Neben der Altbiertheke
Michael Guggenheimer
„Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zumute. Ich bin dort geboren, und es ist mir, als müßte ich gleich nach Hause gehn. Und wenn ich sage nach Hause gehn, so meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin…“. Geschrieben hat diese Zeilen der deutsche Autor Heinrich Heine, der 1856 in Paris verstorben ist. An der Bolkerstrasse 53 wurde er 1797 geboren. Die Adresse gibt es noch, auch wenn die Hausmauern neu sind. Und auch wenn Heines Werke nicht wirklich in diesem Haus entstanden sind: Das Haus gehört den Büchern und der Literatur. Selbstverständlich gilt eine Bücherwand seinen Werken und den Heinebiografien. Aber hier gibt’s noch mehr als Heine. Viel mehr.
Ortsfremde staunen über die Lage dieses Hauses, in dem die wohl literarischste Buchhandlung Düsseldorf domiziliert ist und wo sich im hinteren Bereich ein Literaturcafé befindet, in dem abends ein- bis zweimal pro Woche Autorenlesungen stattfinden. So wunderbar ruhig es in der Buchhandlung sein kann, so krachend laut kann es vor dem Haus zu und her gehen. Mit fünf Worten umschreiben Düsseldorfer ihre geliebte Altstadt: „Die längste Theke der Welt“. Und wirklich: in der Bolker- und in der Ratinger Strasse reiht sich eine Kneipe an die andere. Und schneit oder giesst es gerade nicht, dann stehen Männer und Frauen, Einheimische und Zugereiste an hohen Tischen vor den Kneipen und trinken das lokale Altbier, das in Gläsern zu 0.2 Litern vom Kellner, er heisst hier nicht Kellner sondern Köbes, auf einem Tablett gebracht wird. Pro Glas gibt es einen Strich auf dem Bierdeckel. Man steht lange und trinkt ausgiebig, man unterhält sich laut und ausführlich, hier trifft man sich nach der Arbeit, vor dem Kino oder einfach so.
Und mitten in dieser gemütlichen Hektik befindet sich die literarische Oase. Düsseldorf hat kein Literaturhaus. Wozu denn auch? Wenn man sich das Programm des Literaturbüros und der Buchhandlung im Heinehaus anschaut, dann weiss man: Hier erfüllen zwei Institutionen die Funktion eines Literaturhauses zur Gänze. Die Buchhandlung, die eigentlich „Müller & Böhm. Literaturhandlung im Heine Haus“ heisst, gehört zu den Wunsch-Auftrittorten zahlreicher Autoren. Beeindruckend die Zahl der Autorinnen und Autoren, die hier schon aufgetreten sind. Man begegnet ihnen beim Stöbern in den Bücherregalen. Denn jede Autorin und jeder Autor, der hier liest, wird neben seinen Büchern am Regal fotografiert. Der Papieraufzug des Bildes steckt einige Tage später gut sichtbar zwischen den Büchern. Selinde Böhm und Rudolf Müller, die beiden Eigentümer, die studierte Germanisten sind, moderieren manchmal auch eine Lesung oder ein Gespräch. Und dass die Interessen der beiden Besitzer weiter reichen als Literatur, ist Gästenamen wie Andreas Gursky, Alfred Brendel oder Harald Naegeli zu entnehmen.
Dass Literatur in dieser Buchhandlung nicht ausschliesslich deutsche Literatur ist, wird in dieser originellen Bildergalerie ebenso sichtbar wie in den Zeitungsartikeln zu einzelnen Autoren, die hinter den Schaufenstern der Buchhandlung auf Augenhöhe hängen. Der Buchladen ist eigentlich eine Art lange Passage von der Bölker Strasse zum Veranstaltungsraum hin, der sich als ein Café littéraire präsentiert. Windhündin Fiona liegt im Übergang von der Buchhandlung zum Lesecafé, sie muss hochliterarisch gebildet sein, wenn man bedenkt, wie viele Veranstaltungen sie hier schon mitgemacht hat. Eine Wand in diesem Veranstaltungsraum besteht aus einem breiten Bücherregal, vollgestopft mit Büchern. Nur kann man von keinem einzigen Buch den Titel oder den Autor lesen, weil die Bücherrücken zur Wand hin blicken und man von unendlich viele Büchern, nur noch den weissen und leicht vergilbten Blattschnitt sieht. So schön diese künstlerische Installation von Buchhändler Müller.
