Der Buchladen an der Ecke
Michael Guggenheimer
Elsa, Marta, Gertrud, Berta und Ida: Frauennamen an den Strassenschildern in Zürichs Stadtkreis 3. Priska Ryffel und Marianne Studer sind die beiden Frauen, die in diesem Stadtkreis an der Bertastrasse Ecke Zentralstrasse von Mittwoch bis Samstag in einem etwas anderen Buchgeschäft hinter dem Ladentisch stehen. „Duplikat. Buch & Papier“ heisst der Ort. Ein Panorama des nahen Idaplatzes bei Nacht leuchtet abends über dem Eingang des Ladens. Noch vor zweieinhalb Jahren hiess das Geschäft „Buchhandlung Bertastrasse“. Jan Kolb, der das Geschäft gegründet hat, ist mittlerweile weitergezogen: Seit April 2014 leitet der gelernte Werklehrer und Buchhändler die Buchhandlung Beer an der St.Peterhofstatt.
Zwei Jahre bevor er sich dazu entschlossen hatte, den Arbeitsort zu wechseln, hatte er sich mit den beiden Frauen zusammengeschlossen, um ein etwas anderes Geschäftsmodell auszuprobieren. Kolbs „“Buchhandlung Bertastrasse“ war ursprünglich zur Hälfte ein Geschäft, das Novitäten anbot und zur anderen Hälfte ein Antiquariat war. Die antiquarischen Bücher bezog Kolb von seinem Vater, der in Wetzikon ein Buchgeschäft betreibt. Duplikat liegt in einem Stadtteil, in dem kleine türkische und libanesische Esslokale Gutes anbieten, wo immer mehr junge Familien mit Kindern leben und Künstler in Ateliergemeinschaften zur Miete sind. Duplikat ist im wahrsten Sinn des Wortes das kleine Buchgeschäft an der Strassenecke. Eine Kundin aus dem Quartier setzte nach der im Jahr 2007 erfolgten Eröffnung der „Buchhandlung Bertastrasse“ die folgende sympathische Beschreibung des Geschäfts ins Netz: „Von aussen sieht sie sicher nicht wie eine Buchhandlung aus. Als ob sie Studenten aufgezogen hätten, nur um den Leuten das Lesen näher zu bringen. Es ist die ideale Buchhandlung zum Stöbern, man findet viele Klassiker und ganz sicherlich keinen Schrott à la Dan Brown (pardon an alle Jünger). Das macht sie sympathisch. So stelle ich mir die Buchhandlungen in den 60er-Jahren vor, so in Paris und hinter dem Bücherregal steht Camus und sinniert. Ist leider in Zürich nicht der Fall, aber vielleicht findet man ein Pendant zu Camus? Auf jeden Fall mal reinschauen und bücherbepackt hinauslaufen!“
Weil in den letzten Jahren immer häufiger Kunden den Laden betraten, die sich im Bücherangebot umschauten, um Buchtitel und ISBN-Nummer in ihr Handy abzutippen oder Buchcovers zu fotografierten und die so notierten Titel dann bei Amazon zu bestellen und nicht bei ihm zu kaufen, ging der Umsatz von Kolbs kleinem Quartiergeschäft zurück und nahm Kolbs Motivation entsprechend ab. Priska Ryffel und Marianne Studer, beide künstlerisch tätig, suchten zur selben Zeit einen Ort, wo sie Papierobjekte, Kalender, ausgefallene Spiele, Stempel und im Marianne Studers Kleinverlag PICA erschienene Bücher anbieten könnten. So fand man sich zusammen, gründete eine neue Firma, schob die antiquarischen Bücher zunächst in eine kleine Ecke, strich die Regale neu, schuf einen neuen Bereich mit Papierobjekten, in dem man heute ausgefallene kleine Geschenke für Erwachsene und Kinder findet. „Wer tausend Kraniche aus Papier faltet, dem erfüllen die Götter laut einer japanischen Legende einen Wunsch. Origami-Fans dürften in der ehemaligen Buchhandlung Bertastrasse wunschlos glücklich werden: Hier gibt’s neu Schönstes aus Papier.“, hiess es in einem Bericht der Zeitschrift Annabelle.
Quereinsteigerinnen sind die beiden Frauen, die selten gleichzeitig im Geschäft anzutreffen sind. Marianne Studer ist Grafikerin, Priska Ryffel leitet Videokurse an der Hochschule der Künste in Bern. Von Buchhändler Kolb haben sie gelernt, wie man Bücher beim Buchzentrum und anderswo bestellt, wie man Bücher präsentiert und anpreist. Das antiquarische Angebot ist mittlerweile verschwunden, neuere Schweizer Literatur findet sich hier ebenso wie die schönen Bände der Reihe „Die andere Bibliothek“ und ein kleines Angebot an englischsprachigen Büchern. Die einzelnen Literatursparten sind auf den Regalen mit Kreide angeschrieben, was eine Anpassung an das jeweilige Angebot erlaubt. Neue Autorinnen und Autoren aus Zürich schauen hier manchmal vorbei, weil sie wissen, dass die beiden Frauen bereit sind, ihre Bücher in Kommission zu nehmen. So warten denn federleichte Luftpostcouverts, Ansichtskarten, Kartenspiele, Gefässe aus Karton, Geschenkpapiere und Stempel sowie wunderbare leere Tagebücher mit Titeln wie „One Line a Day“ im selben Lokal auf Kunden wie ein ausgesuchtes Angebot an Belletristik. Die beiden Frauen lassen sich von Freundinnen inspirieren, hören im Radio oder lesen im Feuilleton, welche Bücher gerade aktuell sind. Die Kundschaft ist jung, Mütter schauen hier mit ihren Kindern vorbei und kaufen ein Erzählbuch. Irgendwann ist auch eine erste Lesung vorgesehen. Ob da die frühere Tradition wieder aufgenommen wird? Seitdem Jan Kolb die Lesungen in Maiers Theater an der Albisriederstrasse und im Kulturmarkt an der Aemtlerstrasse nicht mehr durchführt, finden im Stadtkreis 3 keine Lesungen und keine Buchpremieren mehr statt.
