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Buchhandlung Zum Geeren, Dielsdorf

Das Leseknusperhäuschen

Michael Guggenheimer

Buchhandlung zum Geeren, Dielsdorf

„Die Buchhandlung zum Geeren wird modern?! Neu haben wir eine Facebook Seite“, heisst es auf der Homepage. Steht man vor der Buchhandlung in Dielsdorf könnte man zunächst meinen, hier könne nur eine etwas altmodische, ländliche Buchhandlung untergebracht sein. Ein ehemaliger Bahnschuppen? Ein Milchhäuschen? Ein Waschhaus? Letzteres trifft zu: Die Buchhandlung zum Geeren wurde in einem ehemaligen Waschhäuschen eingerichtet. Altmodisch oder ländlich trifft aber nur zu, wenn man das kleine Gebäude von aussen anschaut. Hat man die Eingangstüre hinter sich geschlossen, befindet man sich in einem zauberhaften Bücherreich, das keinen Vergleich mit Quartierbuchhandlungen in grösseren Städten scheuen muss.

Alexandra Vogel war nach ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin in der renommierten – leider nicht mehr existierenden – Buchhandlung Dr. Oprecht in Zürich angestellt, um anschliessend in der Pestalozzibibliothek in Zürich zu arbeiten. Seit 2004 ist sie Geschäftsführerin der Buchhandlung Zum Geeren. Tina Stefanoni hat die Ausbildung zur Buchhändlerin bei Alexandra Vogel im ehemaligen Waschhäuschen 2016 absolviert. Und sie ist der Buchhandlung treu geblieben. Debora Sallenbach hat ebenfalls in der Dielsdorfer Buchhandlung ihre Lehre abgeschlossen. Nach fünf Jahren in der Buchhandlung Wolf in Küsnacht ist sie, wie sie sagt, „zu ihren Wurzeln zurückgekehrt“. Einzig Laura Kuhn hat keine Dielsdorfer Vergangenheit: Nach der Matur hat sie in einer Buchhandlung in Freiburg in Breisgau ihre Ausbildung zur Buchhändlerin begonnen, die sie jetzt im ehemaligen Waschhäuschen fortsetzt. Laura Kuhn lebt in Rüti und fährt etwas länger als eine Stunde mit der Bahn zur Arbeit. Das Leben als Pendlerin frustrierend? Nein, keineswegs, meint sie, jeden Arbeitstag zwei Stunden Zeit zum Lesen!

Innenraum

Ist das Personal vorgestellt, gilt es das Innenleben des Holzhäuschens zu beschreiben. Gross ist der Innenraum wirklich nicht. Nennen wir es beim Namen: Hier ist es etwas eng. Aber auch gemütlich! Die Kaffeeecke mit ihrem einen Lesesitz inmitten von Büchern neben bunten Kaffeetassen, einer Kaffeemaschine, einem Kühlschrank, Keksen und der Schokolade. Wo gibt es das nochmals? Selbstbedienung beim Lesen. Man setzt sich hin, schaut sich Bücher an, könnte sich hier lesend verstecken. Und doch schaut man neugierig zwischen den Büchern in den Ladenraum hinein, wo am Freitagnachmittag ein reges Kommen und Gehen herrscht. Das Gestell mit den Neuerscheinungen fiel einem bereits beim Betreten des Raums ein. Ländlich? Was heisst denn das? Anspruchsvolle Bücher sind da ausgestellt. Hans Plechinskis Roman „Wiesenstein“ über Gerhart Hauptmann. Oder T.C. Boyles Stories „Good Home“. Eben erschienen Najem Walis „Saras Stunde“ und noch vor seinen beiden Lesungen in der Schweiz Eshkol Nevos „Über uns“ neben Herman Kochs aus dem Niederländischen übersetzten Roman „Der Graben“ und Margriet de Moors psychologischem Roman „Von Vögeln und Menschen“. Und wie kommt Vladimir Jabotinskys „Die Fünf“ nach Dielsdorf, fragt man sich.

Steht man vor den Bücherregalen in der Buchhandlung Zum Geeren, dann versperrt man anderen Kunden den Weg, muss sich schmal machen, damit eine andere Person passieren kann. Und doch ist’s ein Genuss: Ein Leseknusperhäuschen. Ein Bereich mit Krimis, eine Wand mit Taschenbüchern, englischsprachige Romane, ein Gestell mit Literatur aus der Schweiz. So viel Buch in einem so kleinen Bau! Hinter der Theke der Buchhändlerinnen eine rote Wand mit der Aufschrift „Wenn Bilder meine Sprache wären“ mit ausgesucht schönen bebilderten Büchern für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Und dann die Überraschung.

