Lesen hält jung
Michael Guggenheimer
Wenn man mit dem Kölner Buchhändler Klaus Bittner ins Gespräch kommt, bekommt man Lust auf Bücher. Man steht dem Mann gegenüber, versucht sein Alter zu schätzen und verschätzt sich, so viel jünger sieht der begeisterte Leser und passionierte Buchhändler aus, dessen Lesebiografie in der Kindheit mit Karl May begann und in einem verregneten Schullager mit Jean Paul Sartre weiterging. Lesen muss eine Art Sport sein, der einen jung hält, denkt man, wenn man mit dem Mann spricht. Man schaut sich in seiner sehr literarischen Buchhandlung um und vernimmt, dass der Mann, der alle 86 Krimis von Simenon gelesen hat, nichts von der rigiden Trennung von E- und U-Literatur hält. Nach zwei oder drei «Schwergewichten» lese er gerne einen Krimi. Und es gebe so viele spannende Krimis.
Ein wunderbares Reich diese Buchhandlung im Zentrum der Stadt Köln. Wenige Schritte sind es nur zum Imperium von Buchhändler Walther König, wo sich Bücher zu allen Bereichen der Kunst in mehreren Stockwerken türmen. Konkurrenz? Nein, gewiss nicht. Klaus Bittner hat seine Ausbildung zum Buchhändler bei König absolviert. Noch vor König hat er 1980 seine Buchhandlung in der Innenstadt eröffnet zu einer Zeit, da die heute so geschäftige Ehrenstrasse, die Haupteinkaufsstrasse Kölns, nur wenige Läden aufwies. Bittner erinnert sich noch an Baulücken in der Innenstadt, an Reste zerbombter Bauten, von denen heute nichts mehr zu sehen ist. In den ersten 80er Jahren sei die Strasse noch so leer gewesen, dass man mitunter vor dem Laden stehen und auf Kunden warten konnte. Begonnen hat Klaus Bittner mit einem Laden, der halb so gross war wie sein jetziger. Als ein anderes Geschäft auf der Rückseite des Gebäudes auszog, traute er sich, den anderen Laden hinzu zu mieten und einen Mauerdurchbruch zu machen. Heute kann man die Buchhandlung von zwei Seiten her betreten, begrüssen einem die Bücher von zwei Schaufensterseiten: Hinten die Kinder- und Jugendbücher, vorne die Belletristik.
Vor einem Jahr ist Bittners Buchhandlung als eine der besten Deutschlands ausgezeichnet worden. Dies nota bene nicht zum ersten Mal. Da ist einmal der leidenschaftliche Leser Bittner, der die Auswahl der Titel der Buchhandlung besorgt. Aber es gibt auch noch ein gutes Umfeld, mit dem literaturaffinen Publikum: Da ist die Stadt Köln mit ihren vielen literarischen Angeboten wie die legendäre litCologne, jenes grossartige Literaturfestival Kölns, hinzu kommen ein Literaturhaus, die Crime-Cologne und die philCologne sowie die Aktion «Buch für die Stadt». Die Nähe zu Holland und Belgien bringe ebenfalls Leser in die Stadt und in die Buchhandlungen, beobachtet Klaus Bittner.
Belletristik und Geisteswissenschaften sind die Schwerpunkte der Buchhandlung, wobei das Angebot keinen Umweg um Kinderbücher und Krimis macht. Ein lange Zeit besonders sorgfältig betreutes Sachgebiet aber könnte demnächst verschwinden, bedauert Buchhändler Bittner. Es sind die Theaterbücher, die in den letzten Jahren immer weniger verlangt werden. Noch stehen längst vergriffene Spectaculum Bände aus dem Haus Suhrkamp im Büchergestell, noch sind da Bücher über Regisseure und Schauspieler, über Tendenzen im Theater. Neues kommt nur wenig hinzu. Nächstes Jahr, bedauert Bittner, werde er wohl den Platz freimachen für andere Bücher. Weshalb die Theaterbücher weniger Interesse finden? Wohl weil viele neue Stücke im Netz abrufbar sind? Auf die Frage, was denn eine unabhängige Buchhandlung besser könne als der Online-Buchhandel, antwortet Bittner: «Wir sind vor allem lebendig! So einfach ist das. Wir reden, beraten, empfehlen, verführen mit Argumenten, in der Regel mit Freude, lassen teilhaben an unserer Leseerfahrung, an unserer Begeisterung.»
