Buchladen [klappentext], Weinfelden

Bücher und Leckeres

Michael Guggenheimer

Schild über der Türe: [klappentext] ... meine liebsten Bücher

Ein Café? Ein Laden für Feinkost, für Möbel, für Geschirr? Ein Laden für ausgesuchte Geschenkpapiere und Karten? Eine Buchhandlung? Vorerst und hauptsächlich ein Bücherladen! Aber auch ein Café, ein Feinkostladen, und ein bisschen auch ein Geschirrladen. [klappentext] heisst der Laden. [klappentext] kleingeschrieben und von zwei eckigen Klammern gehalten. Dominik Anliker, der drei Bücher in der Hand hält, die er gerade in schönes Geschenkpapier gepackt hat, betont, es sei nicht sein Laden, sondern das Geschäft seiner Frau, er helfe in den Ferien aus. Hinter der Ladentheke steht seine Frau, Geschäftsleiterin Katharina Alder, am Computer und bestellt Bücher beim Schweizer Buchzentrum. Gerade vorher hat sie in einer anderen Ecke des Ladens zwei Kaffeeportionen zubereitet und Haselnussgebäck auf einen Teller gelegt. Sie bringt Kaffee und Gebäck einem Paar, das in einer Sitzgruppe neben dem einen der beiden Schaufenster Platz genommen hat. Eine aufmerksame Gastgeberin ist sie, die auf einer Schaufläche eines der vielen Büchergestelle jene Bücher hingelegt hat, die sie in letzter Zeit gelesen hat und empfehlen kann: Es sind Bücher von Amélie Nothomb, Roland Schimmelpfennig, Katharina Hartwell, Michael Köhlmeier, Astrid Rosenfeld und Linus Reichlin.

Den Beruf einer Buchhändlerin hat Katharina Alder „on-the-job“ gelernt. Matur, abgebrochenes Studium der Philosophie und Geschichte, Arbeit in einer Werbeagentur, Abschluss an der Schauspielschule in Hannover, dann nochmals Studium an der Uni, zwei Kinder und dann die Buchhandlung. Katharina Alder ist eine Quereinsteigerin mit sichtbarer und spürbarer Begeisterung für den Beruf. Etwas vergessen? Ja, sie kocht gut, so gut, dass sie immer wieder abends im zweiten Raum der Buchhandlung Gäste zu einem Mehrgangmenü in der Buchhandlung empfängt. Zwischen den Gängen, die Hände müssen gewaschen sein, dürfen sich die Gäste die Bücher anschauen. Und natürlich werde dann am Tisch auch über Literatur und Bücher gesprochen und diskutiert.

Dreissig Jahre lang haben Regula Brenner und Liliane von Siebenthal an der Schulstrasse in Weinfelden eine Buchhandlung geführt. Im Februar 2014 kam das Ende der Buchhandlung, die den Namen Akzente trug. Das war der Moment, um den Laden zu übernehmen. Drei Monate später wurde aus Akzente Katharina Alders [klappentext] und anderthalb Jahre später wurde das Domizil an die besser frequentierte Rathausstrasse gewechselt und ein neues Konzept einer Buchhandlung realisiert, das den ortsfremden Passanten beim Stehen vor den beiden grossen Schaufenstern zunächst unsicher macht, ob es sich hier wirklich um eine gut dotierte Buchhandlung handelt, weil da Einmachgläser und Teller und Tassen sowie älteres Mobiliar und eine Caféecke auffallen. Es sei sofort versichert: [klappentext] ist eine exzellente Buchhandlung mit einem besonderen Shop-in-Shop Konzept!

Durchgang zum hinteren Raum; ausgesuchte Papier von nivo

Team-Nivo heisst ein Unternehmen im nahen Dorf Birwinken, das in einem Teil des Bücherladens schöne Karten, ausgesucht gestaltetes Geschenkpapier, Kulinarisches wie getrocknete Tomaten in Olivenöl, Oliven ohne Steine in Olivenöl, handgepflückte wilde Kapernknospen aus Kreta, Orangen-Olivenöl, Olivenpaste, Confit de Mandarine und diverse Balsamico-Varianten und Chutney-Variationen in Gläsern ausstellt und zum Verkauf anbietet.

Weil Katharina Alder die Bücher mehr am Herz lagen als teures modernes Mobiliar, hat sie Freunde und Bekannte um ausgedientes aber brauchbares Mobiliar gebeten, in dem und auf dem sich Bücher präsentieren liessen. Von der Grossmutter ein Geschirrschrank, von der eigenen Wohnung ein gebrauchter Küchentisch, von Freunden Ausziehtische, Biedermeierstühle vom Onlineanbieter Ricardo, aus dem Keller eine Theke, von einer Haushaltauflösung ein Sofa sowie ein grosser grellroter Getränkekühlschrank prägen den Laden. Manchmal seien Kunden vorbeigekommen und hätten Mobiliar aus eigenem Besitz angeboten, eine bunte Mischung aus Möbeln ist da zusammengekommen, die dem Laden in manchen Ecken die Atmosphäre eines Wohnzimmers verleiht.

