Comedia Buchhandlung, St.Gallen

 

Von anderen Kontinenten

Michael Guggenheimer

Verwöhnt ist, wer in St.Gallen Bücher mag. „Sieben Buchläden machen St.Gallen laut dem Branchenverband zu einer der Städte mit der höchsten Buchhandelsdichte in der Schweiz“, meldete kürzlich das St.Galler Tagblatt. Anlass war die Nomination der „Buchhandlung Zur Rose“ im Rahmen des Wettbewerbs „Schweizer Buchhandlung des Jahres“. Nicht minder beachtenswert als die Rose ist die Buchhandlung Comedia in der nördlichen Altstadt. Wo sich in den 70er Jahren die alternative Bewegung aufhielt, fallen einem heute die Shishalokale auf. Zwischen dem legendären früheren Lokal Africana und dem ehemaligen Jugendhaus befindet sich seit 35 Jahren die Comedia. Vor dem Haus auf einem mobilen Ständer das Plakat von Jürg Eigenmann, das vor Jahren im Rahmen des Wettbewerbs „Schönste Schweizer Plakate“ prämiert wurde und heute im New Yorker MoMa gezeigt wird. Es zeigt zwei Hände, die ein offenes Buch halten.

Zwei Schaufenster, dahinter ein geräumiges Geschäftslokal. Nach dem Stöbern in den zahlreichen belletristischen Novitäten in diesem Raum stösst man auf einen Verbindungsgang, dessen zwei Wände nichts anderes tragen als Mangas, Mangas und nochmals Mangas. Mehr Mangas gibt es in keiner Buchhandlung zwischen Zürich und Innsbruck, meinen Kenner dieser gezeichneten japanischen Geschichten. Und dann ein weiterer grosser Raum in einem Anbau, wo sich Politik, soziale Themen und Comics ausbreiten. Nicht zu übersehen auch die grosse Auswahl an CD’s und LP’s: Musik aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Weltmusik eben. Neuere Platten werden auf der Homepage der Buchhandlung kenntnisreich beschrieben und gewürdigt.

So breit und offen wie das Angebot an Weltmusik, so offen auch das Angebot an Literatur anderer Kontinente. Zwar sei die Literatur aus den anderen Weltteilen nicht mehr so gefragt wie früher, erzählt Pius Frey, Mitgründer des St.Galler Vereins «Afrikaribik», der in der Buchhandlung Comedia und in der Grabenhalle während vieler Jahre afrikanische und karibische Kultur in der Stadt bekanntgemacht hat. Frey weilte bereits vor seiner Buchhändlerzeit mehrfach in Jamaika, sein Interesse für die Kultur fremder Kontinente war während dieser Aufenthalte geweckt worden. „St.Gallen ist ein schwieriges Pflaster für Afrikaliteratur“, sagt Frey. „Aber für diese Bücher kommen die Leute von weither zu uns“. Als eine kleine Comicshandlung an der nahen Engelgasse geschlossen wurde, übernahm die Comedia die Präsentation von Cartoons und Comics. Zunächst von den anderen Buchhandlungen belächelt, entwickelte sich die Comedia zur wichtigsten Comicshandlung der Ostschweiz. Heute locken die Graphic Novels ernsthafte Lesende in die Buchhandlung. Denn die lange unterschätzte Literaturgattung weist ernstzunehmende und wunderbare Geschichten, Texte und Bilder auf, die politische, soziale und psychologische Stoffe umsetzen können. Die Palette der wohl mehrere Tausend zählenden Comics und Graphic Novels reicht von Tim und Struppi bis zu so ernsthaften Titeln wie dem hochaktuellen Bänden wie „Liebe auf Iranisch“, „Der Araber von morgen“ und dem Klassiker „Maus“ von Art Spiegelman. „Mit den Comics haben wir junges Publikum erreichen können, Leute, die heute nicht nur Comics lesen und bei uns auch andere Bücher kaufen“, berichtet Buchhändler Frey.

