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Boekhandel De Tribune, Maastricht (NL)

Fünfstern

Michael Guggenheimer

Maastricht. Eine Stadt im Dreiländereck an der breiten Maas gelegen. Stadt mit Charme, holländisch und doch so anders als die Städte am Meer. Die Stadt mit der schönsten Buchhandlung Europas und mit einer der drei besten der Niederlande.

Die beiden zusammengeschlossenen Ladenlokale der Buchhandlung De Tribune

In den gewundenen Gassen der Altstadt verleihen kleine Läden und Ateliers Maastricht eine besondere Atmosphäre. Hier wirkt nichts wuchtig gross. Das Atelier einer Hutmacherin, die Werkstatt einer Schmuckgestalterin, der Werkplatz eines Lampenmachers, man schlendert an ihnen vorbei, blickt durch die Schaufenster. Und dann der ganz besondere Buchladen „De Tribune“. Ausgesprochen wird der Name „De Tribüne“. Zwei Schaufenster, zwischen ihnen ein Hauseingang, zu seinen beiden Seiten zwei lange, schlauchartige Ladenlokale, unter dem einen Raum ein langgezogener Kellerbereich mit einem Tonnengewölbe, ein Schild weist das Wort Ramsj auf, was soviel heisst wie Ramsch, womit aber auf das sogenannte Neuantiquariat hingewiesen wird.

Eine stimmungsvolle Buchhandlung. Eine stehengebliebene Wanduhr, in jedem der beiden langgezogenen Räume im Erdgeschoss stehen gusseiserne Öfen, die an kühlen Tagen Wärme erzeugen. Atmosphäre alleine macht die Qualität der Buchhandlung „De Tribune“ aber noch nicht aus. Die Wochenzeitung „Vrij Nederland“ (VN) hat eine Erhebung über den Buchhandel in Holland durchgeführt, gesucht wurde nach den allerbesten literarischen Buchhandlungen des Landes. „De Tribune“ hat dabei die allerhöchste Bewertung erhalten: fünf Qualitätssterne. Nur zwei weitere Buchhandlungen in den Niederlanden haben bei jener Erhebung die gleich hohe Bewertung erhalten, es waren der „Boekhandel Donner“ in Rotterdam sowie die Buchhandlung Athenaeum in Amsterdam. Zwei Buchhandlungen in zwei Städten mit wesentlich mehr Einwohnern als Maastricht mit seinen 120 000 Einwohnern. Anonyme Fachleute besuchten damals ausgewählte 66 Buchhandlungen im ganzen Land. Entscheidende Bewertungskriterien waren die Menge vorhandener Buchtitel, die Qualität und Präsentation der Bücher, die Präsenz von Büchern ausländischer Autoren, die Qualität der Auskunft der Buchhändler sowie die Atmosphäre im Laden.

Ein Besuch der Buchhandlung kann es beweisen: De Tribune ist eine grossartige Buchhandlung geblieben. Für ein modernes Design muss man die Buchhandlung gewiss nicht besuchen. Ihre Qualitäten sind die Bücher und das Personal. Und dann noch die Ambiance, die Ausstrahlung des Ortes. Die beiden Verkaufsräume gleichen zwei kleinen dicht belegten Bücheralleen. Der Holzboden im vorderen Ladenteil knarrt, man ist umgeben von Büchern, Büchern und nochmals Büchern. In den beiden Räumen reichen die Bücher bis zur Decke. Die ganze niederländische und flämische Literatur ist hier versammelt. Wer Hollands Literatur kennenlernen will, der befindet sich hier am besten aller möglichen Orte. Philip Houben, ehemaliger Stadtpräsident von Maastricht, meinte in einem Text zum 25. Jubiläum der Buchhandlung, dass die Leute von „De Tribune“ nicht nur Bücher kennen, sondern auch ihre Leser, die Menschen, die Literatur mögen.

Robert-Jan Wesly, Gründungsmitglied der Buchhandlung De Tribune

Gegründet wurde „De Tribune“ 1978, der Laden ist benannt nach einer linken niederländischen Zeitung, die es heute nicht mehr gibt. In seinem Roman „Die Vergeltung“ erwähnt der holländische Schriftsteller Jan Brokken die „kommunistische“ Tageszeitung „De Tribune“. Robert-Jan Wesly, einer der Mitbegründer der Buchhandlung ist immer noch mit von der Partie, ein freundlicher Herr mit jugendlichem Charme und weissen Haaren, der in der hintersten Ecke der Buchhandlung vor einem Computerbildschirm sitzt. Zu viert sind sie im Laden. Anita Joosten berät in perfektem Deutsch, auch wenn es hier kaum deutschsprachige Bücher gibt.

