Im Reich der Pädagogik
Michael Guggenheimer
So gut erreichbar wie der Lernmedien-Shop auf dem Campus der Pädagogischen Hochschule an der Lagerstrasse 14 ist, sind nur wenige Buchhandlungen in Zürich: Man kommt mit dem Zug am Hauptbahnhof an, begibt sich zur Einkaufsmeile Europaallee, jenem Eldorado für Outdoor-Sportler, wo sich die auf das Lernen und Lehren spezialisierte Buchhandlung befindet. Auf den ersten Blick sieht der Shop aus wie eine gewöhnliche Sortimentsbuchhandlung. Die Schaufenster sind allerdings etwas sparsam gestaltet. Die Raumhöhe von etwa elf Metern würde ohne weiteres das Einziehen eines Zwischenstockwerks. Spätestens beim Betreten des Ladens wird klar, dass belletristische Neuerscheinungen, wie man sie von anderen Buchhandlungen her kennt, hier nicht zu finden sind. Keine Romane, keine Krimis, keine Klassiker, keine Bestseller aus dem Reich der Belletristik. Erst im Galeriestockwerk sind Romane zu sehen: Kleine Stapeln von Klassenlektüren offenbar. Dürrenmatt, von Matt, Frisch und Glauser.
Junge Leute mit Rucksäcken betreten den grossen Laden. Der Lernmedien-Shop richtet sich eindeutig zuvorderst an Lehrpersonen, an jene jungen Leute, die im selben Gebäudekomplex ein Studium der Pädagogik absolvieren oder abgeschlossen und bereits im Berufsalltag an einer Schule tätig sind. Rund 4000 Titel an stufengebundenen und fächerübergreifenden Lehrmitteln finden sich hier. Lehrerinnen und Lehrer von der Primarschul- bis zur Sekundarschulstufe, Erwachsenenbildner, Kindergärtnerinnen und Mitglieder von Schulbehörden sind hier gut bedient. In Gehdistanz zu den Bahnsteigen des Hauptbahnhofs liegt dieser Buchladen. Und wenn der grosse Gebäudekomplex an der Europaallee mit seinen vielen Läden, Restaurants, Büros und Wohnungen fertig gestellt sein wird, dann dürfte der Lernmedien-Shop, der anders als die Sportshops, die Modeläden und das Starbucks-Café mit dem Rücken zur hochpreisigen Ladenpassage Europaallee an der Lagerstrasse liegt, bekannter werden. Noch wirkt der Laden etwas menschenleer, noch können sich die Verkäuferinnen ungestört unterhalten. Das mag damit zu tun haben, dass sich im selben Gebäudekomplex die grosse Bibliothek der Pädagogischen Hochschule befindet, wo Lehrern über 80 Arbeitsplätze und über 160’000 Medien und rund 320 Zeitschriftentitel in gedruckter Version im Freihandbestand angeboten werden.
Doch zurück zum Laden im Erdgeschoss: Ob Deutsch, Deutsch als Fremdsprache, ob Biologie, Chemie oder Physik, ob Theaterpädagogik und Musikerziehung, ob Bücher zur nachhaltigen Entwicklung, ob Materialien für den Sportunterricht oder für die Durchführung eines Schullagers: Für angehende Lehrpersonen sowie für Lehrerinnen und Lehrer bietet der Lernmedien-Shop eine reiche Auswahl an Literatur. Dabei könnte der Lernmedien-Shop an Politik, Gesellschaft und Natur Interessierte durchaus Literatur anbieten, die es nicht in jedem Buchladen gibt: In einem Drehgestell findet sich eine Reihe von Heften, die „aktuell“ heissen. Es sind thematische Hefte zur Landwirtschaft, zur Geschichte der Zeitmessung, zu Auen-Moore-Wiesen, zu Terrorismus oder Naturgewalten im Alpenraum. Publikationen, die sich an Lehrpersonen richten, die aber ebenso wie die nicht wenigen Bücher zum Thema Rassismus und Vorurteile Leser finden könnten. Es dürfte nicht einfach sein, in Zürich eine andere Buchhandlung zu finden, die so viele gut ausgesuchte kritische Bücher zum Thema Konsum aufweist: „Fair einkaufen – aber wie. Ein Ratgeber für fairen Handel, für Mode, Geld, Reisen und Genuss“ ist in mehreren Exemplaren vorrätig. Daneben weitere Bücher zum Thema, alle empfohlen von „éducation 21“, einer Organisation, die sich für nachhaltige Entwicklung einsetzt und eine Auswahl von Büchern dem Lernmedienshop vorschlägt.
