Sammelpunkt – Antiquariat für Trivialliteratur, Zürich

Paradiesvogel

Michael Guggenheimer

Illustrierte Klassicker - die spannenden Geschichten der Weltliteratur

„Illustrierte Klassiker“ hiessen die Hefte, die ich als Schüler am Kiosk auf der Traminsel am Koniniginnenplein in Amsterdam kaufen durfte. Ich weiss nicht mehr, wie häufig diese Hefte erschienen sind. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass der Kioskbesitzer in einer Box stets eine Auswahl dieser Hefte vorrätig hatte, die den Untertitel „Die spannendsten Geschichten der Weltliteratur“ trugen. Heute nehme ich an, dass meine Eltern den Kauf dieser Hefte nur deshalb erlaubt haben, weil hier das Wort „Weltliteratur“ vorkam. Ich habe als Schüler über die Illustrierten Klassiker Hamlet und Macbeth, Robinson Crusoe, die Drei Musketiere und viele andere Figuren und Geschichten zum ersten Mal kennengelernt. Irgendwann habe ich die illustrierten Klassiker vergessen. Bis vor kurzem als ich „Sammelpunkt“ in Zürich betrat, den Laden auf dessen Schaufenster „Antiquariat für Triviallliteratur“ steht. Die Bezeichnung mag bei Belesenen und Gebildeten ein Nasenrümpfen und ein Zögern beim Betreten des Ladens auslösen. Zu Unrecht! „Sammelpunkt“ ist ein Eldorado für Freunde von allen Heften und Büchern, in denen Zeichnungen und Texte sich ergänzen und sich bedingen. Ob Manga, Science Fiction oder Bande dessinée, ob in deutsch, englisch, französisch oder italienisch. Geschätzte 250 000 Titel sind in den diversen Bereichen von „Sammelpunkt“ gelagert. Wem diese Zahl als übertrieben erscheint, der gehe hin und staune über die an Figuren so reiche Welt der diversen Gattungen gezeichneter Literatur.

Comics so weit das Auge reicht. Auf der Theke wartet Donald Duck.

„Sammelpunkt“ mit seinen vier Schaufenstern erstreckt sich über mehrere Räume. Man betritt den Laden links vom Eingang eines Wohnhauses aus der Jahrhundertwende des vorigen Jahrhunderts und kann das Jugendstil-Treppenhaus durchqueren, den auch die Bewohner benutzen, um in den anderen Teil des Geschäfts zu gelangen, in dem Geschäftsführer Mark Severa mehrere Galerien hat einbauen lassen, so dass man sich in dem hohen Raum von einem Bereich zum anderen bewegen kann. Wem das noch zu wenig ist, der kann in die Katakombe hinuntersteigen. Und wer noch mehr Lesestoff sucht, dem öffnet Mark Severa vertrauensvoll noch den Keller, in dem es mit Büchern und Heften weitergeht. „Sammelpunkt“ führt Comics oder Bandes Dessinées in allen Variationen. Japanische Mangas und amerikanische Pulps, italienische Fumetti gibt es hier ebenso wie viel Fantasyliteratur, Kinderbücher und Romanhefte. Donald Duck und Mickey Maus wohnen hier ebenso wie MAD, Perry Rhodan, Jerry Cotton und Tim und Struppi. Aber bei weitem nicht nur sie. Akira aus Japan, und Dragon Ball sowie Nori Taka warten hier auf Leser. Und Inhaber Mark Severa kennt mehrere Kunden, die so gute Kenner der japanischen Szene sind, dass sie damit begonnen haben, ernsthaft Japanisch zu lernen, um auf der Höhe der neusten Mangaliteratur zu bleiben.

