UC BOOKS & ARCHIV, Zürich

Bücherscout und Fotofreak

Michael Guggenheimer

Es gibt einen Ort in Zürich, an dem man lange Gespräche über Buchkunst, schöne Bücher, Fotografie und Fotobücher führen kann. Jeweils am Samstag von 12 bis 18 Uhr ist der Ort offen, man kann sich aber auch unter der Woche mit einem der beiden Gesprächspartner verabreden.

Eingang und Lifteingang zu Archiv & UC Books

Man geht an einer Fahrradwerkstatt vorbei, steigt die Treppe des Gewerbebaus zum ersten Stockwerk hinauf und befindet sich in einem Raum, in dem Bücher auf mehreren Tischen und in Vitrinen liegen. Alles übersichtlich, keine übervollen Büchergestelle oder Büchertische. Ein heller Raum, von drei Seiten her kommt durch die grossen Fenster Tageslicht. Ein langer grosser Arbeitstisch ist da, sehr aufgeräumt, hinter ihm das einzige Büchergestell im Raum. Das ist der Ort, den zwei Bücherbegeisterte bespielen und teilen. ARCHIV – Books & Prints und UC Books heisst der Ort an der Erikastrasse. UC bitte so auszusprechen, wie die Amerikaner oder Engländer es tun.

Eröffnet wurde der Ort im September 2017. Bei Facebook, wo die Eröffnung angekündigt wurde, hiess es: „Jeden Samstag wird Paul Brunner bei UC Books mit einem wöchentlich wechselnden Fokus eine spannende Auswahl von Foto- und Kunstbüchern anbieten. Im ARCHIV finden weiterhin wechselnden Buchausstellungen statt. Zudem wird Christoph Schifferli ausgewählte Bücher aus dem Umfeld seiner Sammlung zum Verkauf anbieten.“

Archiv: Christoph Schifferli

Zuerst war Christoph Schifferli da. In diesem Haus hatte sein Vater Peter Schifferli den im Jahr 1944 gegründeten Arche Verlag geführt. Im ersten Stock die Administration, unten das Büchermagazin und das Auslieferungslager, weshalb das Haus einen Warenlift besitzt, dem zu verdanken ist, dass der Raum schnell verändert werden kann: Findet eine grössere Veranstaltung statt, können Teile des Mobiliars mit dem Lift nach unten transportiert und dort vorübergehend eingelagert werden. Ausstellungsraum und Verkaufsort, Galerie und Buchhandlung, Debattierraum und Grafikatelier. All das ist dieser Raum gleichzeitig oder auch nacheinander.

Paul Brunner ist der Zweite im Bunde. In Hamburg aufgewachsen, in Zürich an der Hochschule der Künste die Fotoausbildung absolviert, belgisch-italienische Herkunft. Ein Bücherscout stets auf der Suche nach besonders spannend gestalteten Publikationen, ein Kenner von Verlagen, deren Produktion in den gängigen Buchhandlungen nur selten zu sehen ist, weil sie keiner Auslieferungsstelle angeschlossen sind. Bücher aus Bozen, Gent und Amsterdam bringt er nach Besuchen bei spezialisierten Buchhandlungen und Verlagen mit nach Zürich. Nicht selten handelt es sich bei diesen Büchern um solche, die in Kleinauflagen von bis zu 300 Exemplaren herausgegeben wurden. Er stellt sie aus, zeigt sie den Besuchern und kann zu jedem Buch über die Gestalter und Fotografen erzählen. Und fast ging es jetzt vergessen: Er verkauft sie auch!

Nicht anders Christoph Schifferli. Auch er mehrsprachig und ein seit seiner Jugend im Tessin ein Buchbegeisterter. Ein Mann, der seit Jahrzehnten „visuelle Bücher“, Fotobände, sammelt, häufig mehr als ein Exemplar eines besonders gut gelungenen Buchs erworben hat. Dank den gezielt eingekauften Dubletten kann er Bücher präsentieren und verkaufen, die nicht mehr auf dem Markt erhältlich sind. Als seine Sammlung mit der Zeit sehr gross wurde, verkaufte er eine ganze Fotobibliothek an das Musée de l’Elysée in Lausanne. Und weil er immer noch Bücher kauft und immer noch eine grosse Bibliothek besitzt, trennt er sich jetzt von Büchern, die er ausstellt und zum Verkauf anbietet. Sehr treffend heisst es im Internet zu Christoph Schifferlis Absicht: „ARCHIV was initiated by Christoph Schifferli and is the playground of a few addicted collectors enjoying remarkable or unusual publications, ephemera, photographs and facts relating to one or all of these.“

