Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig

Bücher im Specks Hof

Michael Guggenheimer

Leipzig ist eine Buchstadt. Wegen der früher lange Zeit im „Grafischen Viertel“ wirkenden Druckereien und Verlagen. Wegen der Deutschen Nationalbibliothek. Wegen der Buchmesse. Wegen des Deutschen Literaturinstituts. Und – der Grund mag subjektiv sein – auch wegen der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Während die Buchmesse nur vier Tage im Jahr dauert, ist der Betrieb im Literaturinstitut und in der Connewitzer ganzjährig.

Doch der Reihe nach. Zwar befindet sich die Buchhandlung seit 2006 im Herzen der Stadt in der Passage mit dem Namen „Specks Hof“, der ältesten erhaltenen Ladenpassage der Stadt. Die Restaurierung der Passage gewann zehn Jahre zuvor auf der weltgrößten Immobilienmesse in Cannes den „Preis für das schönste in diesem Jahr restaurierte Gebäude“. Schon die Lage in der wettergeschützten Passage mit ihren Wandmalereien und hellen Gängen und schönen Läden verleiht der Buchhandlung eine besondere Ambiance. Der Name der Buchhandlung geht weder auf eine Familie mit Namen Connewitz zurück noch auf den Begründer. Er deutet an, dass die Buchhandlung ursprünglich im Leipziger Stadtteil Connewitz ihren Sitz hatte. Das allwissende Internet meldet dazu: „Sowohl in städtebaulicher Hinsicht als auch bezüglich der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung ist Connewitz ein besonders vielgestaltiger Stadtteil Leipzigs“. Befragt nach der Bewandtnis mit dem Namen der Buchhandlung meint ein Angestellter der Buchhandlung, in Connewitz sei während der DDR-Zeit der Widerstand gegen das SED-Regime besonders ausgeprägt gewesen. Prägende Persönlichkeit von Buchhandlung und Verlag ist seit der Gründung im Frühjahr 1990 Peter Hinke. In den 80er Jahren hatte der frühere „Bibliotheksfacharbeiterlehrling“ bereits Erfahrungen im Verlegen von Samisdatzeitschriften gesammelt. Da zu Beginn noch kein Ladengeschäft vorhanden war, wurden die ersten Umsätze der Connewitzer im Straßenverkauf getätigt, vor allem mit Literatur, die vor der Wende nicht im DDR-Buchhandel verfügbar war. Hinke verlegt heute Bücher in schöner Ausstattung und arbeitet vorrangig mit Leipziger Gestaltern, Künstlern, Autoren, Buchbindern und Druckereien zusammen. Von der Deutschen Stiftung Buchkunst wurden Bücher seines Verlags mehrfach ausgezeichnet. „Leipzig ist weiterhin eine Buchstadt, das zeigt nicht nur die Buchmesse sondern auch die Qualität der ansässigen Buchgestalter und Illustratoren und nicht zufällig ist auch unsere Hausdruckerei PögeDruck, ein Leipziger Familienbetrieb. Es ist schön hier zu arbeiten“, meinte Peter Hinke in einer Rede im Frühling dieses Jahres.

Eng ist es im Parterre, aber ein Paradies mit ausgesuchten Büchern.

Die Buchhandlung führt mehr Bücher, viel mehr Bücher als das eigene Verlagsprogramm aufweist. Ein schmaler Raum mit Bücherregalen zu beiden Seiten der ganzen Länge des Geschäfts entlang. In der engen Mitte ein Korpus mit den besonderen Empfehlungen und Aktualitäten, die Bücher hell angeleuchtet. Oberhalb der Buchgestelle in schönem Holz eingerahmt Bilder von Autorinnen und Autoren, denen sich das Haus besonders verpflichtet fühlt. Der Holzlattenboden gibt dem Ort zusätzlich ein warmes Gepräge. Leitern an beiden Seiten des Raums lenken den Blick hinauf zu den Büchern in den oberen Tablaren. Im Erdgeschoss und im Obergeschoss finden sich ausgesuchte Belletristik, Lyrik, Kinderbücher, die eigenen Editionen, ausgesuchte Bücher unabhängiger Verlagshäuser, signierte Bücher, besondere Reihen, wie die Insel-Bücherei oder die Bibliothek Suhrkamp. Das Programm des „Verbrecher Verlags“ wird in seiner ganzen Breite angeboten. Wo gibt’s das sonst? Die Inselbücherei ziert ein Gestell, das so wirkt, als handle es sich um eine geschmackvoll tapezierte Wand. Die ausgestellten Bücher zeugen von einer grossen Kenntnis und Liebe der guten Literatur. Auf dem Weg in die obere Etage liegen alle Bücher auf, die der hauseigene Verlag in den letzten Jahren herausgegeben hat. Wunderschön gestaltete Covers, Bücher von Autorinnen und Autoren, die etwas mit Leipzig verbindet, sei es, dass sie hier aufgewachsen sind oder Studierende an am Literaturinstitut waren oder noch sind. In der ersten Etage der Buchhandlung wird ein großes, ausgewähltes Sortiment an englischsprachigen Büchern angeboten. Der Schwerpunkt liegt in der Connewitzer auf schöngeistiger – sowohl jüngerer als auch klassischer – Literatur, auf dem aktuellen Sachbuch und auf sprachwissenschaftliche Titel. Im Obergeschoss fallen sofort die vielen Stapel mit Suhrkampbänden auf, die im Schnitt den Stempel „Mängelexemplare“ tragen. Die Bände sind billiger als in anderen Läden, sie weisen aber keinerlei Mängel auf. Weil der Suhrkamp Verlag immer wieder das eigene Bücherlager von älteren Exemplaren befreien muss, die weniger verkauft werden, beliefert er die Connewitzer mit verbilligten Bänden, die den Stempel aufweisen.

