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Buchhandel Wittwer, Stuttgart (D)

Grosszügig und vielfältig

Michael Guggenheimer

Am Schlossplatz. Königsstrasse 30. So lautet die Adresse. Noch zentraler könnte die Lage nicht sein. Gleich nebenan das Kunstmuseum. Eine grosse, sehr grosse, Buchhandlung, die schon von weitem erkennbar ist. Ein traditionsreiches Bücherhaus, vor 150 Jahren gegründet, in einem modernen, hellen Bau. 98 Prozent der Stuttgarter sollen laut einer Markterhebung das Buchhaus Wittwer kennen. „Tief verwurzelt in der Stadt feiert der Platzhirsch den 150. Geburtstag“, hiess es vor kurzem in der Stuttgarter Zeitung.

Gästebuch zum Jubiläum "150 Jahre Wittwer"

Konrad Wittwer, der in der fünften Generation an der Spitze von Stuttgarts ältestem Buchladen steht, ist einer der beiden Geschäftsführer des Hauses. Ein Bücherhaus mit zwei weiteren Filialen in der Stadt sowie je einer in Sindelfingen und einer in Ludwigsburg. Ein Bücherhaus im Herzen der Stadt mit 3300 Quadratmetern Verkaufsfläche und 80 000 Büchern sowie jährlich 200 Veranstaltungen: Ein Bücherort, in dem man lange verweilen und sich in schöner Weise in den Bücherwelten des Erdgeschosses und vier zusätzlichen Stockwerken verlieren kann. In der Holanka Bar im zweiten Stockwerk – im Sommer geht’s nach draußen auf die großzügige Terrasse – kann man sich neben Kunst-, Mode- und Designbüchern bei Kaffee und Kuchen wieder stärken und findet sich nicht viel später auf einem der breiten Sofas im Haus bei der Lektüre eines Buches. Dass keine der Damen an der Bar einem erklären kann, was der Name Holanka bedeutet, macht nichts: Es gibt in diesem Bücherhaus genügend Nachschlagewerke und Computer, die einem erklären, dass Holanka Hochland Kaffee heisst.

„Bücher, die mir wichtig sind. Stuttgarter Persönlichkeiten lüften das Geheimnis ihrer Lieblingsbücher“ heisst es in einer der grosszügig angelegten Büchernischen. Hans-Josef Ortheil und Sibylle Lewitscharoff wohnen also in Stuttgart. Neben ihrem Porträt steht auf einem Tablar jeweils ein Buch, das sie zur Lektüre empfehlen. Weitere zwölf Persönlichkeiten legen den Kunden je ein Buch ans Herz, unter ihnen die Direktorin des Kunstmuseums, der Intendant des Stuttgarter Balletts, ein ehemaliger Fussball-Nationalspieler und der frühere Nahost-Korrespondent des ARD. Leider sagen die prominenten Leserinnen und Leser nicht, weshalb sie das bereffende Buch empfehlen. Gleich daneben die SWR-Bestenliste sowie eine Auswahl von Büchern, die besonders gut in den grossen Tages- und Wochenzeitungen Deutschlands besprochen wurden. Lange Wanderung durch das Haus, wie schön, dass die Bücher von Margaret Atwood, der diesjährigen Trägerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels auf einem Tisch präsentiert werden. Wie passend, dass als Andenken an den in diesem Jahr verstorbenen deutschen Schriftsteller Peter Härtling seine Bücher beisammen ausgestellt werden.

Lesegelegenheit: Sofas, Stühle - eine Einladung zum Verweilen

Das Bücherhaus Wittwer ist so gross, dass es grosszügig mit Büchern dotiert ist, die jeweils eigene thematische Stockwerkteile besitzen. Biographien und Sammelbiographien, Erfahrungsberichte, Klassiker und Moderne Klassiker heissen einzelne Bücherbereiche. Ein grosses Haus kann sich auch Ausgefallenes leisten: Neben einer der Kassen liegen mehrere Exemplare von Hamed Abbouds „Der Tod backt einen Geburtstagskuchen“. Erstaunlich wie die Bücher des Kleinstverlags ‚Pudel und Pinscher’ aus dem schweizerischen Wädenswil in Stuttgart gelandet sind, wo doch sonst nur wenige Leser in der Schweiz diesen etwas exotischen Verlag mit seinem Lyrikprogramm und dem queren Namen kennen.