Dort, wo der opulent gestaltete Band «Das Gedicht und sein Double», eine Foto-Text Installation aus 99 Gedichten und Gesichtern von Dirk Skiba steht, zähle ich 23 Buchtablare mit Lyrikanthologien und Büchern von Lyrikern von A bis Z, von Amanda Aizpuriete aus Lettland bis Marina Zwetajewa aus Russland, die alle dicht gedrängt beisammen stehen. Immer wieder schicken Kleinverlage Lyrikbücher, die Klaus Bittner in Kommission nimmt. Das grosse Geschäft seien diese Bücher nicht, gibt Buchhändler Bittner lachend zu verstehen. Die Lyrik aber werde bleiben. Unbedingt. Einem seiner Mitarbeiter liegt die Lyrikabteilung ebenfalls sehr am Herzen, es ist Christoph Danne, der bislang vier Gedichtbände herausgegeben hat und Organisator von Lyrikveranstaltungen ist.
Man schaut sich um in diesem Reich und sieht die Reihe der Anderen Bibliothek, Naturkunden, die Klassiker von Manesse, die rote Reihe von Wagenbach, die Bücher vom Berenberg Verlag, die Bibliothek Suhrkamp, viele Bände des Deutschen Klassikerverlags, ein Gestell mit kostbaren Erstausgaben und signierten Büchern. Aber nicht nur deutschsprachige Autoren. Weltoffen ist das Angebot der Buchhandlung. Eine grosse Anzahl lateinamerikanischer Romane, geordnet nach Ländern sowie zahlreiche Übersetzungen spanischer Belletristik stehen in der Büchergestellen, die Liebe zur französischen Literatur wird bei der grossen Spannbreite von Übersetzungen aus dem Französischen sichtbar, Bände der Reihe La Pléiade fehlen ebenso wenig. Zwischen zwei Kundengesprächen erzählt Klaus Bittner, dass die Buchhandlung Uni Institute von Palermo bis Stockholm mit deutschen Büchern beliefere und für ihre Kunden Bücher im Beirut und Tel Aviv bestelle. Eine wunderbar anregende Auswahl von Büchern aus den Sachgebieten Soziologie, politische Literatur und Literaturgeschichte, keine Scheu von guten Comics von Tim und Struppi bis zu anspruchsvollen französischen Bandes Dessinées. Die Liebe zur Literatur ist nicht nur der grossen Zahl belletristischer Bücher anzusehen. Gleich am Eingang das breite Angebot an anspruchsvollen Zeitschriften wie Wortschau, Neue Rundschau, Reportagen, Sinn und Form, Merkur, Ästhetik und Kommunikation, Kursbuch, Bella triste, Filmkritik, Hohe Luft. The New York Review of Books. Auffallend die Präsenz von jungen Schweizer Autoren im Angebot der Buchhandlung. Bittner zählt gleich jene vier Schweizer Verlage, die er schätzt: Limmat, Lenos, Union und Bilger. Und dann macht er noch auf die Bücher des jungen Verlags Salis aufmerksam.
