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Bibliomedia Schweiz, Solothurn

 

Tankstelle für Bibliotheken

Michael Guggenheimer

Haus, in dem Bibliomedia ihre Räume hat

Solothurn. Barocke Stadt am Jurafuss. Nicht einmal 17 000 Einwohner. Und doch eine Drehscheibe der Literatur. Jedes Jahr an den drei Tagen nach Himmelfahrt finden hier seit vierzig Jahren die Schweizer Literaturtage statt, die jährliche Werkschau der Schweizer Literatur. Was wenigen nur bekannt ist: Solothurn ist für viele Bibliotheken und Schulen in der Schweiz eine Drehscheibe zur Beschaffung von Belletristik und Sachbüchern. Bibliomedia heisst die Institution, die Stadt-, Gemeinde-, Schul-, Gefängnis- oder Spitalbibliotheken mit Büchern versorgt. Zudem versorgt die 1920 unter dem Namen Schweizerische Volksbibliothek gegründete Institution zahllose Schulklassen mit Literatur. Im Jahr 2002 wurde aus der Volksbibliothek die von der öffentlichen Hand finanzierte Stiftung Bibliomedia.

Die Bibliomedia könnte man gut als eine Büchertankstelle oder Bücherreservoir für Bibliotheken bezeichnen. Oder auch als die Bibliothek der Bibliotheken. Bibliotheken können sich in Solothurn mit Büchern eindecken. Die Buchbestellungen, die in Solothurn eingehen, können 10 Bücher umfassen oder bei einer Erstauslieferung sogar 2000 bis 3000 Bücher. Eine Bibliothek, die ihre Bücherbestände durch die Bibliomedia aufbauen oder regelmässig ergänzen lässt, profitiert in mehrfacher Hinsicht: Dem eigenen Bibliothekspersonal wird die Suche nach neuen Titeln und der Einkauf abgenommen. Die Bücher kommen aus dem grauen Bürobau in Solothurn ausleihfertig in den einzelnen Bibliotheken mit einer Signatur versehen an, für die digital kontrollierte Ausleihefachgerecht mit Chips ausgerüstet. Das System hindert aber die 780 bei Bibliomedia angeschlossenen Bibliotheken nicht daran, bei Bedarf zusätzlich an anderen Orten Bücher zu beziehen, die für die jeweiligen Benützer von Interesse sein könnten.

Bibliotheken sind bei Bibliomedia auf Buchlieferungen abonniert und bezahlen eine je nach Bestellmenge gestaffelte Jahresgebühr. Bestellt eine Gemeindebibliothek bei Bibliomedia Bücher, dann bleiben diese im Besitz von Bibliomedia. Die Bücher beziehenden Bibliotheken können von jedem beliebigen Buch auch mehrere Exemplare bestellen. Und wenn eines Tages ein Buch in einer Gemeindebibliothek nicht mehr verlangt wird, wird es nach Solothurn zurückgeschickt und kann, wenn es in einem guten Zustand ist, einer anderen Bibliothek zugeleitet werden. Bei Bibliomedia können Bücher in den Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch sowie in neun Fremdsprachen ausgeliehen werden. Die Filialen im Tessin und in der Westschweiz sind die Partner der Bibliotheken im italienischsprachigen und im französischsprachigen Teil der Schweiz. Seitdem immer mehr Expats in der Schweiz leben und seitdem Englisch immer mehr zur Lingua franca geworden ist, verfügt Bibliomedia über en grosses Lager an englischsprachigen Titeln. Was Bibliotheken in Solothurn beziehen können? Belletristik. Krimis, Fantasybücher, Comics, Kochbücher, Sachbücher zu den verschiedensten Gebieten bietet das Lager in Solothurn an. Was nicht geführt wird ist wissenschaftliche Literatur sowie Lehrmittel für Schulen und Universitäten.

