Englisch im Kreis 3
Michael Guggenheimer
„This isn’t the sort of thing that happens to someone like you“ steht auf dem Cover eines Buchs im Schaufenster der Buchhandlung „Pile of Books“ an der Zentralstrasse. Nevertheless it happend to Daniel Nufer: Der Thurgauer aus Weinfelden, weder Anglist noch Literaturwissenschaftler, ursprünglich weder Buchhändler noch Bibliothekar, hat vor sieben Jahren in einer Stadtgegend, wo man sie nicht erwarten würde, eine Buchhandlung eröffnet, die ausschliesslich englischsprachige Titel führt. Zwar kann man hier auch jedes andere Buch bestellen, das jede andere Buchhandlung in Zürich besorgen kann, spezialisiert ist Nufers „Pile of Books“ aber auf Literatur aus dem angelsächsischen Raum. Sein Englisch sei nicht perfekt, aber er liebe die englischsprachige Literatur. Von der Arbeit im Sozialbereich hat er zu den Büchern und zur Literatur gewechselt. Seine Frau wirkt im Hintergrund mit, Angestellte hat Daniel Nufer keine. Expats machen etwa die Hälfte seiner Kundschaft aus, die anderen sind Schweizer und Deutsche, die gerne Englisch lesen und den grossen Laden von Orell Füssli an der Bahnhofstrasse weniger mögen.
Wer an die Zentralstrasse kommt, den erwarten drei Räume, welche die Gemütlichkeit einer Wohnung ausstrahlen. „Will you please be quiet, please?“ heisst es auf einer Tür. Das ist eher ironisch gemeint, denn hier herrscht meistens jene konzentrierte Stille, die Leser beim Stöbern eigen ist. Bequeme Sessel, Clubtische, auf denen Bücher liegen, helles Licht und Ruhe sind Merkmale eines Bücherreichs, in dem Belletristik, neue und bereits gelesene Bücher angeboten werden. Fiction, Crime, Science Fiction, Music. Special Interest, Childrens Books, Teen Fiction und Used Books heissen die einzelnen Bereiche der Buchhandlung. Die neuste Ausgabe der wunderbaren „New York Review of Books“ ist ebenso vorhanden wie die letzten acht Ausgaben des „New Yorker“. Das einzige deutschsprachige Buch, das einem auffällt, ist Bernadette Conrads „Die vielen Leben der Paula Fox“. Von den beiden Schaufenstern schauen einen Fotos in Schwarz-Weiss von Schriftstellerinnen und Schriftstellern an, Bilder einer grossen Porträtserie des Taschenbuchverlags Penguin. Ein offener hellbrauner alter Koffer vor dem einen Schaufenster ist mit gelesenen Taschenbüchern gefüllt. In der zweistündigen Mittagspause bleibt der Koffer geöffnet. Wer lesen mag, der hole sich ein Buch aus dem Koffer und setzte sich auf eines der beiden gelben Gartenstühle vor dem Schaufenster und lese in einem Roman und vergesse nicht das Buch zurückzulegen oder auf Daniel Nufer zu warten, um ihm das Buch zu bezahlen.
Pile of Books
Zentralstrasse 16
8003 Zürich
T: 043 333 29 45
www.pileofbooks.ch
… und fand eine Welt
Heinz Egger
John schloss das Fenster, drehte sich um und fragte: „What shall we do this rainy day?” Patty, seine Geliebte, räkelte sich noch im warmen Bett. Sie murmelte etwas, was so viel hätte heissen können wie „We need a pile of books”.
Aus Spass griff er nach seinem iPad und „googelte” „Pile of books”.
Er staunte nicht schlecht, dass sich zuoberst im Suchresultat eine Buchhandlung in Zürich fand. Sie hiess tatsächlich „Pile of Books“: Crime, Fiction, Literary Biography, Non Fiction, Poetry, Special Interest, Used Books. Eine einfache Darstellung des Angebots, aber da liesse sich bestimmt etwas finden …
Kurz vor Mittag trafen sie unter dem Regenschirm vor der gesuchten Buchhandlung ein: Unter orange-weiss gestreiften Sonnenstoren standen ein Tisch mit Aschenbecher und zwei zitronengelbe Gartenstühle, auf dem Fenstersims ein offener Koffer mit Büchern. „What a welcome!”, entfuhr es John und er musste lachen. Denn die Schaufenster erinnerten ihn an den elterlichen Laden in Brooklyn. Sie verkauften Bettwaren. Weiss gestrichenes Holz, abgerundetes Glas zu den beiden Eingangstüren. Sie traten unverzüglich ein, um dem Regen zu entfliehen.
Drinnen überraschte sie die Buchhandlung noch mehr. Während sie von Raum zu Raum schlenderten, kam es ihnen vor, als wären sie in einer Wohnung. Im Zimmer mit den Used Books standen auf einem eichenen Parkettboden Fauteuils, eine Kommode und ein Salontisch mit feinen Einlegearbeiten. Davon war allerdings nicht viel zu sehen, denn die ganze Fläche war mit Stapeln von Büchern bedeckt – Piles of Books.
Patty schnappte sich schnell ein paar Bücher, machte es sich in einem der Sessel bequem und begann zu blättern. Sie hatte The Book of Bunny Suicides: Little Fluffy White Rabbits That Just Don’t Want To Live Any More, von Andy Riley (2003) in den Händen und lachte bald Tränen.
John streifte den Gestellen mit den vielen Paperbacks entlang. Mehrmals blieb er stehen und schaute auf die kräftigen Farben der Buchrücken. „Ein abstraktes Gemälde“, dachte er. Er suchte nichts, fand aber auch nichts. Er schaute durchs Schaufenster auf die Strasse hinaus und staunte: Orthodoxe Juden gingen vorbei. Wieder eine Erinnerung an Brooklyn. Auch bei seinen Eltern sah er die schwarz gekleideten, bärtigen Männer unter ihren grossen Hüten.
Schliesslich wandte er sich an den Ladenbesitzer und fragte, weil er ihn testen wollte, nach Limericks oder Haikus. Erstere habe er seines Wissens nicht, aber einen Gedichtband eines Dichters, der auch Haikus geschrieben habe, sei da, entgegnete der Besitzer in tadellosem Englisch. Er drehte sich kurz zu einem Gestell und zog ein kleines Bändchen hervor: Kerouac, Poems all Sizes. John griff danach, öffnete es und fand ein Haiku:
Came down from my
ivory tower
and found no world
John klappte das Büchlein zu und schmunzelte. Er hatte seine Welt gefunden. Während er bezahlte, fragte er nach der früheren Verwendung des Ladens. Es sei eine Haushaltwarenhandlung gewesen und es scheine, dass die Leute in den hinteren Räumen auch gewohnt hätten. Und ob die Juden auch bei ihm einkauften? Der Besitzer lachte und sagte: „Nein, oder nur ganz selten.” Und dann müsse es immer ganz schnell gehen. Letzthin sei einer mit dem Auto vorgefahren, habe es auf der Strasse stehen lassen – wohl mit laufendem Motor, ergänzte er mit gedämpfter Stimme –, sei in den Laden geeilt, habe Angelmaker von Nick Harkaway verlangt, bezahlt und sei sofort wieder verschwunden.
Patty stiess schliesslich zu ihnen – ohne Bücher. Sie konnte sich nicht entscheiden.