Die Buchhandlung Klaus Bittner ist Mitglied des exquisiten Zusammenschlusses von Buchhandlungen mit dem Namen 5 Plus. Buchhändler Felix Jud aus Hamburg war es, der Bittner zum Mitmachen animierte. Mittlerweile zählt der Zusammenschluss acht Buchhandlungen, die gemeinsam, zweimal im Jahr ein ansprechendes Magazin für ihre Kunden herausbringen. Im Eigenverlag bringt Bittner die Kölner Poetikvorlesungen heraus. TransLit heisst die Bücherreihe es ist eine Poetikdozentur, die seit 2015 einmal jährlich am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Köln durchgeführt wird. LiK ist eine andere Bücherreihe des hauseigenen Verlags: Die Schriftenreihe gewährt Einblick in die Schätze des Literatur-in-Köln-Archivs (LiK) und des Heinrich-Böll-Archivs der Kölner Stadtbibliothek. Vorbildlich der Auftritt der Buchhandlung im Internet. Klaus Bittner und seine Mitarbeiter besprechen in differenzierter Weise einzelne Bücher, werbende Klappentexte der Verlage haben da nichts zu suchen. Zahlreich sind die Artikel, die bereits über die Buchhandlung geschrieben wurden und auf der Homepage gelesen werden können. Befragt, ob sich die Klientele seiner Buchhandlung angesichts der vielen Belletristik in den Sphären der 50plus bewege, schaut Klaus Bittner einen verwundert an. Nein, keineswegs. Man höre zwar so häufig Klagen über die Jungen, die nicht mehr lesen würden. «Gefordert bin ich durch unser junges Publikum» sagt der Mann, den das intensive Lesen jung gehalten hat. «Über unser junges Publikum erfahren wir viel Neues, das tut gut».
Buchhandlung Klaus Bittner GmbH
Albertusstrasse 6
50667 Köln
T: 0049 221 25 74 870
www.bittner-buch.de
Rares Schwergewicht
Heinz Egger
Der erste Eindruck: grossartig! – Um im Bücheruniversum von Klaus Bittner anzukommen, ziehe ich mich in den Raum gegen die Sankt-Apern-Strasse zurück. Dort stehen Sofas und Sessel, in denen man sich bequem einrichten kann.
Meinem Sitzplatz gegenüber steht die Lyrik. Sie zieht mich magisch an. Den Blickfang bildet für mich das wunderschöne, treffend illustrierte Buch „Es brennt” über Mordechaj Gebirtig, den jiddischen Dichter aus Krakau, von Uwe von Seltmann. Es ist ein absolut lesenswertes Buch, denn es gibt nicht nur Auskunft über das Leben und Wirken des Dichters, sondern macht einen mit der jiddischen Sprache bekannt und zeigt, wo überall bis zum 2. Weltkrieg im Osten Europas diese Sprache gesprochen wurde. Viele der Gedichte wurden vertont. Teilweise machte das Gebirtig selber. Zahlreiche Notenbeispiele enthält das Buch, so dass man auch selber musizieren kann.
Ich verbringe viel Zeit vor den Gestellen mit der Lyrik. So spannende Namen von Verlagen lese ich: Parasitenpresse, Poesiealbum, rhein-woertlich.de, roughbooks. Letztere, so erfuhr ich später im Internet, sind Bücher, die digital gefertigt und direkt vertrieben werden. Es war die Idee des Verlegers Urs Engeler, neue Wege zu gehen. Die quadratischen Bücher – weiss mit schwarzem Aufdruck – laufen anscheinend recht gut, wie die NZZ dazu schon 2011 unter dem Titel „Eigensinn und Improvisationskunst” schrieb. Die Reihe umfasst bereits 50 Bände. Der erste trug die Nummer 000 und war der Lyrik von Hannah Arendt gewidmet. Einige der frühen Bändchen sind allerdings vergriffen.
Viele der Gedichtbücher sind auch haptisch ein Erlebnis, beispielsweise das Buch „Gesang des Steinesammlers” aus dem Verlag Kleinheinrich, Münster. Es enthält Gedichte von Sjón, dem isländischen Autor, und Aquarelle von Bernd Koberling. Der Schutzumschlag ist aus Transparentpapier.
Auch Klaus Bittner betreibt einen Verlag. Seine Bücher sind bestimmten Themen gewidmet, wie dem Heinrich-Böll-Preis oder dem Ziel der translit-Dozentur des Instituts für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln. Translit ist eine produktive Diskussion der Frage nach den Regeln und den kreativen Prozessen, die bei der Übersetzung von Literatur in ein anderes – visuelles, akustisches oder audiovisuelles – Medium zentral sind. Zugleich geht es um das ästhetische Potenzial, das so freigesetzt wird (zitiert nach www.bittner-buch.de/verlag/).