Den Laden kennen wahre Literaturfreunde im ganzen Land, weil er einer von jenen zehn Bücherläden ist, die jede Woche dem Feuilleton der Tageszeitung NRC die belletristischen Titel melden, die am häufigsten verlangt werden. Die ganze Welt ist in „De Tribune“ zuhause, Literatur aus allen Kontinenten, stets in Holländisch. Eine klare Übersicht herrscht hier: Die Belletristik ist von A bis Z geordnet von Thomas van Aalten mit seinem Familienroman „Leeuwenstrijd“ bis Gerrit Jan Zwiers’ Tennisnovelle „Stukje van de lijn“. Und irgendwo liegt da ein niederländischer Schweizroman, der im Kanton Glarus beginnt. Es ist Miek Zwamborns „De duimsprong“, dessen erster Satz „Drie jaar geleden reisde ik per trein naar de Glarner Alpen“ lautet. Romane ohne Ende und dann noch 15 Tablare Poesie, 21 Tablare Philosophie. An einer Wand hoch oben hängt ein Bilderrahmen mit einer Fotografie des Hauses, man erkennt einen Vorgängerladen mit der Aufschrift Sigarenmagazijn De Kapoen und links davon einen Tee- und Kaffeeladen mit Werbung für die Produkte der Firma van Nellen. Beide Geschäftsräume bilden dieses wunderbare Bücherreich. Einmalig der Ort, an dem die Buchbestellungen auf die Kunden warten, es ist ein Möbel aus einer Eisenwarenhandlung mit vielen Schubladen, wo jede Schublade für die Bücher eines Kunden reserviert ist. Manche Kunden der Tribune sind der Buchhandlung auch nach einem Wegzug aus Maastricht treu geblieben und lassen sich Bücher bis nach Groningen im Norden des Landes schicken. Ein Kunde aus der Schweiz soll sogar jedes Jahr einmal in Maastricht vorbeischauen, um dann mit einer schweren Tasche voller Bücher wieder in die Schweiz zu fahren. De Tribune, sagt er, ist der niederländische Buchladen, der am nahesten zur Schweiz liege. Auch das ein Qualitätsmerkmal, wenn auch etwas weit hergeholt.

Boekhandel De Tribune
Kapoenstraat 8-10
6211 KW Maastricht
T: 0031 43 325 19 78
www.detribune.nl/

 

Büchertribüne

Heinz Egger

Metallofen mit Gasheizung, Treppchen zum Erreichen der oberen Tablare, Bücher soweit das Auge reicht

Unter meinem Fuss ein heller Klang. Eine lose Bodenplatte hat sich bewegt. Sie scheint schon lange ohne Halt zu sein. An den Ecken ist die Oberfläche abgeplatzt. Sie ist aus Stein, nicht aus Keramik. Zwei metallene Öfen spenden angenehme Wärme. Die bläulichen Gasflammen rauschen. Ein lautes Poltern schreckt mich auf. Jemand geht eine hölzerne Treppe hoch. Die Schritte verhallen auf einer Etage weiter oben.

Ich stehe bei den Philosophen. Alle Wände der Buchhandlung sind von unten bis oben voller Bücher, Rücken an Rücken. Wer die oben stehenden Bände erreichen möchte, der bedient sich eines zweistufigen Tritts oder einer kleinen Bockleiter. Die Räume sind schmal, die Bücherreihen füllen sie mit Farbe und beleben sie. Über den Gestellen der Philosophen Porträts von Denkern und Sprüche. Da steht beispielsweise von Auguste Comte: Ik ga dood. Wat een onherstelbaar verlies. – Ich sterbe, was für ein unwiederbringlicher Verlust. Oder von Thomas Acquino: Opgepast voor de man van één boek.

„The Anarchist Cookbook“ von William Powell liegt da. Auf der Rückseite des Buches wird in einem schwarzen Kasten eindringlich gewarnt: Read this book, but keep in mind that the topics written about are illegal … Use care, caution and common sense. This book ist not for children or morons. Das Buch ist also nichts für Kinder und Idioten. Es wird nahegelegt,es mit Vorsicht und Verstand zu nutzen. Darüber horizontal eingeklemmte Bücher. Eines, wohl eher ein dickeres Heft, ist Deutsch. Imre Kertész, Der Fremde. Sein Preis ist auf dem Rücken aufgedruckt: 20 sFr / 12 Euro. Darauf liegt weiss strahlend von Franciska und Stefan Themerson „Unposted Letters“. Ein sehr schön gestaltetes Buch mit einer bewegenden Sammlung von Briefen, die sich die Autorin und der Autor während ihrer Trennung im Krieg 1940 bis 1942 nicht senden konnten.