Steile Treppe von oben

Man hört Geräusche, die von oben zu kommen scheinen, schaut sich um und sieht eine steile Holztreppe, die zu einem oberen Stockwerk führt. Gut dass da ein Handlauf montiert wurde, so steil ist diese Treppe, dass man sich gerne festhält. Unter dem Giebeldach müssen die Büchergestelle kniehoch bleiben. Auch oben ein Arbeitsplatz für eine Buchhändlerin, wieder ein Mittelbereich mit ausgestellten Büchern. Hier befindet sich das Kinderbuchreich, hier sind die Sachbücher zu finden. Lebenshilfe mit zum Teil recht unkonventionellen Büchern, die Reiseführer und Wanderkarten, die Kochbücher und die Wörterbücher. Bei den Kinderbüchern fallen die Klassiker auf: Die rote Zora, Erich Kästners Bücher, Astrid Lindgren, Michael Ende, Cornelia Funke: Sie sind alle in Dielsdorf angekommen.

 Dielsdorf befindet sich im Nordwesten des Kantons Zürich. Die Gemeinde liegt am östlichen Ende des östlichsten aller Schweizer Jura-Ausläufer am Fuss des alten Städtchen Regensberg, heisst es im Internet. Knapp 6000 Einwohner zählt der Ort. Das mag weit weg klingen, ist aber in Wahrheit bloss 23 Bahnminuten von Zürich entfernt. Wohnt man in Dielsdorf, könnte man mit der Bahn zum Büchereinkauf nach Zürich fahren. Zur Lebensqualität des Ortes aber gehört das alte Waschhäuschen mit seinem Bücherreich. Umsomehr als man hier ebenso schnell auch zu jenen Büchern kommt, die man bestellen muss, weil sie gerade nicht im Angebot der Buchhandlung sind. Innerhalb von 24 Stunden ist jedes in der Schweiz lieferbare Buch auch in Dielsdorf zu haben. Und ist einem die Buchhandlung nicht genug, so ist noch der Verein Philosophe da. Philosophe ist eine lokale Plattform, wo man sich mit aktuellen Themen auseinandersetzen kann und die mit der Buchhandlung kooperiert. Gerade war Autor Arno Camenisch mit seinem neusten Buch im Philosophe zu Gast, demnächst wird der Physiker und Philosoph Eduard Kaeser zum Thema Multikulturalismus hier auftreten, Zora del Buono, Schweizer Autorin mit Wohnsitz Berlin, ist ebenfalls bereits angekündigt.

Buchhandlung Zum Geeren
Geerenstrasse 2
8157 Dielsdorf
T: 044 853 32 82
www.zumgeeren.ch

 

Wimmel-Buchladen

Heinz Egger

Biegt man in Dielsdorf von der Bahnhofstrasse nach links in die Geerenstrasse ein, so wird man stutzen. Da steht mitten zwischen modernen Wohnbauten ein kleines Häuschen mit Giebeldach. Links Backsteinmauer, rechts Holzverschalung. Ans Gebäude schliesst ein kleiner Sitzplatz an. Ein Metallgestänge weist darauf hin, dass hier Pflanzen zu einer Pergola gezogen werden. Zwei Geschosse, das obere ganz mit Holz verschalt unter dem Dach, zwei Fenster im Giebel. Die Tür steht in der Mitte der Längswand, links und rechts davon grosse Fenster. Unter dem linken ist eine kleine, eineinhalbplätzige Bank an der Wand angeschraubt, daneben ein Kasten, auf dem Bücher ausgestellt sind. Über der Tür prangt gross und wegen der alten Schrift schwer ein Schild mit der Aufschrift Buchhandlung. Das Gebäude ist klein, es mutet an wie ein Schuppen oder eine Vergrösserung eines Häuschens, wie wir sie für das Spiel mit der Modelleisenbahn hatten. Es war einst das Waschhaus von Dielsdorf.

Wer durch die breite Türe eintritt, blickt gleich auf die Theke. Uns lachte Tina Stefanoni an und fragte nach unserem Begehr. Es ist sehr hell unter den Neonlampen. Jedes Eckchen ist genutzt: Bücher, Bücher, Bücher. Der Raum ist klein, es sind geschätzte vier mal sechs Meter.

Bequemer Rückzugsort unter der Treppe

Unter der zum Obergeschoss führenden Treppe ist ein herrlicher Ort zum Sein eingerichtet. Ein hochlehniger Polstersitz, wohl extra für diesen Ort angefertigt, lädt ein, sich niederzulassen. Geschirr, Kaffeemaschine, Kecksdose und Bücher in Griffweite stehen bereit. Was braucht es mehr? Über der Lehne an einem Treppenabsatz hängt ein Tablett. Es sagt: Kein Kuchen ist auch keine Lösung. Ist da vielleicht eines der vielen Bücher zum Glück hilfreich? „Im Garten der Gedanken“, „Sei glücklich“, „Glück wie Sand am Meer“. Oder vielleicht eines aus der Auswahl „Geschenkbücher“. Dort fällt auf, wie oft das Wort Oma und Opa in den Titeln auftaucht. Aber nicht nur. Da mag auf einem benachbarten Tablar auch ein Vater ein Buch finden, sei es nun ein Begleitbuch für werdende Väter oder eines für Väter, Söhne und andere Abenteurer.

