Lesepalast hoher Qualität
Michael Guggenheimer
Dresden löst widersprüchliche Emotionen aus. Die Stadt ist ein Touristenmagnet mit einer Altstadt, deren putzige Bauten architektonische Fälschungen sind. Eine Stadt mit einer hervorragenden Universität und mit ebenso herausragenden Forschungsinstituten, die Stadt, die in den letzten Jahren wegen Pegida und wegen der rechten AfD in die Schlagzeilen geraten ist. Opernfreunde sind seit langem der Stadt verbunden, Musikfreunde kommen seit Mitte 2017 nochmals ins Schwärmen und rühmen die herausragende Architektur sowie die hervorragende Akustik des neuen Konzertsaals im Dresdner Kulturpalast. Benutzer der Dresdner Zentralbibliothek loben den neuen Bücherort in höchsten Tönen. Konzertsaal und Bibliothek befinden sich im selben Bau, dem von Innen her vollkommen neu konzipierten ehemaligen Kulturpalast aus der DDR-Zeit, in dem heute eine grosszügig eingerichtete hochmoderne Bibliothek und der vortreffliche Konzertsaal baulich aufs Engste miteinander verbunden sind und gemeinsam einen Ort mit starker Anziehungskraft bilden.
Der Kulturpalast, eröffnet im Jahr 1969, war bereits in der DDR-Zeit ein wichtiger kultureller Ort der Stadt. Fast jede Dresdnerin und jeder Dresdner kennt ihn aus eigenem Erleben. Ob Dresdner Philharmonie, Dresdner Musikfestspiele, Dixieland Festival, Turniertanz, Pop- und Rockkonzerte, Kongresse oder Theateraufführungen, der Kulturpalast ist aus dem kulturellen Leben Dresdens nicht wegzudenken. Man hätte den Kulturtpalast der DDR-Zeit durch einen Neubau ersetzen können. Und hat sich für eine andere und spannende Lösung entschieden. Die äussere Hülle ist in ihrer Erscheinung gleichgeblieben, das Innere des Gebäudes wurde vollends neu interpretiert und gefüllt.
Nähert man sich dem grossen Kulturzentrum, ist man angesichts der Gebäudehülle skeptisch. Betritt man das Foyer der Bibliothek und wandert man von einem Bücherbereich zum nächsten, befindet man sich in einem unerwarteten „Architekturfeuerwerk“. Eine Folge von Räumen auf zwei Stockwerken erwartet die Benutzer: Lesesäle mit Freihandbereichen und attraktiven Arbeitsplätzen mit weiter Aussicht unmittelbar an den Fassaden, Leselounges, Gruppenarbeitsräume sowie ein Schulungs-und Beratungsraum. Die Farbe der Bodenbeläge Rot, die Wände, Decken und Möblierung sind farblich kontrastreich schwarz-weiß gehalten. Elegant ist das Mobiliar der Bibliothek, entworfen von den ausführenden Architekten des renommierten Büros gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner.
Das Miteinander der verschiedenen Nutzungen wurde hier meisterhaft umgesetzt. Die Bibliothek ist rund um den Konzertsaal angelegt, sie umschließt den Konzertsaal im 1. und 2. Obergeschoss wie ein Futteral: 5 000 m2 mit 500 Arbeitsplätzen, einem Veranstaltungsraum für fast 200 Personen sowie 2 000 m2 für die Verwaltung der 19 Stadtteil-Bibliotheken, die zugleich Dienstleister für letztere ist. Grosszügige Foyers verbinden Konzertsaal und Bibliothek miteinander und laden zum Flanieren und Verweilen ein. Das Konzept der Bibliothek als Ring um den Konzertsaal verleitet dazu, der ganzen «runden Länge» der Bibliothek mehrmals entlang zu gehen und so immer wieder neue Ecken und neue Bereiche dieses originell eingerichteten Bücherreichs zu entdecken. Schnell wird einem klar, dass hier nicht der Aussenraum einen in Staunen versetzt. Es ist das Zusammenwirken der Einteilung der Bibliotheksbereiche im Innern des Gebäudes, des Mobiliars und das Beleuchtungskonzept, welches der Bibliothek eine besondere Atmosphäre verleiht.
