Kettenfrei inhabergeführt
Michael Guggenheimer
Vergleiche sind zulässig. Zum Beispiel in Schaffhausen. Fünf Buchhandlungen zählt die Stadt. Genau besehen sind es bloss deren vier, denn zwei, die zwar unter einem je anderen Namen arbeiten, gehören demselben Konzern. Vier von ihnen befinden sich an guten Passantenlagen. Eine liegt etwas versteckt in einer Gasse. Die Buchhandlung heisst je nach Schreibweise „Buchhandlung zum Fass“, „Bücherfass“ oder auch „Bücher-Fass“. Hat man sich als Ortsfremder durchgefragt und geht die Webergasse hinunter, sieht man am Ende der Gasse ein Holzfass als Wirtshauszeichen und meint, sich verlaufen zu haben. Und dann doch: Das Fass ist zwar auch ein Hinweis für ein Esslokal und für ein Kleintheater. Aber auch für die Buchhandlung.
Vergleiche sind unter Buchliebhabern zulässig. Keine andere Buchhandlung in Schaffhausen ist so reich dotiert an ausgesuchter Belletristik. Keine weist eine so starke persönliche Note auf. In keiner merkt man mehr, dass da passionierte Leser an der Auswahl der präsentierten Bücher wirken. Und keine Buchhandlung in Schaffhausen ist so stimmungsvoll. „Das Bücher-Fass ist die letzte inhabergeführte Buchhandlung Schaffhausens“, sagt Eigentümer Georg Freivogel. Damit meint er, dass die Buchhandlung keiner Ladenkette angehört. „Für kurzsichtige Zeitgenossen steht eine solche Buchhandlung auf der roten Liste einer vom Aussterben bedrohten Spezies. Von Leserinnen und Lesern hingegen erhalten wir oft Komplimente für unser Sortiment, das so anders und vielfältiger sei als sonstwo“. Man befindet sich im Laden, schaut sich um und versteht Freivogels Sätze. Ein altes Altstadthaus, schwere Holzbalken an der Decke im Erdgeschoss. Eine steile Treppe vom Erdgeschoss in den ersten Stock hinauf. Viele, sehr viele Bücher, 17’000 Titel sollen es auf einer Fläche von ca. 180 Quadratmetern sein. Und dann ist da ein Buchhändler, dessen Horizont weder am Rhein noch im nahen Wandergebiet mit dem Namen Randen aufhört.
Georg Freivogel ist seit 44 Jahren der Buchhandlung verbunden. Zwar hat sie unterschiedliche Namen getragen. Und sie war nicht von Anbeginn an im Haus mit dem Namen „Zum eichenen Fass“ untergebracht. Zwischendurch aber hat sich Freivogel mehrmals von den Büchern losgesagt und ist in die Welt hinaus. Tian Shan Tours heisst die Parallelexistenz dieses Mannes. „Die Literatur öffnete mir Ausblicke in neue Welten und sie ermunterte mich, das Fremde und Andere in der wirklichen Welt zu erkunden und zu begreifen“, sagt er. Zu Beginn der 80er Jahre hat er die Welt der Bücher für zwei Jahre verlassen, um Südamerika auszukundschaften. Zehn Jahre später hat er die Schaffhauser Altstadt wieder verlassen, um durch Zentralasien zu reisen. Ein Reiseunternehmen mit Namen Tian Shan Tours hat er gegründet, auch kein gewöhnliches. Pauschalreisen sind nicht seine Sache. Heute verlässt er zwei- oder dreimal im Jahr Schaffhausen und führt Reisende in Kleingruppen durch Lateinamerika, Usbekistan, Iran und Kirgistan. Fernweh, Neugierde für die Lebensumstände in anderen Kulturen sind es, die ihn drängen, zwischendurch mit anderen Reisenden für drei, vier oder sechs Wochen der Welt der Bücher zu entsagen. Aber er kehrt immer wieder zurück an die Webergasse und zum Bücherfass, wo die langjährige Buchhändlerin Ursula Stamm mit den anderen Mitarbeitern den Laden während seiner Abwesenheit führt.
