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Librairie Bostryche Buchhandlung, Biel / Bienne

Gelebte Zweisprachigkeit

Michael Guggenheimer

Rue Centrale No. 14, Platz mit Sitzbänken und Bäumen

Als ich das erste Mal den Namen der Buchhandlung lese, weiss ich nicht, wie ich ihn aussprechen soll. Handelt es sich hier um einen Ausdruck in der lokalen deutschen Mundart oder ist’s ein französisches Wort? Die Buchhandlung befindet sich in der zweisprachigen Stadt Biel / Bienne, beides scheint deshalb möglich zu sein. Bostryche, das sonst so zuverlässige Wörterbuch im Smartphone kennt das Wort nicht, heisst auf Französisch Borkenkäfer. «Bostryche liebt Papier!», heisst es auf der Homepage der Buchhandlung «Frei und eigenständig bearbeitet unsere Buchhandlung ihre Furche in der Welt der Bücher, auf Französisch wie auch auf Deutsch.» So schön!

Hängende Schilder im Eingang: Bücher, Ouvert, Livres

Wie wahr: Die Welt der Bücher auf Französisch wie auch auf Deutsch. So wie die Strassentafeln, die Zielanschriften auf den städtischen Autobussen, wie die Anschriften der Läden in der Stadt: Bostryche lebt die Zweisprachigkeit. Man betritt die im Hochparterre eines Jahrhundertwende-Hauses gelegene Buchhandlung und wird von einem zweisprachigen Mobile begrüsst, auf dem Bücher und Livres angekündigt werden. Im Laden hört man Sätze in deutscher und französischer Sprache. Catherine Kohler, die Besitzerin des Ladens, spricht beide Sprachen, gewährt den Literaturen beider Sprachen Gastrecht beim Borkenkäfer.

Links von der massiven Glastür das lange Regal mit den französischen Büchern. Auf einer grossen Tischplatte davor die Neuerscheinungen und die besonderen Empfehlungen von Catherine Kohler und ihren beiden Mitarbeiterinnen. Auf dem breiten Tisch Rücken an Rücken deutschsprachige Bücher und französischsprachige. Und so schön, wie dieselben Autoren mit ihren Büchern anwesend sind: Olga Tokarczuk, Haruki Murakami, Elena Ferrante, Gary Shteyngart, Annie Ernaux und andere. Das ist gelebte Zweisprachigkeit. Ebenso wie die französischsprachige Wand gibt es eine deutschsprachige. Nicht anders bei den Kinder- und Jugendbüchern: Beide Sprachen Biels gehen ineinander über, reichen einander die Hand. Catherine Kohler stammt aus dem Jura und hat in Berlin gelebt, ihre erste Sprache war Französisch. Bei der Anschaffung deutscher Titel lässt sie sich von einer Deutschlehrerin am Gymnasium und von einem Zürcher Verleger und zwei Verlegerinnen beraten.

«Unser Credo: Kunst und Literatur für jedes Alter», erläutert Catherine Kohler, die den Bücherladen im Herbst 2018 eröffnet hat. Ihre Erfahrung nach etwas mehr als einem Jahr: Eindeutig mehr Kundinnen und Kunden französischer Sprache. Denn der grosse Konkurrent in der Geschäftszone der Stadt bietet wesentlich mehr deutschsprachige Bücher an als französische. Und doch, die Deutschbieler finden ihren Weg zum fleissigen Borkenkäfer. Immer häufiger. Beim Anschauen der präsentiertren Bücher fällt die Verbundeheit zum Ort und zur Region auf: Die beiden Bieler Verlage edition clandestin und diebrotsuppe sind ebenso gut vertreten wie die Publikationen der Edition Haus am Gern. «Bostryche organisiert einmal im Monat Veranstaltungen rund um das Geschriebene und das Gedruckte, wobei der Schwerpunkt bei den unabhängigen Verlagen und der regionalen Produktion liegt», heisst es auf der Homepage.

Demnächst soll vor dem Haus auf dem etwas verschlafen wirkenden Platz vor dem Haus mit seinen Platanen die Möglichkeit bestehen, Kaffee zu trinken und Gebäck zu bekommen. Schon heute gibt es eine schöne Kaffeeecke im Laden mit Aussicht auf den Platz. Der sympathische Platz dient zwei Standinhabern an Samstagen dazu, ihr Gemüse aus der Region zu verkaufen. Glück hatte Buchhändlerin Kolher mit dem Hausbesitzer, der die Idee sympathisch fand, die Ladenlokalitäten, in denen sich 30 Jahre lang ein Antiquitätenladen befand,  einer Buchhändlerin zu vermieten. Die beiden hellen Räume der Buchhandlung, die in einem L ineinander übergehen, sind hell, die grossen Fenster, die sich als Schaufenster wegen der erhöhten Lage im Hochparterre nur bedingt eignen, lassen viel Licht in die Buchhandlung.