Neben der Türe hängt die Bestsellerliste der achten Woche des Buchhändler- und Verlegerverbands. Darauf sind bei der Belletristik sieben Bücher mit grünem Leuchtstift markiert und tragen vor dem Titel ein Herzchen. Drei sind mit Adjektiven geschmückt: „ehrlich“ bekam Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“, „typisch“ steht bei „Die schöne Fanny“ von Pedro Lenz und „spannend“ bei Haruki Murakamis „Die Ermordung des Commentadore Band 1“. Wer diese Bücher vom Team empfohlen hat? Die Geeren-Tipps auf dem Internet geben nur teilweise Auskunft: Murakami ist wohl von der Geschäftsführerin Alexandra Vogel mit Spannung gelesen worden.

Amélie Nothomb ist ein eigener kleiner Bereich gewidmet. Die Bücher zeigen ihr Cover auf einem Präsentierstand, dahinter aber eine aus Papier geschnittene Dekoration, die wohl zum Inhalt passt. Zwei verschieden helle blaue Ovale stehen hinter „Töte mich“. Daneben an der Wand ein Bild der jungen, adligen Vielschreiberin. Und an einem zwischen die Tablare gespannten Band kleben Zettel, die das Buch charakterisieren: bitterböse, witzig, intelligent, abgründig, skurril. Dazwischen, mit zwei rotköpfigen Reissnägeln befestigt, liegt ein Zitat von Françoise Dargent aus dem Figaro. Dargent fasst darin den Stil von Nothomb kurz zusammen: Dialoge als Pingpong voller Esprit, gespickt mit Aphorismen. Eine Kundin betrachtet das kleine Arrangement und sagt begeistert: „Da habt ihr aber alles gegeben“.

Die Abteilung mit Belletristik ist gross und reich assortiert. Natürlich steht da auch ein Buch von Michael Chabon, der kürzlich zu einer Lesung im Kaufleuten in Zürich war.

Die Treppe hinauf ins Obergeschoss unter dem Dach ist steil und eng. An den verfügbaren Wandteilen hängen metallene Halter mit Postkarten verschiedenster Art. Es gibt einige Papeterieartikel im Buchladen, aber sie sind verteilt und sehr dezent angeordnet. Oben ist es sehr warm. Im Sommer könnte es gut schier unerträglich heiss werden.

Unter dem Dach

Hier finden sich die Sachbücher und Kinderbücher. Es ist ein heimeliger Raum, ganz getäfert. Durch die beiden Fenster an der Stirnseite des Häuschens fällt genug Licht. Den niedrigen Wänden unter der Dachschräge entlang laufen Büchergestelle. Es gibt gerade genug Raum für drei Tablare. In der Mitte des Raums füllt ein doppelseitiges Gestell, das fast bis unter den Giebel reicht. Unter dem einen Fenster laden zwei niedrige Stühle mit Lehne die Kleinen ein, sich hinzusetzen und sich in ein Buch zu vertiefen oder mit den Spielsachen die Zeit zu verbringen, bis Mama oder Papa ein Kochbuch, einen Reiseführer oder Ratgeber ausgesucht haben. Für die Kleinen bietet der Buchladen ein grosses Angebot an Bilderbüchern, Erstleselektüren und Lesestoff für die Primarschulstufe an. An der Decke ist ein Plakat befestigt. „Lesen ist ansteckend“, steht darauf. Alle Kinder haben rote Flecken im Gesicht. Eine Warnung also?

Am kleinen Bildschirmarbeitsplatz sitzt die Lernende Laura Kuhn. Sie hat nach der Matura beschlossen, zuerst etwas Praktisches zu lernen. Ihrer Liebe zum Buch folgend trat sie die Lehre als Buchhändlerin an. Sie hat eine Stunde Arbeitsweg, denn sie fährt von Rüti nach Dielsdorf. Heute ist das kein Problem dank dem S-Bahn-Netz. Die Reisezeit ohne Umsteigen nutz sie, all die Bücher zu lesen, die sie umgeben. Den Einkauf, sagt sie mir, mache vorwiegend ihre Chefin Alexandra Vogel. Natürlich dürften auch die übrigen Angestellten Vorschläge machen.

Ich suche ein Bilderbuch für meine Enkelin, die gerade anfängt, auf alles zu zeigen, um zu erfahren, wie es heisst. Spontan greift Laura Kuhn zum Wimmelbuch über den Zoo. Es sei eines ihrer Lieblingsbücher, sagt sie dazu. Und wirklich, es ist ein Buch voller Tiere, Dinge und Orte, ein Buch, das immer wieder Neues zum Entdecken und Erzählen anbietet.

Eigentlich, so denke ich nach dem Besuch, ist die Buchhandlung zum Geeren auch so ein Wimmel-Ort. Auf engstem Raum gibt es unendlich viel zu entdecken.