Bibliothek Hauptpost, St. Gallen

Bücher statt Briefe

Michael Guggenheimer

Als vor kurzem der Schweizerische Generalkonsul in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt eine Ansprache hielt, in der es um Bibliotheken in der Schweiz ging, da eröffnete er seine Rede mit einem Hinweis auf die Stiftsbibliothek St.Gallen, der ältesten Bibliothek der Schweiz. Generalkonsul Markus Meli kennt aber auch die neuste Bibliothek der Schweiz, die in seiner Heimatstadt St.Gallen im Februar 2015 eröffnet wurde. Und er kommt ebenso ins Schwärmen, wenn er von ihr erzählt.

Es ist nicht lange her, da musste man in der grössten öffentlich zugänglichen Bibliothek in St.Gallen, der Kantonsbibliothek Vadiana, an einem Schalter geduldig darauf warten, bis ein Mitarbeiter der Bibliothek die Bücher, die man bestellt hatte, aus dem Magazin heranbrachte. Wie anders heute in der neuen Stadtbibliothek St. Gallen: Man flaniert zwischen offenen Büchergestellen, schaut sich Buchtitel und Covers an, holt die Bücher, die man mit nach Hause nehmen möchte aus den Gestellen und legt sie in die Öffnung eines elektronischen Lesegeräts, das einem eine Quittung mit der Liste der ausgeliehenen Bücher ausdruckt. Was andernorts gilt, trifft auch hier zu: Die neuen Bibliotheken sind heller, offener geworden. In St.Gallen trifft das auch in einer anderen Hinsicht zu. Da das Hauptpostgebäude am Bahnhof hundert Jahre nach seiner Einweihung für den Postbetrieb im Rahmen der Verlegung der Paket- und Briefsortieranlage zu gross geworden ist, wurde hier die neue Stadtbibliothek eingerichtet. Noch zentraler lässt sich eine Bibliothek nicht platzieren. Denn zusätzlich zum Bahnhof befindet sich vor dem grossen Postgebäude der Busbahnhof.

Das Bücherrad

Mit ihrer zentralen Lage und mit dem System einer Freihandbibliothek hat St.Gallen im Bibliotheksbereich einen wahren Quantensprung in Sachen Kundenfreundlichkeit erreicht. Die Planer der neuen Bibliothek mussten eine gar nicht so leichte Aufgabe bewältigen: Die Kantonsbibliothek Vadiana, bis anhin der grosse, traditionell organisierte und in einem Gebäude aus den ersten Jahren des 20.Jahrhunderts untergebrachte Büchertank auf Stadtgebiet, musste ihr Angebot so aufteilen, dass häufig gefragte Bücher und Bücher von allgemeinem Interesse der neuen Stadtbibliothek in der Hauptpost abgegeben werden konnten. Gleichzeitig musste sich die bisherige städtische Freihandbibliothek im ehemaligen Katharinenkloster vom Bestand an Büchern für Erwachsene trennen, denn 100 000 Medien beider Bibliotheken wurden am neuen Ort mit seinen hundert Lese- und Verweilplätzen zusammengelegt. Eine Aufgabe, die von langer Hand vorbereitet werden musste, denn nicht nur musste bestimmt werden, welche Bücher am neuen Ort angeboten werden sollten. Es galt auch Doubletten auszuscheiden, das Personal von zwei Bibliotheken zu vereinen, wobei die Mehrzahl der Bücher der Kantonsbibliothek Vadiana am bisherigen Ort geblieben ist und die Bibliothek im Katharinenkloster neu für die Kinderbücher vorbehalten blieb. Die Belletristik in der sog. Südhalle der neuen Bibliothek stammt von der Freihand-, die Sachliteratur in der Nordhalle von der Kantonsbibliothek, was vorderhand an den Stempeln im Innern vieler Bücher zu erkennen ist. Eine Besonderheit der neuen Bibliothek im Hauptpostgebäude ist der grosse Bestand an Büchern zum Thema Buchwesen: Hier wurde ein gewichtiger Teil der Publikationen der Spezialbibliothek „Zentrum für das Buch“ aufgenommen. Wer heute zum Thema Verlagswesen und Buchgestaltung in der Schweiz arbeiten will, kommt um diesen Bücherbestand kaum herum.

