Bücher für meine Freunde
Michael Guggenheimer
Ein klassizistisches Landhaus am Rande des parkähnlichen Falkenplatzes im Berner Länggassquartier. Einst wohnte hier ein Bundesrat, nach dessen Tod wurde im Jahr 1919 im Erdgeschoss eine Buchhandlung eingerichtet. Weil die Buchhandlung zunächst nicht genügend Geld abwarf, vermietete die Gattin des Buchhändlers einzelne Zimmer an Studenten. „Akademische Buchhandlung für Medizin und Naturwissenschaften“ hatte das Geschäft ursprünglich geheissen. Eigentümer Paul Haupt begann seine Laufbahn beim Vorbesitzer Max Drechsel als Laufbursche am Erlachplatz, wurde nach einer dreijährigen Lehre diplomierter Buchhändler, besuchte Vorlesungen an der nahen Universität und führte nach Drechsels frühem Tod neben der Buchhandlung einen Verlag. Verlag und Buchhandlung sind noch heute in dritter Generation im Familienbesitz. Aus einem einstmals breit gefächerten Wissenschaftsverlag wurde im Laufe der letzten 20 Jahren ein innovativer Sachbuchverlag mit den Spezialgebieten Natur und kreativ-künstlerischem Handwerk mit internationaler Ausstrahlung samt Buchhandlung. Matthias Haupt, Enkel des Gründers, führt heute den Verlag, seine Frau Adela leitet die Buchhandlung. Und Tochter Patrizia, Vertreterin der vierten Generation, ist seit kurzem mit dabei und wird demnächst im Bereich des Online-Marketings tätig sein und Support für die hauseigenen Apps leisten.
Wichtige Publikationen gehören zum reichen Verlagsprogramm, manche unter ihnen sind Klassiker und Longseller wie das Standardwerk „Flora Helvetica“ oder die drei Bände der „Flora alpina“, dem Atlas sämtlicher 4500 Gefässpflanzen der Alpen. Und weil der Verlag mit der Zeit geht, ist „Flora Helvetica“ sogar als App verfügbar. Unglaublich breit auch die Palette der Bücher aus dem gestalterischen Bereich: Papierschmuck, Publikationen zum Thema Textil, Buchbinden und Papierskulpturen.
Beide Standbeine des in den oberen Stockwerken des Hauses am Falkenplatz domizilierten Verlags sind im Büchergeschäft gut vertreten. Die Affinität zur Natur, die man bei Matthias Haupt vermutet und jene zum Handwerk und zur gestalterischen Kreativität, die man als Besucher der Buchhandlung Adela Haupt zuzuschreiben geneigt ist, ist breiter als die eigene Verlagsproduktion. Und gerade die Breite des Angebots in der Buchhandlung in den beiden Segmenten fasziniert. Naturbuch, Gestalten/Design und Architektur sind die Kernbereiche der Buchhandlung. Der Bereich Gestaltung verleiht manchen Ecken der Buchhandlung zudem die Note von künsterlischen Ateliers. Doch der Reihe nach. Man betritt die Buchhandlung und befindet sich zunächst im ersten Raum in der Welt der Belletristik. Das alte Haus weist im Erdgeschoss eine etwas verschachtelte Raumanordnung auf, die den Vorteil bietet – oder dazu genutzt wurde – , dass die einzelnen Themenbereiche eigene Räume aufweisen. Ein Raum für das breite Thema Werken, ein länglicher Raum für den Sektor soziale Arbeit, Psychologe und Unternehmensführung, Räume für Bücher zur Natur, ein grosszügiger zentraler Raum mit Büchern zu den Themen Textil, Mode, Papier, Architektur, Design. Und ein weiterer Raum für die Themen Holz, Stein, Keramik, Schmuck und Flechtkunst. Unglaublich reichhaltig das Angebot, auch überraschend breit, was zu Entdeckungen führt und den Berichterstatter dazu verführte, weitaus länger im Laden zu verbleiben als geplant.
