Tradition aufgefrischt
Michael Guggenheimer
In St. Gallen gab es die traditionsreiche Fehr’sche Buchhandlung. Im Jahr 1780 gegründet, wurde sie nach langen 225 Jahren 2005 geschlossen. Nicht ganz so alt ist die Gutenberg Buchhandlung im benachbarten Gossau: Vor 135 Jahren wurde sie eröffnet und befindet sie sich immer noch im selben Haus. Die Gutenberg ist die älteste noch funktionierende Buchhandlung der Ostschweiz. Geändert haben sich die Besitzverhältnisse. Denn ursprünglich gehörte die Buchhandlung zum Druckereiunternehmen Cavelti. Im Jahr 2012 fand eine erste Handänderung statt und seit März dieses Jahres ist André Wigger Besitzer der Buchhandlung. Wigger, der lange Jahre in Allschwil (BL) einen Buchladen besass, wollte etwas Neues anpacken. In Gesprächen mit Berufskollegen erkundigte er sich nach Ortschaften, in denen sich eine Buchhandlung eröffnen oder übernehmen liesse und wurde in Gossau fündig.
Dass es in den beiden benachbarten Ortschaften Flawil und Uzwil keine Buchhandlungen mehr gibt, sprach für den Versuch, sich in Gossau, einer Ortschaft mit Zentrumsfunktionen, zu etablieren. Der Wechsel von den Vorbesitzern hat sanft und dennoch sichtbar stattgefunden. Wigger hat das bestehende Team übernommen und mit dabei ist sogar Brigitta Vuilleumier, die vorherige Besitzerin. Clemens Lüthi, deren Ehemann und ehemaliger Stadtarchitekt von Gossau, hilft auch mit, wenn es gilt, Bücher in die Stadtbibliothek, in eine der Schulen oder an eine Veranstaltung zu bringen. Was anders ist? Neue Stühle, ein neues Sofa, neue Farben, mit denen sich die einzelnen Bereiche und Sachgebiete der Buchhandlung voneinander abheben sollen. Buchhändler Wigger ist mit viel Engagement dabei, ein Buchhändler mit Feuer und Flamme, der schon in seiner Allschwiler Zeit neue und personalisierte Wege in der Werbung beschritten hat. Dass die Gossauer Stadtbibliothek ebenso bei der Gutenberg ihre Bücher einkauft wie die örtlichen Schulen, ist eine wichtige und willkommene Hilfe, die heute so selbstverständlich nicht ist. Wigger sagt von sich, er warte nicht nur im Laden auf die Kunden, er gehe im Gespräch auf institutionelle Kunden zu.
Dazu gehört auch die Veranstaltungsreihe LiteraTertia im Seniorenzentrum VitaTertia, wo Bücher vorgestellt werden. Oder geführte literarische Wanderungen in der Region, mit denen Wigger neue Wege im Bereich der Literaturvermittlung beschreiten will. Denn nicht nur mit Lesungen, die es in der nahen Stadt St.Gallen schon zahlreich gibt, könne Literatur Lesern nähergebracht werden. „Ich bin als Buchhändler Gastgeber“, sagt Wigger von sich. Und so öffnet er seine Buchhandlung auf Wunsch für Gruppen auch nach Geschäftsschluss nochmals und lässt Bücherfreunde in der Buchhandlung bei einem guten Glas und Häppchen Bücher anschauen und über Bücher sprechen. Und weil er auch langjährige Kunden pflegen will, findet sich in der Gutenberg sogar noch eine Devotionalienabteilung, weil es diese seit jeher hier gegeben hat. Ansonsten ist die Buchhandlung ein Ort, in dem es vom Kinderbuch, über Kochbücher bis hin zum Sachbuch und zur ausgewählt guten Belletristik alles gibt. Von der Druckerei übernommen hat Wigger den Druck von Todesanzeigen, wobei er in einem gediegen eingerichteten Besprechungszimmer im ersten Stock Hinterbliebene sprachlich und gestalterisch bei der Bestellung von Todesanzeigen berät. Damit ist die Gutenberg wahrscheinlich die einzige Buchhandlung in der Deutschschweiz, die nicht nur Bücher zum Thema Trauer verkauft, sondern auch gewissermassen Trauernde ein Stück weit begleitet.