Bis zu 5 000 Besucher zählen die hochmodern eingerichteten Bibliotheksräume täglich, und eine Reihe von Veranstaltungen lockt zusätzliche Gäste ins Haus. 300 000 Medien stehen im Haus zur Auswahl. Alles in der Zentralbibliothek wirkt grosszügig. Im zweiten Stockwerk sind die Ausleihe und Rückgabe, Bereitstellung der Vormerkungen, Kasse, Erstinfo, Anmeldung, Clearing, Zeitungs- und Flyerauslage sowie eine Leselounge. In der Zentralbibliothek betreuen sechs Teams die folgenden Bereiche: Jugend, Musik, Sach- und Fachliteratur, Schöne Literatur/Spielfilm, Heimatkunde/Kunst/Reisen (aus Sach- und Fachliteratur ausgegliedert) und Kinder. Jedes Team ist für einen Teil des Medienbestandes beziehungsweise eine Nutzerzielgruppe zuständig, betreibt eigenverantwortlich Bestandsaufbau und Bestandspräsentation, organisiert in ihrem jeweiligen Bereich Veranstaltungen und betreut Auskunftsplätze im eigenen Segment.
Die beiden Stockwerke sind thematisch klar gegliedert. Kunst, Spielfilm, Heimatkunde, Dresden Lounge, Belletristik und Kinderbücher befinden sich im ersten Stock, im zweiten die Jugendliteratur, die Sach- und Fachliteratur, die Musik mit CDs und Noten, eine Leselounge, ein Lesesaal sowie ein Schulungsraum. In der Leselounge stehen Sofas, bequeme breite Clubstühle, runde kleine Tische bereit. Hier sitzen Besucherinnen und Besucher, unterhalten sich leise, dösen, warten auf jemanden oder lesen. Im Bereich Sach- und Fachliteratur stehen Hörsessel in einer Reihe vor der Südfassade und ergeben nach ihrer Farbigkeit einen Regenbogen als inhaltliches Symbol für den Bereich. Im Bereich Musik finden sich zwei elektronische Klaviere, im Bereich Heimatkunde, Kunst und Reisen steht ein grosser Globus. Außerdem wurde eine Dresden-Lounge mit Literatur zu Stadt und Region eingerichtet. Im Erdgeschoss eine grosse Anzahl von Schliessfächern, im zweiten Stock weitere Schliessfächer. Im Sach- und Fachbuchbereich können die Benutzer an hellen, freundlichen Arbeitsplätzen entlang der Fensterfronten (teilweise mit Blick auf Alt- oder Neumarkt) lesen und arbeiten. Außerdem steht ein Gruppenarbeitsraum für vielfältige Nutzungsmöglichkeiten (ungestörtes Arbeiten in Kleingruppen, Treffpunkt für Vereine oder andere Gruppen, Durchführung von Sprachkursen) zur Verfügung. Im mit Glaselementen abgetrennten benachbarten Lesesaal an der Nordseite können an 45 Arbeitsplätzen die nicht entleihbaren Bestände (beispielsweise Gesetzblätter, Tageszeitungen, politische Magazine und circa 250 Nachschlagewerke) genutzt werden.
Zentralbibliothek im Kulturpalast
Schloßstraße 2
01067 Dresden
T: 0351-86 48 233
www.bibo-dresden.de
Geschätzt und gemieden
Michael Guggenheimer
Zehn Jahre sind es her, da weilten Buchhändlerin Susanne Dagen und Buchhändler Michael Bormann von der Dresdner Buchhandlung «BuchHaus Loschwitz» zu Besuch in Zürich. Ihre Buchhandlung war 2009 als «Beste unabhängige Sortimentsbuchhandlung Deutschlands» ausgezeichnet worden. Als Preis gab es eine Reise nach Zürich mit einem Besuch beim Diogenes Verlag. Ich habe damals die beiden in Zürich begleitet, ihnen das Max-Frisch-Bad gezeigt und sie mit Buchhändler und Verleger Rico Bilger, mit der Bar-Bühnen-Buchhandlung Sphères sowie mit der Buchhandlung Kunstgriff bekannt gemacht. Gestaunt hatte ich damals darüber, wie gut die beiden die Schweizer Literaturszene jenseits von Dürrenmatt und Frisch kannten. Zweimal bin ich im Veranstaltungsraum ihrer Buchhandlung, dem Kulturhaus Loschwitz, aufgetreten. Vor kurzem nach einer langen Wanderung war ich in Dresden und wollte die Buchhandlung wieder besuchen. Susanne Dagen war mittlerweile wohl die medial bekannteste Buchhändlerin Deutschlands geworden. Nicht weil die Buchhandlung, die sie gemeinsam mit ihrem Mann führt, in der Zwischenzeit gleich zweimal den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie «Besonders hervorragende Buchhandlungen» erhalten hat. Nähe zur AfD und zu Pegida wurde der Buchhändlerin mehrmals in Zeitungsartikeln vorgeworfen. Ich wollte sehen, ob sich der Ort, den ich als eine hervorragende literarische Buchhandlung in Erinnerung hatte, gewandelt hat.