Entstanden ist eine Bibliothek, die sich mit Stolz zeigen lässt, auch wenn manche Abläufe noch nicht ideal funktionieren, vielleicht für eine Minderheit der Benützer auch nie ideal sein werden. Denn wer hier wissenschaftlich über ein Thema zur St.Galler Stadt- oder Kantonsgeschichte arbeitet, der muss weiterhin auf die Bestände der Kantonsbibliothek zurückgreifen können. Zu gross sind nämlich die Bestände dieser Bibliothek als dass sie sich in der Hauptpost unterbringen liessen. Zudem gehören wissenschaftlich Arbeitende nicht zum Zielpublikum der neuen Stadtbibliothek, auch wenn sich bereits innerhalb kurzer Zeit feststellen lässt, dass hier Studenten der nahen Fachhochschule und Kantonsschüler am Arbeiten sind. Und dennoch kommt es vor, dass jemand, der in der neuen Bibliothek arbeitet, Bücher der Kantonsbibliothek benötigt. Ein zweimal im Tag funktionierender Kurierdienst sichert deshalb die Lieferung von Büchern aus den Magazinen der Vadiana in die Hauptpost. Für wissenschaftlich arbeitende Benutzer der Medienbestände der Vadiana besteht die – zwar etwas eingeschränkte – Möglichkeit, am früheren Ort Werke zu konsultieren.

Die Lage der Stadtbibliothek beim Bahnhof und der Zuspruch bei den Besuchern sind nach wenigen Monaten bereits exzellent. Umsichtig haben hier die jungen St.Galler Architekten Peter Hutter und Ivo Barao Betriebsräume der Post in zwei grosszügig dimensionierte Bücherhallen umgestaltet. Noch wirken die beiden Räume angesichts fehlender Bilder etwas nüchtern und strahlen die Atmosphäre eines Magazins aus. Zwei kahle Arbeitsräume sind noch ungastlich, dem schönen Raum mit Regionalliteratur, dem Turmzimmer, merkt man Gestaltungswillen an, Aufbewahrungsflächen für die Unterlagen der Lesenden fehlen im Arbeitsraum. Schön ist, dass sich im selben Gebäude der „Raum für Literatur“ befindet, in dem regelmässig literarische Veranstaltungen stattfinden.

„Die Bibliothek Hauptpost ist mehr als nur ein Ort zum Abholen und Zurückbringen von Medien. Sie ist zugleich Arbeits-, Studienbibliothek und Leselounge und wird sich zu einem wichtigen Begegnungs- und Kulturort entwickeln“, gab sich Regierungsrat Martin Klöti an der Eröffnung der Bibliothek überzeugt. So modern das Mobiliar mit seinen vielen breiten Tischen ist, so sehr vermisst man an der bahnhofsseitigen langen Fensterfront die Ruhe einer Arbeitsbibliothek.

Bibliothek Hauptpost
Gutenbergstrasse 2
9000 St.Gallen
T: 071 229 09 90
www.bibliosg.ch/

 

Nichts zu lachen

Heinz Egger

Gestellschluchten

Kürzlich traf ich Diana. Sie arbeitet in St. Gallen, sie lebte da auch lange. Heute pendelt sie zwischen Zürich und ihrem Arbeitsort. In unserem E-Mail-Verkehr sagte, sie, sie komme aus Güllen ans Treffen. Nun, es war sicher nicht das Güllen aus Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Aber es erinnerte mich doch an eine unschöne Episode, die ich in der neuen Bibliothek Hauptpost in St. Gallen erlebte. Als ich da zu Besuch war, stach mich plötzlich ein beissender Geruch in der Nase: ungewaschene, verschwitze Kleider, ein ungepflegter Körper. Es war irritierend. Während ich den Südsaal der Bibliothek zwischen den Gestellen durchstreifte wurde der unangenehme Geruch immer penetranter. Schliesslich, ganz zuhinterst im Saal entdeckte ich dessen Quelle. Ein bärtiger Mann sass an einem Tisch, hatte viel Papier um sich, las und machte eifrig Notizen. An der Wand lehnte ein vollgestopfter Rucksack. Aha, dachte ich, ein Nomade, der hier wenigstens tagsüber ein Dach über dem Kopf, eine Toilette und genügend geistige Nahrung findet. Ich hatte Bedauern mit der Angestellten, die in der Nähe eine Infotheke hüten musste.