Er bewegt sich langsam von Raum zu Raum und weiss bald: Für jeden seiner Freunde findet er in dieser Buchhandlung ein geeignetes Buch. Nein, nicht nur ein Buch, es können auch gleich mehrere Bücher sein. Und weil die Haupt Buchhandlung mehr ist als eine Belletristik-Buchhandlung, ist sie so anregend, wenn man Freunde hat, die sich nicht nur für Literatur sondern auch für Natur und Gestaltung interessieren. „Mehr Platz für Spatz, Spatzen erleben, verstehen, schützen“ für Tochter Anna, „Die Evolution des Fliegens“ für den Nachbarn Ralph, dem Piloten, „Landschaften lesen – Die Formen der Erdoberfläche erkennen und verstehen“ für Valeria, „Trockenmauern: Grundlagen, Bauanleitung, Bedeutung“ für den Architekten Christian in Zürich. „Landscape Bridges“ für die naturbegeisterte Architektin und Verlegerin Karin im Valle Maggia, „Urban Agriculture“ für den Biobauer Franz-Josef, der in die Kleinstadt ziehen will, „Schrift am Bau: Typografie und Architektur“ für Regula, die ein Museum in Luzern einrichtet, „Alpenorte. Ueber Nacht in besonderer Architektur“ für die beiden Alpenfreaks Paul und Theres, „The Hinterland. Cabins, Love sheds and other Hide-outs“ für den Hotelarchitekten Christian aus Görlitz, „Aromatische Bergkräuter für die Naturküche sammeln und zubereiten“ für die Kochkünstlerin Marielle. Und dann noch „Fashionpedia. The visual Dictionary of Fashion Design“ für Eva, die alle ihre Kleider selber herstellt, „Islamic Design Workbook“ für Bahar und Hoseyn aus dem Iran, die in der Schweiz leben. Für den Buchortkollegen Heinz „Papierobjekte aus alten Büchern“ und „Neues aus alten Landkarten“ für mich. Ja, ich gebe zu, es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich das Gefühl hatte, in einer Buchhandlung für jeden meiner Freunde ein Buch nicht nur zu finden, sondern auch gleich kaufen zu wollen. Für jeden!
Haupt Buchhandlung
Falkenplatz 14
3001 Bern
T: 031 309 09 09
www.haupt.ch
Sachbuchwelt
Heinz Egger
Es ist nicht weit. Vom Bahnhof Bern zum Universitätshügel hinauf. Schon nach kurzer Zeit öffnet sich ein kleiner Park und durch die Bäume ist das stattliche Haus mit der Buchhandlung und dem Verlag zu sehen. Weit herum sichtbar leuchtet grün der Name Haupt. Um die Sichtbarkeit des Logos zu verbessern wurden vor dem Haus drei Bäume gefällt. Unter dem Balkon, der von „ionischen“ Säulen getragen wird hindurch, erreicht man die Buchhandlung: Ein breiter Raum, der so tief wie das Haus ist, hell, gesäumt von hölzernen Büchergestellen unter weisser mit wenig Stuck verzierter Decke empfängt einen. Rechts und links führen Durchgänge in kleinere Räume.
Ich will zuerst ankommen. Dazu eignet sich der kleine Seitenraum zur Rechten am besten. Dort steht ein schwarzes Sofa, ein Stuhl, auch eine Kaffeemaschine gibt es. Das könnte auch der Ort sein, so stelle ich mir vor, an dem ich später mit einer Auswahl Bücher sitzen werde. In diesem Raum finde ich, was die Buchhandlung auszeichnet: Sie setzt klare Schwergewichte. Diese sind einerseits durch den Verlag vorgegeben: Es sind dies Natur und Gestaltung. Und andererseits gibt es immer ein Angebot an Schreibkarten, gestaltet durch einen Künstler. An der Wand hängt ein Plakat, das alle sieben Falkenarten Europas zeigt, gezeichnet in Schwarz auf Weiss. Alle Köpfe in der typischen, stolzen Haltung der Raubvögel, einige sind mit geöffneten Flügeln wie beim Start oder der Landung dargestellt, von allen die charakteristische Silhouette, wenn sie am Himmel kreisen. Kraftvoll. Gestaltet hat die Vögel Ben Pfäffli aus Burgdorf (atelier-ben.ch), wie Adela Haupt, die Leiterin der Buchhandlung erklärt. Von den Sujets gibt es Karten, einzeln oder ganz gediegen als Geschenk als Set. Das Spezielle an diesem Set ist die Ausführung. Die Karten und die Couverts liegen in einer handgefertigten Box in der Form eines Buches. Ein hölzernes Rähmchen bildet den „Buchblock“, der Umschlag ist mit Leinen überzogen. Ein kleines Bijou, das seinen Preis von nahezu 100 Franken bestimmt wert ist.