Die Reisebuchabteilung kann es locker mit jedem anderen Buchhaus, sogar mit spezialisierten Reisebuchhandlungen, aufnehmen: Ein Bereich mit 65 Tablaren beherbergt alleine Reiseführer, ein weiterer die Bildbände, eine Abteilung trägt den Namen Reiseberichte, eine weitere die Bezeichnung Wandern / Klettern. Radwandern gefällig? Hier warten so viele Radwanderbücher, mit denen man mehrere Jahre lang unterwegs sein könnte. Kein Fluss zu lang, um zu einer Fahrt zu locken. In der langen Wand der Wörterbücher entdecke ich das amüsante Buch „Was Italiener mit den Händen sagen“ und gleich noch ein Buch, dem ich in der Schweiz noch in keinem Buchladen begegnet bin: „Hebräisch Wort für Wort“ in der Reihe „Kauderwelsch plus“. Ein handliches Buch mit knapp 300 Seiten mit einem tollen Wörterbuchteil. Ich weiss, dass mein grosses Langenscheidt-Wörterbuch das Wort „Schliessfach“ falsch ins Hebräische übersetzt hat und beschliesse, das Buch dann zu kaufen, wenn ich die korrekte Übersetzung finde. Und siehe da: Das kleine Buch schafft es, hat es, worauf ich gleich zwei Exemplare erwerbe, eines als Geschenk.

Wörterbücher in verschiedensten Sprachen, Lehnstuhl

Unweit von den Wörterbüchern macht der Liebhaber schöner Kameras mit besonderer Liebe für Analogkameras Entdeckungen. Es gibt sie noch, die Bücher über Leicas und Voigtländer! Soll man sich mit der ausgestellten Fachliteratur eindecken und die eingemotteten Analogkameras aus dem Kleiderschrank wieder hervorholen. Wäre ich bewandter in der Informatik, könnte ich nebenan in einem grossen Gestell mit der Überschrift „Bildbearbeitung“ endlich Wissen erarbeiten, mit dem ich mit meiner digitalen Kamera ganz neue Bereiche erobern könnte. Mein Buchort-Begleiter, ein Computerkenner und Linuxanwender, gibt mir zu verstehen, dass die Büchergestelle im Bereich Computer sehr gut dotiert seien. Ja, Wittwer ist besonders gut ausgestattet, wenn man bedenkt, dass die Sachgebiete Maschinenbau, Technik, Mathematik, Elektrotechnik und Bautechnik, Medizin, Pflege und Alternativmedizin sich sehen lassen. Wittwer ist fürwahr ein Buchhaus par excellence. Die Grösse bringt Masse, lockt Kunden ins Haus. Eine Spezialität des Hauses ist nicht sichtbar. Dieser Satz will allerdings der Breite des Angebots an Titeln gar nicht negativ gemeint sein.

(Die Buchhandelskette Thalia wird im Laufe des Herbsts 2018 die Buchhandlung Wittwer sowie deren Filialen übernehmen).

Buchhandel Wittwer
Königstrasse 30D
70173 Stuttgart
T: 0049 711 25070
www.wittwer.de

 

Too big to …

Heinz Egger

8.6 Millionen Titel, 1 Million davon sofort lieferbar. Das sind etwa die Dimension von Wittwer. Auf fünf Geschossen bietet das Buchhaus seine schier unendlich breite Vielfalt an Büchern, Hörbüchern, Landkarten und einigen Papeteriewaren an. Und die Lage des Hauptgeschäfts an der Königsstrasse ist gut: Vor den Türen gehen Tausende auf Shopping-Tour vorbei. Es erstaunt denn nicht, dass auch im Buchhaus drinnen reges Kommen und Gehen herrscht.

Alle Typen Menschen kann man antreffen. Ein hellhäutiger Mann, barfuss in zerschlissenen Sandalen, holt sich einen persisch-deutschen Dictionnaire, ein anderer steht in kurzen Hosen, aus denen knorrige Beine ragen, vor dem Gestell mit den Programmierbüchern, ein Paar in Velofahrerkleidern berät sich vor dem Angebot an Fahrradrouten, ein Grossvater mit seiner Enkelin stöbert in den Kinderbüchern, eine junge Frau in Jeans mit Löchern blättert in einem Buch übers Grillieren. Ein Mann mit mächtigem, ergrautem Schnauz sieht sich die Hörbücher an und eine schwarz gekleidete und geschminkte Frau mit halbseitig rasiertem Kopf und Tatoos auf der Hand kauft einen Krimi.

Einige Leute sind offensichtlich Touristen. Fotoapparate baumeln an ihren Hälsen. Wer aber im weitläufigen Laden Fotos schiesst, wird sofort ermahnt. Solches ist nicht genehm. Immerhin seien das ihre Kunden, die da abgelichtet würden, und auch „Ladenspione“ schätze man nicht. – Auch ich fasse diese Rüge. Meine Erklärung, dass ich für buchort.ch fotografiere, verfängt nicht. Leider habe ich keine Buchzeichen mehr. Diese legte ich in der ersten Etage hin. Dort gibt es eine kleine Insel mit einem Gästebuch. Wittwer besteht seit 150 Jahren. Natürlich trage ich buchort.ch ein und lege meinen kleinen Vorrat an Buchzeichen auf das Buch.

An diesem Ort der Gratulationen komme ich auf meinem Weg in den vierten Stock vorbei. Ich habe entschieden, von oben nach unten durch das Haus beobachtend zu gehen.