Die Comedia wird von manchen St.Gallern als „linke“ Buchhandlung eingestuft. Das ist tendenziell zutreffend und dennoch zu kurz getroffen. Ideologische Grenzzäune, so Pius Frey, kenne die Comedia nicht. Bücher wie Jann Hoffs „Befreiung heute“, Louis Althussers „Das Kapital lesen“, Titel wie „Europas Rechte“ oder „Schattenzeitalter: Wie Geheimdienste, Suchmaschinen und Datensammler an der Diktatur der Zukunft arbeiten“ finden sich hier. Sie weisen darauf hin, dass hier kritisch denkende Menschen die Bücher auslesen und Kunden haben, die diese Titel auch suchen. Aber auch die Auswahl an Belletristik, die Konzentration in diesem Literaturbereich auf erzählerisch und sprachlich herausragende Bücher fällt auf. Büchertürme mit Bestsellern finden sich hier keine. Und wie gesagt: Wer die Literatur der arabischen Welt, Schwarzafrikas oder Lateinamerikas entdecken will, der ist in der Comedia an der Katharinengasse am richtigen Ort. Im Kellerbereich des Anbaus befindet sich ein Veranstaltungsraum, in dem immer wieder Lesungen stattfinden.

Pius Frey mit den Büchern aller Lesungen

Pius Frey führt interessierte Besucher gerne in einen Nebenraum hinter der Kassentheke, wo in einem eng gedrängt vollen Bücherregal von jeder Autorin und von jedem Autor, die je in der Comedia gelesen haben, ein Buch steht, meistens auch mit einer Widmung versehen. Legendäre Autoren haben hier gelesen: So etwa Herta Müller, damals noch keine Nobelpreisträgerin, der Ethnopsychoanalytiker und Romancier Paul Parin, Niklaus Meienberg, Klaus Teweleit und Peter Paul Zahl. Nicht anders als bei anderen Orten nimmt aber die Zahl der Lesungen in der eigenen Buchhandlung ab. Zu gross ist der ökonomische Druck, weshalb sich die Comedia lieber mit einem Büchertisch im Kino Palace oder anderswo beteiligt.

Buchhändler Frey ist ein passionierter Leser, ein Quereinsteiger, der als Laborant in der Basler Pharmaindustrie ausgebildet wurde. Dass Impulse von der Comedia aus auf andere Buchorte ausgestrahlt haben, wird klar, wenn man vernimmt, dass Sabine Schreiber, die erste (und viel zu früh verstorbene) Bibliothekarin des „Zentrum des Buches“ (ZEBU) in St.Gallen hier einst ebenso gearbeitet hat wie Leonie Schwendimann, Besitzerin der „Buchhandlung zur Rose“ oder Carol Forster, Gründerin der Buchhandlung Appenzell, zweier hervorragender Buchhandlungen.

Genossenschaft Comedia Buchhandlung
Katharinengasse 20
9004 St.Gallen
T: 071 245 80 08
www.comedia-sg.ch

 

 

56 Bände Naruto!

Heinz Egger

Ladenfront der Buchhandlung

Ein grosser Baum spendet Schatten in einer stillen Ecke der Stadt. Gern würde man sich darunter setzen und lesen. Und die Bücher werden gleich daneben angeboten, solche, die einen in eine ferne Welt entführen könnten. Oder in die Auseinandersetzung mit sozialen Problemen in der Schweiz. Oder in die Fantasie der gezeichneten Geschichten. Oder in die zarten Weiten der Poesie.

Die Buchhandlung Comedia gibt es schon seit 1982. Sie ist als Genossenschaft geführt. Zwei Räume gibt es: Rechts nach der Eingangstür weisen weisse Schilder auf den Holzgestellen auf Literatur aus Asien, der Türkei, arabischen Ländern, Afrika, der Karibik und Lateinamerika. Ein ganzes Gestell Science Fiction und Fantasy. Links zuerst ein Gestell mit Lyrik, dann vier Gestelle mit deutscher Belletristik und schliesslich ein Gestell mit English Books. Ganz hinten, bescheiden, die Theke, dahinter eine Tür zu einem hinteren privaten Raum. Der mit glänzend versiegelten, groben Spanplatten belegte Boden gibt dem Raum Weite. Und da ist noch genug Platz für zwei metallene Etagèren für die Neuerscheinungen, einen runden Tisch und einen Klappstuhl und einen grosszügigen Gang dazwischen.

Über der eben erwähnten Tür hängt ein grosser, blauer Pfeil an der Wand. Er weist darauf hin, dass die Buchhandlung einen zweiten Raum hat. Dort sind die Comics, die CDs, die Kinder- und Sachbücher.