Die Buchhandlung „Bücherfass“ wurde im Rahmen der 68er Bewegung als eine Genossenschaft gegründet. Damals war sie die „linke“ und alternative Buchhandlung neben den beiden seinerzeitigen Buchhandlungen Meili und Schoch. Irgendwann war die Zeit der Genossenschaft vorbei, Mitbegründer Freivogel entschloss sich dann die Buchhandlung zu erwerben. Geblieben aus jenen Jahren ist die „Genossenschaft zum Eichenen Fass“, die Eigentümerin der Liegenschaft, wo die Buchhandlung noch heute Mieterin ist. Auffallend an Freivogels Buchhandlung sind die vielen belletristischen Titel, unter ihnen auch sehr ausgesuchte, die man in den anderen Buchhandlungen der Stadt nicht antrifft. Bemerkenswert auch die vielen Klassiker, die Literatur der Antike, Bücher aus den Bereichen Religion und Theologie. Reich auch die Auswahl an Reiseliteratur. Und nicht minder bemerkenswert die sorgfältige Sprache von Buchhändler Freivogel auf den beiden Homesites von Buchhandlung und Reisebüro. Der Buchhändler ist auch als Verleger tätig: In seinem Kleinverlag „edition freivogel“ gibt er Bücher von Autoren aus der Region heraus.
Im selben Haus wie die Buchhandlung ist ein Kellertheater untergebracht. Vor zwanzig Jahren noch ein Ort, an dem viele auswärtige Künstlerinnen und Künstler aufgetreten sind, ist es um das Theater heute eher still. Neuere Räume wie das Kammgarn, das Haberhaus und das Club Cardinal haben dem Kleintheater die Show gestohlen. Was aber zur Buchhandlung noch unverwechselbar gehört, sind die Lesungen. Seit 1975 organisiert und plant das Bücher-Fass, das damals noch Bücherklause hiess, Lesungen und eine Buchwoche, die seit 1988 unter der Schirmherrschaft des Vereins Schaffhauser Buchwoche steht. Das Bücher-Fass zeichnet nach wie vor verantwortlich für Programm und Planung dieser Literaturtage. Am 23. November startet die Schaffhauser Buchwoche 2015 mit einer Lesung des Schaffhauser Autors und Übersetzer Ralph Dutli.
Buchhandlung Bücherfass
Webergasse 13
8200 Schaffhausen
T: 052 624 52 33
http://buecherfass.ch
Reisen und Klassiker
Heinz Egger
Bücherschiff, Bücherbus, Bücherwagen, Bücherschrank, Bücherkiste – Bücher können in allerhand Gefässe gebracht und bewegt oder aufbewahrt werden. Bücher in einem Fass allerdings stellt etwas Besonderes dar. Etwas Rundes für Eckiges?In Schaffhausen gibt es ein Bücherfass! Vom Bahnhof her kommend, finde ich es am entfernten Ende der Webergasse. Es ist ein ruhiges Strässchen mit vielen kleinen Läden, Boutiquen und Schmuckgeschäften. An der Hausfassade prangt eine schmiedeiserne Trageinrichtung, die andernorts eine Sonne, ein Schwert, einen Anker oder Bären trägt. Hier baumelt ein veritables Fass daran und deutet darauf hin, was in dem Haus früher einmal eingerichtet war: eine Schankwirtschaft. Und sie sei, so erzählt der Besitzer Georg Freivogel, früher in einem eher zwielichtigen Quartier gestanden. Heute ist dort natürlich alles seriös, kein Rotlicht mehr.
Die Lage der Buchhandlung weist darauf hin, dass hier kaum Laufkundschaft vorbeikommt. Es sind Stammkunden und Leute, die gezielt die Buchhandlung aufsuchen. Immer steht jemand im Laden, der Buchhändler und seine Helferinnen stehen dauernd im Gespräch, beraten, zeigen, suchen am Bildschirm und die Kasse klingelt oft.
Die Platzverhältnisse sind eng, der Raum niedrig. Alte Holzbalken tragen die Decke. Alles ist weiss gestrichen. Es ist sehr hell im Raum. Auch die hölzernern Büchergestelle sind mit einer weissen Lasur überzogen. Ihre Konstruktion passt zum alten Haus. Währschaftes Fichtenholz, schwere Regalbretter, massive Träger. Letztere greifen mit dicken Zapfen in die Löcher der Wangen. Die Tablare lassen sich so fast stufenlos verstellen.