In der Neusstrasse haben die beiden Buchhändler angefangen. 2006 zogen sie dann mit ihrer Buchhandlung und den bemerkenswerten Lesungen ins Heine-Haus an der Bolkerstraße, wo ihnen das Kunststück gelang, inmitten des lauten Kneipenviertels ein geistiges Zentrum zu gründen. Als der niederländische Autor Cees Nooteboom vor einigen Jahren darum gebeten wurde, seine Lieblingsbuchhandlung zu nennen, da blieb er weder in Amsterdam noch in Maastricht hängen, sondern wählte die Buchhandlung von Rudolf Müller und Selinde Böhm und ernannte de beiden gleich zu seinen Lieblingsbuchhändlern! Im langgezogenen Laden geht man den hohen Bücherregalen entlang und staunt. Wo und wann hat man sonst zum letzten Mal Bücher von Joseph Kopf gesehen, der vor bald 40 Jahren in St.Gallen gestorben ist? Wie schön und erstaunlich, dass das Buch Bajass des Luzerners Flavio Steinmann in Düsseldorf zu haben ist! Wer hat die Buchhändler auf die stillen Bücher der Baslerin Irène Speiser wohl aufmerksam gemacht? Überhaupt stellt der Besucher aus der Schweiz fest, sind die Schweizer Autoren hier gut vertreten. Man studiert die Titel der vergangenen literarischen Veranstaltungen und bedauert, dass Düsseldorf doch acht Bahnstunden von Zürich entfernt liegt, so spannend ist die Zusammenstellung nicht weniger literarischer Gespräche, die hier in den letzten Monaten stattgefunden haben. Manches ist hier auch im guten Sinne kurios. So etwa Objekte, die hinter einer verschlossenen Glasvitrine zu sehen sind: Bleistifte, auf denen Namen von Verlagen eingraviert sind, kleine Figuren aus Ton, Plastik oder Knetmasse von Autoren, Verpackungspapierchen von Bonbons mit Verlagsnamen oder das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) aus den Jahren 1994 / 1995, das hier mehr als Zeitdokument denn als nützliches Hilfsmittel in einem Büchergestell auf Schuhhöhe liegt.
Müller & Böhm
Literaturhandlung im Heine Haus
Bolkerstrasse 53
40213 Düsseldorf
T: +49 0 211 311 25 22
www.literaturmueller.de
Konzentration auf Literatur
Heinz Egger
Erstaunlich ist die Lage: Kurz nach dem Eingang in die Boklerstrasse, in der sich Bierlokal an Bierlokal reiht. Eine Buchhandlung, die sich Literaturhandlung nennt und auch Veranstaltungsort ist. Daher stammt wohl auch der zweite Namensteil: Literaturcafé. Dorthin werde ich auch gleich geführt, Fau Böhm braut mir einen feinen Kaffee und unser Gespräch beginnt. Natürlich ist Fiona, die Windhündin, zuerst ein Thema. Sie liegt auf ihrem Bett und schläft. Sie sei wie eine Katze in der Wohnung zu halten, wenn sie ihren Bewegungsdrang ausgelebt habe. Das heisst jeden Tag unten am Rhein eine Stunde lang rennen, rennen, rennen. Ein Windhund schafft aus dem Stand 80 Kilometer pro Stunde. Fiona ist schon sieben, sie schaffe noch so 60.
Seit 27 Jahren sind Müller&Böhm im Geschäft. Sie sind beide Quereinsteiger. Herr Müller hat nach dem Kunststudium eine Ausbildung als Buchhändler absolviert, Frau Müller hat in Philosophie promoviert und ist etwas später ins Geschäft ihres Mannes eingetreten.
Zur Lage der Literaturhandlung schmunzelt Frau Böhm. Ja, das Publikum, das jeden Tag die Bolkerstrasse bevölkere, gehöre kaum zu den Kunden. Sie hätten die Lokalität gewählt, weil hinter der Bibliothek ein Raum für Veranstaltungen zur Verfügung steht.
