Hadlaubstrasse 106, 8006 Zürich, T: 044 350 73 80, www.moneymuseum.com
Bibliothekseleganz
Es ist wohl die erstaunlichste Bibliothek, die ich kenne. Keine Bibliothek, in die ich jemanden hinschicken würde, um Bücher auszuleihen. Eine Bibliothek, die man anschauen und über die man staunen kann.
Es beginnt schon mit dem Bau. Ein grosses wenig auffallendes Wohnhaus am Hang, man fährt hin mit einer Standseilbahn, steigt an der ersten Haltestelle aus, geht an schönen Wohnbauten aus der Jahrhundertwende vorbei und nähert sich einem Gebäude, an dem man achtlos weitergehen würde, wäre man nicht hier verabredet.
MoneyMuseum steht am Eingang. Die Tür geht nicht automatisch auf. Auf das Läuten hin wird sie geöffnet, man wird begrüsst, verstaut Mantel und Tasche in der Garderobe, sieht sich in einem Ausstellungssaal mit modernem Sitzmobiliar um, in dem in Vitrinen alte Tausch- und Zahlungsmittel aus der Zeit vor dem Geldverkehr gezeigt werden und taucht anschliessend eine geschwungene Treppe hinunter, kommt unter Bodenniveau in einem grosszügig eingerichteten Saal und nicht aus dem Staunen heraus.
Ein moderner Parkettboden, eine Kassettendecke, Büchergestelle an allen vier Seiten, alles im warmen Holzton. Keine Regale aus einer seriell hergestellten Produktion, der Raum strahlt eine Vornehmheit und etwas Exquisites aus. Man befindet sich unter Bodenniveau und nimmt es vorerst nicht wahr, weil die Beleuchtung so gut ist. Anstelle von Fenstern ein grosser Bildschirm und zusätzlich zu den Bücherrücken in Vitrinen ausgestellte kunstvolle Bücher, aus denen Blumen spriessen, Bücher, die zu Kunstobjekten umgearbeitet wurden.
Ursula Kohler ist die Bibliothekarin, die den Besucher führt, Jürg Conzett heisst der Gründer und Besitzer der Bibliothek. Ein Sammler alter Münzen und schöner Bücher ist er. Früher war in diesem Gebäude ein privates Museum präkolumbianischer Gegenstände untergebracht. Die renommierte Zürcher Architektin Tilla Theus, die von Conzett en Auftrag hatte, eine Vitrine für das MoneyMuseum zu gestalten, hatte die Idee für die Ausstattung des Raums, der wohl die eleganteste Privatbibliothek Zürichs sein dürfte.
Eleganz strahlt auch der Hausherr in seinem blauen Anzug, gestreiften Hemd und roter Krawatte, der einem Bücher aus vergangenen Jahrhunderten zeigt. Drei Nischen weist der Raum auf, schallgedämpfte Arbeitsbereiche für Besucher, die sich hier zur Lektüre einfinden können. Conzetts Büchersammlung erstreckt sich von 1500 bis in die Gegenwart. Aus dem 16. Jahrhundert sind erste Chroniken vorhanden, dann folgen lateinische und deutsche Übersetzungen von römischen Autoren sowie Wissenschaftliche Werke aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Zu Beginn war das MoneyMuseum nicht eine Bibliothek, sondern ein Ort, in dem Zahlungsmittel aus verschiedenen Epochen der Geschichte aufbewahrt und gezeigt wurden. Die private Münzsammlung des Museumsgründers geniesst heute Gastrecht im Landesmuseum. Im digitalen Zeitalter werden die Münzen nicht mehr in Vitrinen gezeigt, In einem Ausstellungsraum neben dem Bibliothekssaal werden zwei Ausstellungen im Jahr gezeigt, in denen es um Ökonomie, Geschichte und Gesellschaft geht. Didaktisch schön aufbereitet, von Conzetts Mitarbeiterin Ursula Kampmann konzipiert, nicht zu gross, so dass man auch alle Erläuterungen lesen mag.
