Auf der Bühne geblendet
Michael Guggenheimer
Noch sind hier nur dann Bücher zu sehen, wenn in einem der beiden Säle ein Buchereignis stattfindet. Dann nämlich stehen hier eine Buchhändlerin oder ein Buchhändler und verkaufen das Buch, das gerade im Saal vorgestellt wurde. Nebenan bildet sich nach der Lesung eine lange Schlange von Lesenden, die die Unterschrift der Autorin oder des Autors oder sogar eine kleine Widmung wünschen.
Zwar gab es im Literaturhaus am Limmatquai schon Lesungen als im Kaufleuten erst Konzerte und Partys stattfanden. Aber seitdem Reto Bühler im Kaufleuten mit der Durchführung von Lesungen begann, hat sich in Zürichs Lese-Eventlandschaft einiges verändert. Seit 2014 für das literarische Programm in den beiden Sälen zuständig ist Corina Freudiger. Und seitdem Gesa Schneider im Literaturhaus die Leitung übernommen hat, ist erstaunliches passiert: Die beiden Institutionen, die sich ursprünglich fremd waren, spannen immer wieder zusammen. Das geht sogar so weit, dass Gesa Schneider im Kaufleuten moderiert, wenn klar ist, dass eine Lesung im Literaturhaus mehr Zuhörer anziehen wird, als der kleine Saal der Museumsgesellschaft fassen kann.
Und genau hier trumpft das Kaufleuten: Ein grosser Saal und ein kleiner, der immer noch gross ist, sind die beiden Veranstaltungsräume am Pelikanplatz. Und anders als am Limmatquai kann man hier Wein und Bier trinken, belegte Brote kaufen. Essen und trinken während einer Lesung sind hier möglich. Und im selben Haus befindet sich ein Retaurant, wo man sich nach einer Veranstaltung treffen und unterhalten kann. Was auch noch auffällt: Das Publikum ist um einiges jünger als die Besucher des Literaturhauses. Und immer wieder ist hier full house. Zürichs bestbesuchte Lesungen finden am Pelikanplatz statt. Es ist wie im Theater: Hier sitzen Gastautorin und Moderatorin auf einer echten Bühne auf zwei tiefen Clubsesseln, hier sehen sie ihr Publikum nicht, weil grelle Scheinwerfer auf sie gerichtet sind. Hier sind Sound- und Lichtcheck sowie der Einsatz eines Beamers in Profihänden.
Und das Programm? Eindeutig ist, dass hier „grosse Autoren“ gesucht werden. Und wenn man sich in der Stadt umhört, wird klar, dass Buchhandlungen und manchmal auch das Literaturhaus die Autoren, die im Kaufleuten auftreten, sich nicht leisten können. Viele grosse Namen verbinden sich mit dem Kaufleuten: A.L. Kennedy, Alain de Botton, Cees Nooteboom, Henning Mankell, Judith Butler, Margaret Atwood, V.S. Naipaul, Michael Ondaatje, T.C. Boyle sind hier schon aufgetreten. Und weil hier häufig Autorinnen und Autoren zu sehen und zu hören sind, die kein Deutsch sprechen, ist häufig noch eine Schauspielerin oder ein Schauspieler auf der Bühne, die aus der deutschen Fassung des jeweiligen Buchs vorlesen. Das Gespräch auf der Bühne allerdings findet dann in Englisch statt. Zu den Veranstaltungen im Kaufleuten gehört stets auch eine Inszenierung. Die Zeit der Wasserglaslesungen ist hier passé. Hier treten Autoren nicht alleine auf, denn eine Moderation gehört dazu. Und eine reine Lesestrecke, die länger als 30 Minuten dauert, findet hier selten statt. „Das Publikum von heute will bei einer Lesung auch unterhalten werden. Und es will den Autor kennenlernen, nicht nur den Roman, den er geschrieben hat. Es will wissen, wie der Autor sein Thema gefunden und entwickelt hat, wie er lebt. Da gehört ein Gespräch mit dem Autor dazu“, sagt Corina Freudiger. Dass die Unterhaltung auf der Bühne manchmal auch etwas holperig ist, hat damit zu tun, dass sich noch nicht wirklich alle Moderatoren jeweils im Werk ihrer Gäste tatsächlich auskennen. Und auch die Nähe des häufigen Co-Organisators, des Tagesanzeigers, zu den Autoren kann mitunter problematisch sein. Etwa dann, wenn der Moderator zwei Tage vor der Lesung das im Kaufleuten zur Debatte stehende Buch in der Zeitung lobend bespricht, die Kritik untergeht.