Ein breiter Gang, so tief wie das Treppenhaus, das so unterquert wird, führt hinüber in das angezeigte Reich. Die Wände sind links und rechts voller Bücher, alles Mangas. Die japanischen Comics sind ein Schwerpunkt in der Buchhandlung, denn Comedia ist aus dem zweitältesten Comic-Laden der deutschen Schweiz entstanden. Auf der Website verspricht Comedia ein breites und tiefes Angebot, das in angenehmer Atmosphäre präsentiert werde. Ich bleibe vor den Büchern stehen, sehe die Titel an, versuche mir ein Bild zu machen. Ich bin verloren, auch wenn in den Gestellen genaue Ordnung herrscht. Ich frage, welche der Geschichten ich als Nicht-Kenner denn lesen könnte. Pius Frey, ein Gründungsmitglied der Comedia, steht neben mir und greift da ein Buch und dort eines. Mangas sind meist Liebesgeschichten, teils mit ziemlich expliziten Zeichnungen. Ich entscheide mich schliesslich für die Geschichte von Naruto. Er ist ein Jüngling, der ein echter Ninja und oberster Führer seines Dorfes werden will. Falls mit die Geschichte des ersten Bandes gefällt, könnte ich 55 weitere lesen. Das würde mich allerdings etwa 470 Franken kosten … Nur schon Ninja ist für mich ein Geheimnis. Natürlich bietet Wikipedia zu Naruto  und Ninja eigene Seiten. Dort erfahre ich auch die ganze Geschichte von Naruto.

Ein Titel brennt mich und ich komme nicht umhin, in dieser Graphic Novel länger zu blättern: „Barfuss durch Hiroshima“ von Kejii Makazawa. Ein vierbändiges Werk, in dem Makazawa mit stark autobiographischen Zügen das Überleben des Gen Nakaoka schildert. Erschütternde 2500 Seiten! Die Fan-Gemeinde der japanischen Geschichten muss enorm gross sein. Von weit her reisen die Leserinnen und Leser nach St. Gallen, um in den Beständen zu schmökern und sich mit neuem Stoff einzudecken. Um Publikum anzulocken, engagiert sich Comedia gar an einem Gratis-Comic-Tag. Dieser fand am 13. Mai zum achten Mal statt. Angeboten werden extra für diesen Tag gedruckte Hefte und es gibt Rabatt auf das gesamte Sortiment im Laden.

Am Ende des Durchgangs steht ein Drehständer. Oben prangt ein rundes, rotes Schild mit blauem Schriftzug: Manga! Darin stehen Werke aus dem Carlsen-Verlag. Es gibt viele Verlage, die Comics im Sortiment haben. Eine Liste dieser Verlage führt beispielsweise comicguide.de. Bei Comedia sehe ich neben Carlsen beispielsweise auch Panini, Egmont, Reprodukt, Splitter, Edition Moderne.

Haschich-Kochbuch

Gleich nach Links gibt es Comics für die Jungen, und dann links der Wand entlang weiter für Erwachsene. Die Auswahl ist immens. Doch Comics sind nicht das einzige Angebot in diesem Raum. Weiter der Wand folgend, kommt man zu den Kochbüchern. Ich schmunzle beim Titel „Haschisch-Kochbuch“ aus dem Melzer-Verlag, neu erschienen beim Cosmics-Verlag, von Hans-Georg Behr. Und man staune, das Werk enthält neben 42 Rezepten einen Essay von Walter Benjamin! Rechts neben diesem Kochbuch Literatur über Drogen aus dem NachtSchatten-Verlag und aus dem Verlag Rogner & Bernhard, der seit 2016 zum Zürcher Kein-&-Aber-Verlag gehört.

Anschliessend folgt ein weiteres Standbein der Comedia. Es ist politische Literatur, linke politische Literatur. Die Titel sprechen für sich: „Lohndumping – eine Spurensuche auf dem Bau“, „Die Zukunft, die wir wollen“, „Die Freiheit nehm ich mir“, „Wie das Marxsche ‚Kapital‘ lesen?“, „Ökonomie der Ungleichheit“, „Kaputtalismus“. Auch eine ganze Reihe der Widerspruch-Hefte liegen auf.

Schliesslich folgt eine kurze Wand mit dem Steckenpferd von Pius Frey: Musik, neue Musik: „American Jazz Heroes“, „Jazz Life“, Bibografien über Polo Hofer, Bruce Springsteen, Johnny Cash, Bob Dylan, Wolf Biermann. Auch eine Auswahl an CDs und Vinyl-Schallplatten ist vorhanden. Ich bin nicht Kenner, mir scheint aber, die Auswahl ist sehr speziell, eine Nische, die die grossen Anbieter nicht im Sortiment haben, beispielsweise Musik aus den Balkanstaaten oder Musik aus Afrika.

Comedia bietet in ihren beiden Räumen viel mehr an, als das Haus von aussen ahnen lässt!