Franziska Baetcke, Direktorin der Bibliomedia Schweiz,

Nicht nur Gemeindebibliotheken profitieren von Bibliomedia. Lehrerinnen und Lehrer können zu Themen, die sie im Unterricht behandeln Bücher bestellen. Werden Themen wie etwa das Wetter, Umwelt und Nachhaltigkeit oder die alten Römer in der Klasse behandelt, kommt aus Solothurn das an, was für den Unterricht benötigt wird: Mehrere Bände zum Thema und Broschüren oder Bücher in genügender. Die „Zentrale für Klassenlektüre“ von Bibliomedia konnte im Jahr 2016 die enorme Menge von 325 000 Bücher für die gemeinsame Lektüre in Schulen verschicken. Bibliomediadirektorin Franziska Baetcke zeigt mit berechtigtem Stolz einen weiteren Tätigkeitsbereich der Institution: Sprachlehrbücher für Migranten Zum Beispiel für Flüchtlinge aus Eritrea in Tigrinya und für Flüchtlinge aus Afghanistan in Dari. Das sind Lehrmittel, welche die sogenannten Willkommen-Bibliotheken einsetzen, von denen sie ganze Klassensätze beziehen können. Diese Sprachlehrbestände – es gibt sie auch noch für weitere Sprachen – sind seit 2015 , dem Jahr der grossen Flüchtlingswelle zusammengestellt worden. Bibliomedia unterstützt damit Bibliotheken bei ihrer Aufgabe, geflüchteten Menschen das Ankommen und Einleben in der Schweiz zu erleichtern. Daraufhin dass in der Schweiz heute mehr als vier Sprachen gesprochen werden, weist auch der grosse Bestand an zweisprachigen Büchern für Kinder bei Bibliomedia, die Schulen und anderen Institutionen ausgeliehen werden. Der Einkauf von Büchern in Arabisch, Türkisch oder Tigrinya und weiteren Sprachen besorgen Vertrauenspersonen der Bibliomedia in der Schweiz mit Verbindungen zu den jeweiligen Ländern, wobei darauf geachtet wird, dass weder Propaganda- noch religiöse Titel eingeführt werden.

Ruth Fassbind, Direktorin des Bibliocenters Solothurn

Beim Abschreiten der Regale und Räume im Bücherlager von Biblionedia stösst man auf Bücher, die man in Gemeindebibliotheken bereits gesehen hat. Und dann in einem separaten Raum etwas, das für den Schreibenden eine Premiere war: Kamishibai heisst eine aus Japan kommende Bilder- und Erzählweise. Sie stammt von wandernden Erzählern, die ihre Geschichten zu bestehenden Bildern mit einem Holzkasten, der wie ein Marionettenkasten aussieht, vortragen. „Im Rahmen der Bibliotheksarbeit mit Kindern lässt sich eine Veranstaltung mit dem Kamishibai zu einer richtigen kleinen Theatervorführung gestalten“, sagt Ruth Fassbind von Bibliomedia. „Die rund 400 Bildtafelsets werden jeweils mit dem dazugehörigen Bilderbuch oder dem Text in deutscher Sprache auf grossen Blättern verschickt. Bei einigen Kamishibaisets ist auch ein Drehbuch in Mundart dabei. Für den Einsatz des Kamishibais in einem multikulturellen Umfeld werden einige Bildtafelsets mit Text in bis zu über 20 Sprachen angeboten.“ Die Erzählerin oder der Erzähler sitzt vor einer Gruppe von Kindern und schiebt ein Bild nach dem anderen auf die Bühnenfläche. Die Kinder sehen Bilder, zu denen eine Lehrperson die Geschichte erzählt. Und damit es für die Lehrperson noch leichter wird, ist der Text der Geschichte auf der Rückseite des Bildes aufgeklebt. An den diesjährigen Solothurner Literaturtagen wird die Bibliomedia übrigens wieder mit eigenen Angeboten für Kinder und Jugendliche dabei sein.