Was noch vor dem Besuch auffiel. Das Programm des Kulturhauses, dessen Schwerpunkt früher literarische Veranstaltungen waren, hat sich gewandelt. Heute werden hier häufig Fragen zur Politik und Gesellschaft verhandelt. Beim Ankommen gilt meine Aufmerksamkeit zuerst den beiden Schaufenstern. Thomas von Aquin, Thoreau, Plutarch, Rosa Luxemburg, Macchiavelli, Erasmus von Rotterdam im linken Schaufenster. Rechts Emil Zopfis «Über alle Berge», Roland von Hentig «Reisen und Begegnungen», Rolf Dobelli, Francesca Mattéotti, Matthijs Deen, das Buch „Wanderlust“ von der gewiss nicht rechten Feministin Rebecca Solnit.
Hier ist nichts aus der rechten Ecke auszumachen. Der Buchladen ist nicht gross, etwa 50 Quadratmeter verteilt auf einen Hauptraum und zwei schmale hintere Räumen. Ein sehr reiches Angebot an Belletristik, ein Gestell mit einer Auswahl an Titeln der Büchergilde Gutenberg, Bücher zu Dresden und Sachsen. Anstelle von herkömmlichen Reiseführern werden hier literarische Reiseführer angeboten. Viele Titel mit mehr als nur einem Exemplar vorhanden. Zeev Sternhell, Urs Mannharts «Bergsteigen im Flachland», Olga Tokarczuks Romane, der gesamte Thomas Bernhard in über 20 Bänden, Simone Lappert, Yishai Sarid, Yuval Harari, Robert Saviano, Dror Mishani, Valeria Luiselli, Karl Markus Gauss, Werner Schwanfelder. Man kann sich wunderbar verweilen in diesen niederen Räumen. Michael Bormann empfiehlt einem Kunden Bücher und man hört gerne zu, wenn er seiner Begeisterung für ein bestimmtes Buch freien Lauf lässt. Buchhändlerin Dagen ist derweil im Nebenhaus, am Vorabend hat im Saal eine Lesung mit Monika Maron stattgefunden, die Autorin hat in einem der Gästezimmer übernachtet und wird nach dem Frühstück zurück nach Berlin fahren. Juri Andruchowytsch, Jorge Semprun, Walter Kempowski, Gila Lustiger, Sarah Kirsch, Volker Braun, Marcel Beyer, Ruth Klüger, Ljudmila Ulitzkaja, Ingo Schulze, F. C. Delius, Edgar Hilsenrath, Peter Stamm, Franz Hohler und Julia Franck gehören zu den Gästen, die hier schon gelesen haben. Ich kenne Autoren, die von ihren Lesungen und von der Gastfreundschaft im Haus schwärmen. Autorinnen und Autoren, die heute nicht mehr in Loschwitz auftreten.
