Bücher an bester Lage
Michael Guggenheimer
Das wünschen sich andere Buchläden so sehr: Eigene Parkplätze direkt vor dem Laden. Die Buchhandlung Buchzeichen in Egg verfügt über zwei solche Parkplätze. Andere Buchläden wünschen sich einen Publikumsmagneten in der Nähe, der Kunden, die ohnehin am Einkaufen sind, dazu bringen könnte, in der Buchhandlung vorbeizuschauen. Die Buchhandlung Buchzeichen in Egg verfügt über einen Publikumsmagneten als Nachbarn: Der grosse Migrosmarkt befindet sich genau gegenüber der Buchhandlung, wer das Einkaufszentrum, in dem auch der Haushalt- und Multimedialaden Rhyner domiziliert ist, zu Fuss verlässt, kann die Buchhandlung wirklich nicht übersehen.
Das war nicht immer so: Die Vorgängerbuchhandlung Pfannenstiel, die sich bis Juni 2016 im oberen Dorfteil befand, lag so ungünstig, dass sie manche Bewohner Eggs gar nie aufgesucht haben. Vier Monate nach Schliessung jener Buchhandlung, wurde im Ladenlokal einer ehemaligen Papeterie die neue Buchhandlung Buchzeichen eröffnet. Kulturell engagierte Bewohnerinnen und Bewohner der knapp 9000 Einwohner zählenden Gemeinde gründeten eine Genossenschaft, der heute rund 140 Mitglieder angehören. Ein Anteilschein kostet Fr. 500.-, vier Frauen führen die Buchhandlung und sind abwechslungsweise im Buchzeichen anzutreffen, an Samstagen und in der Vorweihnachtszeit wird jeweils zu zweit gearbeitet.
Annegret Stocker ist gelernte Buchhändlerin, Ulrike Hitz ist Schauspielerin, Sissy Gysin kommt vom kaufmännischen Bereich und Brigitte Hartwig, Bibliothekarin von Beruf, lebt zwar im Engadin, kommt aber alle zwei Wochen von den Bergen ins Zürcher Oberland, um zwei Tage im Buchzeichen zu arbeiten. Und auch wenn keine der drei letztgenannten Frauen, eine Ausbildung als Buchhändlerin absolviert hat, alle drei haben sie zwischen 15 und 20 Jahre lang im Buchhandel Erfahrungen gesammelt. Jede der vier Frauen ist für mehrere Bücherbereiche zuständig, für die sie neue Bücher bestellt. Ulrike Hitz, die manchmal bei Krimistücken auf der Bühne steht und drei Hunde besitzt, ist für die Bereiche Krimi und Thriller, Garten und Natur sowie Tiere zuständig. Brigitte Hartwig kümmert sich um die Bereiche Reisen und Wandern, Ernährung, Gesundheit und Sport sowie Kinder und Jugend. Sissy Gysin betreut die Gebiete Politik, Geschichte, Gesellschaft, sie ist zudem zuständig für die Anschaffung englischsprachiger Bücher. Auch Expats, die in Egg und im nahen Zumikon leben, sollen nicht nach Zürich fahren müssen, um sich dort Bücher in ihrer Muttersprache zu holen. In kleinen Plastikboxen, jede Box trägt das Kürzel einer der vier Mitarbeiterinnen, liegen die Bestellzettel. Geschäftsleiterin bei Buchzeichen ist Apothekerin Marianne Beutler, sie unterstützt mit ihrem kaufmännischen Know-how die vier Buchfrauen.
