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Zur Schwarzen Geiss, Konstanz

 

Politik und Belletristik

Michael Guggenheimer

„In die Geiss gehe ich seit Jahren, weil diese freundlichen Leute es schaffen, auf kleinem Raum so scharf auszuwählen, dass mich dort fast jedes Mal ein Buch anfällt, an das ich vorher nicht dachte. Letzte Woche wollte ich nur das neue Buch von Hélène Cixous bestellen und kam heim mit den Interviews von Max Frisch.“ Das sagt Verleger Ekkehard Faude, der in der Schweiz und ganz nahe bei Konstanz lebt. Faude ist ein intensiver Leser, einer mit dem man lang über das Lesen und das Leben sprechen kann. Und mit der „Geiss“ meint er die Buchhandlung „Zur Schwarzen Geiss“ in Konstanz.

Blick in die Tiefe, Büchertisch

Als wir vom buchort.ch uns dort an einem verregneten Donnerstagnachmittag die Bücher anschauen und mit der Historikerin und Buchhändlerin Esther Andrusko sowie mit dem Soziologen und Buchhändler Andreas Haane ins Gespräch kommen, betritt ein Leser aus dem schweizerischen Ermatingen die Buchhandlung. Er holt ein bestelltes Buch ab und bleibt fast eine halbe Stunde im Laden. Man spricht über Literatur, über Buchhandlungen, über die Buchpreise in der Schweiz. Nein, er sei nicht wegen der tieferen Buchpreise in Deutschland Kunde der Schwarzen Geiss, auch wenn sogar Bücher von Schweizer Verlagen hier 30 Prozent billiger seien als in der Schweiz. Es seien die guten Gespräche und die Entdeckungen, die kompetenten Buchhändler, die ihn in die Buchhandlung führen. Und ja, natürlich auch die Tatsache, dass es auf der Schweizer Seite des Bodenseeufers keine vergleichbare Buchhandlung gebe, überhaupt keine Buchhandlung. Konstanz habe mehrere gute Buchläden, alle in der Altstadt gelegen. Einzig die vielen Schweizer Einkaufstouristen mit ihren prallgefüllten Einkaufstaschen würden ihn genieren. „Kennen Sie das“, fragt er, „wenn man sich wegen den eigenen Landsleuten fremdschämen muss?“

Vierzig Jahre sind es her, seitdem die Schwarze Geiss in der Niederburg, dem ältesten Stadtteil von Konstanz, im Haus Zur Schwarzen Geiss von Studenten der Konstanzer Uni gegründet wurde. Die Idee war, Bücher zu führen, die nicht in allen Buchhandlungen abgeboten werden. Das Zielpublikum waren damals Studenten der Uni, die ausserhalb des Stadtzentrums liegt. Damals wechselte man sich an der Ladentheke ab, führte die Buchhandlung im Kollektiv, mittlerweile ist die Rechtsform angepasst worden, ein neues Ladenlokal wurde an der Rückseite des Hotels Barbarossa bezogen, die Schwarze Geiss wurde eine GmbH mit zwei Geschäftsführern. Andreas Rieck, einer der beiden, verdiente zu Beginn sein Geld noch zwischendurch als Lastwagenfahrer.

Die Schwarze Geiss war früher eindeutig eine Buchhandlung, die man als linke Buchhandlung bezeichnen würde. Daher kommt sie auch im Standardwerk „Von Marx zum Maulwurf: Linker Buchhandel in Westdeutschland in den 1970er Jahren“ von Uwe Sonnenberg vor. Ob man die Buchhandlung heute auch noch so bezeichnen würde? Da werden Bücher geführt, die in keiner der anderen Buchhandlungen von Konstanz angeboten werden: Sehr politisch, viel gesellschaftskritisches, nicht wenig Ökologie. „Nationalismus im Osten Europas“, „Unter Weissen. Was es heisst, privilegiert zu sein“, „Meinung, Macht, Manipulation“, „Die Abschaffung der Demokratie“, „Chaos und Globalisierung. Reportagen vom Kampf um den Nahen Osten“, „Was der Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“ sind Titel, die wir hier erstmals sehen. Das Angebot hat sich im Lauf der Jahrzehnte gewandelt. Bildeten früher die rechts von der Eingangstür ausgestellten politischen und zeitgeschichtlichen Bücher den Schwerpunkt der Buchhandlung, so hat sich dies in Zeiten von Internet und Uniskripten stark gewandelt: Heute macht die Belletristik den Hauptteil des Angebots aus. Der gesellschaftskritische Ansatz ist aber geblieben: Dazu heisst es auf der Homepage: „Es geht uns eher um Fragen der Globalisierung als um eitel Sonnenschein. Es geht uns eher darum, Folgen unsozialer Politik für die sozialen Verhältnisse in unserem und anderen Ländern zu thematisieren als um die Frage, was Paris Hilton heute treibt. Es geht uns eher darum, gute Literatur hervorzuheben, als irgendeinen Müll, der zufällig oder nicht in den Bestsellerlisten gelandet ist, hochzujubeln.“ Zudem wollen die Buchhändler Tendenzen im Buchhandel entgegenwirken, die ihnen missfallen. So etwa die „Förderung von Bestsellerverkaufsstellen ohne Service, Beratung und Know-How.“