Bibliomedia Schweiz
Rosenweg 2
4500 Solothurn
T: 032 624 90 20
www.bibliomedia.ch

 

Eine für alle

Heinz Egger

Jedesmal war es ein grosses Hallo, wenn die neue Holzkiste mit dem grossen Schweizerwappen darauf ankam. Ich absolvierte die Primarschule in einem 1000-Seelen-Dorf, das natürlich keine Bibliothek hatte. Damit aber alle Freude am Lesen und Entdecken entwickeln konnten, traf regelmässig eine schwere Holzkiste von der Schweizerischen Volksbibliothek, wie die Institution damals noch hiess, im Schulhaus ein.

Die Statuten der heutigen Bibliomedia gehen auf das Jahr 1920 zurück, als die Stiftung der Schweizerischen Volksbibliothek gegründet wurde. Die Stiftung wird vom Bund finanziert. Es fliessen über zwei Millionen Franken in die Kasse der Bibliomedia. Die hölzernen Kisten von damals, sie waren für die Soldatenbibliotheken im 1. Weltkrieg entwickelt worden, gibt es nicht mehr. Aber auch heute werden noch Bücher verschickt. Auch die neuen Transportbehälter sind eine militärische Entwicklung. Allerdings sind sie in verschiedenen Grössen vorrätig und sind aus gepolstertem, strapazierfähigem Stoff hergestellt. Es gelangen auch ganz unmilitärische Kartonschachteln zum Einsatz.

Bibliomedia hat einen riesigen Bestand an Medien. Es sind im Jahr 2016 mehr als 617‘000. Wenn jedes Medium nur 2 Zentimeter dick wäre, so brauchte man bei sehr zügigem Marschieren mehr als zwei Stunden, um den über 12 Kilometer langen Bücherwurm abzulaufen! – Allerdings befindet sich nur ein kleiner Teil am Lager in den drei Bibliocentern in Solothurn, Lausanne und Biasca. Höchstens ein Drittel oder Viertel ist nicht im Umlauf. Denn die Aufgabe der Bibliomedia besteht darin, Gemeinde- und Schulbibliotheken, interkulturelle Bibliotheken, Kindertages-stätten, Gefängnisse und Spitäler sowie Schulklassen mit Lesestoff zu versorgen. Bei Bibliomedia sind etwa 780 Institutionen, die Bücher beziehen, angeschlossen.

Normalerweise stellt Bibliomedia sogenannte Kollektionen für die Institutionen zusammen. Die Aufträge sind mehr oder weniger ausformuliert. So kann die Bestellung je nach Abonnement grösser oder kleiner sein. Es ist auch möglich, nach einer gewissen Zeit Teile der Kollektion ersetzen zu lassen. Die Abonnemente starten mit 10 Büchern, die bis sieben Mal im Jahr ausgetauscht werden können, und enden bei 3500 Medien, die dann einmal im Jahr ersetzt werden.

Der Anschluss an Bibliomedia lohnt sich. Bibliomedia bietet Beratung und Starthilfen für Bibliotheken. Selbst für kleine Bibliotheken ist es möglich, den Bestand ohne allzu grossen finanziellen und personellen Aufwand stets zu erneuern. Wo in weit abgelegenen Gebieten keine Bibliothek entstehen kann, kommt das Bibliomobile der Bibliomedia mit einer mobilen Bibliothek vorbei.

Die Bücher haben alle eine Signatur nach dem üblichen Dezimalsystem. Die bibliografischen Daten werden im Bibliocentrum erfasst und werden elektronisch mit der Kollektion mitgeliefert, damit die Daten in der Zielstelle ins dortige System eingelesen werden können. Wenn man in einer Bibliothek ein Buch in die Hand nimmt und die Signatur anschaut, dann entdeckt man dort vielleicht eine stilisierte Eule – ein geöffnetes Buch mit zwei grossen, runden Augen. Dies ist der Hinweis, dass das Buch von Bibliomedia stammt.