Mehrheitlich bietet der Buchladen an der Lagerstrasse aber Ratgeber für Lehrpersonen an: Didaktikbücher, Leitfäden für die Praxis als Unterrichtsperson, Bücher zur Theorie der Schule. Die beiden Pädagogik-Gurus Rolf Dubs von der Universität St.Gallen und Hans Aebli, ein Altmeister der Didaktik, sind hier mit Titeln wie „Grundlagen des Lehrens“, „Lehrerverhalten“, „Die Führung einer Schule“, „Handbuch kompetenzorientierter Unterricht“ sowie „Leadership und Management“stark vertreten, umgeben von Titeln wie „Was ist guter Unterricht?“, „Unterrichtsmethoden“, „Classroom Management“, „Offener Unterricht heute“ oder „Der Klassenrat: Ziele, Vorteile, Organisation“. Wen der Lernmedien-Shop auch noch ansprechen könnte? Eltern von Schülern, die ihre Kinder auf die Gymnasiums-Aufnahmeprüfung vorbereiten wollen. Und weil die Studierenden der PH immer wieder auch Papier, Tinte und Sichtmappen brauchen, bietet der Shop im Galeriegeschoss Alltagsartikel und Hilfen für das Studium, Ordner, Sammelmappen, Collegeblöcke, Schreibutensilien, Farben und andere nützliche Büroartikel an.
Lernmedienshop der Pädagogischen Hochschule Zürich
Campus PH Zürich
Lagerstrasse 14
8004 Zürich
T: +41 43 305 61 00
www.lernmedien-shop.ch
Relax!
Heinz Egger
Barbara sass vor ihrem Bildschirm. Sie war unzufrieden. Sie klickte lustlos auf den Start einer animierten Präsentation und schaute zu, wie Wort für Wort auf dem Bildschirm erschien. Alles gerade so schnell, dass es mit etwa 60 Anschlägen pro Minute abzutippen war. Wie oft hatte sie diese Art von Übung ihren Klassen schon vorgesetzt? Unzählige Male, sie wusste es. Und sie wusste auch, dass einige der Lernenden genug davon hatten. Was tun? Ihre Schülerinnen und Schüler waren etwa 13 Jahre alt. Das Lernprogramm für das Tastaturschreibens richtete sich aber an ältere Lernende, ja an Erwachsene. Das Programm bot zwar gezielte und sicher gute Übungen zu allen Buchstaben an, aber es fehlte die Farbe, es fehlte das Spielerische, das Stufengerechte.
Barbara unterrichtete das Fach zum ersten Mal. Sie führte eine Liste mit Dingen, die sie ausprobieren könnte, aber weit über die animierten Präsentationen kam sie nicht hinaus. Sie dachte immer wieder, dass sie programmieren können müsste. Im Internet suchte sie nach Möglichkeiten für ihren Unterricht. Da fand sie einige witzige Dinge, aber jeder Anbieter hatte seine eigene Reihenfolge, die Buchstaben einzuführen. Die Programme liessen keinen Einfluss auf die zu verwendenden Buchstaben zu. Und so konnte sie herzlich wenig für ihren Unterricht fruchtbar verwenden.
Sie wollte nicht einfach aufgeben. Sie öffnete einen Browser und gab in der Suchmaschine „Lernmedien“ ein. Rasch scannte sie mit ihren Augen das Suchresultat. Sie stiess auf den Lernmedienshop der Pädagogischen Hochschule Zürich. Dieser wurde im Herbst 2012 eröffnet, wie sie auf der Website lernmedien-shop.ch erfuhr, und bot über 4000 Lernmedien an. Ob sie dort etwas für ihren Unterricht finden könnte?