Kassatheke, Büchergestelle

Ein grossformatiges Bild hinter der Kassen- und Infotheke, zeigt die Köpfe eines Paars, das Bild stammt von Georges Rechberger, einem Schweizer Maler, der in Brasilien lebt. Dazu die Buchhändlerin, diesmal ins französische wechselnd: «Il est bien à vendre et nous changeons régulièrement d’œuvres d’art. En général, les œuvres sont à vendre».

Tierfiguren schmücken die Kinderbuchabteilung

Im hinteren Raumteil, wo sich die Kinder- und Jugendbücher befinden, stehen drei grosse, mehr als menschhohe Figuren aus farbig gemalten Karton. Die Bieler Künstlerin Irène Schoch hat sie eigens für diesen Ort während der kleinen Bieler Buchmesse hergestellt.

Librairie Bostryche Buchhandlung
Rue Centrale 14
2502 Biel / Bienne
T: 032 322 39 39
www.bostry.ch

Café Buchhandlung

Heinz Egger

Am Brunnenplatz steht ein langgezogenes Gebäude. Es zeigt einen mächtigen, stark verzierten Zentralbau, flankiert von zwei ursprünglich gleichen Seitenteilen. Das rechts stehende Haus wurde stark umgebaut und renoviert. Dabei hat wohl die Fassade ihren Schmuck verloren und die Dachgauben wurden mit verzinktem Blech bedeckt. Vielleicht aber sah es schon immer anders aus, so mindestens lässt der Fussabstreifer vermuten. Denn er ist im Gegensatz zu jenen an den Nachbareingängen an der Wand befestigt und besteht aus einem einfachen Blech. Der Eingang liegt in einer Nische, einer Art Windfang, in der Hausmitte. Eine Treppe führt zur Tür hinauf. Über der Treppe spielen drei weisse, ovale Tafeln im Wind. Auf der linken steht „Bücher“, auf der mittleren „Ouvert“ und auf der rechten „Livres“. Schönes Holz bedeckt die Wände und die Decke des Zugangs, die Türe ist modern, aus Holz und Glas. Drinnen, gleich neben dem Fussabtreter steht ein Schirmständer aus Messing in Form eines leicht geöffneten Regenschirms.

Die Buchhandlung hat sich vor gut einem Jahr in einem ehemaligen Antiquitätengeschäft eingenistet. Dem Eingang gegenüber liegt die Kassatheke, rechts ein hoher, alter Einbauschrank. Die kleineren Türchen oben sind noch dran, die grossen unten wurden entfernt. Das Holz ist weiss gestrichen die Rückwand bedeckt ein Spiegel.

Tisch am Fenster mit Aussicht auf den Brunnen und Bücher

Zwei riesige Fenster links und rechts des Eingangs geben den Blick frei auf den Brunnenplatz. Tische und verschiedene einfache Stühle, wie man sie früher in den Küchen hatte, laden ein, Platz zu nehmen und etwas zu trinken, denn die Buchhandlung ist auch ein Café. Eine wunderbare Aussicht bietet sich einem so am Fenster, nicht nur auf den Platz, sondern auch auf die Bücherlandschaft. Die neuen Gestelle bestehen aus weissen Tablaren und holzfarbenen Seitenteilen, die zwischen den Tablaren stehen. Ihre Fächer sind alle gleich gross und stapeln sich wie Würfel übereinander. Sie sind sehr schlicht und passen ausgezeichnet in den Raum. Das Angebot ist durchwegs zweisprachig. Allerdings, so sagt die Geschäftsführerin Catherine Marie Kohler, sei das Angebot auf Französisch etwas grösser, der Kundschaft entsprechend. Sie selbst spricht Französisch und sattelfest Deutsch mit einem wunderbaren Akzent. Ihre Mitarbeiterin ebenfalls. Sie erfasst gerade Bestellungen am PC. Beide sind Quereinsteigerinnen im Buchhandel.