Natürlich erzählte ich auch Diana von dem Mann. Sie verzog den Mund und lachte nachher. Sie kenne ihn. Sie sei ihm schon in der Vadiana begegnet. Und sie habe sich immer über ihn geärgert, weil er alle Zeitungen zu sich genommen und dann eine nach der anderen durchgearbeitet habe. Sie habe auch gefragt, ob man gegen solche unangenehmen Leute etwas unternehmen könne. Die Antwort ist nein, weil der Ort öffentlich ist. Ähnliches kenne sie aus der Zürcher Zentralbibliothek. Und ich aus der Pestalozzi-Bibliothek Altstadt, konnte ich ergänzen. Es handelt sich also um ein Bibliotheksphänomen. Ein gewiss störendes.

Die Bibliothek in der Hauptpost hat enorm viel anzubieten, was das eben Beschriebene vergessen lässt. Die Bibliothek zählt über 100’000 Medien in ihren Beständen. Sie stammen aus drei Bibliotheken: Der Stadtbibliothek, der Kantonsbibliothek Vadiana und dem Zentrum für das Buch. Die Herkunft der Bücher ist in der Signatur zu erkennen. ZeBu steht beispielsweise für das Zentrum des Buches. Wer die Anschriften auf den Gestellen liest, stellt leicht fest, dass es da zu jedem Thema etwas gibt: Sachbücher, Belletristik, wissenschaftliche Bücher. Deshalb ist es auch ein Ort für Studierende. Die Vadiana hat über 700’000 Medien an zwei Standorten. Es ist also nur ein Teil davon in der Hauptpost. Wer ein Buch aus diesen Beständen bestellt, muss es auch dort abholen. Einzig zwischen der Bibliothek Hauptpost und der Stadtbibliothek Katharinen gibt es eine gegenseitige Lieferung (Anmerkung HEG vom 03.08.2015: Die Ausleihe ist hier nicht korrekt dargestellt. Seit 28. Februar 2015 läuft die gesamte Auslieferung der Vadiana über die Bibliothek Hauptpost. Siehe Kommentar unten) .

Der Nord- und der Südsaal haben den Fenstern entlang Arbeitsplätze. Es sind über 100. Und sie werden rege genutzt. Laptops stehen auf den Tischen, Bücher stapeln sich daneben. Auch hier steht ein frei zugänglicher Bücherscanner zur Verfügung. Obwohl die Plätze nicht von den Bücherregalen abgetrennt sind, ist es ruhig. Auch wer einmal ein Wort mit dem Gegenüber am Tisch wechselt, fällt nicht gleich auf.

Im Verbindungsgang zwischen den beiden Hauptsälen laden Filme auf DVD und Musik auf CDs zum Stöbern ein. In einer kleinen Kammer stehen Geräte und Schränke für Mikrofilme.

Wer sich erfrischen möchte zieht sich ins Café mit 50 Plätzen zum Verweilen zurück. Vielleicht entspannt es sich gut bei der Lektüre einer Zeitschrift . Das Angebot ist gross. Eine lange Wand füllen die gängigen Zeitschriften. Themenspezifische finden sich in den Buchregalen. In den Beständen des ZeBu beispielsweise die Zeitschrift der schweizerischen bibliophilen Gesellschaft und die Marginalien…, die Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie. An den Wänden im Café und auf metallenen Gestellen hängen viele Zeitungen, auch internationale: El Pais, Le Figaro, The International New York Times, Il corriere del Ticino, Die Zeit, die Frankfurter Allgemeine und, und, und.

Die innere Struktur der Hauptpost wurde betoniert. An der Decke sind die gegossenen Balken zu sehen. Es ist eine sichtlich alte Struktur, die neu weiss übermalt ist. Man kann es an den abgebrochenen Ecken und den alten Putzteilen sehen. Die Kassetten sind von einer Gips- oder vielleicht auch einer Betondekoration gesäumt. An vielen Stellen ist diese Verzierung abgebrochen. Holzfaser-Zementplatten hängen in den Kassetten. Wie Pockennarben hat die Decke Bohrlöcher, oft mehrere beieinander. Da waren schon früher Dinge aufgehängt. Eine tiefer gelegte Decke? Eine Beleuchtung? Die heutige Beleuchtung ist schlank. Gelbliche Neonröhren, aufgehängt an Drähten und zwei Leuchter mit 6 Doppelröhren, kesselförmig angeordnet. Der obere Ring ist weitere als der untere. Am Abend oder bei wolkigem Himmel geben diese ein sanftes, gedämpftes Licht, das sich wohl weniger zum Lesen eignet. Es ist ruhig, auch wenn die Leute reden.

