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Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau

In der Bücherpyramide

Michael Guggenheimer

Alteingesessene Freiburger beklagen, dass bei der Planung der neuen Universitätsbibliothek keine Rücksicht auf die umliegenden Bauten genommen wurde. Die Benützer der grossen Bibliothek und Freunde zeitgenössischer Architektur, die den Charme der Freiburger Altstadt schätzen, nehmen es lockerer mit dem futuristisch wirkenden Neubau, der ausserhalb der historischen Altstadt liegt. Wie ein geschliffener schwarzer Diamant präsentiert sich der Bau, der gleich neben dem Stadttheater liegt. Die Pläne für den Bibliotheksbau hat das Schweizer Architekturbüro Degelo in Basel geliefert. Heinrich Degelos Studio hat in den vergangenen Jahren nicht wenige Auszeichnungen für seine Bauten erhalten, u.a. den Grossen Rheinischen Architekturpreis. Zu den bekanntesten anderen Bauten der Basler gehört das Liechtensteiner Kunstmuseum in Vaduz. Weil die im Sommer 2015 eröffnete Freiburger Unibibliothek so auffallend ist und in vielen überregionalen Zeitungen vorgestellt wurde, kommen Tag für Tag Besucher, um sich an einer der mehrmals im Tag stattfindenden Gruppenführungen das grosse Bücherhaus anzuschauen.

Geschliffener Diamant von aussen

Was beim Anblick des Gebäudes zuerst auffällt, sind die stark reflektierenden Metall- und Glasplatten sowie die nach Aussen und nach Innen stürzenden Aussenwände dieser Bücherpyramide. Typisch für die in der flachen Rheinebene liegende Stadt die Aberhunderte von Fahrrädern vor der Bibliothek. Die wirklichen Qualitäten der neusten Bibliothek Deutschlands werden im Gebäudeinnern sichtbar. 1700 Benutzerarbeitsplätze auf vier Stockwerken und in zwei Hauptbereichen: Die Lesesäle mit einem Bestand von 230 000 Medien befinden sich in einem Lautlosbereich in der einen Gebäudehälfte. In den nicht minder grosszügig eingerichteten Lernlounges in der anderen Gebäudehälfte kann man in kleineren und grösseren Gruppen arbeiten, muss man nicht im Flüsterton kommunizieren. Es gibt im ganzen Gebäude nur einen einzigen Übergang für die Benützer vom Lautlosbereich zum Sprechbereich mit dem Namen „Parlatorium“. Dieses „Parlatorium“ mit Ausblick auf den Platz der Alten Synagoge umfasst 500 Plätze für Gruppenarbeit. Im Lautlosbereich der Lesesäle verfügt jeder Arbeitsplatz über eine eigene Tischleselampe. Diese Leselampen erlöschen automatisch, wenn der Student seinen Tisch verlässt. Die Variation der Tische ist breit: Zweiertische, an denen sich zwei Leser gegenübersitzen gibt es ebenso wie Kombinationen von bis zu zwölf Sitzplätzen. Zwischen den sich gegenüber sitzenden Lesern ist ein Sichtschutz installiert. Dieser schafft für jeden Benutzer eine private Arbeitssphäre. Jeder Arbeitsplatz verfügt über einen Stromanschluss und über die Möglichkeit, ein Kensington-Schloss für die mobile Hardware zu befestigen. Ein Eltern-Kind-Raum im ersten Stockwerk gibt jungen Eltern die Möglichkeit, die eigenen Kinder während einer kurzen Zeit so zu beschäftigen, dass sie die arbeitenden Studenten nicht stören.

Die Lesestockwerke sind nach Arbeitsgebieten aufgeteilt: Im ersten Stock befinden sich die Bücher aus den Studienbereichen Geographie, Medizin, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie den Naturwissenschaftem. Im zweiten Stockwerk befindet sich die juristische Literatur, im dritten arbeiten jene Studenten, die Sprachen, Literatur, Kunstgeschichte studieren, in der vierten Etage richten sich die Bücherbestände an Religionswissenschaftler und Historiker. Im Gruppenarbeitsbereich werden TV-Bildschirme zur Verfügung gestellt, an denen kleine Arbeitsgruppen fremde und eigene Videos besprechen können. Für Bücher und Laptops verfügt jedes Stockwerk über abschliessbare Tagesfächer. Im Eingangsbereich des Bibliotheksgebäudes befinden sich aberhunderte von Schliessfächer, die den Benützern zur Verfügung stehen.