Es ist das politische Klima in Sachsen und es sind politische Äusserungen von Susanne Dagen, die dazu geführt haben, dass nicht wenige Kunden und Autoren die Buchhandlung meiden. Man muss in den beiden hinteren Räumen der Buchhandlung genau hinschauen und entdeckt dann doch die Bücher, an denen sich manche stören. Mir geht es nicht anders. Seitdem ich eine Demonstration von Pegida in Dresden und eine weitere in Görlitz erlebt habe, hat sich mein Bild von Sachsen gewandelt. Seit den Erfolgen der AfD im Osten Deutschlands versuche ich beim Lesen von Zeitungsartikeln zu verstehen, weshalb die Rechte in den neuen Bundesländern Erfolg hat. Nicht immer gelingt mir das. Susanne Dagen, in der DDR aufgewachsen, war und ist weder Mitglied von Pegida noch der AfD. Aber sie zeigt viel Verständnis für Exponenten der Rechten, sie lädt sie als Redner oder Diskussionsteilnehmer zu Veranstaltungen ein. Nicht knapp sind Äusserungen von ihr auf Facebook zu lesen, mit denen auch ich mich nicht anfreunden kann. Ich bin gewiss nicht der Erste, der in ihrer Küche sitzt, mit ihr Kaffee trinkt und über Bücher spreche. Da sitzt eine sehr belesene buchbegeisterte Buchhändlerin neben einem, empfiehlt Bücher, steht auf und holt eines herbei, das man unbedingt auch noch kennenlernen sollte. Sie bringt keinen Titel herbei, der im rechten Antaios Verlag erschienen ist. Und die Bücher des Verlags von Götz Kubitschek, einem Verleger der Neuen Rechten, sind auch im vorderen Ladenteil nicht vorhanden. Erst hinten im Laden entdecke ich den einen oder anderen Titel, auch Jürg Meuthen ist als Autor vertreten. Es gibt nicht wenige Buchkäufer, die zum treuen Kundenstamm der ersten zwanzig Jahre der Buchhandlung gehört haben, die wegen Dagens politischen Äusserungen nicht mehr vorbeischauen. Es gibt Freunde und Bekannte von früher, die sich nicht mehr bei ihr und Michael Bormann melden oder sogar die Strassenseite wechseln, wenn sie Susanne Dagen sehen.
Im März 2020 wird die Buchhandlung ihr 25. Jubiläum feiern können. Wer sie seit Anbeginn kennt, stellt fest, dass sie zur Hauptsache eine feine literarische Buchhandlung geblieben ist, in der auch Regionalliteratur angeboten wird, wobei die Präsenz politischer Bücher eindeutig zugenommen hat, Non Books sucht man hier vergebens. Seit diesem Jahr sitzt Susanne Dagen als Vertreterin der Freien Wähler im Stadtparlament. Die Freien Wähler in Dresden versuchen, konservativer als die CDU zu sein (bzw. nicht das klassische CDU Profil zu bedienen), distanzieren sich aber mehr oder weniger von der AfD und von Pediga, gehören aber in die nationalkonservative Schiene. Mit dabei in dieser Gruppierung ist auch Frank Hannig, der die Gründungsversammlung des Pegida-Vereins leitete. Die Vier-Personen-Fraktion der Freien Wähler im Stadtrat halten manche Beobachter daher für eine verkappte AfD.
Den Sitz im AfD-nahen Kuratorium der Desiderius-Erasmus-Stiftung hat Dagen aufgegeben. Es gibt Interviews mit ihr, in denen sie sich als Sympathisantin der AfD outet. «Das Programm der AfD gefällt mir in grossen Teilen sehr gut. Auch was die Kulturpolitik angeht», sagte sie in einem Interview. Das klingt gerade aus dem Munde einer Frau, die im Kulturbereich arbeitet befremdlich, wenn man weiss, wie sehr Akteure just aus diesem Bereich gegen ein weltoffenes Kulturleben sind. Auch als Ausländer, der die deutsche Politik nur als Zeitungsleser verfolgt, kann man jene Menschen verstehen, die sich von solchen Bekenntnissen befremdet fühlen. Denn was Vertreter dieser Partei im Bundestag oder in den Medien von sich gegeben haben, erinnert an ein deutsches Vokabular, das man als überwunden betrachtete. Trotzdem ist Susanne Dagens Wunsch nachvollziehbar: Man solle doch lieber mit ihr sprechen und sich nicht leise davon stehlen.
BuchHaus Loschwitz
Friedrich-Wieck-Strasse 6
01326 Dresden
T: 0049 351 268 52 75
www.kulturhaus-loschwitz.de
Pingback: SLUB, Dresden (D) | Buchort