Jürg Conzett entstammt einer Familie von Buchdruckern. Die renommierte Kunstzeitschrift «Du» war lange Jahre im Conzett & Huber Verlag erschienen. Alle Ausgaben der Zeitschrift der Jahre 1941 bis 1989 sind in der Bibliothek vorhanden. Ebenso die Zeitschrift «In freien Stunden», die Conzetts Grossmutter Verena Conzett gegründet hat. Die Bände der Manesse Bibliothek stehen in den Büchergestellen, von jedem Band mehrere Exemplare. Früher war diese wunderbare Edition der handlichen Bände der klassischen Literatur ein Produkt der Familiendruckerei und des familieneigenen Verlags. Viele Bände des Diogenes Verlags in den Büchergestellen. Sie waren einst Teil der Privatbibliothek von Diogenes-Mitbegründer Rudolf C. Bettschart.
Überhaupt viele schöne Bücher im Raum. Auch wertvolle alte Folianten. Auch auf den zweiten Blick erkennt man die Anschaffungspolitik der Bibliothek nicht. Jürg Conzett hat eine Bibliotheksidee, die so ungewöhnlich ist. Die Bibliothek soll ein Ort des Austauschs sein. Vorbild ist ihm das antike griechische Museion, das zugleich Treffpunkt, Bibliothek und Platz zum Debattieren war. Daher die Veranstaltungen im Bibliothekssaal, in denen gesellschaftliche Themen verhandelt werden, meist zwar rund ums Thema Geld.
Conzett strebt keine herkömmliche Bibliothek an. Eher sieht er in ihr einen Ort zum Schmökern, einen Ort, an dem man zufällig Entdeckungen machen kann. Hier soll man sich ein Buch aussuchen, sich hinsetzen und lesen können. Belletristik, Geschichte und Geldmittel sind die Themen. Der Hausherr öffnet gewissermassen seine Privatbibliothek lesenden Besuchern, die Entdeckungsreisen unternehmen wollen. Ein Ort, an dem man Inspirationen holen können soll. Eher zufälliges Finden als systematisches Suchen als Aktivität an diesem Ort. An zwei Tagen die Woche ist die Bibliothek zugänglich. Anmeldung per Mail oder telefonisch ist erwünscht. Ein schöner Ort zum Anschauen und Verweilen, ein eleganter Ort auch, in dem man in Ruhe und vom Alltag entrückt lesen kann.
Geld und Geist
Es gibt vier Gründe, das MoneyMuseum in Zürich zu besuchen:
1) Wer sich für Geld interessiert, der findet hier eine Menge Material, das nicht nur Währungssysteme der vergangener Zeiten, sondern auch fremder Völker zeigt. Dabei geht es um Fragen, wie Wert erzeugt wird oder wer überhaupt Geld herstellen darf.
An zwei Maschinen kann man sich gar eine eigene Münze prägen, so wie das früher gemacht worden ist. Und er kann sich dort auch über Krypto-Währungen informieren. Da läuft dazu sogar eine Rechenanlage, ein Bitcoin-Miner, die hilft, Geld zu schürfen. Auf interaktiven Bildschirmen kann eine grosse Sammlung von Münzen betrachtet werden. Zum Thema Geld finden in den Räumlichkeiten auch regelmässig Veranstalungen statt. Die behandelten Themen sind vielfältig und in der Geschichte des Museums alle dokumentiert.
2) Die Architektur. Das Museum hat einen Eingangsbereich mit Garderobe, Sitzecke, Wasserausschank, Toiletten und grosser Vitrine mit Ausstellungstücken zum Thema Zahlungsmittel. Allerdings saugt einen quasi eine elegante, hölzerne Wendeltreppe ins Untergeschoss an.
Dort kommt man ins „Holztruckli”, wie die Architektin Tilla Theus es nennt. Die Verkleinerungsform ist allerdings nicht angebracht, denn man gelangt in eine riesige Halle, die wirklich völlig mit Holz verkleidet ist: Decke, Wände, und Säulen sind mit dem rötlich schimmernden Holz der Elsbeere belegt. Der Boden trägt dunkles, sehr lebendiges Parkett. Ein helles Liniennetz aus aneinandergereihten Quadraten, die jede Reihe wechselnd um ein halbes Quadrat versetzt sind, überzieht den Boden. Die Decke ist analog dazu mit einer Elsbeerleiste gegliedert.