Nach einem halben Jahr im neu erworbenen Laden sind dem Buchhändler die Ideen nicht ausgegangen, ganz im Gegenteil. In einem schönen hölzernen Schopfgebäude schräg gegenüber der Buchhandlung sieht er in seiner Phantasie bereits ein Kleintheater stehen, das er gerne aufbauen würde. Und hört man ihm zu, traut man ihm die Umsetzung der Idee in die Realität durchaus zu. Die Bücher, die sein Team und er anbieten, reichen von Literatur aus dem Ausland bis hin zu solcher aus der Region. Da ist Elisabeth Gerters Industrieroman „Die Sticker“ im Angebot, Ulrich Bräker ist mit seinem „Der arme Mann im Tockenburg“, Yvo Ledergerber mit seinen schönen Gedichtbänden ebenso vertreten wie Peter Eggenberger mit Appenzeller Geschichten. Ostschweizer Wanderbücher, die Geschichte des FC Gossau, Das Buch „Gossau. Vom Dorf zur Stadt“ sind ebenfalls da.
Davon dass er mit Herz und Seele dabei ist, die Literatur liebt, zeigt ein Plakat, das gut sichtbar etwas erhöht im Laden hängt. Darauf zu sehen ist der Buchhändler und dazu der folgende Satz: „Warum sich nicht mal wieder von Worten verführen lasen? André Wigger empfiehlt ‚Liebesgedichte’ oder das Buch, das auch ihr Herz höher schlagen lässt“. In der Hand hält er die Liebesgedichte von Erich Fried. “Die beste Werbung ist doch, wenn man sein Gesicht zeigt“, begründet er die etwas ungewohnte Art der Werbung, die von einem Fotografen und einem Grafiker sehr schön umgesetzt wurde. Und wach schaut er sich um, sucht nach Themen, die sich präsentieren lassen. Kaum ist „Vor der Morgenröte“, der neue Film über Stefan Zweig, in den Kinos, liegen bereits Bücher von Zweig im Schaufenster und unter ihnen eine Erstausgabe der „Schachnovelle“. Und weil gute Literatur grenzenlos sein sollte, fehlt in der Gutenberg das Regal mit der Bezeichnung „Schweizer Autoren“: Hier werden alle Autoren gemeinsam präsentiert, Schweizer und solche, die es nicht sind, Grenzen gibt es keine. Und weil ihm seine Mitarbeiterinnen und sein Mitarbeiter wichtig sind, hat er sie auch schon als Team fotografieren lassen. Wenn nur eine Mitarbeiterin im Laden ist, sind sie dennoch alle plakatgross zweimal im Laden zu sehen.
Gutenberg Buchhandlung
Gutenbergstrasse
9200 Gossau
T: 071 383 20 22
www.gutbuch.ch
Gastgeber sein
Heinz Egger
In der Mitte des Ladens nach links führen zwei Treppenstufen auf ein Podest. Rechts steht ein rundes, altes Tischchen mit gusseisernem Fuss. Eine Spitzendecke liegt auf dem Tischblatt. Daneben steht ein moderner, hölzerner Stuhl. Ich lasse mich darauf nieder, um anzukommen.
Das Ensemble, an dem ich sitze, widerspiegelt die Geschichte der Buchhandlung: Die immer noch existierende Druckerei Cavelti gründete den Buchladen vor 135 Jahren. Lange verkaufte Cavelti neben Büchern auch Papeteriewaren. Als sich 2012 Cavelti zurückzog, führten Brigitta Vuilleumier und Clemens Lüthi das Geschäft weiter. Nachdem André Wigger die Buchhandlung im März 2016 übernommen hatte, wurde sie sanft renoviert. Davon zeugen die Farben für die Bereiche der Buchhandlung, beispielsweise rot für die Kinder- und Jugendbücher und gelb für die Sachbücher, und die neuen Möbel. Dazu gehört ein stoffbezogenes, modernes Sofa, ein runder Tisch aus Massivholz, den ein Schreiner als Einzelstück hergestellt hat, und die bequemen Holzstühle aus einer ungarischen Manufaktur.
Der Laden ist langgezogen und recht gross, denn er besteht aus zwei zusammengenommenen Ladengeschäften und erstreckt sich über zwei Häuser. Dank den grossen Schaufenstern ist es hell drinnen, auch wenn die Büchergestelle und die Wände dunkel sind.