Zeitschriften und Zeitungen

Ich versuche, mich in den Canard Enchaîné zu vertiefen. Schwierig. Wer sich in der französischen Politik nicht auskennt, bleibt aussen vor. Und die Sprache ist ebenfalls anspruchsvoll. – Leider nichts zu lachen für mich.

 

4 thoughts on “Bibliothek Hauptpost, St. Gallen

  1. Bücherwurm

    Die Bibliothek heisst Bibliothek Hauptpost und wird gemeinsam betrieben von de Kantonsbibliothek Vadiana und der Stadtbibliothek St. Gallen

    Reply
  2. Christina Schlatter

    Nichts zu Lachen, von Heinz Egger

    Sehr geehrter Herr Egger
    Vielen Dank für Ihre ausführliche Beschreibung der Bibliothek Hauptpost. Gestatten Sie mir eine kleine Präzisierung zum Büchertransport zwischen den Bibliotheken. Sie schreiben:

    „Die Vadiana hat über 700’000 Medien an zwei Standorten. Es ist also nur ein Teil davon in der Hauptpost. Wer ein Buch aus diesen Beständen bestellt, muss es auch dort abholen. Einzig zwischen der Bibliothek Hauptpost und der Stadtbibliothek Katharinen gibt es eine gegenseitige Lieferung.“

    Nicht nur zwischen Katharinen und der Bibliothek Hauptpost gibt es gegenseitige Lieferungen, sondern auch zwischen der Vadiana und der Bibliothek Hauptpost. Seit dem 28. Februar 2015 ist die gesamte Ausleihe der Vadiana in der Bibliothek Hauptpost. Es müssen also alle Medien in der Hauptpost abgeholt werden, ob sie nun in der Hauptpost, im Vadiana-Magazin oder im Depot stehen. Von Montag bis Freitag verkehrt zu diesem Zweck zweimal täglich ein Kurier zwischen der Vadiana und der Bibliothek Hauptpost. Was bis 9 Uhr bestellt wurde, kann ab 10 Uhr in der Hauptpost abgeholt werden und Bestellungen bis 15 Uhr sind ab 16 Uhr in der Bibliothek Hauptpost abholbereit. Eine Übersicht zum Kurierdienst findet man auf unserer Website: http://www.bibliosg.ch/home/service/kurier.html. Wir mussten in letzter Zeit feststellen, dass Benutzer Bücher mit dem Standort „Vadiana Magazin“ an der Notkerstrasse abholen wollten, was aber nicht möglich ist. Deshalb ist es uns ein Anliegen, diesen Sachverhalt zu klären.

    Christina Schlatter, Leiterin Publikumsdienste, Bibliothek Hauptpost

    Reply
    1. Heinz Egger

      Sehr geehrte Frau Schlatter

      Besten Dank für Ihre Korrekturangaben. Inzwischen habe ich in meinen Text einen Hinweis auf Ihren Kommentar hineingeschrieben. Ich hatte beim Schreiben meines Textes genau die zitierte Seite vor Augen. In der Spalte „Lieferdauer, Montag bis Freitag“ steht nicht, wo die Bücher abgeholt werden sollen. Einzig bei der Stadtbibliothek Katharinen steht, dass die Bücher in der Hauptpost abgeholt werden können. Daraus schloss ich, dass die anderen Bestellungen am jeweiligen Ort abzuholen sind. Vorschlag: Vor der Tabelle schreiben, dass alle Bücher in der Hauptpost abzuholen sind. Eintrag bei Katharinen anpassen und die Hauptpost als Abholstelle löschen.

      Freundliche Grüsse
      Heinz Egger

      Reply
  3. Pingback: Stadtbibliothek Chur | Buchort

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