Buchhandlung zum Wetzstein, Freiburg i. Br.

Konfitüren, Bilder, Bücher

Michael Guggenheimer

Ich kenne bloss eine einzige Buchhandlung, in der auch Konfitüren angeboten werden. Nicht irgendwelche Konfitüren. Einzig Staud’s Marmeladen werden hier verkauft. Und von diesen ist’s wiederum einzig die Marillenkonfitüre vom Venusberggarten in Willendorf in der Wachau zu Euro 7.70 das Glas . Wie es dazu kam, erzählt Buchhändler Harald Diebold: “Eines Tages kam ein Kunde rein und klagte Thomas Bader gegenüber, dass er nirgendwo in Freiburg Staud’s Marmeladen finde. Da sagte Thomas Bader: Ich schau’ mal nach, wo es die gibt. Er fand’s und seither bieten wir die Marillenkonfitüre an.“

Gedenkecke an Gründer Thomas Bader, gestorben 2014

Buchhändler Thomas Bader ist im Jahr 2014 gestorben. Dass der Tod eines Freiburger Buchhändlers in den grossen Feuilletons erwähnt wurde, hat mit seiner Buchhandlung zum Wetzstein zu tun, die heute von seiner Frau Susanne Bader geführt wird. Eine Buchhandlung der ganz besonderen Art, die mehr ist als eine Buchhandlung. Eine private Bibliothek? Eine Kunstgalerie? Ein vornehmes Bücherantiquariat? Ein Literaturmuseum? Eine Fotogalerie? Die Buchhandlung zum Wetzstein ist all das und noch mehr.

Dreiarmige Kronleuchter, ein hellblauer Spannteppich, Mobiliar aus bestem Holz, leise klassische Musik, Vitrinen, hinter denen Erstausgaben, signierte Bücher, kleine Plastiken bekannter Bildhauer zu sehen sind, zudem gemalte Bilder an den Wänden, die zum Verkauf angeboten werden. Und dazu eine reiche Auswahl von Büchern, die sich nicht um Bestsellerlisten scheren. Oberhalb der Büchergestelle reiht sich vom Eingang bis ganz hinten zu den beiden Schatzkammern der Buchhandlung als Bilderband ein Vogelbild an das andere. Es sind Stiche, die Olof Rudbeck der Jüngere, Botaniker und Hofmaler am schwedischen Hof, im 18. Jahrhundert erstellt hat, 1985 in einer Vorzugsedition des Belser Verlags in einer grossen Mappe als Faksimiledruck herausgegeben. „Unser Himmel ist der Vogelhimmel“, soll Bader gesagt haben. Kunstwerke von Jürgen Brodwolf, Albi Maier, Markus Lüpertz und von anderen Künstlern sind hier ausgestellt. Auffallend auch die Serie „Verlorene Bibliothek“ von Hannes Möller, der den Büchern des Klosters Eberbach nachgegangen ist, die seit der Säkularisation von Oxford bis St.Petersburg verstreut sind. Er hat sie fotografiert und dann nachgezeichnet und in Aquarell- und Gouachetechnik gemalt, um sie wieder auf Papier mit überproportional vergrößerten Details von Buchrücken oder Buchschnitten nach Deutschland zurückzubringen, wenn auch nur als grossformatige Bilder.

Blick in die Tiefen der Buchhandlung

Man kann die Buchhandlung zum Wetzstein unmöglich nur als Buchhandlung beschreiben. Und man kann sie unmöglich ohne Thomas Bader würdigen, dessen Stimme hier nicht mehr zu hören ist. Ich kann mich an einen Besuch der Buchhandlung erinnern, als Bader mir Thomas Knubbens wunderbares Buch „Hölderlin – Eine Winterreise“ empfohlen hat. Thomas Bader kannte mich nicht. Und trotzdem muss er gespürt haben, dass lange Wanderungen meine Sache sind und dass ich Bücher zum Thema Gehen sammle. Bekannte erzählen mir, dass es ihnen nicht anders gegangen sei: Thomas Bader habe ein ganz besonderes Gespür für Menschen gehabt. Kein Wunder, dass es sogar Kunden geben soll, die in London leben und jedes Jahr in der Buchhandlung zum Wetzstein vorbeischauen, um sich Bücher empfehlen zu lassen.

