Mitglied im Klub
Michael Guggenheimer
Gross sind die Erwartungen und die Neugierde vor dem Besuch der Buchhandlung Librium in Baden bei Zürich. Ausgerechnet in Baden, einer Stadt mit weniger als 20 000 Einwohnern, soll es eine Buchhandlung geben, die im exklusiven Kreis der „5 plus“ Buchhandlungen aufgenommen wurde. „Librium“ in Baden soll vergleichbar sein mit der Buchhandlung Klaus Bittner in Köln? Oder mit der Buchhandlung „Zum Wetzstein“ in Freiburg im Breisgau, von der Literaturkritiker Rainer Moritz einst sagte, sie sei „eine der schönsten Buchhandlungen Europas“?
Der erste Eindruck wirkt angesichts der grossen Schaufenster in einer modernen Fassade eines 50er-Jahrebaus und etwas abseits vom Altstadt-Passantenstrom ein wenig ernüchternd. Aber es ist bloss dieser erste Eindruck. Auf einmal diese Übersicht: Man betritt die Buchhandlung, erlebt die Weite des hundert Quadratmeter grossen Raums und erkennt eine Ordnung und einen Reichtum an angebotenen Büchern, den in der an Einwohnern zwanzig Mal grösseren Stadt Zürich bei weitem nicht alle Buchhandlungen erreichen. Gleich rechts die Kinder- und Jugendbücher, links Architektur, Kunst, Comics und Musik. Auf einem eigenen niederen Büchermöbel sind Porträtfotos der vier Buchhändlerinnen und des Buchhändlers von Librium aufgestellt und stehen die von ihnen empfohlenen Bücher. Auffallend die etwas andere Ordnung an der langen Wand mit belletristischen Bücher: „Unsere Bücher sind nach Herkunftsländer der Schriftstellerinnen und Schriftsteller geordnet“, heisst es auf einer Tafel. Romane, Erzählungen, Biografien, Gedichte lauten die einzelnen Abteilungen dieser Wand. Und es geht weiter mit English Books, Kriminalliteratur, Hörbuch, Philosophie, Geschichte und Politik, Unter einer breiten Fensterfront sind die Reisebücher aufgereiht. Während andere Buchhandlungen in ihrem Sortiment mit buchfremdem Beigemüse wie Bleistiftspitzern, Etuis, Schulheften, Maskottchen und Dosen aufwarten, konzentriert sich Librium auf Bücher, nur die Agenden von Moleskine runden hier das Angebot ab.
Librium wurde im Jahr 1979 unter dem Namen „Buchhandlung Obere Gasse“ von der Buchhändlerin Susanne Jäggi und zwei befreundeten Buchhändlerinnen gegründet. Die drei Damen hatten eine Ortschaft in der Schweiz gesucht, in der sie ein Buchgeschäft eröffnen könnten. Die Stadt Baden als Buchort war ihnen nicht bekannt, denn keine von ihnen stammte von dort. Viermal ist die Buchhandlung seit der Gründung umgezogen, weshalb wohl auf der Homepage steht, sie sei „die beweglichste Buchhandlung in Baden“. Im exklusiven Kreis der „5 plus“ Buchhandlungen ist Librium nicht etwa dank eigener Bewerbung aufgenommen worden. Die Anfrage kam vielmehr aus Hamburg. Und empfohlen wurde Librium den Gründungsmitgliedern des Fünferclubs von mehreren Verlegern und Personen aus der Buchbranche, die fanden, eine wirklich gute Buchhandlung ausserhalb Zürichs sollte das Privileg haben, im exquisiten Zusammenschluss auafgenommen zu werden.
Zweimal im Jahr erscheint das Magazin von „5 plus“, das in den sechs Buchhandlungen in Deutschland sowie in den beiden Läden in Österreich und in der Schweiz bezogen werden kann. Rainer Groothuis’ renommiertes Designatelier in Hamburg besorgt die Gestaltung der Publikation. Lesenswerte Originaltexte zu Büchern, Autoren, Verlagen, zu literarischen Orten und zum Buchhandel finden sich im Magazin ebenso wie Buchbesprechungen von Buchhändlern der acht Buchläden, die auch durchaus ausgefallene Bücher vorstellen. Anders als andere Buchhandelsmagazine kommt das Buchmagazin unaufdringlich seriös und nicht auf Hochglanzpapier daher. Kauft man Bücher bei Librium, werden diese in eine Tüte verpackt, die wunderbare Gespräche auslösen kann. Dreissig Fragen sind auf der einen Seite der Einkaufstüte gedruckt. „Erinnern Sie sich noch an das erste Buch, das Sie gelesen haben.“, lautet die erste. „Wie ordnen Sie Ihre Bücher?“ und „Was ziehen Sie vor: gutes Essen, guten Sex oder ein gutes Buch? War das schon immer so?“. Als die dreissig Fragen im Magazin, das ja auch in Hamburg, Regensburg, Köln, Freiburg, München, Dahlem und Wien verteilt wird, erschienen, da haben sich nicht wenige Kunden die Mühe genommen, Librium eine Mail mit dreissig Antworten zu schicken .
