Bücherkaufen in Zeiten von Corona



Zum Text von Heinz Egger

Book by Bike

Michael Guggenheimer

Welch’ eine Umstellung! Es ist Werktag, man steht vor dem Schaufenster der Buchhandlung, sieht die ausgestellten Bücher und kann den Laden nicht betreten. Dabei hat man gerade jetzt Zeit zum Lesen. Auch wenn die Türen der Buchhandlungen geschlossen sind: In den Läden wird gearbeitet. Wer Bücher lesen will, der kommt zu neuen Büchern. Telefonisch oder per Mail nehmen die Buchhandlungen Buchbestellungen entgegen, per Newsletter informieren sie über Neuerscheinungen und Trends, per Post oder mit dem Rad werden bestellte Bücher ausgeliefert.

Andrea Peterhans von der Buchhandlung Mille et deux feuilles in Zürich: «Der Tisch, der sonst für die neueingetroffenen Bücher reserviert war, ist nun zum Packtisch geworden. Vormittags sind wir damit beschäftigt, die Bestellungen, die via E-mail oder telefonisch zu uns gelangen, zu bearbeiten, Bücher zu verpacken und Rechnungen zu schreiben. Am Nachmittag sind wir daran, die Buchpakete zur Post zu bringen oder per Velo nach Hause zu liefern. Doch gleichzeitig gehen natürlich auch die „normalen“ Aktivitäten weiter: Recherchen zu Büchern machen, Bücher bestellen, auf die Webseite laden, und das Schaufenster attraktiv halten, damit die wenigen Passanten sich doch noch inspirieren lassen können». Leonie Schwendimann von der Buchhandlung zur Rose in St.Gallen nach ihrer Arbeit in Zeiten von Corona-Lockdown befragt, meint: «Buchhändlern ist kompliziert geworden. die Handhabung ist nun schwierig, weil gefragt werden muss, wie wir die Übergabe machen sollen, per Post, per Velokurier, das Geld in einem Couvert. Oder sollen wir das Bücherpaket im Hauseingang. mit möglichst grosser Distanz überreichen, ob mit Rechnung oder ohne, ob geschenkverpackt oder nicht. Was zuvor am Ladentisch erledigt und besprochen werden konnte, braucht nun die detaillierte Korrespondenz».

Lebensmittelläden, Apotheken, die Post und Kioske sind geöffnet. Theater, Kinos, Restaurants und Cafés bleiben geschlossen. «Ich finde, dass Buchhandlungen Seelen-Apotheken sind», sagt Leonie Schwendimann. «Das spüren wir auch jetzt, wenn treue Kundinnen ans Fenster klopfen und eigentlich gerne den Laden betreten würden. so, wie es für sie zum fixen Ort in der Stadt gehört, den sie immer wieder aufsuchen. Wenn ich zur Zeit. in der Apotheke und beim Bäcker einkaufe und das Geld gegen die Ware austausche, frage ich mich schon, wo ist denn hier der Unterschied? Das könnten wir auch. aber ich kann auch nachvollziehen, dass bei soviel Ungewissheit sorgfältig und möglichst ohne Ausnahmen vorgegangen werden muss. Aber sollte es dereinst zu einer allmählichen Lockerung der Vorschriften kommen, so hoffe ich sehr, dass der Buchhandel ganz früh dabei sein wird».

Die Buchhandlung Mille et deux feuilles ist auf die Literaturen und die Geschichte aller Länder um das Mittelmeer spezialisiert. Befragt, welche Trends sie feststelle, meint Buchhändlerin Charlotte Nager: «Wir spüren eine grosse Verbundenheit der Kunden und Kundinnen mit der Buchhandlung. Die Solidarität ist gross. Die Leute bestellen vermehrt auch Bücher, die nichts mit dem Mittelmeerraum zu tun haben. Wir besorgen natürlich auch Bücher aus anderen Bereichen. Gleichzeitig ist es aber auch wunderbar, dass die Leute unsere Webseite wirklich durchforsten und einkaufen, als wären sie stundenlang bei uns im Laden gewesen. Eine schöne Überraschung ist auch, dass sehr viele Menschen jetzt Bücher als Geschenke verschicken».