Die besondere Atmosphäre der Buchhandlung ist geblieben. Gerahmte Porträts von zeitgenössischen Autoren, hängen an den Wänden oder lehnen sich an Bücher an, die einzelnen Buchbereiche sind gross und in einer besonderen weissen Handschrift auf blauem Hintergrund angeschrieben. Neben heutigen Autoren pflegt die Buchhandlung aber ganz besonders die Klassik. Ein grosses Porträt von Goethe hängt im ersten der beiden hinteren Räume, zu denen nicht jeder Zutritt findet und die nicht immer zugänglich sind. Fichte und Eichendorff, Goethe, Schiller und Kleist in schönen Ausgaben mit Goldprägung. Die Bücher des Manesse Verlags, schön gestaltete Neuübersetzungen von französischen und englischen Klassikern, die Inselbücherei gleich zweifach: Die lieferbaren Bände und dann nochmals die antiquarischen. Und dann die Besonderheiten wie etwa Shakespeares Hamlet, erschienen bei Diederichs im Jahr 1916, Erstausgaben und Widmungsausgaben von Ernst Jüngers Büchern oder Robert Walsers Gesamtwerk, erschienen in Genf 1975 bis 1978, von der es heisst: „Aeltere Ausgabe in tadellosem Zustrand. Heute immer noch die massgebliche Robert Walser Ausgabe“. Wohl kein Wunder, dass die schöne Auswahl an Kinderbüchern beim Wetzstein nicht auf Kinderhöhe steht: Die Buchhandlung ist kein Ort für tummelnde oder auf dem Boden liegende Kinder. Die Kinderbücher kaufen die Eltern oder Grosseltern hier als Geschenke ein.

Im hintersten und fast verborgenen Raum, den Theaterregisseur Gerd Heinz das „Kontor“ nannte und der durch eine Kordel vor ungebetenen Besuchern geschützt ist, warten wohl die kostbarsten Kostbarkeiten, zu denen auch Weinflaschen gehören. Alles in dieser Bücher- und Kunstoase ist sehr soigniert. Und im guten Sinne auch erlesen und elitär. Dass in den Reden zum Abschied von Thomas Bader, die als Broschur vorliegen, immer wieder die Rede von der Anfangshemmung ist, die Buchhandlung zu betreten, kann nachvollziehen, wer die Buchhandlung betritt. „Mit Freiburg allein lässt sich das nicht machen“, kommentiert Buchhändler Harald Diebold die finanzielle Lage angesichts der hohen Buchhandlungsdichte der Stadt, in der noch die grosse Buchhandlung Rombach, die Universitätsbuchhandlung Walthari und die Buchhandlung Jos Fritz sowie die Buchhandlung Herder & Thalia, die Buchhandlungen Schwarz, Kanisius und Schwanhäuser um Kunden werben. Dass aber jeder Buchliebhaber, der Freiburg besucht, sich unbedingt an die Salzstrasse begeben sollte, wird klar, wenn man die folgende Aussage von Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts im Merian Heft 7/2013 liest: „Ein Muss ist der Markt auf dem Münsterplatz am frühen Morgen, bevor die Touristen kommen. Ebenso ein Gang durch die Gerberau und der Besuch der Buchhandlung zum Wetzstein von Thomas Bader in der Salzstraße. Dieser wunderbare Ort ist ein eigenes Kunstwerk. All das, was den Zauber von Büchern ausmacht, ist dort zu spüren. Nicht von ungefähr ist dieses Wohnzimmer eines Bücherbegeisterten zu einem der schönsten Buchläden Europas gewählt worden.“

Nachtrag: Die legendäre Buchhandlung zum Wetzstein im deutschen Freiburg schliesst zum 31. Dezember 2019 nach 41 Jahren. Die Buchhandelskooperation 5plus verliert dadurch ein Mitglied. Offenbar stehen keine wirtschaftlichen Gründe hinter dem Entscheid, wie die 68-jährige Inhaberin Susanne Bader im Börsenblatt-Interview ausführt: Sie halte es im Hinblick auf die Veränderungen im stationären Einzelhandel nicht für sinnvoll, das Geschäft weiterzuführen. Ein passender Nachfolger habe sich nicht finden lassen.

5plus sind nebst der Buchhandlung zum Wetzstein: Librium, Baden (als einzige aus der Schweiz); Buchhandlung Klaus Bittner, Köln; Buchhandlung Dombrowsky, Regensburg; Felix Jud Buchhandlung, Hamburg; Buchhandlung Lehmkuhl, München; Leporello – die Buchhandlung, Wien; Schleichers Buchhandlung Dahlem-Dorf, Berlin.

Buchhandlung zum Wetzstein
Salzstrasse 31
79098 Freiburg im Breisgau
T: 0049 761 33999
www.buch-wetzstein.de/

Im Buchsalon

Heinz Egger

Im Schaufenster stehen kleine Kunstwerke aus Bronze. Hochstapler: Da stapelt eine Hand Bücher hoch. Oder Tauschhandel: Es findet ein Tausch Buch gegen Flasche statt. Gerahmte Kunst hängt an den Seitenwänden und wird auf Ständern präsentiert. Nein, es ist keine Kunsthandlung, sondern eine Buchhandlung. Unter der grossen, blauen Markise wird mir sofort klar, dass hier eine ganz besonderer Buchort liegt.

Eingang zur Buchhandlung zum Wetzstein

Ich trete in den Laden ein und stocke. Wie im Schaufenster, auch hier überall Kunst. Ich greife mir an den Kragen und frage mich, ob ich eine Krawatte hätte umbinden müssen. So vornehm sieht der Laden aus. Er atmet noch ganz den Geist seines Gründers Thomas Bader, der 2014 verstorben ist. Kunst sah er immer als Teil der Buchhandlung. Er habe immer gesagt, die Kunstwerke verschönern die Buchhandlung. Sie seien Begleiter, wenn sie weiterziehen, haben sie uns wenigstens erfreut, erzählt mir der Buchhändler, als ich ihn auf die künstlerische Ausstattung anspreche.