Rechts beim Eingang stehen Drehgestelle mit Taschenbüchern. Vorwiegend Belletristik. An der langen Wand, die vom Schaufenster in die Tiefen des Raums führt gibt es zuerst ein Gestell, auf dem eine papierne Aufschrift Lyrik prangt. Daneben vier Gestelle Romane, zwei Gestelle Schweizer Autoren, ein Gestell Philosophie und ein weiteres mit Philosophie, Gesellschaft und Politik. Da kaum Platz fürs Zeigen von Buchdeckeln ist, stecken überall die Buchstaben des Alphabets auf transparenten Karten zwischen den Buchrücken. Es herrscht eine makellose Ordnung. Ganz hinten an der kurzen Querwand finde Zeit – zu diesem Thema liegen auch einige Beispiele im Schaufenster -, Einzelfragen mit Titeln wie Glückssache von Annemarie Pieper oder Glück ist das Ziel, Philosophie der Weg von André Comte-Sponville. Daneben Biografien von A bis Z, Theater, Theaterstücke, Antike bis Neuzeit von A bis Z.
Mir fallen die zahlreichen Bände zum Altertum auf. Dazu gehören philosophische Werke aber auch Theaterstücke und Betrachtungen zu Aristoteles, Platon und zu den Vorsokratikern. Eine weitere solche Abteilung finde ich unter den Drehgestellen beim Eingang. Dort stehen Bücher der antiken Autoren, wie Catulls sämtliche Briefe, Augustus, meine Taten, eine Studienausgabe Lateinisch – Griechisch – Deutsch, erschienen bei Artemis & Winkler. Diese Bücher entsprechen einer Leidenschaft des Buchhändlers und einigen Altphilologen der nahen Kantonsschule.
Den Kantonsschülern wird die grosse Reklam-Abteilung mit allen gelben Bänden mit der Literatur, den orangen mit den zweisprachigen Texten, den grünen Titeln, die einen vertieften Zugang zu Autoren, Epochen, Gattungen oder einzelnen Werken ermöglichen, sowie die lange Reihe Königs Erläuterungen willkommen sein.
Eine Einmanntreppe aus Metall, die klingt, wenn man hinauf- oder hinuntersteigt, führt in den ersten Stock. Der Raum ist wie eine Stube – grosszügig mit getäferter Decke. Dort finde ich einen weiteren Schwerpunkt der Buchhandlung. Dieser besteht, weil Georg Freivogel ein weitgereister Buchhändler ist. Er kennt fast die ganze Welt. Unterlagen fürs Reisen stehen da: Karten für Wanderer, Velo- und Autofahrer, Routenbücher für die ganze Welt, zahlreiche Bände der Reihe Reise-Know-how Kauderwelsch, beispielsweise Hocharabisch, Armenisch, Bengali, Fidschianisch oder Dari für Afghanistan, viele Reiseführer. Ich schaue sie durch, ich möchte etwas über Andalusien haben. Ich finde nur allgemeine Bücher über Spanien. Georg Freivogel geht zielgerichtet auf das entsprechende Gestell zu, streckt sich und zieht zwei Bände zum gesuchten Teil Spaniens heraus. Weil ich gerade mit zwei Flüchtlingen aus dem Iran zu tun habe, möchte ich etwas über das mir völlig fremde Land lesen. Es liegen auf einem Tablar gleich vier Bücher aus. Und Georg Freivogel zieht ein weiteres aus dem Tablar darunter aus. Eines, so sagt der Buchhändler ist eher eine trockene Geschichte des Landes, die beiden anderen berichten aus dem heutigen Alltag des Iran. Ich entscheide mich gegen jenes von Werner van Gent, auch wenn ich ihn und seine Berichterstattungen im Radio sehr mag. Ich wähle die Sicht einer Frau auf das Land: Andrea Claudia Hoffmann, Der Iran – die Verschleierte Hochkultur.
Weinfass, Bierfass, Ölfass, Butterfass. Für reale Bücher eignet sich das Fass wohl nicht. Aber das Fass als vorgestelltes Behältnis für Inhalt wie Wissen, Belletristik oder Kunst und Architektur ist sehr treffend – und auf jeden Fall einen Besuch wert!