Wer einen Buchladen nicht betreten kann und dennoch über Neuerscheinungen orientiert werden will, der nutzt die Homepage seines Buchladens. «Seit wir die Buchhandlung schliessen mussten», erläutern die Buchhändlerinnen von Mille et deux feuilles, «verschicken wir unseren Newsletter wöchentlich und empfehlen eine möglichst vielfältige Auswahl an Büchern, die zu lesen es sich lohnen. Da wir bereits vorher viel über unsere Webseite kommuniziert haben – Wochentipp, neu eingetroffene Bücher, Veranstaltungen, Themenschwerpunkt, Blogbeitrag unserer Gastkommentatorin zum Themenschwerpunkt – haben wir das Gefühl, dass wir unseren Stammkundinnen und -kunden nach wie vor nahe sind. Zudem kann man auf unserer Webseite eben wirklich stöbern, Covers anschauen und Klappentexte lesen». Jede Woche platzieren die beiden Buchhändlerinnen ein anderes Gedicht einer Lyrikerin oder eines Lyrikers aus dem Mittelmeerraum auf die Homepage ihrer Buchhandlung, damit man nicht vergessen soll, dass insbesondere Lyrik etwas Klingende, Vorgelesenes, Geteiltes sei. Das Gedicht wird jeweils in deutscher sowie in der Originalsprache vorgelesen. Und Leonie Schwendimann von der Buchhandlung zur Rose ergänzt: «Wir wechseln die Bücher im Schaufenster. fleissiger aus. Wir schreiben Buchbesprechungen und veröffentlichen diese auf der Website. Immer noch geben wir individuelle Tipps ab auf Mailanfrage hin. Viele vertrauen uns und bestellen ein, zwei, drei Bücher nach unserer Empfehlung. Trends stelle ich nicht fest. Die Leute lesen Zeitung, hören Radio und bringen entsprechende Wünsche an. Es ist ja die Zeit der Frühjahrsneuheiten. Es fällt auf, dass ab und zu ein Klassiker nun zum Zuge kommt. Etwa von Manzoni Die Verlobten, von Camus Die Pest oder mal Shakespeare, Proust oder Thomas Mann. Alles, was man vielleicht schon immer mal lesen wollte und die Zeit dazu gefehlt hat».

Die Beratung der Kunden, die Besorgung der Bücher, das Einpacken der Bücher erfolgen im Laden. Die Bücher müssen aber dann ihren Weg zu den Leserinnen und Lesern finden. «Wichtig ist die Planung der Auslieferungsroute» heisst es in Zürich, «mit Hilfe von Mapsearch und Routenplaner. Und unsere Ambition ist es, die schönste und abwechslungsreichste Route auszutüfteln. Je nach Energie auch diejenige mit den meisten Steigungen – oder eben gerade nicht. Und dann treten wir in die Pedalen. Und hoffen, uns nicht allzu sehr zu verirren». In St. Gallen hat Leonie Schwenidmann folgende Erfahrung gemacht: «Ein liebenswürdiger, sportlicher Velofahrer hat uns vor zwei Wochen seine Kurierdienste angeboten. Zweimal wöchentlich fährt er nun im Talgrund und hügelwärts links und rechts, dieser Service wird sehr geschätzt. Mit vollgepacktem Einkaufswägelchen und umgehängten Zur Rose-Taschen laufen wir zur Post. Wir drei nehmen jene Pakete mit an Adressen, die an unseren Arbeits- und Heimwegen liegen und meine Kollegin Buchhändlerin Alexandra Elias plant ihre Hundespaziergänge so, dass gleich noch jemand in den Genuss einer Heimlieferung kommt.»

Mille et deux feuilles, Zürich
Buchhandlung zur Rose, St. Gallen

„On tient à vous!”

Heinz Egger

Ich schaue zum Küchenfenster hinaus. Der japanische Kirschbaum vor dem Fenster wird vielleicht morgen seine ersten Blüten öffnen. Etwas weiter weg leuchten die Wiesen saftig grün, während der Wald noch kein Laub trägt. Auf dem Feldweg am Waldrand spazieren mehr Leute als sonst an einem Montagmorgen. Auch die Parkplätze entlang unserer Strasse sind fast voll belegt.

Und doch herrscht eine gespenstische Ruhe. Lockdown. Das Leben scheint wie angehalten. Die junge Nachbarin im Haus vis-à-vis, die sonst pünktlich kurz nach 7 Uhr zu ihrem Auto geht, sitzt auf dem Balkon und sonnt ihre nackten Füsse. Ob sie liest?

Wenn alles still steht, alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte geschlossen sind, ruhen auch die Buchhandlungen. Aber wie ergeht es den unabhängigen Buchhandlungen? Ich stellte diese und weitere Fragen zu ihrer Situation drei Buchhändlerinnen in der Westschweiz, in Biel, La Chaux-de-Fonds und Sion. Die Antworten kamen schriftlich herein – auch mit angekündigter Verzögerung, weil die neue Situation einiges an Arbeiten erforderte, um in den plötzlich völlig veränderten Verhältnissen zurechtzukommen.