Sammelpunkt wurde 1997 eröffnet und ist der grösste Laden seiner Art in der Schweiz. Der Ort kann durchaus als DIE Adresse für Trivialliteratur, der Dreh- und Angelpunkt von und für Fans bezeichnet werden. Im Laufe der Zeit hat sich der Laden auch zu einem Begegnungsort für Gleichgesinnte entwickelt, in dem auch Lesungen aus Fantasybüchern stattfinden. Kinder suchen „Sammelpunkt“ auf, um mit mehreren Comicsbänden wieder den Laden zu verlassen. Aber auch ernsthafte Sammler und Ästheten gehören zu den regelmässigen Kunden: Erstausgaben berühmter Comics können bis zu 60 und 80 Franken kosten, auch wenn sie bloss 24 oder 36 Seiten dünn sind. Und ganz seltene Stücke, die Mark Severa führt, erzielen Sammlerpreise, die vier und fünfstellige Preise haben. Dass Severa zu den seriösen Anbietern im Bereich antiquarischer Bücher gehört, zeigt eine Urkunde gleich bei der Eingangstür: „Sammelpunkt“ ist Mitglied des „Vereins der Buchantiquare und Kupferstichhändler in der Schweiz (VEBUKU)“. Und Severa hat auch schon an der Antiquariatsmesse im Kunsthaus Zürich teilgenommen und hätte dank seiner Spezialisierung niemanden im Verein konkurrenziert. Mark Severa selbst bezeichnet sich als den „Paradiesvogel“ des Vereins. Wie breit die Palette der Hefte, der Broschüren, Bücher und Sammelbände bei „Sammelpunkt“ sind, erlebt, wer sich die Zeit nimmt, die Angebote aller Galerien, des Verbindungsgangs und der Kellerbereiche anzuschauen: Adventure Gamebooks, das Kunstgenre Steampunk, indische Manwas, Panini-Einklebealben, US-Western, angelsächsische Mysteryliteratur, Legenden und Mythen aus Europa und Übersee, Fliegerbücher und Horrorliteratur finden sich hier ebenso wie Thriller und Krimis oder der Bereich Okkultismus und eine ganze Wand mit Märchenliteratur. Zum Angebot gehören aber auch Comicfiguren von Disney, Superhelden und sogenannte Trading Figures. Und weil es immer mehr Sammler all dieser Genres gibt, nimmt Mark Severa auch Schätzungen von einzelnen Heften und Büchern und ganzer Sammlungen von Trivialliteratur vor, die gerade dann wichtig sind, wenn passionierte Sammler ganze Kollektionen versichern wollen. „Ob Märchen, SciFi oder Horror-Thriller – Berührungsängste kennen wir nicht“, sagt Severa. „Unser Angebot umfasst nicht die populärsten Genres, aber gerade deshalb sind wir besonders stolz auf unsere Auswahl.“

Severa, Sohn einer deutschen Mutter und eines tschechischen Vaters mit Vorfahren in Portugal, dessen erste Sprache Flämisch war, hat nach dem Umzug in die Schweiz über den Kontakt mit anderen Kindern die Comics entdeckt. Der gelernte Feinmechaniker hat die Liebe zu den gezeichneten Geschichten nie verloren. Weil seine Kundschaft weit über Zürich hinaus reicht, führt er einen Onlineshop, der sich sehen lassen kann: Ob Text oder Comic, neben den Einzelstücken bietet er komplette Serien, Zyklen und Sequenzen an! Und weil es wirklich leidenschaftliche Sammler von Text-Bildgeschichten gibt, sind die Preise durchaus marktorientiert und richten sich nach dem Zustand jeder einzelnen Publikation und – man staunt nicht mehr – nach internationalen Katalogen. William Shakespeares Macbeth gibt es bei Reclam für Fr. 4.80. Machtgier, Verführung und Mord des Fürsten, der von seiner Frau angestachelt wird, kosten in der bebilderten Erstausgabe von Albert Kanters „Illustrierte Klassiker“ Fr. 60.- . Vielleicht doch noch kaufen, um die Erinnerungen an die Zeiten der Kioskbesuche von damals nochmals aufzufrischen?

Sammelpunkt
Kalkbreitestrasse 84
8003 Zürich
T: 044 463 03 76
shop.sammelpunkt.ch/

 

Paradies des Schrägen

Heinz Egger

Grosse Augen. Grosse Kinderaugen. Gleich beim Eingang begrüsst Donald Duck den Erstleser Jürg. Er ist aufgedruckt auf die Rücken einer Sammlung seiner berühmten Geschichten. Da staunt der kleine Besucher und selbst in den Augen des Vaters glimmt die Erinnerung an seine Jugend. Die Freuden mit den Enten und ihrem überreichen Onkel, der im Geld baden geht, kommen wieder hoch. Der Bestand an Comics für Kinder und Junggebliebene ist riesig. Ganze Sammlungen sind da – und wer als Sammler einen bestimmten Band sucht, dem verkauft Mark Severa auch einen einzelnen daraus.

Das Antiquariat belegt zwei Räume im Parterre des Hauses. Diese Räume waren einst Gemüseladen, dann Schneiderei und Lager eines Lederhändlers. Jeder Quadratmeter ist aufs beste ausgenützt. Die hohen Räume erlaubten den Einbau einer Galerie. Die Konstruktionen sind alle aus Holz. Das ergibt ein freundliches Bild zusammen mit den vielfarbigen Büchern in den Gestellen. Grosse Schaufenster spenden Licht.

Jürg hat schnell sein Reich gefunden. Er ist die Treppe hinaufgestiegen, sitzt am Boden und liest in einem Band Asterix. Der Vater hingegen hat die langen Schachteln mit den Mickey-Maus-Heften entdeckt. Sie sind schwer, diese Archivschachteln. Papier ist schwer. Er hat die Schachtel mit den Jahrgängen 1951 bis 1959 hervorgeholt. Er staunt, wie viele der alten Hefte da sind. Der Zustand ist ebenfalls auffallend. Durchwegs sind die Hefte fast wie neu. Das liegt daran, dass Mark Severa oft ganze Sammlungen aufkauft. Sammler schauen ihre Lieblinge an, aber tragen ihnen sehr Sorge. So macht es auch der Vater. Er blättert, liest, blättert vorsichtig und entschwebt in Gedanken in seine Jugendtage.

