marrakesch Bücher, die sonst in der Schweiz nur schwer erhältlich sind.
Und wenn Pascal Wehrle wieder einmal in Marokko weilt, dann übernimmt gern Mariette Althaus die Führung des Ladens. Dafür reist die Kunstbuch-Übersetzerin extra aus Portugal an – ja natürlich auch, weil sie ihre Familie in der Schweiz hat.
Der Raum ist klein. Neonröhren, die von der Decke hängen, erhellen ihn ganz. Jedes Plätzchen ist genutzt. Ganz hinten im Raum ist die Theke und der Arbeitsplatz des Buchhändlers. Den Wänden entlang laufen dunkle Büchergestelle, auf deren Tablare die Rubriken mit Papier unter Klarsichtfolie angeschrieben sind.
Im Gestell rechts an der Wand stehen Bände zur Architektur der Klöster von Zisterziensern und Franziskanern, zu den korinthischen Kapitellen in Rom, zum Turmbau im Mittelalter, zu den Kathedralen Europas, zu den deutschen Königspfalzen, zum Bild der Welt im Mittelalter, zur Skulptur aus Holz in Litauen, die Storie die marmo, zur Architektur für die Toten und schliesslich einige Bände zur ans Mittelalter anschliessenden geschichtlichen und kulturellen Epoche, die Renaissance.
„Das Buch hat mir manche Türe und manches Fenster geöffnet. Es ist ein politisches Buch, ein engagiertes, ein leidenschaftliches Buch und doch ein differenziertes und kein schönfärberisches Buch.“ Solches sagte Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger zum Buch von Amalia van Gent und Christina Leumann mit dem Titel „Den Ararat vor Augen“. Die beiden Autorinnen schildern darin das Leben in Armenien in den vergangenen 35 Jahren (zitiert nach: http://www.kolchisverlag.ch/buecher/buecher-bei-kolchis/den-ararat-vor-augen.html). Viele weitere Bücher können Türöffner für uns zu fremden oder wenig bekannten Themen sein. Zum Beispiel: „Emirats arabes unis. L’avenir en face“. Ein Buch von Alain Bradfer et Jean-Dominique Dallet. Oder „Frühstück mit der Drohne“ von Atef Abu Saif. Er hat sein Tagebuch über den letzten Gaza-Krieg veröffentlicht. 51 Tage und wie er mit seiner Familie das Leben gemeistert hat.
Auf den Regalbrettern stehen weitere Themen: Kunsthandwerk, wo Bücher über Kleider, Stoffe, Teppiche, Tapisserien, Glas und das Ornament stehen, Kalligraphie, Buchmalerei, Skulpturen, Altäre, Literatur und Kirchengeschichte mit Werken über Luther und Melanchthon.
Auffallend viele Bücher über den Iran liegen auf. Sie sind der Vorbote auf das iranische Neujahrsfest, das dieses Jahr am 19. April mit einem grossen Fest in Schwamendingen gefeiert worden ist und an das natürlich auch ein Büchestand gehört, geführt von Pascal Wehrle.
Aber was bedeuten Art et Vie in der Namensergänzung des Buchhandlung? Es sind da auf einfachen, kleinen Gestellen an der Wand die skurrilen, bunten Vögel, die Juta Amsel und Mathes Seidl aus Treibholz hergestellt haben, das sie im Bodensee fanden. Und natürlich auch die eingangs erwähnten Stoffe, Kissen und Teppiche. Und für Vie stehen die Parfums von Andy Tauer. Jenes mit der Nummer Zwei und dem Namen „L‘air du désert Marocain“ machte den Tüftler bekannt. Diese Duftnote ist nur im Medieval, Art et Vie erhältlich.