Der Magazinbereich im ersten Untergeschoss, in dem 700 000 Bände gelagert sind, kann zum Teil direkt betreten werden. Das geschlossene Tiefmagazin im zweiten und im dritten Untergeschoss kann zusätzlich mehr als 3,5 Millionen Bände aufnehmen. Bestellte Bücher werden von dort auf Rollbändern in die oberen Hausbereiche transportiert. Photokopierer und Scanner stehen in jedem Stockwerk in genügender Anzahl zur Verfügung, eine Cafeteria und ein Restaurant weist die Bibliothek ebenso auf wie eine grosse Anzahl bequemer Sessel, in denen man mit Sicht über die Stadt dösen darf. Ursprünglich haben die Planer mit bis zu 6000 Nutzern am Tag gerechnet, in den ersten Tagen waren es aber bereits bis zu 12 000 gewesen; zwischen 20 Uhr und 8 Uhr morgens halten sich in der für Besitzer einer sogenannten UniCard rundum die Uhr geöffneten Bibliothek im Schnitt 500 Studierende in der Bibliothek auf.

Die Freiburger Unibibliothek ist zweifelsohne für das 21. Jahrhundert mit seinen digitalen Medien gewappnet, weist sie doch auch mehrere Studios mit modernen. elektronischen Schnittplätzen auf. Das Medienzentrum der Unibibliothek bietet neben moderner Bild- und Tontechnik auch Schulungen an. Im Neubau haben auch die studentischen Macher der Radio-, TV- und Onlineangebote an der Freiburger Uni in einer gemeinsamen, crossmedial arbeitenden Redaktion Platz. Auf rund 800 Quadratmetern im dritten Stock der neuen Universitätsbibliothek finden sich unter anderem ein Videostudio und zwei Radiostudios samt Regieraum und Sprecherkabine, zwei Übungsräume, einer mit einem Großbildschirm, der auch als Touchscreen funktioniert, der andere mit moderner Lautsprechertechnik, ein Raum für Videokonferenzen, ein Bestand von 20 Kameras samt Stativen, Mikrofonen und Lichttechnik und ein Dutzend Schnittplätze für Bild und Ton. Die grosse Bücherpyramide ist weitaus mehr als ein riesiges Büchermagazin!

Universitätsbibliothek Freiburg
Platz der Universität 2
79098 Freiburg im Breisgau
www.ub.uni-freiburg.de

 

Im Wissensgebirge

Heinz Egger

Alain stammt aus Dijon und studiert in Freiburg. Mit ein paar anderen Kommilitonen schiebt er sich durch die Drehtür der Universitätsbibliothek. Sie ist erst seit Semesterbeginn offen. Und schon liebt er sie über alles für seine Studien. Von aussen sieht das Gebäude aus Stahl und Glas aus wie ein Gebirge. Kantig, unten breit und oben schmal. Die vielen Fenster glänzen. Das Stadttheater und andere Gebäude ringsum spiegeln sich wunderbar verzerrt. Drinnen herrscht Grosszügigkeit. Alles ist auf Wachstum ausgelegt.

Alain geht zu seinem Garderobenkästchen, hält seinen Studienausweis, UniCard genannt, an das Türchen und öffnet den Riegel. Er nimmt seine Bücher heraus und stopft seinen Blazer hinein. Ebenso schnell ist das Kästchen ohne Schlüssel wieder geschlossen. Er legt seine Bücher in einen „Datenträger“, einen Einkaufskorb.

Datenträger: Ein einfacher Korb für die Bücher

Ratlos stehen zwei ältere Herren vor den Kästchen. Sie fragen Alain, ob alle der vielen, in langen grauen Reihen angeordneten Kästchen nur mit einer Karte geöffnet werden können. Alain bejaht und schickt die Beiden zur Informationstheke. Gegen einen Ausweis gibt es dort einen Chip, der an reservierten Besucherkästchen funktioniert.

