Von Bibel bis Lutherol
Michael Guggenheimer
Bis Ende August 2019 gab es vier Buchhandlungen unmittelbar bei der Tramhaltestelle Stauffacher. Die russischsprachige Buchhandlung ZentRus hat dichtgemacht. Die Bergbuchhandlung Piz, die Mittelmeerbuchhandlung Mille et deux feuilles und das Haus der Bibel sind geblieben.
Die Bibelbuchhandlung bildet gewissermassen das Tor zum Bücherviertel, sie liegt gut sichtbar in einem Eckhaus am Beginn der Bäckerstrasse. Ein Umzug auf die weniger gut sichtbare andere Strassenseite in die freigewordenen Räume von ZentRus? Nein, sagt die Geschäftsleiterin. Die gute Sichtbarkeit am Beginn der Strasse gibt man nicht gerne auf. 1933 eröffnete die Westschweizer „Action Biblique“ in Zürich „Das Haus der Bibel“, eine der ersten christlichen Buchhandlungen in der Deutschschweiz. Seit über 85 Jahren wird dort mit der Verbreitung von Bibeln und christlicher Literatur ein Stück freikirchlich-evangelische Geschichte geschrieben.
«Und wenn dein Schlüssel zum Glück eine Person wäre» steht auf einem der Schausfenster der Buchhandlung. Drei Bücher sind im Schaufenster ausgestellt. Auf jedem der Name Jesus. Anderthalb Räume klein ist die Buchhandlung, das Alte und das Neue Testament, christlich geprägte Bücher von der Bibelauslegung bis hin zum Roman prägen das Angebot. Die einzelnen Bücherregale tragen Aufschriften wie «Glaube vertiefen», «Bibelstudium», «Bibeln» und «Lebensthemen». Man muss kein Kirchenkenner sein, um festzustellen, dass hier evangelische Schriften und Freikirchliches das Angebot an Büchern, CDs und DVDs bestimmen.
Bis im Sommer 2018 gab es noch eine weitere evangelisch geprägte Buchhandlung in Zürich, die Buchhandlung Brunnen Bibelpanorama. Biblisches hat es heute nicht mehr so leicht, auch ein Buchhandel, wo sich eine Restrukturierung vollzieht. Nachdem mehrere Läden der Kette Brunnen Bibelpanorama geschlossen wurden, ist das Haus der Bibel daran, sich von seinen Läden in Basel und in Genf, Basel und Le Locle zu lösen. Ein lokaler Trägerverein soll demnächst die Buchhandlung übernehmen. Wer sich übrigens in Zürich für christliche Publikationen katholischer Provenienz interessiert, der begibt sich an die Weinbergstrasse zur Buchhandlung Strobl.
Zum siebzigjährigen Bestehen der Bibelbuchhandlung gab Peter Toscan, der damalige Geschäftsführer, ein Interview, in dem er die Mission des Hauses der Bibel erläuterte: «Wir verstehen uns nicht als Geschäft, sondern primär als Mission. Neben den Bibeln führt die Buchhandlung ein Sortiment aus ausgewählter christlicher Literatur, die die Menschen zu Jesus Christus hinführen oder Gläubige in ihrem Glaubensleben unterstützen soll».
Klar, dass das Haus der Bibel eine grosse Anzahl unterschiedlicher Bibeln anbietet. «Online-Buchhandlung für Christen» steht auf der Homepage der Buchhandlung. Die Breite des Angebots lässt sich sehen: Die Bibel ist an der Bäckerstrasse lieferbar in deutsch, englisch, französisch, italienisch, spanisch, portugiesisch, altgriechisch und hebräisch. Über das Netzportal kommen noch weitere Sprachen hinzu. Aber das ist noch lange nicht das ganze Angebot am verbreitetsten Buch der Welt. Die Bibel gemäss Zwingli oder Luther, die Übersetzung nach Schlachter, die Elberfelder Bibel, die Neue Evangelistische Übertragung, die Neues Leben Bibel, die Gute Nachricht für Kids, die Neue Zürcher Bibel: Man staunt über die Vielfalt der Variationen des einen Buchs schon alleine in deutscher Sprache. Doch damit nicht genug: Hinzu kommen Studienbibeln mit Namen wie Thompson Studienbibel, Genfer Studienbibel, Bibeln in Klein- und in Grossformat. «Bibeln sind unser Angebotsschwerpunkt. Wir sind glauben, dass die Gläubigen Anrecht auf möglichst viele Übersetzungen haben, sofern sie den Grundtext wahrheitsgetreu wiedergeben», heisst es in einer Selbstdarstellung der Buchhandlung. In diesem Sinne sind auch die Büchertitel zu verstehen, welche die Buchhandlung anbietet: «Lexikon zur Bibel», «Exegetisches Handwörterbuch zur Bibel», «Die Bibel verstehen», «Studienbuch Altes und Neues Testament», «Das grosse Buch vom christlichen Glauben» sowie die Kommentare zum Alten und zum Neuen Testament.