Oder die Schriftenreihe „lik”, eine Abkürzung für „Literatur in Köln”. Sie gibt Einblick in die Schätze des „Lik“-Archivs und des Heinrich-Böll-Archivs der Kölner Stadtbibliothek. Beide Literaturarchive dokumentieren seit vielen Jahren die Kölner Schriftsteller-Szene und bewahren das „literarische Gedächtnis“ Kölns. Zahlreiche international bedeutende Schriftsteller wie Jürgen Becker, Hans Bender, Heinrich Böll, Rolf Dieter Brinkmann, Hilde Domin, Irmgard Keun und Dieter Wellershoff sind in diesen Archiven vertreten (zitiert nach www.bittner-buch.de/verlag/). Die „lik”-Reihe zeichnet sich durch schlichtes Design mit Pfiff aus. „lik” ist aus dem vollfarbenen Buchumschlag herausgestanzt. Der quadratische i-Punkt ist um 90 Grad gedreht. Die Nummer der Ausgabe führt von vorne über den Rücken nach hinten. Die rote Zahl ist gerade so gross, dass sie von vorne noch erkennbar ist.
Weiter finden sich in diesem Raum Bücher für Kinder, viele an der Zahl sind es. Sie stehen in Kisten am Boden um eine geschwungene Theke. Sie zieren deren als Gestell gestalteten dunklen Bauch und belegen dicht an dicht die Ablagefläche. In einem Gestell schauen mich fremde Namen an: Natsume Soseki, Park Hyoung-su, Bilal Tanweer und weitere. Gestelle mit Literatur und Philosophie aus Asien. Daneben Literatur aus Afrika und Lateinamerika. Darin noch einmal Poesie, beispielsweise von Roberto Juarroz, dem argentinischen Dichter, dessen Gedichte als „vertikale Poesie” auf Deutsch u. a. im Literaturverlag Edition Delta erschienen sind.
Einst war die Buchhandlung Bittner berühmt für ihre Theaterabteilung. Klaus Bittner stellt dazu fest, dass heute, niemand mehr Theaterstücke lese oder Bücher übers Theater. Es sei ein unwichtiger Bereich geworden. Antiquariatsbestände seien es noch und man überlege sich, diesen Teil ganz aufzuheben. Und doch treffe ich gerade dort einen jungen Mann, der in den Bänden stöbert.
Neben der Theaterliteratur entdecke ich in einem Gestell andere Genüsse, nämlich Kochbücher und Musikbücher und schliesslich eine schöne Auswahl an Literatur zu Köln. Mir fallen folgende Themen auf: Köln vor dem Krieg, Köln und der Krieg, Köln nach 1945, Romanische Kirchen in Köln, Entdeckungsreise Kölner Industriekultur, zwei Bändchen „unterwegs mit der Dombaumeisterin a. D.” und natürlich etwas über den Kölner Karneval.
An den Gestellen mit den Graphic Novels vorbei kehre ich in den vorderen Raum zur Albertusstrasse hin zurück. Mir flimmert es vor den Augen, so viele Buchrücken schauen mich an. Eine unfassbare Menge an Titeln aus verschiedensten Verlagen auch hier. Auffällige Namen tragen einige Verlage: Blumenbar, Luftschacht, Maro oder Verbrecher. Blumenbar verzichtet übrigens aufs Einschweissen der Bücher in Kunststofffolie. Der hintere Umschlag wird verlängert, um den Buchblock geschlagen und auf dem vorderen Vorsatz mit einem Klebepunkt befestigt. So ist das Buch genauso geschützt wie cellophaniert.
Auf Schritt und Tritt spürt man, wie sehr das Sortiment von einer gezielten Auswahl lebt. Klaus Bittner wählt alles selbst aus, natürlich machen seine Angestellten Vorschläge, aber der Stichentscheid liegt bei ihm.
Ein Blick auf Bittners Website lohnt sich ebenfalls. Besonders gefallen hat mir die über „Links” ganz unten auf der Site erreichbare Linksammlung. Da gibt es einiges zu entdecken!
PS: Die Buchhandlung Bittner gehört zum Zusammenschluss von „5+”, zu denen auch die auf buchort.ch beschriebenen „Librium” in Baden und „Zum Wetzstein” in Freiburg i. Br. gehören.