Alain steigt auf der rechten Seite die Treppen hoch. Dies ist der sogenannt laute Teil oder das Parlatorium. Dieser ist vollständig vom linken Teil mit den Lesesälen, wo konzentrierte Ruhe herrschen soll, getrennt. Der einzige Übergang liegt im Parterre. Er hat sich im zweiten Stock mit Gisela, Betty und Hubert verabredet. Sie wollen eine gemeinsame Präsentation besprechen und weiterentwickeln. Dazu nutzen sie eine der braunen Inseln. Zwei Bänke stehen sich gegenüber, ein Tisch dazwischen. Die Rückenlehnen sind auf Mannshöhe hochgezogen. Dem Eingang gegenüber hängt ein Bildschirm, auf dem sie ihre Präsentation zusammen ansehen können.

Sie haben es lustig miteinander. Das ist in diesem Bereich erlaubt. Und dennoch sind sie wegen der schallschluckenden Konstruktion der Insel für andere kaum zu hören. Etwa 500 Arbeitsplätze stehen auf dieser Seite der Bibliothek zur Verfügung. Sie werden rege genutzt. Ein stetiges Kommen und Gehen herrscht.

Nach getaner Arbeit setzen sich Alain, Gisela, Betty und Hubert ins Café Libresso. Sie geniessen dort einen kleinen Imbiss, bevor jeder wieder seinen eigenen Arbeiten nachgeht.

Alains nächstes Ziel ist die Ausleihe. Im elektronischen Katalog hat er die Signatur gefunden und geht ins erste Untergeschoss, sucht die entsprechende Kennung am Regal und zieht das gewünschte Buch heraus. Die Ausleihe geht rasch. Er legt das Buch auf den Tisch, hält seine Unicard auf den Sensor und meldet sich mit der im Tisch eingebauten Zehnertastatur an. Dank dem RFID-Chip im Buch erscheinen auf dem Bildschirm die Daten des Buches. Alain bestätigt die Ausleihe. Einen Moment später spuckt der kleine, im Tisch eingebaute Drucker einen Ausleihzettel aus.

Fächer der Ausleihe - 1400 im ersten Untergeschoss

Gut 3.5 Millionen Medien lagern in der Bibliothek. Die meisten davon sind ausleihbar. Der grösste Teil davon lagert allerdings in den zwei Stockwerken unter Alain. Diese Medien müssen bestellt werden. Sie sind normalerweise innerhalb von Stunden verfügbar. Sie liegen dann ein einem Gestell mit Nummerierung. 1400 solche Fächer zählt Alain in den langen, grauen Gestellen. Schier endlose Reihen von leeren Gestellen stehen da. Viel Platz für neue Bücher für die Selbstausleihe. Er ist nicht so gern in diesem Untergeschoss. Es ist zu düster da unten.

Der Lift bringt ihn in die vierte Etage, wo weitere Bücher der Geschichte, Philosophie und Theologie als Präsenzbibliothek aufliegen. Alain liebt diese Etage. Er geht gern zwischendurch an ein Fenster und setzt sich in einen der drehbaren Vitra-Sessel mit hoher Lehne und Fussschemel. Ein Ort zum Entspannen. Und die Aussicht auf den nahen Park und die Strasse sind traumhaft schön.

Die Lesesäle auf vier Etagen bieten etwa 1200 Einzelarbeitsplätze. Jeder der Arbeitsplätze an weissen, langen Tischen hat eine starke Lampe und eine Steckdose für elektronische Geräte. Kaum jemand arbeitet ohne Computer. WLAN ermöglicht den Zugriff auf den Bibliothekskatalog und gibt Zugang zum World Wide Web.

Alain findet schnell einige Seiten in seinem Buch, die er als Kopie heimnehmen möchte. Auf jeder Etage findet sich ein kleiner Raum mit mehreren Kopierapparaten und einem Buchscanner. Sein Buch ist klein, so dass er es auf einen Kopierapparat legen kann. Er meldet sich am Gerät mit seiner UniCard an und steckt den USB-Stick ans Gerät. Er nimmt die Kopien lieber elektronisch mit als auf Papier.

Alain geht zur Treppe. Auf einem Korpus. liest er einen Zettel: Bücher sind für alle da. Bitte stellen Sie sie immer ins Regal zurück. Er steigt langsam die Treppe hinunter. Er geniesst die Sicht in die Lesesäle mit all den Tischen und Gestellen. Sein Blick folgt den schrägen Fensterwänden und den hellgrauen Betonsäulen. Hier, in diesem Wissensgebirge ist das Studieren schön.