Die Architektin Tilla Theus hat die Räume des Museums 2018 völlig neu gestaltet. Wie der Verlegerssohn Jürg R. Conzett auf diese Architektin kam, ist eine eigene Geschichte. Eigentlich wollte er dem Raum neues Leben einhauchen und studierte an neuen Vitrinen herum. Da kam er bei einer Tafelrunde ins Gespräch mit Tilla Theus. Er fragte sie, ob sie als Architektin auch eine Vitrine herstellen würde. Sie bejahte, wollte aber unbedingt die Räume, in der die Vitrine stehen sollte, sehen. Vitrine und Raum müssen zusammenpassen. Daraus entstand schliesslich das neu gestaltete Untergeschoss. Dieses bildet den würdigen Rahmen für Veranstaltungen. Der Raum ist gross genug, um bis zu 40 Personen zu empfangen. Akustisch ist das hölzerne Gehäuse sehr gut. Man hört Personen im Raum kaum sprechen, nicht einmal von grünem Tisch zu grünem Tisch in den Nischen. Einzig dort, wo jeweils die Sprecher an einer Veranstaltung stehen, werde der Schall gut weitergeleitet. Das Programm für das erste Halbjahr 2020 verzeichnet sieben Veranstaltungen.
3) Ausstellungen. Von der hölzernen Halle aus gelangt man durch eine Türe in einen kleinen Raum, der vielleicht 12 Quadratmeter gross ist. Vitrinen säumen die Wände. Sie sind hell erleuchtet und es liegen Bücher darin, kleine Steller und auf Bildschirmen, die von aussen gesteuert werden, kann weitere Information abgerufen werden. Der Ausstellungsraum, der „Goldraum” genannt wird, weil darin früher die Goldmünzen der Azteken ausgestellt waren, wird zweimal jährlich neu bespielt. Jede Ausstellung wird von einem Ausstellungskatalog und multimedialen Inhalten begleitet, die alle auch online zum Lesen und Nachhören verfügbar sind.
4) Es liegt nahe, dass ein Sohn aus einer Verlegerfamilie auch eine grosse Bibliothek besitzt. Platz für viele Bücher bieten die langen Wände der Halle. Es sind schon mehr als 30’000 Werke versammelt. Doch nicht alle Tablare sind voll besetzt, was dem Ganzen Leichtigkeit verleiht. Freie Tablare werden auch für Ausstellungsobjekte genutzt, beispielsweise sind Buchobjekte des Künstlers Martin Schwarz ausgestellt: Bücher, die blühen, Bücher, aus denen Kristalle oder Korallen wachsen, Bücher, in denen Lebendiges haust. Und dann fallen die vielen weiss-ledernen Rücken auf. In dieser Bibliothek steht eine namhafte Sammlung von bibliophilen Büchern. Die ältesten stammen aus dem 16. Jahrhundert. Und das schönste daran ist, dass jede Besucherin und jeder Besucher diese Bücher herausnehmen und ansehen darf. Diese Bibliothek ist auch in weiterem Sinne anders als andere. Sie ist eine reine Präsenzbibliothek. Sie besitzt keine von aussen sichtbare Ordnung. Man geht also hinein und findet, was man gar nicht sucht. Wer flaniert, schmökert und verweilt, wird hier viele Schätze finden. Unter anderem, das ist der Verlegerfamilie geschuldet, stehen alle Bände des Manesse-Verlags von 1944 bis 1984 da, der grösste Teil von Diogenes-Büchern – diesen Bestand kaufte Jürg R. Conzett aus dem Nachlass des Diogenes-Mitinhabers Rudolf. C. Bettschart. Darin enthalten ist auch das erste Buch, das der Verlag 1952 herausbrachte, inklusive Unterschrift von Max Frisch. Alle „Du”-Hefte schön in Leinen zu Jahrgangsbüchern gebunden ab 1941 bis 1989 stehen da, Werke aus dem Conzett- und Oesch-Verlag und die Bibliothek des Sozialökonomen Prof. Franz Ritzmann.
Einen durchsuchbaren Online-Katalog gibt es nicht. Aber für all die Werke stehen Zusammenstellungen bereit: Literatur – Büchersammlung MoneyMuseum, Literaturverzeichnis – Manesse, Diogenes, Ritzmann und Verzeichnis bibliophiler Bücher, 16.-18. Jahrhundert.
Das MoneyMuseum folgt mit seiner Ausrichtung der Idee des antiken Museion: Es ist Ort einer grossen Bibliothek, Raum fürs Debattieren und Ort für Weiterbildung. Es lohnt sich, eine Führung zu buchen. Auf Anmeldung ist das MoneyMuseum jeweils am Donnerstag und Freitag offen.