In den Schaufenstern liegt Aktuelles. So findet sich bei den Jugendbüchern ein Titel, der auf die Gefahren des Djihads hinweist: „Dschihad online“ von Morton Rhue. Und passend zum eben in den Kinos angelaufenen Film über Stefan Zweig sind auch Bücher von und über Stefan Zweig ausgestellt. Als Blickfang steht da gar eine Erstausgabe seiner „Schachnovelle“.
Gleich beim Eingang findet sich ein Büchertisch. Darauf gibt es verschiedene Bereiche. Unter „Eben eingetroffen * Neu“ liegen vier Bücher von Jan-Philipp Sendker. Das neueste mit dem Titel „Am anderen Ende der Nacht“ trägt ein gelbes Band, auf dem Brigitta Vuilleumier schreibt: „Spannend und bewegend“. Daneben liegt von Robert Seethaler „Die weiteren Aussichten“ ebenfalls mit einer Kurzrezension „… manchmal ist das Leben komisch. Und das Glück sowieso! Dieser Roman ist ein Glücksfall. Bitte lesen!“ – Ich kenne Robert Seethalers „Der Traffikant“ und „Ein ganzes Leben“ und mag seine klare, bisweilen gar lakonische Erzählweise. Gern werde ich mit Brigitta Vuilleumiers Hinweis auch sein neuestes Buch lesen. Zu Connie Palmens „Du sagst es“ schreibt Brigitta Vuilleumier „Kaum fassbar, dass Leidenschaft so viel Leiden schafft. Grossartige Literatur.“ Und André Wigger meint zu Lukas Hartmanns „Ein passender Mieter“ „Für alle, die Hartmann gerne lesen. Es ist sein bester Roman“.
Beim Schild „Buch des Monats September“ liegt „Bühlerhöhe“ von Brigitte Glaser. Auf der gelben Banderole wirbt André Wigger mit „Hat alle Zutaten für ein gutes Buch“. Glaser schreibt über die Gründungsjahre der Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein Spionagekrimi, Familien- und Hotelroman, der im Schwarzwald spielt.
Neben Glasers Buch steht ein Stapel Faltprospekte von Literatertia. Vitatertia und die Buchhandlung Gutenberg organisieren vierteljährlich eine literarische Veranstaltung, die nicht gezwungenermassen in den Häusern des Alters- und Pflegeheims Gossau stattfinden müssen. Zum aufgelegten Literaturprogramm gibt es einen Steller, der über die nächste Veranstaltung informiert. Es geht um die Stickereidynastie von Jacob Rohner, die im Buch „Sticken und beten“ von Jolanda Spirig vorgestellt wird. Ab 2017 wird André Wigger für das Veranstaltungsprogramm von Literatertia verantwortlich zeichnen.
Oberhalb der Gestelle der Bereiche Krimi und Romane hängt ein Plakat. Dieses Plakat stammt aus der beruflichen Vergangenheit von André Wigger. Er führte schon eine gut laufende Buchhandlung in Allschwil, Baselland. Die Buchhandlung hat er an eine Angestellte verkauft und ein Sabbatical angetreten, bevor er in Gossau angefangen hat. In Allschwil hat ein Fotograf ihn porträtiert. Auf dem Plakat steht: „Warum sich nicht mal wieder von Worten verführen lassen?“
Mehrmals betont André Wigger im Gespräch, er wolle Gastgeber sein. Was dazu gehört steht hinter der Kassatheke gross schwarz auf gelb: nicht nur gute Beratung, weil die Angestellten alle Leseratten sind und ihren Beruf leidenschaftlich ausüben, jedes Buch – auch antiquarisch – zu besorgen, sondern auch ein Newsletter, Veranstaltungen zu Büchern und die Gutbuchnacht, bei der man sich nach Ladenschluss mit etwas zum Trinken und Knabbern einschliessen lassen kann.
Besonders gross ist die Abteilung mit den Kinder- und Jugendbüchern. Natürlich ist es wichtig, für den Nachwuchs das richtige Lesematerial anzubieten. Die grosse Auswahl ist weitherum bekannt. Schulbibliothekare der umliegenden Dörfer kommen hier vorbei und decken sich mit Lesestoff für ihre Kundinnen und Kunden ein.
André Wigger denkt daran, sein breites Sortiment, das sich an ein ebenso breit interessiertes Publikum richtet, zu erweitern, nicht um eine weitere Kategorie Bücher, sondern mit Bio-Weinen. Oh ja, ein gutes Glas Wein und ein spannendes Buch – so lasse ich mich gern verführen und ich weiss, damit ist der Abend perfekt.