„Één Gedicht is nooit genoeg“, lese ich auf einer Verpackung. Auf Poesie einschlafen – nein, nicht mit einem Buch über den Augen, sondern auf einem Kissen, das mit einem Gedicht bedruckt ist. Texte von Ed Frank, Hans und Monique Hagen, E. E. Cummings, Judith Herzberg, Ingmar Heytze, Johanna Kruit, Nannie Kuiper und weiteren sind im Angebot. Wie es sich wohl auf dem Gedicht „De papegaai en de pinguïn“ von Erik Os schläft?

Dag papegaai, zei de pinguïn
Dag papegaai, zei de papegaai
Nee, zei de pinguïn, jij moet dag pinguïn zeggen
Nee, zei de papegaai, jij moet dag pinguïn zeggen
Jij bent een papegaai, zei de pinguïn
Jij bent een papegaai, zei de papegaai
Stomme papegaai, zei de pinguïn
Stomme pinguïn, zei de papegaai

Ich kann mir gut vorstellen, dass so jeder Schläfer mit einem Lächeln im Gesicht wohlig auf dem Kissen liegt. Wisssend, dass der Text von Hand auf reine Baumwolle gedruckt worden ist.

Über dem Kamin ein Tablar mit Büchern. Am Tablar verkündet ein Zettel: Für diese Ausgaben von der Uitgeverij TIC und LiLiLi gilt: OP = OP. Also ausverkauft ist ausverkauft. Von diversen Titeln sind denn auch nur noch ein Exemplar vorrätig. Emil Hollman hat in der Reihe ein Buch mit dem Titel „In mamabuiken zit geen raam“. In Mamabäuchen gibt es kein Fenster. Ist das die Gegenspielanlage zum Fötus in Charles Lewinskys Anderson? Nein. Hollmann hat die Aussagen seiner heranwachsenden Kinder gesammelt und daraus das Buch gemacht.

Im Gewölbekeller: als "Ramsj" verkaufte Bücher

Von Charles Lewinsky gibt es einige Bücher in holländischer Übersetzung. So natürlich auch Melnitz, der in den Niederlanden eine unglaubliche Verbreitung fand. Die Literaturabteilung ist fast unendlich gross. Da gibt es kaum Wünsche, die nicht erfüllt werden können. Alle namhaften Autorinnen und Autoren sind vertreten. Auch mit ihren neuesten Büchern. Aber nicht nur. Die Buchhandlung hat in ihrer Auswahl auch, was schon vor einiger Zeit erschienen ist. Und was etwas aus der Zeit gefallen ist, aber immer noch neuwertig, das wandert in den Gewölbekeller. Die dort angebotene Ware – es ist viel! – gilt als „Ramsj“. Der lange Gang unter dem Deckenrund mit den hohen Gestellen, die sich wie Tribünen gegenüberstehen, lohnt sich unbedingt.

Dass es auch Schulbücher gibt, habe ich nicht entdeckt – ja, doch, viele in Schulen einsetzbare Bücher schon. Jedenfalls steht auf einem Blatt, das mit Klebband an einem Gestell bei der Kasse befestigt ist: Schulbücher werden nicht auf Rechnung verkauft.“

Die Kassatheke besteht aus einem alten, hölzernen Möbel mit sechs Schubladenstöcken, wie es etwa in einer Eisenwarenhandlung gestanden haben könnte. Die Schubladen schauen zum Kunden. In den metallenen Griffen an den Schubladen ist ein Schild eingeschoben. Jeder Schubladenstock ist mit einem Buchstaben von A bis F gekennzeichnet, Jede Schublade zusätzlich mit einer Zahl. Die Zahl der Schubladen variiert. Es sind von sechs bis neuen vorhanden. Und die Verwendung? – Darin werden die Kundenbestellungen aufbewahrt. In C1 liegen drei Bücher. Darunter eines auf Englisch: „Black and White Photography“ von Michael Freeman.

Als ich den Laden verlasse, sind die zahlreichen grossen Abfallsäcke vor dem Haus abgeholt worden. Und ich sehe, dass die Buchhandlung in zwei Häusern liegt, in zwei ehemaligen kleinen Läden. Der Eingang rechts ist schön gelb gestrichen. Geradeaus geht es zur Treppe, auf der ich jemanden hochsteigen hörte, nach rechts in den Buchladen, der so vielfältig ist und mich mit einer Stimme empfangen hat.