Als sich der Lockdown abzeichnete, so berichtet Françoise Berclaz-Zermatten aus der Buchhandlung La Liseuse in Sion, hätte eine Art von Freude geherrscht, nämlich darüber, dass man noch Lesestoff einkaufen konnte. Einige Kundinnen und Kunden hätten ganze Stapel Bücher mitgenommen, um einen Vorrat zu haben. Und trotzdem, am Vorabend der erzwungenen Schliessung habe sich auch Angst in der Buchhandlung breitgemacht, wohl auch angesichts der Tatsache, dass niemand sagen konnte, für wie lange wir uns in unsere Wohnungen zurückziehen müssen. Und mehrmals habe sie gehört, dass Leute sich empört hätten, weil Buchhandlungen nicht zum Lebensnotwendigen gehören. Dabei sei doch die Mehrwertsteuer gleich wie bei den Lebensmitteln, 2.4%, also ein klarer Beweis, dass Lesestoff zur Grundversorgung gehört!

Die Buchhändlerinnen wehren sich nach Kräften gegen das Versiegen des Stroms an Lesestoff. Sie setzen viel daran, im Kontakt mit Kundinnen und Kunden zu bleiben. Dazu nutzen sie Newsletter, E-Mail, ihre Website, Social Media und Anzeigen am Schaufenster der Buchhandlung. Und es funktioniert. Die Bestellungen auf den zur Verfügung gestellten Kanälen nehmen zu. Um wie viel, ist im Moment noch nicht bezifferbar. Aus der Buchhandlung La Méridienne in La Chaux-de-Fonds schreibt Chantal Nicolet Schori, dass die Bestellungen in den ersten beiden Wochen sehr stark ausgefallen seien, aber in der dritten Woche etwas schwächelten. Sie schreibt weiter, dass darunter sicher Bestellungen zu ihrer Unterstützung seien, aber viele auch aus Bedarf an Lektüre. Sie stellt auch fest, dass die Lieferanten noch liefern. Sie bestelle aber nur, was bei ihnen an Lager sei, denn der Übergang über die Grenze sei schwierig.

Auch für die Auslieferung sind die Buchhändlerinnen innovativ. Neben der Buchhandlung Bostryche in Biel gibt es einen Bio-Laden mit Lebensmitteln. Bücher können dort abgeholt werden. Teilweise erfolgt die Auslieferung innerhalb des Ortes per Velo oder Auto, oder dann per Post. Lieferkosten werden nur für den Postversand erhoben. – Kundinnen und Kunden sind sehr froh über diesen Service, wie ihre Aussagen zeigen: „Je suis bien contente, …”, „je suis ravi, …”, „c’est rapide …”, „félicitation pour votre belle et bonne organisation”. Auch schwingt da und dort etwas Trauer mit, etwa in einer Anmerkung wie „c’est quand-même mieux de visu”. Und es gibt auch ganz bewusst jene Bestellerinnen und Besteller, die nicht bei einem der grossen, weltweit tätigen Riesen einkaufen wollen. Diese Leute wissen, dass sie sonst nach dem Lockdown ihre Buchhandlung im Quartier vermissen werden.

Immer wieder hört man, dass nach der Pandemie nichts mehr wie vorher sein werde. Auf diese Frage ist es bestimmt aus jetziger Sicht schwierig Antwort zu geben. Die Nutzung elektronischer Bücher nehme zu, sagt Chantal Nicolet Schori, und sie hoffe, dass dies künftig die Häufigkeit der Besuche in der Buchhandlung nicht beeinflusse. Françoise Berclaz-Zermatten stellt eine unterschwellige Angst fest, da es, so das Geschäft wieder anrollt, sehr viele Unbekannte gibt. Sie findet, es wäre wunderbar, wenn unser Rhythmus gemächlicher würde, da wir alle wie Irre rennen. Auch eine weniger grosse Zahl an publizierten Büchern könnte von Vorteil sein, denn sie liesse sich besser zur Geltung bringen.

Ob alle Anstrengungen, die diese Buchhändlerinnen unternehmen, reichen werden? Das lässt sich schwer abschätzen. Aber hoffentlich! Sie haben alle um Kurzarbeit nachgesucht und zwei haben auch vom Angebot des Bundes für Kredite Gebrauch gemacht.

Wie lange die Zeit der Einschränkungen bestehen bleibt, ist ungewiss. Jedenfalls gibt es in geschlossenen Buchhandlungen nicht so viel zu tun. Was also anfangen mit der verordneten freien Zeit? Spazieren gehen. Lesen – aber gerade dies sei nicht einfach, sagt Françoise Berclaz-Zermatten, sie könne sich nicht so gut konzentrieren. Und die Gedanken von Catherine Kohler in Biel sind wohl sehr oft bei ihrer Kollegin, die nach Ferien in Griechenland gestrandet ist und mangels Flug nicht heimkehren kann.

P.S. Die Buchhandlungen brauchen unsere Unterstützung. Warum also nicht für sich oder noch besser für Freunde und Bekannte Bücher bestellen?

Bostryche, Biel / Bienne
La Liseuse, Sion
La Méridienne, La Chaux-de-Fonds