Ausziehtisch mitSüthlen im hinteren Raum

In einem Gestell sind schöne Tassen und Teller der Marke Greengate in Nachbarschaft zu belletristischen Neuerscheinungen. Und überall Bücher. Schweizer Belletristik, Geschichtsbücher, Literatur aus dem Ausland, Natur, Psychologie, Gesellschaft heissen die Abteile, ein reiches Angebot an Kinderbüchern im hinteren Raum, die hier nicht in Kisten liegen sondern in der ganzen Raumbreite von einer Wand leuchten. Kochbücher, Reiseführer. Man muss es zugeben: Für eine Ortschaft mit weniger als 12 000 Einwohnern, die manche Bewohner liebevoll als Dorf bezeichnen, bietet [klappentext] eine sehr aktuelle und breite Auswahl an Büchern. Auch in der Ostschweiz weniger bekannten Autorinnen und Autoren werden hier Chancen eingeräumt: Elisabeth Schroms Erstling „Herbertgeschichten“ liegt hier ebenso auf wie Franziska Greisings neuer Roman „Am Leben“ oder Irène Speisers . „Meerespassagen“. Rücksicht wird aber auch auf das aktuelle Geschehen jenseits der Kantonsgrenzen genommen. Passend zu den hochgelobten Aufführungen im Zürcher Theater Neumarkt liegt Wolfgag Herrendorfs „Bilder einer grossen Liebe“ da. Aus aktuellem traurigen Anlass der Band „Palmyra. Requiem für eine Stadt“, zur grossen Ausstellung im holländischen Den Bosch Bände zum Maler Hieronymus Bosch und im Hinblick auf die Öffnung des längsten Eisenbahntunnels Europas Bücher zum Gotthardmassiv. Ach ja, Krimis, Graphic Novels, Fantasy, Thriller. Auch sie in reicher Auswahl vorhanden. Und zweimal im Jahr stellen Katharina Alder und ihre Kollegin Désirée Stucki zu Apérohäppchen und Getränken Neuerscheinungen vor, die ihnen gefallen.

Buchladen [klappentext]
Rathausstrasse 33
8570 Weinfelden
T: 071 622 11 44
www.klappentext.li/

 

 

Das „jüngste Kind“

Heinz Egger

Ein Buch besitzt verschiedene „Räume“. Da ist einmal der Buchblock mit der Geschichte. Dann sind da Buchdeckel. Und aussen herum zumeist ein Umschlag, der mit einer Klappe hinten und vorne um den Buchdeckel geschlagen ist. Diese innen liegenden Papierflächen werden gern als Informationsträger genutzt: Klappentexte werden sie genannt.

Vorne:
Zwei grosse Schaufenster geben den Blick aufs Innere frei. Rechts sind lauter buchfremde Sachen zu sehen: Windlichter, Oel- und Essigflaschen, Gläschen und Döschen, Ständer mit Karten. Oben auf dem Ständer ist die Herkunft der Karten zu lesen: nivo. Im linken Schaufenster sind Bücher ausgestellt, dahinter sind Möbel sichtbar. Es sind ältere Stühle, Tischchen und Schränke. Von der Decke hängen mehrere Armleuchter aus Messing.

Nach dem Eintreten fühlt man sich etwas gespalten. Bin ich nun in einem Möbelantiquariat, in einem Spezereiladen oder in einer Buchhandlung? Das Ambiente ist sehr speziell. Nach einiger Zeit stellt sich eine andere Assoziation ein: Wohnzimmer der Grosseltern. Die Möbel sind alle alt, aber in sehr gepflegtem Zustand. Die türlosen Kästen sind angemalt. Zwei Farben stossen aneinander: ein helles Lila und ein stumpfes Grau. Die zweite Farbe nimmt der ersten die Süsse.

Zwei grosse Räume hat die Buchhandlung. Im Raum mit Eingang und Kassatheke glänzt matt ein schwarzer Fliesenboden. Die Decke hängt relativ tief und ist mit weiss gestrichenen Holzbrettern bedeckt, die in die Tiefe verlaufen. Der zweite Raum ist höher, hat eine weisse Gipsdecke und einen schönen Parkettboden.

Bücher, Café, Shop-in-Shop mit Produkten von nivo

Wer sich gern niederlassen möchte, um seine Bücherauswahl durchzusehen oder wer mit jemandem zusammensitzen möchte, findet schöne Plätze beim Schaufenster vorne. Wer mag, bestellt sich einen Kaffee und gönnt sich etwas Süsses, das auf der kleinen Gastronomie-Theke unter Glasglocken wartet. Hinter der Theke steht das Gestell mit dem Geschirr, obendrauf eine kleine Kaffeemaschine.