Mut hat es gebraucht, um die Buchhandlung zu gründen. „Wir hatten keine Ahnung, wer kommen wird“, sagt Ulrike Hitz. „Der Standort gegenüber der Migros war die einzig mögliche Lage für unsere Buchhandlung“, ergänzt Marianne Beutler. Die schöne Verkaufs- und Kassentheke hat Eva Maron, gelernte Dekorationsgestalterin und Schauspielerin aus Arbon gestaltet: Schöne Bookcovers in Leinen, die sie in einer Bücherbrocki gefunden hat, hat sie für die Verkleidung der Thekenfront benutzt. Die beiden grünen Metallhocker vor der Theke sind nichts anderes als Traktorensitze, die sie aufgetrieben hat. Die Sitze der ausgedienten Landwirtschaftsfahrzeuge der Marke John Deere haben so eine neue Funktion gefunden. Und sie sind erstaunlich bequem. An der Verkaufstheke und in der Lesecke beim Schaufenster, wo zwei farbige Ohrensessel stehen, kann man Kaffee, Tee, ein Glas Wein oder Prosecco trinken. „Kehren Sie bei uns zu einem Kaffee oder einem Glas Wein ein. Verweilen Sie mit einem Buch, zu einem Gespräch mit einem Bekannten, zu einem Gedankenaustausch mit unseren Mitarbeiterinnen in unserer gemütlichen Kaffeeecke“, heisst es auf der Homepage der Buchhandlung. Auf dem Thementisch vor der Theke waren am Tag unseres Besuches Bücher über das Engadin sowie Bücher von Engadiner Autoren ausgestellt. Die unterschiedlichen Interessen der vier Buchfrauen spiegeln sich in der Vielfalt der ausgestellten Bücher. Literatur aus der Schweiz, Bücher zur aktuellen Politik in den USA und Europa, Bücher zum Zwinglijahr. Und wer hier Bücher bestellt, kann sie am folgenden Tag abholen: Die beiden grossen Buchauslieferungen der Schweiz bei Olten und in Affoltern bringen ihre Bücher nach Egg genau so schnell wie nach Zürich.
In der Kinderecke warten eine alte Beau Court Schreibmaschine und ein Wählscheibentelefon auf spielende Kinder. Drei rechteckige Bücherinseln aus Holz können vor Veranstaltungen verschoben werden, fünfzig Zuhörern kann die Buchhandlung, die über einen einzigen Raum und eine kleine Küche verfügt, Platz bieten, die Stühle stellt die Schulverwaltung jeweils zur Verfügung. Im Januar fand in der Buchhandlung eine Veranstaltung unter dem Titel „Egger Geschichte(n)“ statt. Der Verein Kulturerbe Egg stellte seine zwei neuen Bücher zur Geschichte der Gemeinde vor. Autoren mit Bezug zu Egg sollen in Zukunft wieder berücksichtigt werden. Im April fand in der Buchhandlung ein Publikumsgespräch mit Hildegard Keller über den Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft statt. Keller, die im Literaturclub des Schweizer Fernsehens auftritt und Professorin an einer Uni in den USA ist, berichtete über das Buch „Die Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika“ von Georg Packer.
Buchzeichen Egg
Mönchaltorferstrasse 8
8132 Egg
T. 044 994 76 76
www.buchzeichen-egg.ch
Ideenreich
Heinz Egger
Ein Buch mit einem Loch. Der Rand ist nach innen gedrückt. Eine Kugel hat es gerissen, vorne hinein und hinten hinaus. Hinten ist der Umschlag arg verletzt und nach aussseb gestülpt. Der Rand ist runherum strahlenförmig eingerissen. Ein echter Durchschuss. Das bestätigt auch die Aufschrift auf dem Cover. „Das Mafia-Kochbuch“ heisst das Buch und enthält Rezepte der italo-amerikanischen Küche. Zusammengestellt hat die Rezepte Joe Cipolla. Eine scharfe Sache – nur schon der Autorenname treibt einem die Tränen in die Augen … Wer die Augen vom Buch hebt und die Gestellanschrift liest, sieht, dass er sich im „Genussreich“ befindet. Ein Gestell voller Bücher, die Genüsse versprechen. Da steht auch ein Band „Schweizer Tapas“ von Tanja Rüdisühli und Laurids Jensen. Dabei macht nur schon der Werdegang der Autorin Lust auf die Lektüre: Tanja Rüdisühli studierte an der Universität Bern Deutsche Sprachwissenschaft, Komparatistik und Geschichte. Nach dem erfolgreichen Abschluss begann sie eine Kochlehre bei einem Sternekoch im Baselbiet, die sie als Beste ihres Jahrgangs 2015 abschloss. Sie arbeitet als Köchin in einem arrivierten Lokal in Basel. Mit «Schweizer Tapas» legt sie ihre erste Publikation vor. (nach https://www.reinhardt.ch, Verlag). Zwischen andern findet sich auch „Genussvoll vegetarisch“ von Otto Lenghi.
Neben dem Genussreich gibt es im Laden auch ein Ideenreich. Darin finden sich reichlich Bücher mit guten Ideen, beispielsweise ein Buch über Tiere: Scanorama, gefährliche Tiere. Ein Buch mit Klappen und „Röntgenschieber“, erschienen 2017 bei Fischer Meyers.