Den Wänden entlang dunkles Holz mit den Büchergestellen. Oberhalb davon, im schmalen Streifen weisser Wand steht kolorierter Stich an koloriertem Stich von Vögeln. Von der weissen Decke hängen zahlreiche messingfarbene Kronleuchter mit drei Flammen. Sie sind gedimmt und geben ein stimmungsvolles Licht.

Nein, zu dunkel zum Lesen ist es nicht, denn die Büchergestelle werden durch Neonröhren genug hell erleuchtet. Die Gestelle zeigen eine Form, die ich bis anhin noch nicht gesehen habe: Die Tablare laufen nicht parallel zur Wand, sondern von vorne schräg in die Tiefe des Gestells. Sie sind kurz und laufen wie ein Zackenband auf den Betrachter zu. Sie erlauben, eine stattliche Anzahl Bücher mit dem Buchdeckel zu zeigen.

Im ersten Raum, wo sich gleich rechts von der Eingangstüre die Kasse befindet, steht ein grosser Tisch mit Neuerscheinungen. Wer hier den letzten Bestseller sucht, der wird leer ausgehen. Die Bücher auf dem Tisch und in den Gestellen haben fast zu 100% einen Hardcover. Ganz viele Bücher auch ein Lesebändchen.

Der Boden ist mit einem dicken, grauen Teppich belegt. Schallschluckend. Kein Tritt ist zu hören, auch kaum ein Wort, wenn Kunden und Büchhändlerinnen reden miteinander. Dafür erklingt ganz leise klassische Musik.

In einem schmalen Gang zeigen Vitrinen Bücher mit Lederrücken in Schubern, Künstlerbücher, beispielsweise Raoul Schrotts zweite Veröffentlichung „makame“. Es sind drei Hefte mit persönlicher Widmung in einer Holzkassette. Durch zwei offene Flügeltüren trete ich in den Raum mit den signierten Büchern und einer grossen Menge an älteren Exemplaren aus der Insel Bücherei.

Hier steht auch ein kleiner, runder Tisch aus Kirschbaumholz und zwei hochlehnige Sessel. Ich lasse mich nieder und versuche, die Eindrücke zu ordnen und zu verschriftlichen. Während ich meine Notizen in mein Schreibgerät tippe, setzt sich ein fein gewandeter Herr in den zweiten Stuhl. Kaum sitzt er, überreicht ihm der Buchhändler zwei Bücher in Schubern. Er wird mit Namen angesprochen. Vorsichtig werden die Bücher aus der Hülle geschüttelt. Sie haben einen Umschlag aus Papier, dessen Rückenteil aus anderem Material gefertigt scheint. Auf dem Rücken der roten Bücher leuchten goldene Lettern. Für eine Weile ist nur das Blättern in den Büchern zu hören.

Blick ins Antiquariat

Links von mir ist ein Arbeitsplatz mit PC. Er scheint wie aus einer anderen Welt in diesem Umfeld. Rechts davon führt ein Durchgang, in dessen Seiten Weinflaschen lagern, in ein Kabinett. Zwei goldene Pfosten, die mit einer dicken dunkelblauen Kordel verbunden sind, verwehren den Zutritt. In der Raummitte steht ein dunkler rechteckiger Tisch, dessen Tischplatte links und rechts durch zwei hochklappbare Teile vergrössert werden kann. Daneben lädt ein eleganter Hochlehner mit Armstützen ein, mit einer der antiquarischen Raritäten in den Händen zu verweilen. Alle Bücher stecken in Glasschränken.

Die Ausrichtung der Buchhandlung macht sie so speziell. Hier herrscht der Geist für das gute Buch – es soll nicht nur inhaltlich solide sein, sondern auch handwerklich einen Genuss bieten. Zudem sind vollständige Reihen ein Kennzeichen: Bibliothek Suhrkamp, Insel Bücherei, die es immerhin schon mehr als 100 Jahre gibt, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Bibliothek deutscher Klassiker, die auch in Leder erhältlich ist, Shakespeares Gesamtausgabe aus dem ars vivendi Verlag, die Salto-Reihe des Wagenbach Verlags und weitere.

Die Buchhandlung zum Wetzstein ist stolzes Gründungsmitglied der buchhändlerischen „Empfehlungsgemeinschaft“ 5plus, zu der auch librium in Baden gehört.

In der Nähe des Schaufensters steht ein nicht eingemauerter Stolperstein für Irma Neumann. Darüber im Gestell ausgesuchte Judaika. Beispielsweise die Mischna. Aber auch ein dickes Buch über den jüdischen Witz. Auf dem hinteren Buchdeckel steht ein Beispiel: Im zoologischen Garten; „Tate, da sitze e Papagei. Kann er auch lachen?“ – „Und ob er lachen kann, Moritz! Er hat kei Frau, kei Mischpoche, kei Sorge. Sitzt im Käfig und is frei!“

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