„I bi nu dr Maa“, sagt ein junger Mann mit Bart und weist auf seine Frau. Doch im Gespräch wird spürbar, dass er sich zwar sehr bescheiden gibt, aber wesentlich an der Unternehmung [klappentext] mitarbeitet. Zum Beispiel hat er die Malerarbeiten ausgeführt. Und mit welcher Akribie! Er weiss auch zu jedem Möbelstück eine Geschichte zu erzählen. Da ist eine Wickelkommode, auf der nicht nur er selber gewickelt worden ist, sondern auch seine beiden Kinder. Daneben steht ein Kasten. Er wird wohl aus Eichenholz sein mit den kräftigen Schnitzereien und Verzierungen. Dieser Kasten wurde aus einem Haus gerettet, das abgebrochen worden ist.

Wand mit Kinderbüchern

Buchblock:
Im Vorderen Raum sind grob einteilend die Bücher für die Erwachsenen, im hinteren jene für die Kinder und Jugendlichen. Die Kinderbücher nehmen viel Platz ein. Hier spürt man die Hand einer Mutter, die selbst ihren Kindern viele Bücher erzählt. Besonders schön sind sie ausgestellt: Der hintersten Wand entlang sind Holzleisten angebracht, auf denen sich die Covers prächtig zeigen lassen. – Die Leisten sind gefräst, sie sind Deckenabschlüssen nachempfunden. Sie sind eine Spezialanfertigung des „Hausschreiners“. Auf einem Bistrotischchen liegen: Eine Bilderreise von Sven Nordqvist, Haltet den Dieb! – Das verrückte ABC der geklauten Buchstaben von Horst Klein, Die Tintenspinner von Anne-Caroline Pandolfo und Frag mich! von Antje Damm. – Sie sind eine Einladung, auf dem schweren Stuhl mit Schnitzereien an der Lehne und Stoffbezug Platz zu nehmen und sich durch die Geschichten wegtragen zu lassen.

Im vorderen Raum lagern in den verschiedenen Schränken Schätze für die Erwachsenen. In einem wuchtigen, geschnitzen Schrank – er ist der einzige nicht angemalte – stehen die Schweizer Autoren. Ein handgeschriebenes Schildchen an einem der Tablare kündet das an. Die zarte Blumenranke gibt dem einfachen Papierrechteck eine verspielte Note. Bichsel, Camenisch, Capus, Cueni, Dürrenmatt – „Die Physiker“ in mehrfacher Ausgabe, wohl für Schüler … – Glauser, Hohler, Stamm. Alle mit Rang und Namen sind vertreten.

Auf einem Tisch Jakob Hein, Joanna Bator, Benjamin von Stuckrad, Joachim Meyerhoff, Maxim Biller, Juli Zeh, Joachim Sartorius. Auf einer alten Schulbank vom Typ IV 131-140 von Heer Söhne, Mährstetten, stehen und liegen Roland Schimmelpfennig, Elke Heidenreich, Michael Köhlmeier, Amélie Nothomb, Castle Freeman, Sue Hubbel, Joël Dickermann, Bi Feiyu. In einem Gestell Philosophie: Platon, Kant, Locke, Voltaire, Precht, Sloterdijk und von Rainer Erlinger „Höflichkeit – vom Wert einer wertlosen Tugend.“

Hier darf jede Leserin, jeder Leser eintreten und wird bestimmt für seinen Geschmack fündig.

Hinten:
Weinfelden hatte lange drei Buchhandlungen. Eine christliche – sie ist noch immer vorhanden – und zwei weltliche. Eine davon, eine unabhängige Buchhandlung schloss vor zwei Jahren ihre Tore. Das wollte die waschechte Weinfelderin Katharina Alder nicht so auf sich beruhen lassen. Kurz entschlossen hat sie die Ladeneinrichtung übernommen und einen kleinen Bücherbestand dazu. Und wieder ist es eine mutige, junge Frau, die sich, ohne einen Buchhändlerhintergrund zu haben, in das Abenteuer einer eigenen Buchhandlung stürzt, zumal noch mit zwei kleinen Kindern. Katharina Alder hat studiert und in Hannover einen Bachelor in Schauspiel erworben. Die Lage des alten Ladens an der Schulstrasse war nicht so günstig. Daher hielt sie Ausschau nach einer grösseren und besser gelegenen Lokalität. Im ehemaligen Blumenladen an der Rathausstrasse fand sie, was sie suchte. Ihr Mann hat tatkräftig mitgeholfen, das Ambiente und wohl auch das Angebot des Buchlandens zu gestalten. Beide strahlen, wenn sie über ihr „jüngstes Kind“ reden. Das Zweijährige soll gefeiert werden. Und wer weiss, vielleicht auch gerade noch die Auszeichnung „Buchhandlung des Jahres 2016“!