Regelmässig finden im Librium Lesungen von Autoren statt, bei denen die Moderatorin oder Moderator mehr als nur Grussworte sagt. Und wer die Büchervorlieben der Librium-Buchhändlerinnen und des Librium- Buchhändlers näher kennenlernen will, der kann jeweils am ersten Samstag im Monat morgens um 8.30 Uhr die von ihnen im jeweils vergangenen Monat gelesenen Bücher vorgestellt bekommen. „Selbstverständlich freuen wir uns, wenn auch Sie Bücher aus Ihrer jüngsten Lesevergangenheit vorstellen.“, heisst es in der Buchhandlung. Dauer der Runde etwa eine halbe Stunde, eine Anmeldung ist nicht nötig.
Librium Bücher AG
Theaterplatz 4
8400 Baden
T: 056 222 46 66
www.librium.ch
Hesse in Baden
Heinz Egger
Der Theaterplatz ist derzeit eine grosse Baustelle. Geschickt nutzt die Buchhandlung Librium die Bauabschrankung für einen grossen Hinweis auf ihr Geschäft. „Wir fühlen uns ausgezeichnet.“ Diese Aussage ziert das Schaufenster gleich rechts vom Eingang. Sie bezieht sich wohl auf manche Umstände, sicher auf die Auszeichnung mit dem Julius-Campe-Preis und die Aufnahme in den Klub 5 plus. Nun wird Librium in einem Atemzug mit Buchhandlungen in Frankfurt, Hamburg, Berlin und Wien genannt. Und es ist die einzige Schweizer Buchhandlung in diesem Empfehlungsklub mit eigenem Magazin, das zweimal jährlich erscheint.
Gut fühlt man sich auch, wenn man eintritt. Der hohe, helle Raum ist nach allen Seiten offen, nichts versperrt die Sicht auf die ganze Verkaufsfläche. Das Licht der Röhren an der Decke ist warm. Bücher den Wänden entlang, im Raum halbhohe Regale. In der Mitte die Insel mit Kasse und Auskunft.
Alle Bereiche sind sehr klar beschriftet und gut gegliedert: Unter dem übergeordneten „Romane, Erzählungen“ findet sich die Unterteilung Schweiz, Deutschland, Österreich, dann Europa, USA Kanada und da sinnigerweise ein Gestell mit English Books, dann Nordafrika und Asien. Wo viele Autorinnen und Autoren vorhanden sind, wie etwa im Bereich der deutschsprachigen Literatur der Schweiz, Deutschlands und Österreichs, bieten kleine Buchstabentäfelchen Orientierung im Alphabet. An einer Gestellwand hängt ein schwarzes Plakat mit einer Übersicht. Das ist alles sehr sorgfältig gemacht, genau wie die Auswahl der Bücher. Der Bestand ist sehr aktuell.
Es sind nicht viele Leute, die kommen und gehen. Aber der Laden ist nie leer. Drei junge Männer mit Baseballmützen auf dem Kopf holen ein Buch über Fussball ab, ein Mann im mittleren Alter bestellt eines über Amerika. Eine Mutter mit ihrem Kind stöbert im umfangreichen Angebot an Bilder- und Kinderbüchern. Auch sie geht nicht ohne Buch hinaus. Die Ansichtskarte, welche die Tochter gerne hätte, muss hingegen zurück ins Gestell.
Ein junger Mann – 3-Tages-Bart, weisse Kopfhörerkabel schauen aus seiner Jackentasche, an seiner Hand baumelt ein kleiner Plastiksack einer Apotheke – geht langsam von Gestell zu Gestell bei den Romanen und Erzählungen. Er hält bereits ein Buch in der Hand. Als er von Laurin Jäggi, dem Buchhändler, angesprochen wird, erklärt er seinen Wunsch. Er suche etwas, was zu Baden passe. Darauf zieht der Buchhändler ein Bändchen von Hermann Hesse heraus. Kurgast heisst es. Und er erzählt, dass Hesse mehrere Jahre als Kurgast in der Bäderstadt weilte. Er kurierte da seine Gelenkschmerzen. Er floh auch aus seinem schlecht heizbaren Haus in Montagnola. Hier traf er nicht nur auf einen Arzt, dem er vertraute und der ihm irgendwie ebenbürtig war, sondern auch seinen Bruder, der bei Brown-Boweri arbeitete. Die Gesellschaft der Hotelgäste mied er. Ihre Gespräche über ihre Gebrechen waren ihm zuwider. Auch suchte er sich immer ein Zimmer, das ihm Ruhe sicherte.
Der Mann kauft beide Bücher und verlässt die Buchhandlung. Er steht noch länger vor dem Schaufenster mit den Neuerscheinungen. Er sucht jede Reihe ab und findet nicht, was er sehen möchte. Er kehrt in den Laden zurück und fragt nach dem Roman Koala von Lukas Bärfuss. Es sei ihm aufgefallen, dass das Buch auch drinnen nirgends stehe. Das wäre doch sicher ein wichtiger Titel, nachdem Lukas Bärfuss den Schweizer Literaturpreis gewonnen habe, führt er aus. „Nein“, sagt Laurin Jäggi, „das Buch wurde nicht vergessen, es ist ausverkauft und der Verlag muss zuerst eine neue Auflage drucken lassen.“