Stadtbibliothek Wil

Vom Bier zum Buch

Michael Guggenheimer

Im Kanton St.Gallen hat sich in Sachen Bibliotheken in den letzten Jahren vieles getan. In Wil, Rapperswil, Flawil, Gossau und St.Gallen wurden neue Bibliotheken eingerichtet, die sich alle sehen lassen. Im Jahr 2014 hat zudem das kantonale Parlament ein Bibliotheksgesetz verabschiedet, um das Bibliothekare in anderen Kantonen ihre Kollegen in der Ostschweiz beneiden. Bei diesem Gesetz handelt es sich um das erste inhaltlich so umfassende Bibliotheksgesetz der Schweiz. Dieses hat bei seiner Verabschiedung sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland ein entsprechendes Echo in der Fachwelt ausgelöst. Im Gesetzt heisst es u.a.:„Kanton und Gemeinden stellen im Verbund die bibliothekarische Grundversorgung der Bevölkerung sicher. Die Gemeinden tragen die Hauptverantwortung. Die Aufgabe kann selbständig oder gemeinsam mit anderen Trägern erfüllt werden. Der Kanton fördert die Qualität der bibliothekarischen Angebote und Dienstleistungen und den Ausbildungsstand des Bibliothekspersonals, die Lese-, Medien- und Informationskompetenz der Bevölkerung“.

Hof zu Wil - Heimat der Stadtbibliothek

Wer die 23 000 Einwohner zählende Stadt Wil im Kanton St.Gallen nur vom Bahnhof her kennt, könnte leicht die Schönheit des Ortes übersehen. Spaziert man durch die schmucke Altstadt den Altstadthügel hinauf, gelangt man an den „Hof“, einem imposanten Bau, der als Wahrzeichen der Stadt gilt. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erbaut, diente der Hof zunächst als Wehrturm, später als Bäckerei und dann bis 1982 als Brauerei. Nach zwei Jahren Umbauzeit wurde hier 2010 in einem Teil des Gebäudes die Stadtbibliothek eingerichtet, die vorher bereits in der Altstadt im Postgebäude untergebracht war. „Vom Brot zum Bier zum Buch“ heisst es daher in einer Unterlage der Stadtbibliothek Wil. Die neuen Räume verfügen über weitaus mehr Fläche als früher. Ein Lift ermöglicht es auch Gehbehinderten, alle vier Stockwerke der Bibliothek aufzusuchen. 30 000 Medien weist die Bibliothek auf, der Benützerkreis ist regional geprägt: Etwas mehr als 65 Prozent der 3400 regelmässigen Benutzer leben in Wil, die anderen Besucher wohnen in den umliegenden Gemeinden.

Am Empfang

Im Erdgeschoss befindet sich die Infotheke mit der Bücherausleihe. Nebenan eine gemütliche Zeitschriftenecke. Bei schönem Wetter kann man draussen an Tischen sitzen, einen Kaffee trinken, lesen oder einfach zum Stadtweiher hinunterschauen. Kinder- und Jugendbücher, Literatur für Erwachsene, Belletristik und Sachbücher sind so aufgeteilt, dass man sich leicht in der Bibliothek zurechtfindet. Im ersten Stockwerk befinden sich die Jugendbücher, Bücher zur Natur und die fremdsprachigen Bücher. Länder und Geschichte, die Lokalgeschichte sowie DVD-Videos sind in der zweiten Etage, im dritten Stockwerk befinden sich die Kinderbibliothek sowie die Belletristik und die Hörbücher.