„Bostryche liebt Papier“, steht auf der Website. Ob Borkenkäfer, das bedeutet nämlich bostryche, tatsächlich Papier lieben, weiss ich nicht. Holz jedenfalls schon und aus Holz wird ja auch Papier, beispielsweise für Bücher hergestellt. Und weiter steht auf der Website das Credo des Buchladens: Kunst und Literatur für jedes Alter. Dem spüre ich nach dem Genuss des Kaffees nach.

Zuerst zieht es mich nach hinten im L-förmigen Raum. Dort stehen an den Wänden und in den Schaufenstern riesige Figuren. Tiere sind es, aus Karton geschnitten und kunstvoll bemalt. Sie sind Zeugen einer Veranstaltung, die während der edICIon 19 hier stattgefunden hat. Die Bieler Illustratorin Irene Schoch stellte ihr neues Buch „La soupe aux cailloux moelleux” nach einer Erzählung von Alain Serge Dzotap vor. Und weil die grossen Tiere so schön sind, sind sie geblieben und schauen auf eine grosse Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern herab. Wer sich zum Durchblättern einer Buchauswahl hinsetzen möchte, klappt einfach den Sitz einer der alten Kinostühle aus Holz herunter und schon kann das Vergnügen beginnen.

Der verspiegelte Einbauschrank beherbergt auf der linken Seite Comics und Graphic Novels – auf Französisch „bande dessinée” oder kurz Bd. Die Bandbreite ist gross. Für Junge und Erwachsene sind nicht nur unterhaltsame, sondern auch Werke, die literarische Stoffe behandeln, darunter. Ich entdecke Lika Nüsslis „Vergiss dich nicht” und „L’Aimant” von Lucas Harari. Sie und er sind junge Illustratoren. Der rechte Teil des Schranks ist für Fotografie und Kunst reserviert. Der Name Thomas Hirschhorn fällt auf. Er ist wohl hier präsent, weil er in Biel die umstrittene „Robert Walser-Sculpture“ auf dem Bahnhofplatz aufgestellt hat. Über sein Werk liegt das Buch „Le musée précaire Albinet” und „Une volonté de faire” auf.

Auf einer weissen Tischplatte, die auf metallenen Böcken steht, liegen Bücher aus der Schweizer Fotografie auf. So jenes sehr eindrückliche Werk von Hans Danuser „Der Fujiyama von Davos”, ein Bildband, der zur Ausstellung im Kirchner Museum Davos herausgegeben wurde. Oder ein grossformatiges Buch über den Fotografen Ernst Köhli mit dem Titel „Chronist der sozialen Schweiz”.

Die Abteilung der Belletristik nimmt die ganze linke Längswand, die Wand bis zur Theke und einen grossen Tisch ein. Da fehlen natürlich keine Namen, die mit Preisen ausgezeichnet worden sind: Olga Tocarczuk, Saša Stanišić, Sybille Berg. Auf einem Tablar steht „Langues slaves”. Darin finden sich auf Französisch Klassiker von Fjodor Dostojewski, aber auch Svetlana Alexjewitsch, Michail Bulgakov, Victor Remizov, Magda Szabo und Alexander Solschenyzin sind vertreten. Ein weiteres Tablar ist mit „Asie” beschriftet. Die Namen sprechen für sich: Viet Thanh Nguyen, Bulbul Sharma, Edogawa Ranpo, Hwang Sok-yong und weitere. Den Schweizer Autorinnen und Autoren steht ein eigenes Gestell zu. Weil die Namen alphabetisch eingeordnet sind, stehen französische und deutsche Titel nebeneinander: Adelheid Duvanel, Isabelle Flückiger, Thomas Flahaut, Brigitte Glaser, Etienne Barilier und Nicolas Bouvier (diese beiden Autoren auf Deutsch). Und ganz allein unten in einem Gestell leuchtet rosa eine schwere Mappe aus dem Verlag Die Brotsuppe „28 Orte und ein Weg, 28 lieux, 28 luoghi”. Ein sehr spannendes, dreisprachiges Werk über Stelen im Bieler Seeland.

Ja, der „Borkenkäfer” verspricht nicht nur, sondern hält Wort. Auffallend ist, dass einige der Kleinverlage, die an der edICIon 19 dabei waren, auch vertreten sind, beispielsweise Paulette Editrice mit den „Pives”, Editions Torticolis & frères, Haus am Gern, Edition clandestin, Die Brotsuppe. – Wohnte ich in Biel, dann wäre Bostryche meine Hausbuchhandlung!