Dieser Vortragsraum steht quer zum langen Raum der Buchhandlung. Auf einer kleinen Bühne stehen zwei runde Referententischchen je mit einem Mikrofon. Davor reihen sich moderne Stühle, es werden etwa 50 sein, dann zwei Reihen gediegener alter, gepolsterter Stühle. Dahinter wäre noch Raum für nochmals 50 Stühle. Vor der Rückwand steht ein kleiner Flügel. In die Rückwand ist ein Büchergestell eingelassen. Es ist voll. Allerdings zeigen alle Bücher den Schnitt. Das gibt ein ruhiges und doch sehr schön gegliedertes Bild. An den Wänden hängen Schriftsteller-Porträts und Karikaturen. Der Raum ist gediegen und hell, da er von einem Glasdach überdeckt ist.
Die Buchhandlung lebt denn von den Veranstaltungen und den Stammkunden. Der Ort ist mittlerweile so bekannt, dass die Autorinnen und Autoren selber an die Literaturhandlung gelangen und um einen Termin für eine Buchpräsentation oder eine Lesung bitten. Das laufe alles ohne die Verlage, sagt Frau Böhm. Und wenn bekannte Leute, wie beispielsweise Herta Müller, bei ihnen auftreten und ein sehr grosses Pulbikum zu erwarten ist, arbeite man mit dem Theater und der Oper zusammen.
Die Buchhandlung ist sehr lang, wie ein schmaler Schlauch. Der „zackige“ Durchgang etwa in der Mitte weist wohl darauf hin, dass der Raum der Literaturhandlung sich über zwei Häuser erstreckt. Es ist sehr hell, alles ist weiss. Ich habe zuerst etwas Mühe, mich zu orientieren. Alle weissen Gestelle reichen vom Boden bis zur Decke. Über eine Leiter an einer Gleitstange können die Bücher auf den höheren Tablaren erreicht werden. Viele Buchrücken, immer wieder unterbrochen mit Covers. Ein grosser Tisch auf Rollen mit Büchern schwer beladen.
Ich lese die Gliederungsaufschriften auf den Gestellen: Geschichte, Philosophie. Laut Frau Böhm liegt hier ein kleiner Schwerpunkt. Dies wohl ein Hommage an ihre eigene Ausbildung. Das Gestell enthält vor allem Grundlagenliteratur. Weiter sehe ich Theater, Antike, Deutsch. Dieser letzte Bereich ist der grösste und erstreckt sich über zahlreiche Gestelle. Weiter entdecke ich Griechisch, Osteuropa, Portugiesisch, Italienisch, Lateinamerika, Israelisch, Asien, Chinesisch, Afrika, Skandinavisch, Niederländisch. Die Bücher aus all diesen Ländern und unter diesen Sprachen liegen natürlich in deutscher Übersetzung vor. Es gibt ein Gestell mit englischer Literatur im Original, dann Krimis, allerdings nicht so viele wie sonst zu finden sind. Kunst, ein weiterer kleiner Schwerpunkt. Hier wohl das Steckenpferd von Herrn Müller. Zwischen den Büchern ragen immer wieder Einstecker hervor. Sie tragen ein Porträt. Alles Autorinnen und Autoren, die bei Müller-Böhm aufgetreten sind. Es sind unglaublich viele!
Während ich mit Frau Böhm rede, schaue ich durchs Fenster neben ihrem kleinen mit Büchern und Papieren völlig überladenen Bürotisch. Dort entdecke ich ein Strichmännchen in schwarzer Farbe. „Aber das ist nicht ein Nägeli, oder?“, frage ich. „Doch,“ entgegnet Frau Böhm. Harald Nägeli sei regelmässiger Gast bei ihnen. Und er habe immer wieder ihre Windhunde gezeichnet. Wir gehen zu den Bildern hin und Frau Böhm nennt Namen und ein paar Details aus den Hundeleben.
Um die vielen Eindrücke und die Informationen aus dem Gespräch festzuhalten, setzte ich mich in einen Fauteuil. Plötzlich steht Fiona neben mir. Sie hebt die Nase, schaut mich an, schnuppert an meiner Hand. Ich kann es nicht lassen, mit der Hand über ihren Rücken zu fahren. Das Haar ist ziemlich drahtig. Unter der Haut nur Muskeln. Dann streckt sich Fiona und tänzelt auf ihren langen Beinen elegant davon, wendet und kehrt zu ihrem Schlafplatz zurück.