Claudia Kovalik ist in Solothurn zuständig für die Zusammenstellung der Kollektionen. Mit einem Wagen kurvt sie durch das Lager und greift aus den Gestellen, was auf dem Bestellzettel steht. Der Frühling kommt. Da sind Osterthemen zentral. Das Huhn sei nun wieder der Renner. „Bitte keine Hühnerbücher verlangen, es gibt kein einziges Buch mehr dazu bei uns“, sagt sie und verschwindet wieder in den Tiefen der Regale.

Die Kollektionen dürfen auch selbst zusammengestellt werden. Mehr als 100 Bibliotheken machen davon pro Jahr Gebrauch. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare kommen nach Solothurn und holen aus den Gestellen selber, was sie für eine Zeit lang in ihre Bibliothek übernehmen wollen.

Im Jahr werden um 40‘000 Medien angeschafft. Dies geschieht vorwiegend über den lokalen Buchhandel. Damit die Bibliothek nicht aus allen Nähten platzt, werden in ähnlichem Umfang auch Medien ausgeschieden. Innerhalb von etwa zehn Jahren wird der ganze Bestand ersetzt.

Zentrale für Klassenlektüre, Blick in den grossen Raum

Speziell für Schulen gibt es die Zentrale für Klassenlektüre (ZKL). Hier können Lehrer ihre Klassenlektüre bestellen. 440 Titel für jedes Lesealter sind verfügbar. Auch Klassiker wie Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ liegt gelb leuchtend bereit. In der ZKL gibt es auch zahlreiche Easy-Reader auf Englisch und Französisch. Jeder der Titel im ZKL ist zwischen 300 bis 1500 Mal vorhanden. „Tschik“ von Wolfgang Herrndorf ist sehr begehrt und erreichte deshalb die grosse Zahl – an Lager sind aber nie so viele. Die Ausleihzeit für Klassenlektüren beträgt bis zu acht Wochen.

Ein Buch für Afghanen, die Deutsch lernen

Bibliotheken sind heute gefordert, mit der Zeit zu gehen. Als 2015 die Flüchtlingswelle über Europa schwappte, reagierte Bibliomedia sofort. Der Bestand an Fremdsprachen wurde massiv ausgebaut. Heute sind Bücher in mehr als einem Dutzend Sprachen vorhanden. Dazu gehören auch über 3700 zwei- und mehrsprachige Bücher. Speziell für Leute ohne Kenntnisse der deutschen Sprachen gibt es dank dem Projekt „Willkommen! Ihre Bibliothek“ Medienkollektionen für Deutschkurse. So hilft Bibliomedia mit, dass Geflüchtete in der Schweiz Anschluss und eine neue Heimat finden.

Auch die Digitalisierung ist ein Thema, ebenfalls neue Wege, die Bibliotheken beschreiten müssen, um ihrer Rolle als Wissensvermittlerinnen weiterhin gerecht zu werden, sind im Gespräch. So ist der Maker-Space in der Statdbibliothek Winterthur sehr gut bekannt in Solothurn.

Bibliomedia engagiert sich in verschiedenen Projekten, die die Weiterentwicklung des Buchorts Bibliothek verfolgen. Die Willkommens-Bibliotheken wurden schon erwähnt. Dann helfen Vorlesepanther – das sind durch Bibliomedia ausgebildete Freiwillige – in Bibliotheken, Schulen und Altenheimen, bei Veranstaltungen als Vorleserinnen und Vorleser. Bibliomedia Schweiz trägt als Partner das Projekt bugnplay.ch mit und ist in der Jury vertreten. Bei diesem Projekt geht es vor allem darum, Ideen umzusetzen, sei es als Text, Programm, Film oder Musik. Bibliomedia Schweiz hat das Projekt Mondomedia in Zusammenarbeit mit dem Verein Interbiblio und mit Baobab Books entwickelt. Mondomedia bietet eine Plattform, um in der interkulturellen Bibliotheksarbeit der deutschsprachigen Schweiz Erfahrungen auszutauschen und Wissen zu vermitteln.