Sie schlüpfte in ihre Schuhe, nahm den Mantel und ihre Handtasche, warf einen kurzen Blick in den Spiegel und verliess ihre Wohnung. Es tat ihr gut, an die frische Luft zu gehen. Per Bus und Tram fuhr sie zur Sihlpost, hinter der sich die Hochschule in neuen Gebäuden eingenistet hatte. Sie folgte der Lagerstrasse und stand schon bald vor dem gesuchten Laden: Riesige Schaufenster voller bunter Bücher lachten sie an. In einem der Fenster stand eine Skulptur aus beweglichen quadratischen Styroporplatten. Diese bildeten ein Quadrat. Langsam drehten sich die neun Einzelteile, so dass eine doppelt so grosse Fläche entstand, wenn jedes Quadrat auf der Spitze stand. Die öffnende Bewegung hielt mit einem Ruck an, bevor sich die Platten wieder in entgegengesetzter Richtung drehten. Sie schaute dem Spiel zu und wunderte sich über den verborgenen Mechanismus, der solches ermöglichte.
Barbara tritt ein. Holzboden, ein sicher 10 Meter hoher Raum. Beim Eingang eine Treppe zu einer kleinen Galerie, eine schwarze Wand, von der sie eine Überwachungskamera anlinst. Gleich neben dem Eingang eine quadratische Insel mit der Kasse und einem Bildschirm, wohl für die Abfrage des Katalogs. Schwarze, hohe Gestelle mit bunten Büchern. Sie schlendert zwischen den Auslagen durch. Musik, Tanz, Geometrie, Mathematik, Deutsch, Französisch, Englisch. Zum Tastaturschreiben fällt ihr nichts auf. Also fragt sie an der Kasseninsel. Die hilfsbereite Frau in schwarzen Kleidern überlegt kurz und führt sie dann zu einem Gestell unter der Treppe. Sie bückt sich und greift in ein Fach auf Kniehöhe. Sie zieht zwei dünne Büchlein hervor. Das sei alles, was sie hätten. Nein, für die erste Oberstufe gebe es keine speziellen Lehrmittel.
Barbara nimmt die spiralgebundenen Büchlein entgegen. Ins eine muss sie nicht schauen, es ist jenes, mit dem sie arbeitet, das andere ist, so schliesst sie aus dessen grafischer Gestaltung, ein älteres Lehrmittel. Sie blättert darin und findet es genau so uninspiriert wie jenes, das sie im Unterricht benutzt.
Sie spürt, wie die Enttäuschung in ihr hochsteigt. Schwere und Leere wie vor dem Bildschirm daheim breitet sich in ihr aus. Sie steckt die Büchlein zurück ins Gestell und schlendert dem Ausgang zu. Am Tisch mit den Büchern zur Psychologie des Lernens bleibt ihr Auge an einem Titel hängen: Relax! – Entspannt Lehrer sein. Sie greift danach und beginnt zu blättern. Sie nimmt es mit und setzt sich ganz hinten in der Buchhandlung an einen der kleinen Tische. Sie liest und wird ruhig. 80-20, Paretto-Regel. Mit 20% des Aufwandes erreicht man 80% des Ziels, 80% der Energie fliesst in die verbleibenden 20% zur Zielerreichung. Stimmt, sagt sie sich. Und das gilt besonders auch für meine Vorbereitungen für die Tastaturschreibstunden.
Sie schaut in den Raum hinaus. Es ist vollkommen still. Sie ist die einzige Kundin. Sie klappt das Buch energisch zu. Der Knall erschreckt die Frau an der Kasse. Barbara lächelt zufrieden. „Relax!“, sagt sie deutlich zu sich selbst. Sie nimmt das Buch, zahlt und tritt auf die Strasse hinaus. Als sie zurückschaut, öffnet sich die Skulptur wie eine Blume. Barbara lächelt.