In der einen Hälfte des Raumes zeigt Paul Brunner seine Bücher. In der anderen sind die Bücher von Christoph Schifferle zu sehen. Wo sich die präsentierten Bücher treffen? Im Künstlerbuchbereich. Schifferlis Interesse gilt den Büchern der Konzeptkünstler der 60er und 70er Jahre. Brunner umkreist die Fotografie der letzten Jahre und Jahrzehnte. „Meine Heimat ist die Fotografie“, sagt Brunner. Kennengelernt haben sich die beiden im New Yorker Swiss Institute, wo Schifferli Buchausstellungen kuratiert hat. In späteren Gesprächen ergab sich, dass die beiden gerne Bücher ausstellen und Verkaufen würden. „So ein Raum, das war mein Traum“, sagt Brunner und meint den Ort, in dem sie jeweils an Samstagen Buchbegeisterten begegnen. „Wenn man die ortsübliche Miete zahlen und Personal anstellen muss, dann bekommt man das nicht hin, was uns vorschwebt“, ergänzt Schifferli. Er stellt den Raum zur Verfügung, Brunner seine Arbeitskraft. Und beide sind nicht nur Händler ihrer Bücher. Schifferli war lange Jahre im Informatikbereich tätig, Brunners Einkünfte stammen aus der Kombination unterschiedlicher Beschäftigungen. Der Büchersamstag ist die Passion der beiden Herren, die Preise der Bücher bewegen sich von Fr. 8 bis Fr. 1000.-

Der Warenlift, die samstägliche Öffnungszeit, der helle Raum mit seinen drei Fensterfronten machen es möglich, dass von Montag bis und mit Freitag noch ein dritter im Bunde mitspielt: Buchgestalter Teo Schifferli, der Sohn des Büchersammlers, entwirft hier seine Bücher, gerade zur Zeit unseres Besuchs den Katalog des Wettbewerbs „Schönste Schweizerbücher“. Sein Vater war, einige Jahre sind es jetzt her, Mitglied der Jury, die diese Bücher beurteilen musste. Und findet eine Vernissage oder ein Vortrag unter der Woche hier statt, dann wird der multifunktionale Raum rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn wieder verändert. Erst beim genauen Hinschauen ist zu erkennen, dass die beiden Herrn wahrlich auch zaubern können: In Vitrinen zeigen sie besonders seltene oder kostbare Bücher. Findet gerade aber ein Verkaufssamstag statt, können sie exakt passende Filzbeläge auf die Vitrinengläser legen, auf denen dann Bücher liegen, die sie zeigen wollen.

UC BOOKS & ARCHIV
Erikastrasse 11
8003 Zürich
T: 078 734 23 26 (Paul Brunner)
T: 079 407 46 71 (Christoph Schifferli)
ucbooks.org
archiv11.org

 

Erfüllter Traum

Heinz Egger

Ein Raum mit fünf Anwendungen: Arbeitsraum, Archiv, Buchhandlung, Ausstellungs- und Veranstaltungsort. Er liegt in der Erikastrasse 11 in Zürich in einem alten Gewerbebau im ersten Stock. Grosse Fenster auf drei Seiten lassen das Weiss der Wände strahlen. Nur wenig ist im Raum fest installiert. Neben der Eingangstüre nach rechts ist es ein hohes, hölzernes Büchergestell eingebaut, sonst ist alles im Raum beweglich. So auch der lange Arbeitstisch, auf dem ein grosser Computerbildschirm steht. Die Vitrinen und die handlichen Büchergestelle sind frei platzierbar.

Der Raum hat eine Geschichte. Er diente einst dem Arche-Verlag als Auslieferungslager. Als der Verlag verkauft wurde, erwarb Christoph Schifferli das Haus und arbeitete selbst wie sein Vater einst darin. Heute sitzt hinter dem Computer wieder sein Sohn und nutzt Tisch, Raum und Atmosphäre für seine Buchgestaltungen.

Der Raum wird wieder Buchort. Seit 2017 gibt es darin wieder Bücher zu kaufen. Paul Brunner, ein junger in der ersten Hälfte seines Berufslebens stehender Fotograf und Fotobuchkenner mit einem Master in Geschichte der Kunst und Fotografie, und Christoph Schifferli, der sein Berufsleben bereits hinter sich hat, haben sich zusammengetan. Bücher sind die Passion der beiden Herren. Kennen und schätzen haben sich Paul Brunner und Christoph Schifferle an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) im Zusammenhang mit Ausstellungen.

Das Ausstellungsmachen verbindet sie. So soll denn mindestens zweimal im Jahr im Raum eine Ausstellung stattfinden. Sie laden Künstler ein, die frei gestalten dürfen. Allerdings muss das Ausgestellte etwas mit dem Buch zu tun haben. Und sei es nur, dass der Künstler jene Bücher auflegt, die ihm wichtig sind.