Im vierten Stock findet sich quasi die „Technik“: Naturwissenschaften, Medizin, EDV, Software, Digitale Fotografie, Bildbearbeitung, Multimedia, Wirtschaft, Ausbildung, Beruf, Recht, Steuern, Sprachlehrbücher, Sprachführer, Wörterbücher, Lexika, E-Books, E-Book-Reader, Hueber-i-Punkt sowie Kalender. Es hängen an den Gittergestellen bereits die ersten für das Jahr 2018.

Sprachbücher so weit das Auge reicht.

Ich schlendere den Gestellen entlang und schaue, ob mir etwas ins Auge sticht. Und ob! Die Abteilung mit den Büchern zur Fotografie und Bildbearbeitung ist enorm reich bestückt. Es gibt darin gar eine Unterabteilung, die sich an den Profifotografen richtet. Für den Profi gibt es Bücher zur Stockfotografie, Studiofotografie, sowie ein Handbuch für den Fotojournalisten.

Ein ganzes Gestell ruft nach Rätselfreunden: „Schwedenrätsel Jumbo“ oder „Der dicke Kreuzworträtselblock“.

Auf einem kleinen Tisch liegt ein Buch, das ich mit Staunen in den Händen halte: „Philosophie für Ingenieure“ von Klaus Kornwachs. Der Technikphilosoph geht darin Fragen nach wie „Warum versteht kein Mensch Bedienungsanleitungen?“ oder „Was macht es zu einer solchen Qual, Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn ein Ticket zu entlocken?“ Gut gestellte Fragen! Das Buch ist sicher eine spannende Lektüre – es müsste allerdings Pflichtlektüre für gewisse Entwickler werden.

Bei den Dictionnaires stosse ich auf das Grosswörterbuch Italienisch von Pons. Es hat 2624 Seiten und ist trotz Dünndruckpapier ein unhandlicher Schmöker. Solche Bücher gibt es auch für Spanisch, Französisch und Englisch.

Bei der Kasse steht ein Gestell mit rotem Rahmen und roten Tablaren. Darin stehen schwarzweisse Porträtfotos und daneben ein Buch. Es sind die Buchempfehlungen der Buchhändlerinnen und Buchhändler. Zum Jubiläum von Wittwer liegt da auch ein schneeweisses Notizbuch, eine Sonderedition. Auf der Banderole steht „Leuchtturm 1917“. Zwei Dinge vermisse ich an diesem Ort: Wie heissen die Empfehlenden und warum ist das ausgestellte Buch lesenswert?

Breites Angebot an Kinderbüchern

Für jede Etage ist eine Person verantwortlich. Die Namen sind auf der Website von Wittwer aufgeführt. Mir fällt auf, dass nur ein Mann darunter ist. Er ist für den dritten Stock zuständig. Dort findet sich einerseits die Papeterie, dann Kinderbücher, Erstleser, Lernhilfen, Reihen für Leseratten ab 10 Jahren, Bücher zur Kinderbeschäftigung mit Titeln vom Malbuch bis zum Kinderliederbuch. Gleich neben dem Gestell „Märchen/Klassiker“ steht ein Sofa und einige Spielsachen, ein kleiner Tisch mit Stuhl – eine Einladung zum Verweilen und erste Seiten eines neuen Buches zu erzählen. Weitere Abteilungen sind Gesundheit, Esoterik und Lebenshilfe.

Auf den Wendestellen der Treppe ist Raum für Büchertürme. Einer besteht aus „Ebbe & Blut“ von Luisa Strömer und Eva Wünsch. Das Buch ist übrigens eine Bachelorarbeit, und wurde mit einem Preis für die beste Bachelorarbeit im Sommersemsters 2016 and der Design-Fakultät der TH-Nürnberg ausgezeichnet. Jetzt ist es gar nominiert für den Deutschen Design-Preis 2018.

Im zweiten Stock geht es um Reise, Genuss und Kunst. Nach einem längeren Streifzug bin ich müde und freue mich auf einen Kaffee im „Buchcafé Holanka Bar“. Da ist man auch nicht allein. Und es ist wunderschön, den Leuten zuzuschauen, wie sie ihre neu erstandenen Bücher aus der Schutzfolie schälen und sich in den Inhalt versenken. Manch ein Kaffee wird dabei kalt.

Ich weiss, nun fehlen noch die erste Etage mit den Schwergewichten Romane, Geschichte und Kultur, die grosse Abteilung mit den Hörbüchern und schliesslich das Erdgeschoss mit dem, was sicher am schnellsten über den Ladentisch geht: Krimi, Unterhaltung und Jugend. Aber es ist schlicht zu viel, das Angebot so gross, dass es sich in wenigen Sätzen aufführen liesse.

Auf dem Weg aus dem Haus komme ich nochmals am Gästebuch vorbei. Weitere Leute haben sich eingetragen. Und von den Buchzeichen ist keines mehr da. Ich hoffe, jedes habe einen neuen Besucher der Buchort-Website erreicht.