Blick zur Tür

Wie gut sich das Team in dem auskennt, was in der Schwarzen Geiss angeboten wird, wird beim Stöbern deutlich. Da wird nicht die übliche Anpreisungsprosa der Verlagsprospekte abgespult, da werden eigene Leseerlebnisse vermittelt. Die beiden während unseres Besuchs anwesenden Buchhändler fassen einzelne Bücher zusammen, erläutern, weshalb sich die Lektüre dieses oder jenes Buches lohnt. Befragt, wohin er in den Ferien verreist, gibt Andreas Haane zur Antwort: „Ich bin ein notorischer Nichtreisender. Ich reise von Zimmer zu Zimmer“. Und das macht er wohl auch von Buch zu Buch, reist durch Bücher. Dabei stellt sich im Gespräch heraus, dass er die Ostschweiz von ausgedehnten Radtouren her sehr gut kennt. Ein Gestell mit Büchern von Schweizer Autoren gehört zur Buchhandlung. Bücher der beiden Schweizer Verlage Kein & Aber sowie Rotpunkt bilden ebenso Schwerpunkte wie die vielen Nummern der Schweizer Kulturzeitscrift DU.

„Die Schwarze Geiss ist in den nahezu drei Jahrzehnten meines Konstanzer Lebens nicht nur „mein“, sondern „der“ Buchladen gewesen. Immer gingen Beratung, Service und das Interesse der wunderbaren Buchhändlerinnen und Buchhändler daran, ihre Kundinnen und Kunden literarisch optimal zu begleiten, weit über das hinaus, was man üblicherweise von einem Buchladen erwarten darf. Ich vermisse meine Schwarze Geiss in Berlin- ein Jahr hat nicht gereicht, einen Ersatz zu finden“, sagt Autorin und Literaturrezensentin Bernadette Conrad. Zum Ritual von buchort.ch gehört in jeder besuchten Buchhandlung die Suche nach einem Buch, das an die besuchte Buchhandlung erinnern soll. Diesmal werden es drei. Ein politisches, eines für das Leben mit dem Vierbeiner und ein theoretisches. „Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen“ im Ch.Links Verlag, dann Stephanie Lang von Langens „Entspannt mit Hund. Mit den fünf Grundbedürfnissen des Hundes zur Dog-Life-Balance“, um das Verständnis für Hündin Lotte zu verbessern sowie „Resonanz. Eine Soziologie der Weltenbeziehung“ von Hartmut Rosa aus dem Gestell mit der linken Literatur.

Buchhandlung Zur schwarzen Geiss
Obermarkt 12
78462 Konstanz
T: +49 7531 15433
www.geiss.de/

Mit kräftigen Hörnern

Heinz Egger

Die schwarze Geiss - gezeichnet, auf Zeitung

Links innen an der Tür hängt sie, eine schwarze Ziege: mächtige Hörner, grosse, starrende Augen, ein langhaariges, zottiges Fell und Füsse, die an den Teufel denken lassen. Der Zeichner ist mir nicht bekannt. Er hat sich auf seinem Werk nur mit einem roten, leicht verschwommenen Stempelchen verewigt. Es zeigt wohl einen Krieger. Die gemalte Ziege ist auf braunes Papier aufgezogen, das auf einer kyrillisch geschriebenen, wohl russischen, vergilbten Zeitung klebt. Das Werk steckt in einem einfachen Glasrahmen. Darüber kann jeder in einem weissen Rahmen hinter einem Passepartout eine handgeschriebene Botschaft lesen: „An die lesenden Leute von der schönen schwarzen Geiss in Konstanz“.

