Coming out
Michael Guggenheimer
Drei Stempel auf der ersten Seite des Buchs. Drei Stempel, die eine Geschichte zeigen. Ein altes Buch ist’s und der Stempel oben auf der Buchseite lautet: „Eigentum Lesezirkel ‚Der Kreis’ Zürich 1“. Beim zweiten Stempel, der „HAZ Schwubliothek“ lautet, ist eine sechsstellige Telefonnummer angegeben. Sechsstellige gibt es schon lange nicht mehr in der Schweiz. Der dritte Stempel besagt, dass das Buch der S.O.H., der Schweizerischen Organisation der Homophilen gehört. Es sind Stempel, die einen langen Weg der Entstehung einer Bücherei aufzeigen, Stempel in einem Buch, das in einem der Büchergestelle der 1985 gegründeten Schwubliothek im dritten Stockwerk des Hauses Sihlquai 67 in Zürich stehen. Die frühesten Buch- und Zeitschriftenbestände der Schwubliothek gehen auf den „Kreis“ zurück, jener Schwulenorganisation, über die Regisseur Stefan Haupt einen schönen und berührenden Film gemacht hat. In einer Zeit, in der in den Nachbarländern Homosexualität strafrechtlich geahndet werden konnte, gab es in Zürich eine Organisation mit Namen „Der Kreis“, in der es Schwulen möglich war, anderen Schwulen zu begegnen. Die Bücher jener mittlerweile aufgelösten Organisation bilden einen Grundstock der Schwubliothek.
Die Bibliothek versteckt sich nicht, sie ist jeder Leserin und jedem Leser zugänglich. Sie ist mit 4000 Titeln die grösste Bibliothek mit Büchern zur Homosexualität in der Schweiz. Eine Bibliothek, die an zwei Tagen in der Woche abends geöffnet ist. Nur über wenige Bücher zu lesbischen Themen verfügt die Schwubliothek. Die Bibliothek „Schema f“, der seinerzeit die Bücher von und für Lesben übergeben worden sind, ist heute noch eingelagert, weitere Informationen zu dieser Bibliothek gibt es über www.fembit.ch. Sachbücher aus den Bereichen Soziologie, Recht, Partnerschaft, Geschichte sowie Romane, Comics, Zeitschriften, Bildbände und DVD’s können in der Schwubliothek ausgeliehen werden. Christoph Landolt und Walter Bucher, die beiden Bibliotheksverantwortliche, die hier nebenamtlich und freiwillig amten, würden sich mehr Besucher wünschen, die hier vorbeischauen. Obschon die Bibliothek in den Räumen der Homosexuellen Arbeitsgruppen domiziliert sei, sei sie gerade auch unter Schwulen noch zu wenig bekannt. Viel Geld für Neuanschaffungen steht den beiden Bibliothekaren nicht zur Verfügung. Aber Schenkungen gibt es immer wieder. Bücher in deutscher Sprache, einige in Französisch und Englisch finden sich hier. Die belletristischen Bücher können Beziehungen unter Männern zum Thema haben, andere sind von schwulen Autoren verfasst. Im Zentrum eines Romans muss aber die Homosexualität nicht stehen, sie darf durchaus bloss eine Episode im Erzählverlauf darstellen. Bei den Sachbüchern ist in der Regel die Homosexualität das Hauptthema des jeweiligen Werks.
Lernende höherer Fachschulen und Gymnasiasten schauen hier regelmässig vorbei, wenn sie eine Arbeit über Genderfragen, Sexualität oder Rechtsgleichheit verfassen. Zwar könnten sie nicht wenige Bücher auch in der Zentralbibliothek (ZB) finden. Was aber dort in den Katalogen gesucht werden muss, kann hier beim langsamen Abschreiten der Büchergestelle in den beiden Räumen der Bibliothek schneller und leichter entdeckt werden, weil in keiner anderen Bibliothek die Literatur zur Homosexualität so dicht beisammen zu finden ist. „Unsere Bibliothek ist gewissermassen die Pestalozzibibliothek für schwule Themen“, sagt Bibliothekar Walter Bucher. Eine Integration der Katalogbestände im „Netzwerk der Bibliotheken und Informationsstellen in der Schweiz“ (NEBIS) komme aus finanziellen und praktischen Gründen nicht in Frage, meinen die beiden Betreuer der Bibliothek, dazumal wissenschaftliche Werke zum Themenbereich auch am Schweizerischen Sozialarchiv und in der ZB zu finden seien.