Duplikat. Buch & Papier
Zentralstrasse 129
8003 Zürich
T: 043 333 25 40
www.duplikat.me/
Doppelt
Heinz Egger
Dumm. Als ich vor dem Laden stehe, merke ich, dass mein Fotoapparat daheim geblieben ist. Dabei wären da Sujets ohne Zahl. Die Türe zum Laden ist in die Ecke des Hauses eingelassen. Links und rechts davon ist je ein Schaufenster. Neben dem Eingang steht ein Tisch mit Büchern darauf. Über dem Eingang prangt nicht etwa der Ladenname, sondern ein beleuchtbares Bild, aufgenommen an einem Abend in der Gegend. Und neben der Tür entdecke ich einen Schuhabstreifer, der künstlerischen Wert hat: Die Vertiefung im Stein ist mit einem schmiedeisernen, dekorativen Rahmen umgeben. Der Rahmen trägt auch den Abstreifer. Ich werde also ein zweites Mal herkommen!
Dank den beiden Schaufenstern ist der Raum hell, ja wohnlich. Zwei schmale Wände sind mit pastosem Grün gestrichen, darauf leuchtet ein Muster in Weiss. Marianne, die Verkäuferin und eine der Ladenbesitzerinnen, sagt mir, das Muster sei mit einem Holzstempel und Dispersion aufgebracht. Es war sicher ihre Idee, dem Raum so noch mehr Atmosphäre zu verleihen. Sie ist Grafikerin und Verlegerin. Von ihr erscheinen sehr gelungene Karten, Agenden mit Monatspostkarten darin und Bücher im eigenen Pica Verlag. Natürlich liegen diese auch bei Duplikat auf einem kleinen Tisch auf.
Wie der Name des Ladens entstanden sei, möchte ich von ihr wissen. Als man sich an einer Sitzung das Hirn wegen eines neuen Ladennamens zermartert habe, seien mehrere Stempel auf dem Tisch gelegen. Auf einem stand „Duplikat“, erklärt Marianne. – Ja, warum nicht diesen Namen nehmen: Duplikat – ein Doppel, eine Kopie, eine Vervielfältigung, eine Abschrift, eine Nachbildung , die Wiederholung eines künstlerischen Gedankens, ein Gegenstand, der nur bestimmte Eigenschaften des Originals nachahmt, eine Imitation, eine Replikation.
Das findet sich an diesem schönen Ort, wo Bücher und Papier das Angebot bestimmen.
Während ich mit Marianne rede, tritt ein Mann mittleren Alters in den Laden. Er wartet, er möchte Marianne sprechen. Ich ziehe mich auf einen grossen, alten Lederstuhl zurück und betrachte aus der Entfernung. Er bringt eine Serie von Schachteln und Schächtelchen. Dann eine Anzahl Kleber. Ob die zu Werbezwecken sind? Eine Stempeldruckerei ist dabei, ein Kinderspiel. Die beiden duzen sich. Niesen. Alle wünschen Gesundheit. Es liege etwas in der Luft, sagt Marianne, die Kollegin habe ebenfalls einen trockenen Husten. Der Mann ist Vertreter. Er macht die mitgebrachten Sachen selbst, beispielsweise Sprechblasen. Er hat eine ganze Schachtel davon. Eine knallgelbe Sprechblase hält er hoch. Auf der einen Seite steht „Hoi!“ auf der anderen „Heu!“ Gern nimmt er kurze Sprüche an, um sie zu stempeln. Man könnte ein ganzes Schaufenster damit dekorieren, meint Marianne und fragt: „Was soll denn der Preis sein? Was ist realistisch? Sechs Stutz?“ – „Ich hätte auch gedacht unter 10. Man sieht es doch, es ist Handarbeit: Karton beschaffen, ausschneiden, malen, drucken …“ – „Vielleicht fürs Schaufenster: Frühlingsgefühle, Frühlingserwachen. Schick mir doch ein Mail.“ – „Nein, komm doch einmal vorbei“ … Zwei Bücher nimmt er mit, eines mit Schwarzweiss-Umschlag, das andere rosa, ganz duft. „Das wär‘ die Quittung. Was das da unten ist, weiss ich nicht. Die Maschine hätte das den ganzen Tag gemacht, hätte ich sie nicht in einen Fehler geschickt.“ – „Eigentlich sympathisch, dass die Maschinen ein Eigenleben entwickeln.“ – Er wendet sich mit „Tschau, Marianne“ zum Gehen. Er heisst Paul.