Denkt man sich nach diesem Zitat einen Doppelpunkt und betrachet die schwarze Geiss nochmals, dann ist sie quasi wie der Schlüssel zur Buchhandlung: Die Buchhandlung wurde im Frühjahr 1977 von Studenten gegründet. Ihren Namen erhielt sie vom Haus an einer anderen Stelle in Konstanz, in dem die Gründungsmitglieder zusammensassen. Sie gründeten ein Kollektiv – jeder hatte gleiche Aufgaben und Rechte an der neuen Buchhandlung. Die Ausrichtung der Buchhandlung war und ist klar politisch links. Zur Gründungszeit hatte sie bestimmt auch etwas Aufrührerisches, Diabolisches, das sich gegen die herrschende Ordnung wandte. Sehr erhellend ist dazu die Rubrik „Die Geiss“ auf der Website der Buchhandlung (www.geiss.de). Hier positioniert sich die Buchhandlung pointiert. Nur ein Punkt sei hier zitiert: „Wir haben diebische Freude daran, die Gegengifte zu den diversen neoliberalen Lügengeschichten, die in Tageszeitungen, Nachrichtenmagazinen, Funk und Fernsehen verbreitet werden, verfügbar zu halten …“ Und es heisst heute kämpferisch und selbstbewusst im E-Mail-Abspann „Seit 40 Jahren ohne Chef“, obwohl heutige Vorschriften die Bezeichnung von Verantwortlichen erforderte. So gibt es nun zwei Geschäftsführer.

Thematisch hat sich die Buchhandlung etwas geöffnet. Linke und gesellschaftskritische Themen liessen sich auch in der Belletristik portieren, die zunehmend an Bedeutung gewonnen habe, sagt Geschäftsführer Andreas Haane.

Die Bücher zu politischen Themen sind zahlreich. Und sie bilden aktuelle Reibungsstellen ab, beispielsweise Byung-Chul Hans „Topologie der Gewalt“. Zu diesem Buch schreibt der Verlag auf www.matthes-seitz-berlin.de: „Hans ‚Topologie der Gewalt‘ zeichnet vor allem jene Transformation des Gewaltgeschehens, die sich als der Wandel von der Dekapitation (vormoderne Gesellschaft der Souveränität und des Blutes) über die Deformation (moderne Disziplinargesellschaft) bis hin zur Depression (heutige Leistungs- und Müdigkeitsgesellschaft) vollzieht. Han setzt damit seine bereits in ‚Müdigkeitsgesellschaft‘ begonnene beunruhigende Analyse unserer Zeit fort.“ Natürlich sind aus aktuellem Anlass auch Bücher über die Entwicklung in der Türkei vorrätig.

Bewusstsein für Geschichte ist ein wichtiges Anliegen. Es gibt eine eigene kleine Abteilung „Faschismus“. Und über die Juden in Deutschland und auch in Konstanz liegen Titel auf. Die Vergangenheit liegt nie weit weg und es ist wichtig, sie nicht zu vergessen.

Die westliche Welt pocht immer auf ihre Werte, die sie von der christlichen Religion ableitet. Es gibt aber andere Sichten auf die Welt, andere spirituelle Erfahrungen, die vielleicht einen Ausweg aus dem Dilemma der fortdauernd beschworenen, aber ebenso fleissig mit Füssen getretenen Nächstenliebe und dem dauernden Kämpfen und Kriegen hinausführt. Der Buddhismus könnte da bestimmt Wege aufzeigen. Ist das der Grund für die grössere Anzahl Bücher zu dieser Weltanschauung?

Die Buchhandlung ist klein, ja. Nur ein Raum ist es, der aber von unten bis oben mit spannenden Büchern voll ist. Die Mitte des Raums belegt ein Korpus. Er ist über und über mit Büchern bedeckt. Die Covers laden zum Zugreifen und Lesen der Klappentexte ein. Ganz hinten sitzt Andreas Haane. Er stiess früh, noch als Student, zur Buchhandlung; und er ist eine Kapazität. Ich rate nur, lassen Sie sich beraten, Sie werden staunen. Und kommen Sie wieder in die Buchhandlung und er wird Sie wiedererkennen. Das habe ich erlebt: Mein Freund besuchte vor mehr als einem Jahr die Buchhandlung mit seiner Frau und kaufte für sie ein dickes Buch. Der Name des Freundes war nicht mehr da, aber der Zusammenhang und der Buchtitel …

Kartenständer, Bücherwand links

Ohne Buch wird man die schwarze Geiss kaum verlassen. Beim Ausgang steht noch ein Ständer mit Postkarten. Es sind darin verschiedene Sujets ausgestellt, moderne, aber auch alte – ein solches muss doch mit! Und die Karte wird sorgfältig in ein Umweltschutzcouvert gesteckt, auf dem eine gestempelte schwarze Geiss mit kräftigen Hörnern prangt.