Ein Gang entlang den Büchergestellen zeigt, wie reich und bedeutend die erzählerische Literatur ist, in der Homosexualität oder schwule Regungen manchmal in Nebenszenen, andere Male deutlicher thematisiert werden. Namen bedeutender Autoren kommen hier vor wie Marcel Proust, André Gide, Pier Paolo Pasolini, Peter Nadas, Edward Morgan Forster, Gerbrand Bakker, Thomas und Klaus Mann, Joseph Breitbach, James Baldwin, Truman Capote, Christopher Isherwood, Christophe Geiser, Michael Roes, Hugo Loetscher, Guido Bachmann, Bodo Kirchhoff, Philipp Tingler, Hans Pleschinski. Bei den Sachbüchern reicht die Palette der Titel vom Kinsey- Report über Titel wie „Mythos Mann“, „Homosexuality in History“, „Coming out“, „Die Männerfrage“ sowie „Gleich und anders – eine globale Geschichte der Homosexualität“ bis hin zum antiquierten Titel „Menschen auf Abwegen“, der mehr historisch interessant ist und genau jene Atmosphäre der biederen 50er Jahre wiedergibt als die unverkrampfte Haltung in der aufgeklärten Gesellschaft der heutigen Zeit noch weit entfernt war.
Schwubliothek
Sihlquai 67
8005 Zürich
www.haz.ch/Schwubliothek.htm
Männersachen
Heinz Egger
Schwubliothek – ich wusste gar nicht, dass es in Zürich eine Bibliothek für Schwule gibt. Sie ist Teil der HAZ, der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich. Sie liegt am Sihlquai 67.
Walter Bucher führt uns in den dritten Stock. Man spürt, dass das Haus eigentlich ein Wohnhaus ist. Wir treten in ein geräumiges Entrée mit Garderobe. Rechts davon liegt ein grosser Raum. Er ist hergerichtet wie ein Versammlungsraum: Tische in V-Form angeordnet.
Durch den Gang nach links, an einem grossen Anschlagbrett und einem Tisch mit Prospekten vorbei gelangen wir zur Bibliothek. Sie belegt zwei Räume. Wir treffen voll belegte Büchergestelle den Wänden entlang, wie könnte es anders sein. Im ersten Raum, unter dem Fenster steht ein grosses Sofa, davor ein Clubtischchen, zwei bequeme Fauteuils und auf einem Tisch ein Computer. Zwei offene Koffer bieten Bücher zum Mitnehmen an. Im zweiten Raum steht neben den Büchergestellen auch ein grosser, alter Einbaukasten. Seine Flügeltüren stehen offen. Sein Inneres leuchtet rosa. Er ist natürlich auch voller Bücher. Das Bild herrscht in den Bänden vor. Viele Graphic Novels mit explizit sexuellem Inhalt.
Während wir einen ersten, kurzen Blick in den Bestand werfen, trifft auch Christoph Landolt ein. Walter Bucher, der als Bibliothekar an der ETH arbeitet, und Christoph Landolt, der als Autor am Schweizer Idiotikon, dem Wörterbuch zur Schweizer Mundart, mitschreibt, gehören zum Freiwilligenteam, das die Bibliothek betreut. Der Einkauf der Bücher liegt in den Händen von Walter Bucher. Die Bibliothek soll vor allem aktuelle Bücher präsentieren. Mit dem schmalen Budget wählt Walter Bucher sorgfältig aus, was in die Bibliothek passt.
Die Bibliothek besteht seit 1985. Sie bietet etwa 4000 Bücher an. Davon gehören 2300 zur Belletristik, 1700 zu den Sachbüchern. Auch eine Mediathek mit 450 DVDs steht für die Nutzer bereit.
Wer aus der Bibliothek etwas ausleihen möchte, bezahlt einen einmaligen Beitrag von 30 Franken. Jede Ausleihe ist danach kostenlos. Etwa 100 Männer nutzen das Angebot regelmässig. Die drei Karteikästen auf dem Clubtisch enthalten wesentlich mehr Namen. Darunter sind auch einige, die nicht in Zürich wohnen. Die Bibliothek ist jeweils am Mittwoch und Freitag, am letzten Donnerstag im Monat und wenn der Spot25, die Jugendgruppe, im Haus ist, von 20 Uhr bis 21 Uhr 30 offen.
Die Bibliothek richtet sich an Männer. Für Frauen gab es eine ähnliche Bibliothek, diese ist momentan eingelagert (www.schema-f.fembit.ch). Die Fraum, das Frauen-Zentrum (www.fraum.ch/bibliothek/), baut eine eigene auf.
Wir stellen Fragen und erhalten kompetente Antworten. Es ist wunderbar, dass wir so mit offenen Armen empfangen werden. Und doch bleibt in mir ein leises Unbehagen. Die Welt der Homosexuellen ist für mich so weit weg und fremd, obwohl ich einige lesbische Frauen kenne.
Ob die Lektüre von ein paar Büchern aus dem Bestand helfen könnte? Vielleicht weniger die Sachbücher als belletristische Werke? Die Auswahl für die Belletristik erfolgt nach zwei Kriterien. Entweder ist der Autor schwul oder die Homosexualität spielt im Werk eine Rolle. Im Gespräch fallen viele Autorennamen. Und ich erkenne, dass ich von einigen schon etwas gelesen etwas habe: Gerbrand Bakker (Oben ist es still), Hans Pleschinksi (Königsallee), Hugo Lötscher (War meine Zeit meine Zeit), Alain Claude Sulzer (Ein perfekter Kellner).