Sex im Alter
Heinz Egger
„Wie alt bist du eigentlich?“ – „Na, ich werde dieses Jahr 60.“ – „Dann könntest du dich ja einmal in der Bibliothek von Pro Senectute umsehen.“ – „Ach, die haben auch eine Bibliothek? Das wusste ich nicht. Warum gerade bei der Organisation fürs Alter? Ich kann doch auch in jede andere Bibliothek gehen.“ – „Tja, du stehst nun kurz vor der Pensionierung und könntest dich doch mit Themen des Alterns auseinandersetzten. Würde ich dir auch raten. Das darf ich dir doch als 80-Jähriger sagen, oder?“ – „Du hast das anscheinend gemacht. Was finde ich denn in dieser Bibliothek genau? Und kann da einfach jeder reinlaufen und sich bedienen?“
Die Bibliothek der Pro Senectute steht tatsächlich jedermann zur Verfügung. Die Ausleihe ist gratis. Sie ist eine sehr fokussierte Bibliothek. Die grösste ihrer Art schweizweit. Daher bemüht sich die Bibliothek nicht nur deutsche, sondern auch französische und italienische Bücher anzubieten. Auch englische gibt es. Das Thema heisst das Alter. Jedes von den etwa 50’000 Medien muss einen Bezug zum Alter haben. Da gibt es Fachbücher – das ist die grosse Mehrheit – Belletristik, Musik und Filme. Hörbücher gibt es hingegen nicht, die haben ein anderes Zielpublikum.
Da im Raum an der Bederstrasse nicht alle Bücher ausgestellt werden können, steht ein Katalog zur Verfügung. An zwei Arbeitsstationen kann er eingesehen werden – natürlich auch von zu Hause, denn alles läuft über die Suchmaschine der im Bibliotheksverbund Alexandria angeschlossenen Bibliotheken (www.alexandria.ch). Auch Zeitschriften gibt es in grosser Auswahl, nicht nur auf Deutsch, wie folgende Titel zeigen: The Gerontologist, European Journal of Ageing, Générations Plus, Gérontologie, Vie et vieillissement, Soins Palliatifs. Zeitschriften sind nicht ausleihbar. Aber es wird gegen ein kleines Entgelt jeder gewünschte Artikel gescannt. Einige werden auch katalogisiert.
Die Bibliothek sieht sich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. So suchen sie denn vorwiegend Fachleute aus der Altersarbeit, Ergotherapeuten, Architekten oder Leute, die mit Demenzkranken arbeiten, auf. Sie richtet sich an Praktiker.
„Ich sehe, du kennst den Ort sehr gut. Das ist eine Themenbibliothek, die mich nicht unterhalten, sondern informieren will. Nun, sag mal, gibt es da auch Bücher über Sex im Alter? Ein Thema, das in letzter Zeit immer wieder in den Medien ist.“ – „So, das interessiert dich, du alter Gockel. Ich weiss nicht, da müsstest du schon die Suchmaschine bemühen. Aber ich weiss dazu noch eine kleine Geschichte, die ich kürzlich gelesen habe: Ein Ehepaar betrachtet belustigt die anderen älteren Leute beim Morgenessen im Hotel. Gar mancher trägt seinen Kopf etwas schief oder macht im Hals einen steifen Eindruck. Sie lächeln. Ihnen passiert das nicht, weil sie die unförmigen, dicken, quadratischen oder rechteckigen Pfulmen aus dem Bett verbannen. Sie nehmen ihre eigenen Kopfkissen mit und schlafen so wunderbar miteinander, eng umschlungen oder auch nicht.“
„Hm, ich verstehe. Es macht mich allerdings nachdenklich. Ich nehme schon seit Jahren mein geliebtes Hirsekissen ins Hotel mit …“
Pro Senectute Bibliothek
Bederstrasse 33
8002 Zürich
T: 044 283 89 81
www.bibliothek.pro-senectute.ch
Alles zum Thema Alter
Michael Guggenheimer
In ihrem neuen Buch „Der Herbst, in dem ich Klavier spielen lernte“ beschreibt die in Kilchberg wohnhafte Schriftstellerin Hanna Johansen tagebuchartig, wie sie sich im Alter von über 70 Jahren mit einem Lehrbuch aber ohne Lehrer das Klavierspielen beibrachte. Erinnerungen an die frühe Kindheit im Krieg in Deutschland, Reflexionen über Lernprozesse und Beobachtungen über ihre beiden erwachsenen Söhne begleiten das Buch, in dem die Musik eine wichtige Rolle einnimmt. Es ist ein Buch, für das die Autorin mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde, ein Buch, das genau zu jenen 50 000 Medien passt, die in der Bibliothek der Pro Senectute Schweiz vorhanden sind.