Belletristik für Erwachsene, Lesefauteuils

Auffallend ist, dass Bücher von Schweizer Autoren auf Signaturhöhe den Hinweis „Schweizer AutorIn“ tragen und ein Gestell die Aufschrift „Heimat“. Hier sind Romane, die in ländlicher Umgebung spielen, vereint. Das sind nicht unbedingt Romane, die in der Schweiz handeln. Deutsche und österreichische Autoren sind hier zahlreich vertreten und in Will soll diese Bücherecke sehr beliebt sein. Beide Gegebenheiten hinderten aber die sieben Bibliothekarinnen nicht daran, anspruchsvolle Bücher von James Joyce, Peter Weiss, Wolfgang Hildesheimer, Herta Müller, Sybille Lewitscharoff sowie nicht wenige Bücher im englischen Original anzuschaffen. Das Budget der Bibliothek für Neuanschaffungen im Jahr 2016 beträgt immerhin fast 65 000 Franken. Die Stadtbibliothek Will ist zudem Mitglied bei der Digitalen Bibliothek Ostschweiz (dibiost.ch). Dort finden die Benützer eine grosse Auswahl an digitalen Büchern, Zeitschriften, Filmen, Hörbüchern und Musiktiteln. Diese e-Medien können sie auf ihren persönlichen Computer oder auf ein mobiles Endgerät wie Laptop, e-Book-Reader oder Tablet. downloaden. Mit einem gültigen Ausweis der Bibliothek Will steht ihnen die Digitale Bibliothek Ostschweiz ebenso wie der Katalog der Wiler Stadtbibliotek jederzeit und von überall her kostenlos zur Verfügung. Die Bibliothekarinnen stellen sowohl in einer regelmässigen Newsletter als auch an Veranstaltungen neue Bücher vor, die ihnen besonders am Herzen liegen. Demnächst etwa bei einem Kaffee oder bei einem Glas Wein am Dienstag, 25. Oktober um 19.30 Uhr. „Mit Kindern die Welt der Sprache entdecken“ heisst eine andere Veranstaltung, die sich an Väter, Mütter und Grosseltern mit ihren Kleinkindern richtet. Eine andere Veranstaltung heisst „Kamishibai“. Hier werden nach einer japanischen Tradition mit Geschichtentafeln, die in einem Koffer verstaut sind, Geschichten gezeigt und vorgetragen.

Stadtbibliothek Wil
Maktgasse 88
9500 Wil 2
T: 071 913 53 33
www.stadtwil.ch/bibliothek

 

Vom Industrie- zum Buchort

Heinz Egger

Trutzig steht am Ende der Marktgasse die ehemalige Residenz der St. Galler Fürstäbte, der Hof zu Wil. Darin fand die Stadtbibliothek geeignete Räume für ihr umfangreiches Angebot.

Drei Jungen, dunkelhäutig mit dichten schwarzen Haaren rennen durch die Tür und sind kaum gesehen schon an den roten Möbeln der Informations- und Ausleihtheke vorbei im Treppenhaus verschwunden.

Sie haben keine Zeit für die alten Installationen aus glänzendem Kupfer und Eisen. Teile des Sudhauses der ehemaligen Brauerei Wiler Hofbräu stehen noch. Das Gebäude wurde sanft umgebaut und zur Heimat der Bücher.

Die drei Knaben spielen im dritten Stock zwischen den Büchergestellen, den mobilen Bücherkästen und den Sitzmöbeln Verstecken. Sie sprühen vor Energie. Dann aber verschwinden sie zwischen den Gestellen der Kinderbibliothek und stöbern nach Schätzen. Der eine kehrt mit einem Buch zurück, auf dessen Cover ein schweres Passagierflugzeug gerade abhebt. Ein anderer hält ein Buch über die Eisenbahn in den Händen. Der Dritte studiert kurz die Liste der Themen an der Stirnseite des Doppelgestells „Wissen“, verschwindet und hält strahlend ein Buch über Flugdrachen vor der Brust. Die drei Jungen setzen sich auf die farbigen, wie Treppenstufen angeordneten Quader und vertiefen sich in ihre Lektüre.

Dachgeschoss - Kinder- und Erwachsenenabteilung

Der Dachraum ist sehr hoch und sehr hell, weil er durch Dachfenster Tageslicht über die ganze Länge erhält. An der Giebelseite gegenüber dem Lift hängt ein vierteiliges Bild, eine Ansicht der mittelalterlichen Stadt Wil im Winter. Hinter dem Lift leuchtet ein roter Hahn auf einem Wappenschild mit der Jahreszahl 1548 und der Bemerkung Reno. 1677.