Connewitzer Verlagsbuchhandlung
Specks Hof, Schuhmachergäßchen 4
04109 Leipzig
T: +49 0341/ 960 34 46
www.cvb-leipzig.de

 

Auf dem Büchersofa

Heinz Egger

Schrittchen für Schrittchen geht sie voran. Immer wieder schiebt sie ihre grosse Tasche, die an langen Henkeln über ihrer Schulter hängt zurück, damit sie ihren Arm freier bewegen kann. Ihr Blick wandert Stück für Stück über die Auslage. Sie greift da nach einem Buch, liest darin kurz in sehr aufrechter Haltung, legt es zurück und greift nach dem nächsten auf dem langen Tisch. In kleinen Stapeln von drei bis vier Exemplaren liegen sie da, fein säuberlich von einander getrennt durch einen auf dem Schnitt stehenden Band dazwischen.

Nach und nach hält sie mehrere Bücher in der linken Hand. Damit geht sie zum grossen Sofa, dessen Unterbau und die Seitenwände aus gestapelten alten Büchern besteht. Sie lässt sich auf das grosse, mit schwarzem Samt bezogene Kissen fallen. Die Bücher legt sie neben sich hin, zieht ihre Tasche auf den Schoss und klaubt ein goldenes Etui hervor, dem sie eine rote Lesebrille entnimmt. Sie klappt die Bügel schwungvoll auf und schiebt die Gläser auf die Nase. Dann kommt die Tasche zu den Büchern. Sie streicht ihren Jupe gerade, legt die Beine übereinander und zupft darauf nochmals am Jupe. Sie legt die linke Hand auf die Seitenlehne und zuckt zurück. Sie berührte das kalte Metall der mächtigen Hutmutter, die eine dicke Schraube mit einer breiten Unterlegscheibe abschliesst und so den Bücherstapel sichert.

Das Büchersofa im ersten Stock ist ein Ort zum Verweilen

Sie legt die Hände in den Schoss und schaut über den Brillenrand hinweg zu den Fenstern hinüber, wendet den Kopf langsam nach rechts, wo ein weiterer langer Tisch sich ausdehnt. Auf diesem herrscht unter Schreibtischlampen die gleiche Anordnung von Büchern wie auf dem anderen, von dem sie ihre Auswahl genommen hat. Allerdings tragen die Lampen kleine Affichen mit der Aufschrift „Modernes Antiquariat“. Der Fusschnitt der broschierten Bücher ist gestempelt: Mängelexemplar. Hinter dem Tisch läuft der Wand entlang ein raumhohes Gestell. Darin stapeln und drängen sich Vorräte aus dem hauseigenen Verlag. Mehrere mit rotem Bast gebundene Bücherbündel stehen in den Regalen. Überhaupt scheint der erste Stock auch als Lager zu dienen, wie ihr zurückwandernder Blick ihr zeigt. Auf den Gestellen zwischen den Fenstern lagern Kartonschachteln. Nein, nicht unordentlich!

Ohne hinzuschauen, greift sie nach einem Buch. Sie öffnet es und liest den Klappentext. Stille herrscht in dem angenehm wohnlichen Raum mit guter Beleuchtung, Holzgestellen und hellem Parkettboden. Sie wird nur vom Schnarren und Ratschen des Klebbandrollers unterbrochen, mit dem ein Angestellter ein Paket sicher verschliesst. Von unten ertönt ein Ruf durchs Treppenhaus. Der Angestellte beugt sich über das Geländer und gibt Antwort. Bald darauf erscheint ein älterer Herr, der sich mit dem Angestellten unterhält. Er holt ein Buch ab. Die Kasse klingelt. Dann reden sie noch miteinander. Ein Stammkunde.

Sie legt das Buch zur Seite und erhebt sich, nimmt die Tasche auf, die Bücher in den Arm und legt sie einfach auf dem Tisch ab. Sie geht zur Treppe und steigt unter den Lithographien von Beck’schen Karikaturen hinab, vorbei an einem dunklen Klotz, geschichtet aus Büchern von Lene Voigts „Wird man erst einmal gedruckt …“, das im Connewitzer Verlag erschienen ist, und den hell gebundenen, broschierten Büchlein aus dem gleichen Verlag auf einem Sims.

Das Parterre ist ein schlauchartiger Raum mit einer Türe auf der Vorder- und Rückseite, einer Kassen- und Administrationsecke gleich beim Eingang vom Specks Hof her. Lange Gestelle säumen die Wände. Aus Platzgründen sind meist nur die Buchrücken zu sehen. Wunderschön wie ein Gemälde fallen die Rücken der Insel-Taschenbücher auf.

Ihr Blick fällt auf ein Taschenbuch am Kopfende des schmalen, langen Tischs. Die Tante Jolesch von Friedrich Torberg. Der Titel spricht sie an. Sie überlegt nicht lange und kauft das Buch. Sie weiss, Bücher lesen heisst wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne. Ein Satz von Jean Paul, den sie liebt und lebt. Er steht auch über der Türe, durch die sie das Geschäft auf das Schuhmachergässchen hinaus verlässt.

 

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