Wie offen Corina Freudiger in der Programmplanung ist, zeigt die Tatsache, dass im Sommer im Park des nahe gelegenen Museums für Volkskunde Lesungen unter freiem Himmel stattfinden, die mit dem Literaturhaus und mit dem Museum geplant werden. Dass nicht nur internationale Topshots in den kommenden Monaten im Kaufleuten auftreten werden, zeigt ein Blick auf das Herbstprogramm 2014: Auch die Schweizer Werner Rohner und Sunil Mann werden hier ihre neuen Bücher vorstellen, der Zürcher Jurczock 1001 wird musikalisch und textlich auftreten. Die Kooperation mit dem Tagesanzeiger verleiht den literarischen Veranstaltungen im Kaufleuten eine grosse mediale Begleitung. Und dass im selben Haus die Reihe „Zürich littéraire“ stattfindet, macht das Kaufleuten ebenfalls zu einem Buchort, auch wenn die Gestelle mit Büchern noch auf sich warten lassen.
Kaufleutenliteratur
Pelikanplatz
8001 Zürich
T: 044 225 33 00
www.kaufleutenliteratur.ch
Quo vadis?
Heinz Egger
Kaufleuten? – Noch nie drin gewesen! Ich weiss zwar, dass eine Zunft im Restaurant ihr Zunftessen am Sechseläuten hält. Ich weiss auch, dass da viele Parties stattfinden, etwas für Junge und vielleicht Junggebliebene. Und ja, dann gibt es die Literaturveranstaltungen, die jeweils im Tagesanzeiger in seitengrossen Inseraten beworben werden. Und ich weiss, dass da immer berühmte Leute auftreten. Und ich weiss, dass es nicht wenige sind.
Wir haben in der Bar abgemacht, in der Pelikanbar. Da es dort bereits zu laut ist, nimmt uns Corina Freudiger, die Leiterin der Kulturabteilung, ins Foyer vor den beiden Kaufleutensälen mit. Ein grosszügiger, sehr hoher Raum ist es. Die Wände sind etwas grau, eine Türe zum Treppenhaus ist mit einer Holzwand provisorisch abgedeckt. Etwas altmodisch bezogene Polstermöbel und weiss gedeckte Klubtischchen verbreiten eine gemütliche Atmosphäre. Einige Leute sitzen da und geniessen einen Schwatz.
Wir setzen uns ans Fenster, wo auch die „Bibliothek“ steht. Ein Bücherbrett mit ein paar wenigen Bänden, einige davon sind von Reader’s Digest. Mir scheint das etwas dürftig für einen Ort, der zum Verweilen einladen sollte und so manchen gewichtigen Literaten empfangen hat. Aber das solle ändern, sagt Corina Freudiger, die seit Januar 2014 für die Geschicke der Kultur im Kaufleuten zuständig ist. So schnell könne aber der „Umbau“ nicht beginnen, da nach der Handänderung noch nicht klar sei, wohin das Schiff steuern werde.
Voller Ideen und mit einer klaren Vision tritt die junge Managerin an: Das Kaufleuten will der Literatur eine Bühne bieten. Dabei gibt es auch den weniger grossen Literaturgattungen Raum, etwa dem Poetry-Slam, Reportagen oder der Komik. Auf der Bühne sein heisst im Rampenlicht stehen. Es braucht also eine Art Inszenierung. So sind denn die Moderationen anspruchsvoll. Es sollen nicht nur schwatzhafte Gespräche bei einem Glas Wasser sein. Eine Veranstaltung im Kaufleuten muss attraktiv sein und unterhalten. Dazu gehört natürlich auch eine gute Technik für Licht und Ton, die in jedem Fall funktioniert.
Die Veranstaltungen für 2014 sind alle definiert. Die Arbeit für 2015 rollt an. So bleibt zu hoffen, dass die Vorarbeiten nach dem Besitzerwechsel nicht durch einen radikalen Schnitt zunichte gemacht werden.
Mich hat die sprühende Energie und der Ideenreichtum von Corina Freudiger in den Bann gezogen. Das reiche Leben im Kaufleuten hat mich überrascht, aber ebenso das stark verlebte Haus. Da wäre sicher ein Schnitt notwendig!