Drei hochformatige, schmale Bände ziehen das Auge an. Es sind Bücher zum Schwerpunkt Natur. „Bauen wie die Bienen, fliegen wie der Vogel – wenn die Natur Wissenschaft inspiriert“ von Mat Fournier, „Das Herbarium der Heil- und Giftpflanzen“ von Bernard Bertrand und „Zeugnisse ausgestorbener Tierarten“ von Luc Semal. Neben dem Format ist den Büchern ihre innere Gestaltung gemeinsam: Die Information ist nicht linear, sondern in kleinen Blöcken angeordnet. Bild, Grafik, Text – die Seite muss nicht von oben nach unten gelesen werden. Vielmehr erinnert sie an die Möglichkeiten, wie eine Seite auf dem Web gelesen werden kann. Es erstaune ihn stets von Neuem, wie einem Thema wieder und wieder neue Information zufliesst, so dass ein neues Buch entstehen kann, sagt Matthias Haupt, Verlagsleiter in dritter Generation. Und es geht heute auch darum, das Buch selber quasi neu zu erfinden. Das gelingt dem Verlag hervorragend. Das zeigt aufs Schönste das Buch „Die Grindelwaldgletscher – Kunst und Wissenschaft“. Die Herausgeber Heinz J. Zumbühl, Samuel U. Nussbaumer, Hanspeter Holzhauser und Richard Wolf haben darin nicht nur glaziologische Daten über die Entwicklung der Gletscher zusammengetragen, sondern auch weltweit künstlerische Darstellungen der Gegend und der Gletscher von Grindelwald gesammelt. Das Buch ist also wie der Titel sagt nicht nur etwas für Naturwissenschaftler, sondern auch für Kunstliebhaber. Matthias Haupt blättert darin mit sichtlichem Stolz.
Viele Gartenbücher stehen in den Gestellen – nicht nur aus dem hauseigenen Verlag. Und bestimmt fallen jedem die wichtigen Pflanzenbücher für die Schweiz und den Alpenraum auf: die Flora Helvetica in fünfter Auflage und die Flora Alpina, ein dreibändiges, voluminöses Werk.
Der Verlag hat sich in den vergangenen 15 Jahren gewandelt. Er hat sich spezialisiert und zählt heute als innovativer Herausgeber von Sachbüchern zu den renommierten der Branche. Die Spezialisierung führte denn auch zum zweiten Schwerpunkt in Verlag und Buchhandlung: Dem Bereich Gestaltung ist hinten im Haus ein eigener Bereich gewidmet. Ich sehe mir das Angebot an. Ich muss mich zurückhalten, denn so viele Werke lachen mich an, laden ein zu schmökern, wecken den Wunsch, diese oder jene Technik auszuprobieren – sei es der Umgang mit Stoff und Nähmaschine oder das Werken mit Papier, Ton oder Beton. Transfertechniken – Möglichkeiten, entweder Farben oder Sujets von gedruckten Papieren auf andere Oberflächen zu übertragen, das ist, was ich schliesslich lange auf dem Sofa sitzend betrachte und schliesslich auch erstehe.
Die Buchhandlung bietet ein ausgesucht fein zusammengestelltes Angebot an Belletristik, Krimis oder Geschichtsbüchern. Auf einem grossen Tisch finden sich die neuesten Bücher. Beispielsweise Sara Baume „Die kleinsten, stillsten Dinge“, ein preisgekrönter Roman über einen unglücklichen Mann und seinen unperfekten Hund. Oder Nicolas Barreau „Das Café der kleinen Wunder“. Darin erzählt der Autor die Geschichte einer 25-jährigen Frau, die alte Bücher mag, die Langsamkeit liebt, heimlich in ihren Philosophieprofessor verliebt ist und an Zeichen glaubt. Auch die Büchergilde ist hier mit ihren schönen Büchern vertreten.
Eines der Gartenbücher trägt den Titel: „An die Töpfe, gärtnern, los!“. Für den Besucher gilt analog: An die Haupt-Bücher, lesen, los!