Und natürlich bietet Buchzeichen auch eine grosse Anzahl Bücher für Kinder und Jugendliche an – im Kinderreich. Da finden sich Puzzles, Lieder- und Bastelbücher und eine Menge Literatur. Sie wird kindergerecht präsentiert. Für die Kleinsten sind die Bücher unten im Gestell. Je älter die Leseratten sind, desto höher liegen die Bücher.
Nur schon diese ersten Entdeckungen zeigen, was für ein sorgfältig ausgesuchtes Angebot die Buchhandlung Buchzeichen hat. Nachdem die Buchhandlung Pfannenstiel in Egg schloss, war das für viele Leute ein Verlust. Egg, immerhin wohnen dort in allen Dorfteilen zusammen etwa 8500 Personen, brauche eine Buchhandlung, sagten sich vier mutige Frauen. Sie gründeten eine Genossenschaft für den neuen Buchladen. Nach nur vier Monaten der Vorbereitung öffnete Buchzeichen Egg im Oktober 2016 seine Tür. Der Laden hat eine sehr gute Lage, denn er liegt gegenüber dem stark frequentierten Einkaufszentrum mit Parkplätzen en masse. Allerdings hat auch die Buchhandlung zwei eigene! Etwas Seltenes. Und die Nähe zum Einkaufszentrum bringt immer wieder neue Kundinnen und Kunden.
Die Buchhandlung besteht aus einem Raum. Vorne eine Schaufensterfront mit der Eingangstüre. Im Schaufenster ein Büchergestell, das sowohl Bücher zur Fenster- als auch zur Ladenseite zeigt, davor Körbe mit Kinderbüchern, farbige Kissen für jene, die gewählte Bücher etwas näher ansehen möchten, zwei grosse, bequeme Sessel mit hoher Lehne und Leselampe. Auch eine Kinderecke gibt es. In einem Gestell, das die Leseecke vom übrigen Laden etwas trennt, steht eine leuchtend gelbe mechanische Schreibmaschine. Wer also seinen eigenen Roman sogleich zu schreiben beginnen möchte, hat Gelegenheit dazu. Auch ein altes, schwarzes Telefon mit Wählscheibe steht da – ob damit allerdings noch jemand an den Draht geholt werden kann, ist fraglich, sind doch die analogen Tage der Telefonie gezählt. Nicht jedoch jene des analogen Buchs! Die zahlreich eintretende Kundschaft zeigt, dass das Lesen immer noch ein analoges Vergnügen ist.
Drei aus Holz gefertigte Inseln stehen im Laden . Jede ist mit einem Thema versehen. So liegen auch Bücher zum Engadin auf – eine Anlehnung an die Skiweltmeisterschaften und die Ferienzeit? Und dem weltoffenen Publikum entsprechend gibt es auch englische Bücher.
Den Wänden entlang laufen dunkle Büchergestelle, die oben mit weissem Stift von Hand in grossen und gut lesbaren Lettern angeschrieben sind. So ist der Laden sehr übersichtlich.
Eine Dame kommt extra aus Lindau bei Effretikon nach Egg. Sie schätzt, dass die Bücher mit Hinweisen auf Rezensionen in der Neuen Zürcher Zeitung versehen sind. Gelbe Einstecker tragen die Empfehlungen der Buchhändlerinnen. Sie vermisst aber eine kleine Zusammenfassung und den Grund der Empfehlung auf den Einsteckern. Sie würde auch gern die empfehlende Buchhändlerin kennenlernen. Das würde dem zweiten Wort der Byline zum Logo entsprechen: lesen – begegnen – schenken. Ulrike Hitz, die gerade den Laden führt, nimmt die Anmerkung der Kundin gern entgegen. Schliesslich ist der Laden noch jung und Ideen für ein zielsicheres Marketing sind immer willkommen.
Bezahlt wird an einer besonders schön gestalteten, gebogenen Theke, Bücherbar genannt. Tatsächlich stehen da zwei höhere Stühle der besonderen Art – Barstühle, deren Sitz von einem Landwirtschaftsfahrzeug stammt: Stahlschale, gelocht, grün. Das dürfte älteren Besucherinnen und Besuchern, die in landwirtschaftlicher Umgebung gross geworden sind, Erinnerungen an alte Traktoren oder die kleinen, zweirädrigen Mäh- und Zugmaschinen von Rapid wach rufen. Die Theke selbst ist mit Leinenbuchumschlägen verkleidet.
Wer das Buchzeichen Egg besucht, riskiert keinen Durchschuss, aber einen Steckschuss mit Amors Pfeil. Die Buchhandlung könnte leicht zum Lieblingsort werden!