Das Fotobuch verbindet sie. Christoph Schifferli hat während Jahren Fotobücher aus den 60er und 70er Jahren gesammelt. Er erkannte in den 80er Jahren, dass das Fotobuch mehr als nur ein Buch mit vielen Bildern ist. Er sah darin auch eine Kunst. Damals, so sagt er schmunzelnd, sei das Buch „Die Amerikaner“ von Robert Frank noch in der Reiseabteilung einer Buchhandlung zu suchen gewesen, nicht unter Kunst. 2006 entschied er, sich von der Sammlung zu trennen. 5500 seiner Fotobücher fanden im Musée de l’Elisée in Lausanne ein neues Zuhause. Er tat es, weil er feststellte, dass er seinen Fokus schon einige Zeit auf Künstlerbücher gerichtet hatte. Also Bücher, die einen künstlerischen Wert haben, weil sie als Medium den künstlerischen Ausdruck transportieren. Die meisten sind nur in kleinen Auflagen in den Handel gelangt.

UC Books: Paul Brunner

Paul Brunner ist mit Büchern aufgewachsen. Während des Bachelor-Studiums als Fotograf befasste er sich oft mit Fotobüchern. An der ZHDK nutzte er intensiv den Nebis-Verbund. Und er stellte für die Hochschule eine Liste von 90 Fotobänden zusammen, die er im Fundus der Bibliothek der ZHDK gerne gesehen hätte. Nicht alle Bücher wurden gekauft – nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Verfügbarkeit. Ein bestimmtes Buch aus einem kleinen Verlag im Ausland zu bestellen, ist nicht immer einfach. Die fehlenden Bücher waren ihm so wichtig, dass er sich selber um deren Besorgung zu kümmern begann. Mit Erfolg. Sehr oft reist er deswegen an Messen, knüpft dort Kontakte und häufig besucht er selbst den Verlag, um die Bücher dort abzuholen. Maximal sechs Stück kauft er. Und er bezahlt immer sofort. Er kauft nur ein, wenn auch das Geld vorhanden ist. Er weiss, wie wichtig es ist, dass das Geld schnell beim Verleger und beim Künstler ankommt, denn nur so besitzen Verlag und Künstler die Ressourcen für neue Bücher. Paul Brunner träumte von einem Ort, an dem er seine Bücher anbieten konnte.

Die Idee eines Buchladens verbindet sie. Die Zusammenarbeit mit Christoph Schifferli ist ein Glücksfall. Ihre Interessen decken sich, ihr Angebot ergänzt sich. Sie sagen, es gebe eine „poröse Grenze“ zwischen ihnen. Die Miete des Raums übernimmt Christoph Schifferli, so wird die Belastung für Paul Brunner nicht zu gross. Die Buchhandlung ist immer am Samstag offen. Unter der Woche „hütet“ sie der Buchgestalter. Auf Anmeldung ist so auch unter der Woche ein Besuch möglich. Allerdings fehlt dann die Beratung. Und es fehlen die Geschichten, die beide zu ihren Büchern erzählen können. Paul Brunner kennt von jedem Buch, das er anbietet – und es sind immerhin etwa 350, die Herkunft, den Verlag, das Spezielle am Buch. Meist ist nur schon der verschlungene Weg des Buches bis zu UC Books eine spannende Geschichte.

Natürlich möchte Paul Brunner seine Bücher verkaufen. Doch der Name UC Books könnte auch als „you see books“ gelesen und verstanden werden. Wissend, dass sich nicht jeder die zum Teil ziemlich teuren Bücher leisten will, ist jedermann willkommen, auch nur wenn er oder sie ein bestimmtes Buch einmal eingesehen oder in den Händen gehalten haben möchte.

Der andere Teil des Buchort-Namens bezieht sich auf das Angebot von Christoph Schifferli. Seine Bücher stammen aus seinem Archiv. Von den Künstlerbüchern kauft Christoph Schifferli immer zwei Exemplare. Eines kommt in seine Sammlung das zweite bietet er zum Verkauf an. Aus der Sammlung kommt auch, was nicht recht ins Konzept passt. Teilweise sind die Bücher antiquarisch und können bis zu 1000 Franken kosten.

Buch aus Archiv, Cameron Jamie: Kopbf Book XIII

Auf einem Tisch liegt ein grünes Buch, geschlossen mit einem Gummiband. Es sieht aus wie eine Agenda. Es ist auch eine, aber darin befindet sich an jedem Tag eine Zeichnung, eine verschlungene Linie. Ein Baum, ein Mensch, ein Blumenstrauss? Cameron Jamie hat so jedes Blatt geschmückt. Das Buch trägt den Titel „Kopbf Book XIII“ und wurde in 180 Exemplaren gedruckt. Sehr schön, sehr handlich, eine Versuchung, die aber 180 Franken kostet.

Der Kunstsinn verbindet sie. Die Auswahl der Bücher zeugt bei beiden von grossem Wissen, Engagement und Geschmack. Und in jedem Buch, das sie für sich ausgewählt haben, steckt auch eine Kunstkritik, die beide gern erläutern.