Gestelle für Tausende Hefte und Bände auf zwei Ebenen

Er steigt hinauf zu Jürg und betrachtet, was er herausgezogen hat. Er brauche noch Zeit, sagt Jürg. Der Vater schaut in die Gestelle und sieht, dass da nicht nur das, was gemeinhin als Trivialliteratur bezeichnet wird, angeboten wird. Er blättert in der gezeichneten Autobiograpie von Yoshihiro Tatsumi. Ihr Titel heisst „Gegen den Strom“.

Dann hält er einen der vielen Mangas in den Händen und staunt über den Aufdruck auf dem Umschlag: Achtung! Dieser Manga liest sich wie das japanische Original von rechts nach links.

Jürg ruft seinen Vater herbei. Schau, da gibt es ja Asterix-Bücher auf Mundart. So eines muss ich haben. Darf ich „Asterix und Obelix uf Irrwäge“ haben? Der Vater nickt stumm.

Gestelle für Tausende Hefte und Bände auf zwei Ebenen

Zusammen durchstreifen sie die beiden Räume. Im schmalen Seitengang nach dem ersten Raum steht auf der einen Seite eine Sammlung erotischer Bücher. Gegenüber stehen zahlreiche DVDs. Sie sind geordnet. Gross angeschriebene Einstecker zwischen den Hüllen. Horror. Zombie. Science-Fiction-Klassiker. Horror-Klassiker, Klassiker und Kultfilme. Die DVDs verkaufen sich leider nicht mehr so gut, sagt Mark Severa. Die Filme können heute einfach vom Internet geladen werden. Aber er sammelt trotzdem weiter: Klassiker und alles, was etwas schräg ist. Letzteres gilt auch für einiges Anderes im Laden. Jürg hat eben einen kleinen Roboter aus Blech entdeckt. Ein ausgestopfter Fuchs wacht darüber, dass niemand eines der Figürchen von Frankenstein, Dracula oder von einem Werwolf einfach in die Manteltasche steckt.

Im zweiten Raum stehen die Bücher für Jugendliche und viele, viele Science-Fiction-Romane. Sie sind teilweise auf Englisch geschrieben. Überhaupt sind die beiden Besucher überrascht, dass da zwar sehr viel Deutsches, aber auch englische, französische und deutsche Bücher verfügbar sind.

Während Jürg wieder in den ersten Raum zu Goofy und Co. zurückkehrt, steigt der Vater auf die Galerie. Seine Augen wandern über das unglaubliche Angebot. Ganz am Ende der Galerie entdeckt er Werke von Stanislav Lem, unter anderem Erstausgaben: Lokaltermin, Der Schnupfen, Rückkehr von den Sternen. Daneben warten Werke von E.T.A. Hoffmann auf Käufer: Phantastische Stücke, Die Elixiere des Teufels.

Es gäbe noch einen kleinen Kellerraum, Gruft genannt, wo Karl May, Jules Verne, Historisches und hochwertige Krimis versammelt sind. Im Weiteren einen Kellerraum mit Mangas und MAD-Heften. Dutzende von Bastei-Heften, namentlich die Western und Jerry Cotton, die Marvel-Comics und, und, und. Weder Jürg noch sein Vater können alles auf einmal erfassen. 250’000 Medien besitzt Mark Severa! Mit ein paar Helfern führt Mark Severa den Laden allein. Er hat die Übersicht und kann jeden Suchenden gezielt zu seinem Schatz führen.

Auf dem Rückweg fallen dem Vater überall Papiertaschen auf. Alles Bücher, die vorsortiert sind und in die Gestelle eingeräumt werden sollen. Ordnen sei fast die Hauptaufgabe seiner Tätigkeit, sagt Mark Severa. Ein hell gelb leuchtendes Büchlein sticht den Vater ins Auge. Es steht einsam auf einem Korpus, auf einen Buchpräsentationsständer gelehnt. 6 auf 10 cm misst es etwa. Der Titel: Warum ich Terrorist geworden bin von Joseph von Westphalen. Auf dem Schmutztitel steht: Haffmanns Aufklärungsbuch 1. Das muss der Vater haben. Mit den Heften von Jürg zusammen macht es 25 Franken. Alle sind glücklich.

Auf dem Heimweg will Jürg schon wissen, wann sie wieder in dieses Comic-Paradies gehen werden. Der Vater will sich zwar nicht festlegen, aber er weiss, dass auch er wieder in den SammelPunkt gehen wird. So viel gibt es dort noch zu entdecken!

 

 

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