Schaut man sich im Angebot aus dem Bereich der Belletristik um, dann fällt auf, dass hier keine Bücher der sonst in Buchhandlungen geführten Verlage präsentiert werden. Hanser oder Suhrkamp, Diogenes oder Lenos sucht man hier vergeblich. Der Francke Verlag, SCM Hänsseler, Gerth Medien und der Brunnen Verlag bieten hier ihre Bücher an. Es handelt sich eindeutig um christlich geprägte Romane. So etwa die vier Bände der Reihe «Vier Frauen auf einer Glaubensreise». Die einzelnen Titel lauten «Unterwegs mit dir», «Weil du mit mir gehst», «Du bleibst an meiner Seite», «Wohin du mich auch führst». In einem Prospekt von SCM Hänsseler heisst es: „Wir arbeiten auf der Basis christlicher Grundwerte und wollen damit Glauben fördern, Lebenshilfe geben, Werteorientierung vermitteln und Lebensfreude stiften. Es ist unser Ziel, dass die gute Nachricht von Jesus Christus gelesen, gesehen, gehört und gesungen wird! “ Weltanschaulich ebenfalls nah dran ist das Verlagshaus Gerth Medien, das sich selbst so anpreist: „Vor 65 Jahren legte Hermann Schulte in Wetzlar den Grundstein. Seitdem haben unzählige Bücher und CDs das Licht der Welt erblickt. Die Zeiten haben sich verändert. Nicht aber die Grundpfeiler unserer Verlagsarbeit: Glaube. Hoffnung. Liebe“.
Christlich geprägt sind auch die Non-Books: Schlüsselanhänger mit dem Aufdruck «Gott segne und beschütze dich wohin du auch gehst» oder «Gottes Liebe hört nie auf». Eine LED-Leselampe im Angebot trägt auf der Birnenfassung die Aufschrift «Gottes Liebe ist wie die Sonne». Eine Metallbox mit der Aufschrift «Let’s pray – kreativ zusammen beten» bietet Settings zur biblischen Arbeit.
«Lutherol – Breitband-Theologicum für Geist und Seele» beinhaltet 90% Luther Zitate und 10% Reform-Aktiv» auf kleinen gerollten Zettelchen. Ähnlich die Schachtel «Evangelicum» mit «Jesus-Worten, die gut tun». Wein, Honig, Dattelsirup und Öl aus dem Heiligen Land ergänzen das Non-Book-Angebot.
Das Haus der Bibel
Bäckerstrasse 10
8004 Zürich
T: 044 201 29 41
hausderbibel.ch/
Ein Grossprojekt
Heinz Egger
Eine Ecktüre, sie steht offen. Zwei Steinstufen führen hinauf ins kleine, aber helle Lokal. Grosse Schaufenster zur Linken und Rechten und die Deckenbeleuchtung sorgen für Leselicht. Geradeaus steht die Theke. Die Wände sind dicht mit Büchern bedeckt. Bewegliche Gestelle belegen einen grossen Teil des dunklen Holzbodens.
Hinter der Theke sehe ich Gläser mit Honig und Konfitüren und Flaschen. Warum aber sind sie hebräisch angeschrieben?
Ich lese darauf: „thirosch” und darunter „miz anavim tivi”. Es ist Traubensaft aus naturbelassenen Trauben. Auf der rückseitigen Etikette entdecke ich den Aufdruck „Koscher für Pessach”. Das ist die höchste Auszeichnung für ein Lebensmittel bezüglich der Speisegesetze der Juden. Dieser Traubensaft ist also unter rabbinischer Aufsicht entstanden. Warum gibt es dieses Angebot hier?
Die Antwort finde ich im Gestell mit den Bibeln. Es liegt im rechten Raumteil vom Eingang her. In grossen, weissen Lettern steht „Bibeln” auf einer unten gerundeten, dunklen Tafel. Sie hängt hoch über dem Gestell. Ganz am rechten Rand im raumbreiten Gestell sehe ich auf einem Buchrücken einen siebenarmigen Leuchter und lese „Die Heilige Schrift”. Als Autor steht vorne auf dem Deckel Naftali Herz Tur-Sinai. Es ist eine Bibelausgabe für Juden, die in Jesus auch den Messias sehen, aber weiterhin gemäss ihren im alten Testament festgesetzten Riten leben. Zu diesem Thema „messianische Juden” gibt es eine Menge Literatur. Auf der Website hausderbibel.ch finden sich einige Titel dazu.