Wer erwartet, in der Bibliothek der Stiftung für das Alter ausschliesslich älteren Personen zu begegnen, der staunt über deren Besucherstruktur. Studierende gehen hier ein und aus. Aktivierungstherapeuten, Sportkursleiter und Fachleute im Weiterbildungsbereich gehören zu den regelmässigen Benutzern der grössten Fachbibliothek der Schweiz, die sich auf die Themenbereiche Alter, Altern und Generationenbeziehungen spezialisiert hat. 50 000 Franken stehen den Bibliothekaren im Jahr für Neuanschaffungen zur Verfügung. Und die Bandbreite der Anschaffungen beeindruckt: Altersheimarchitektur, neue Wohnformen im Alter, Biografiearbeit mit älteren Menschen, Gesundheit im Alter, Arbeitsmittel für das Gedächtnistraining, Psychologie und Soziologie des Alters. Fragen rund um die Sozialversicherung gehören ebenso zum spezialisierten Sammelgebiet wie Romane, Erzählungen und Biografien, in deren Zentrum das Altern stehen. Und weil sich die Bibliothek als ein Dienstleistungsort für Lesende in der ganzen Schweiz versteht, führt sie auch Medien in französischer, italienischer und englischer Sprache. Es kann vorkommen, dass im Hinblick auf einen Vortrag nicht leicht zu erwerbende Bücher sogar eigens angeschafft werden. „The Role of the Aged in Primitive Society“ aus dem Jahr 1945 etwa, wurde im September 2014 in den USA erworben, weil es zum Gastreferat eines ausländischen Gerontologen passte.
Bibliothekarin Barbara Stammler berichtet, dass immer wieder auch ältere Bewohner aus der nahen Umgebung der Bibliothek vorbeischauen, um ein belletristisches Werk mit nach Hause zu nehmen oder an einem der beiden Computer der Bibliothek etwas im Netz zu suchen. Wer nicht in Zürich oder in der Nähe von Zürich lebt, kann die Bestände der Bibliothek auch im Netz über die Website der Bibliothek oder über die Internetplattformen „Alexandria“ und „Swissbib“ absuchen und Bücher elektronisch bestellen, die dann per Post gegen Versandgebühr verschickt werden. Die Ausleihe ist für alle Personen, die an der Bederstrasse in Zürich vorbeikommen, kostenfrei.
Mehrmals jährlich werden Kurzbesprechungen neu erworbener Bücher im Netz publiziert. Prospekte, in denen Diplomkurse im Bereich der Gerontologie angeboten werden, liegen in der Bibliothek auf. Zeitschriften zu den Themenbereichen Lernen und Alter sind hier zu finden. Befragt, ob die Bestände der Bibliothek nicht besser in der grossen Zentralbibliothek Zürich (ZB) gelagert werden könnten, weist Dieter Sulzer, Leiter der Bibliothek, auf die Fachkompetenz der spezialisierten Bibliotheksmitarbeiter hin. Während in einer grossen Unibibliothek spezialisierte Bestände verstreut und fernab der Benützer lagern, können Besucher der Pro Senectute Bibliothek von einem Regal zum nächsten gehen, Bücher herausholen, sie anschauen und für die Dauer eines Monats mit nach Hause nehmen.
Wie niederschwellig der Zugang zur Bibliothek gehalten wird, erlebt wer am Sitz der Bibliothek vorbeigeht: Man sieht von der Strasse aus die Bücherregale und die Sitzgruppe, die Tische, an denen gearbeitet werden kann. Dass die Gruppe der Senioren nicht nur gebrechlich ist, dass das Leben als ältere und alte Person heute weitaus länger dauert und von mehr Aktivitäten gekennzeichnet ist als das Leben der Alten vor wenigen Generationen noch, zeugt die Kaufkraft der Menschen im Alter ab 60 und 65. „Marktmacht 50 plus“ ist bloss eines von vielen Büchern zum Thema. Und seit Andreas Dresens Film „Wolke 9“ ist das Wissen verbreitet, dass Menschen der dritten Generation ebenso auf der Suche nach Zärtlichkeit und Sexualität sind wie jüngere. Selbstverständlich ist dieser Film als DVD bei der Pro Senectute Bibliothek zu haben. Sogar in einer französischen Version. Und die neuste Publikation zum Thema, Ann-Marlene Hennings und Anika von Keisers Aufklärungsbuch für Erwachsene „Make more love“, ist vier Wochen nach dem Erwerb bereits ausgeliehen. Ein gutes Zeichen!