Im dritten Stock findet sich ebenfalls die Abteilung Fremdsprachen für Erwachsene. „Ich lerne Deutsch“ als Zweitsprache heisst ein Themenbereich. Da finden sich auch Lexika und Bücher über die deutsche Sprache. Wer Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Italienisch oder Englisch bereits kann, findet Belletristik, aber auch Easy Reader, also sprachlich vereinfachte Werke, und Wörterbücher. Sogar eine kleine Rätoromanische Sammlung gibt es.

Gestelle mit Büchern über Kind und Erziehung, Belletristik mit den Themen Heimat, Sagen, Humor, Lyrik, Spannung, Erlebnisberichte, und ein Rollgestell mit Hörbüchern für Erwachsene laden zum Stöbern ein.

An den Fenstern zum Stadtweiher hin stehen ein Sofa und einige bequeme Fauteuils. Zwei ältere Damen, jede ein Buch im Schoss, unterhalten sich, während eine Bibliotheksangestelle eine junge Frau berät. Sie reden über Krimis. Nicht zu blutig, aber doch spannend soll er sein, vielleicht aus einer Serie. Wofür die junge Frau sich wohl entscheidet? Vielleicht ist es „Der Mann, der kein Mörder war“, ein Psycho-Thriller, das erste Buch einer Fünfer-Serie von Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt.

Ruhige Ecke zum Lesen zwischen den Gestellen

Im zweiten Stock sitzt ganz allein an der Wand am Ende der Gestellschlucht in ein Buch vertieft eine Jugendliche. Sie liest und wippt mit ihrem Fuss, einmal etwas schneller, dann wieder langsamer. Ist dies ein Zeichen der Spannung in ihrer Lektüre? Die Abteilung der Sachbücher für Jugendliche und Erwachsene ist sehr gross: Religion, Theologie, Sozialwissenschaften, Musik, Kunst, Naturwissenschaften, Psychologie. Unterthemen, wie sie auf den Tablaren angegeben werden elektrisieren: Ethik, Moral, Mystik, Sekten, Tiefenpsychologie. In der Gestellreihe mit der Geschichte findet sich auch ein Gestell mit Lokalgeschichte. Zum Beispiel „Gastliches Wil“ von Olbrich, Warth und Stadler, „Äbtestadt Wil“ von Karl Steiger, „Die Stadt Wil im Spiegel der Familie Grüebler“ von Willi Grüebler, die Geschichte des Männerchors Concordia Wil von 1839 bis 1939 und von 1939 bis 1989 in zwei Bänden oder „Heberlein – von der Lohnfärberei zum Industriekonzern, 1835 – 2015“ stehen für den Interessierten bereit.

Auf der ersten Etage ist die Jugendbibliothek eingerichtet. Sie hat einen eigenen Bereich mit Zeitschriften. Weiter ist da der Bereich „Natur erleben“ für Jugendliche und Erwachsene. Pflanzenkunde mit beispielsweise „Verbotene Pflanzen – psychoaktiv bis invasiv“ aus dem Ulmer Verlag oder Tierkunde etwa mit dem Titel „Faszinierende Fische – Biologie, Bedeutung und Zukunft“ von Patricia Holm bieten jedem Naturliebhaber etwas. Auch auf DVDs laden Themen über die Bienen, Bären oder Schildkröten zum Hinschauen und Lernen ein.

Die vom Keller bis unters Dach ragende Treppenhauswand ziert ein Kunstwerk von Alex Hanimann: Textarbeit heisst sie.

Im Parterre lädt eine Leseecke mit Fenstern zum Garten unter einer gestrichenen Tonziegeldecke zum Verweilen ein. Mehrere PCs stehen zu Recherchen im OPAC-Katalog oder Internet bereit. Wer gern in Ruhe Zeitschriften zu verschiedensten Themen blättert, zieht sich ins ins Kreuzgewölbe zurück.

An der Theke läuft einiges. Trotzdem findet man Zeit, sich mit den grossen und kleinen Kundinnen und Kunden zu unterhalten. Schnelle Schritte tönen von der Treppe her. Die drei Jungen springen von den letzten Tritten und stehen alsbald an, um ihre Bücher zur Ausleihe vorzulegen.