Vor dem Gestell mit den Bibeln stehend, ist man schnell überfordert, so gross ist Zahl der Ausgaben. Da helfen die Fragen der Angestellten, den Wunsch nach einer passenden Bibel zu präzisieren. Eine junge Frau kommt zusammen mit der beratenden Angestellten vor das Gestell. Zuerst wird nach der Übersetzung gefragt: eine moderne oder eine nahe am Urtext in Hebräisch und Griechisch. Dann kommt es auch darauf an, in welchem Umfeld die Bibel gelesen wird, was Kolleginnen und Kollegen lesen, was der Pfarrer empfiehlt. Und schliesslich die Grösse des Buches. Die junge Frau hat nichts dagegen, wenn im Text zum Teil altertümliche Formulierungen stehen. Sie möchte die Bibel einfach für sich und, weil Sie darin auf Bahnfahrten lesen möchte, soll sie handlich und klein sein.
Natürlich ist das Buch der Bücher auch in anderen Sprachen erhältlich. Gestaunt habe ich über die Anzahl Sprachen, in denen die Bibel auf hausderbibel.ch bestellt werden kann. Es sind über 70! Natürlich sind auch die Originalsprachen Hebräisch und Griechisch greifbar. Das „Haus der Bibel” – die Organisation der Genfer Bibelgesellschaft hat ihren Sitz in Romanel-sur-Lausanne – arbeitet für sein Angebot mit 1295 Verlagen zusammen.
Eine Bibel darf auch gut geschützt werden. Verschiedene Buchhüllen liegen auf und ein laminiertes Papier weist darauf hin, dass man massgeschneiderte Lederhüllen bestellen könne und dazu die Angestellten fragen solle.
Das Bibelgestell ist oben ganz schlank und wird nach unten tiefer, so dass die Auslage sich leicht neigt. So kann ein Betrachter auch stehend die Auslage leicht ins Auge fassen. Zuunterst hinter blauen Blenden gibt es Schubladen. Zwei davon stehen leicht offen. Ein Zettel weist auf den Inhalt hin: antiquarische Bücher. Und er fordert auf, darin zu stöbern.
Auf der linken Seite des Gestells stosse ich auf Faltprospekte. Sie handeln davon, die Bibel innerhalb eines Jahres zu lesen. Das ist wahrlich viel Stoff! Die Anleitung der Genfer Bibelgesellschaft erfordert die Lektüre von drei Kapiteln werktags und fünf am Sonntag. Jene der „rigatio Stiftung” aus Burbach in Deutschland fordert mit einem Plan, der im Januar beginnt, dazu auf, täglich sowohl im Neuen als auch im Alten Testament und in den Psalmen zu lesen.
Ich gehe weiter im Gegenuhrzeigersinn. Unter der Tafel „Bibelstudium” finde ich zahlreiche Bücher zum Einstieg in die Bibel, Kommentare zur Bibel, Bibelführer, aber auch Bücher zur Theologie und der Kirchengeschichte. Weitere Gestelle sind betitelt mit Romane und Biografien, Glaube vertiefen, Lebensthemen. Unter diesem letzten Stichwort finde ich auch eine Reihe von Büchern zur Homosexualität.
An Auslagen diverser Non-Books vom Schlüsselanhänger bis zur Postkarte, den Gestellen mit den Empfehlungen der Mitarbeitenden und den Magazinen vorbei komme ich zum Schild „Fremdsprachen”. Hier findet sich eine Sammlung von Bibeln in europäischen Fremdsprachen, auch zweisprachige Werke, beispielsweise Englisch-Französisch stehen auf den Tablaren. An der kurzen Wand rechts davon leuchtet eine grosse goldene Fläche. Es sind lauter kleine Büchlein, auf denen „Echtes” Gold steht. Dieses kleine Werk gibt es in gut 40 Sprachen. Darin sind Bibelzitate enthalten. Darüber ebenfalls in vielen Sprachen Luftpostcouverts mit der Aufschrift „Brief an dich”. In der Einleitung darin heisst es, dass besondere Briefe auch im digitalen Zeitalter vorzugsweise auf Papier geschrieben werden. Das entspreche ihrem Wert und ihrer Wichtigkeit. Im Brief geht es um die Bibel, ihre Herkunft, die Übersetzung, Erlebnisse mit der Bibel und Ratschläge.
Weiter im Gegenuhrzeigersinn gehend entdecke ich DVDs und viele Kinder- und Jugendbücher. Zum Schluss stehe ich wieder dort, wo ich angefangen habe: bei den Bibeln. Sie bildet die Grundlage zu all dem, was sonst in dieser Buchhandlung angeboten wird. Und ich muss zugeben, dass ich nicht bibelfest bin. So nehme ich denn die zwei Anleitungen fürs Lesen der Bibel in einem Jahr mit. Allerdings frage ich mich, ob ich so ein Projekt schaffen kann.