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Birsig Buchhandlung, Binningen

Birsig Buchhandlung
Hauptstrasse 104,
4102 Binningen
T: 061 421 48 00
www.birsigbuchhandlung.ch



Zum Text von Heinz Egger

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Michael Guggenheimer

Auf den Besucher von auswärts wirkt die Gemeinde Binningen als sei sie Teil der Stadt Basel. Zwar sind die blauen Ortsschilder so gross, dass man deutlich sehen kann, dass hier unweit des Haupteingangs zum Basler Zoologischen Garten die Stadt Basel aufhört und die Gemeinde Binningen und zugleich der Kanton Basel-Land beginnt. BL steht in zwei Grossbuchstaben unterhalb des Ortsnamens. Wäre die Tafel nicht da, man würde als Auswärtiger gewiss nicht merken, dass hier eine andere Ortschaft in einem anderen Kanton liegt. Wikipedia schreibt: «Die an Basel grenzende Gemeinde ist vor allem als Wohn- und Villenvorort beliebt. Die Gemeinde zählt nach dem mittleren steuerbaren Einkommen zu den wohlhabendsten Gemeinden des Kantons Basel-Landschaft».

Das Haus mit der Buchhandlung

Kommt man mit der Basler Strassenbahn der Linie 2 in Binningen an, dann merkt man von diesen beiden Qualitäten noch nicht viel. Man muss durch die Villenquartiere spazieren gehen, um den Wohlstand zu bemerken. Oder die örtliche Birsig-Buchhandlung aufsuchen. Nicht dass die Buchhandlung etwa mit Marmor, Mahagoni oder Teak eingerichtet wäre. Nein, keineswegs. Denn die Buchhandlung ist kein Designort. Es ist vielmehr die Auswahl an Büchern, die zeigt, dass in Binningen (und im angrezenden Bottmingen) sowie im benachbarten Basler Neubadquartier genügend gebildetes, belesenes Publikum wohnhaft ist, das gerne in der Birsig-Buchhandlung seine Bücher kauft.

Stellvertretend für andere charakterisiert Redakteurin Valerie Wendenburg aus Bottmingen die Buchhandlung so: «Mein Weg führt mich oft nach Binningen in die Birsig-Buchhandlung. Die Buchhandlung ist sehr gut sortiert, bietet eine interessante Auswahl zu verschiedenen Themen. Neuerscheinungen sind dort ebenso im Sortiment wie Klassiker. Zwei Dinge gefallen mir besonders: die kompetente persönliche Beratung, die mich schon oft auf tolle Bücher und Autoren gestossen hat, die ich vorher gar nicht kannte. Als Mutter von vier Kindern schätze ich auch die schöne Kinderabteilung, in der nicht nur gestöbert, sondern auch gemalt werden kann. So bleibt mir auch Zeit, mich in Ruhe umzuschauen und mich in Bücher einzulesen. Während des Lockdowns wurden mir die bestellten Bücher sogar gratis vor die Haustür geliefert, das war toll – aber ein Besuch in der Buchhandlung ist mir noch lieber».

Seit 36 Jahren besteht die Birsig Buchhandlung. Birsig? Das ist nicht etwa ein Familienname oder ein Mundartausdruck für Bücher, Birsig hat auch nichts mit Lesen zu tun. Die Birsig ist ein kleiner Nebenfluss des Rheins, in den er mitten in der Stadt Basel mündet. Binningen liegt an der Birsig. Die Buchhandlung befindet sich direkt an Binningens vielbefahrener Hauptstrasse unweit von der Endhaltestelle Kronenplatz der Strassenbahn-Linie Nummer 2. Ein älteres, braunes zweistöckiges Wohnhaus aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Einst waren hier ein Wollladen und eine Fahrradwerkstatt untergebracht. Das Schaufenster leicht erhöht, nicht einfach, mit ihm auf die ausgestellten Bücher aufmerksam zu machen. Zweimal auf grellgelben Schildern und von weitem sichtbar steht in Kleinbuchstaben der Name der Buchhandlung. Eine lange Reihe von senkrechten Strichen symbolisiert wohl Bücherrücken in einem Regal. Eine Treppe aus Metall führt zur Eingangstüre, Gehbehinderten steht eine bequeme Rampe zur Verfügung.

Man betritt die Buchhandlung und befindet sich in einem ersten Raum, von dem eine Art breiter Gang zu einem hinteren Raum führt. Es ist wie in einem Wohnzimmer. Alles schön geordnet, viele Bücher schauen die Kunden mit dem Cover an. Eine Büchergalerie vielleicht, auf jeden Fall eine sehr schöne Auswahl. Die Einrichtung ist funktional, viel Licht kommt von der Neon Deckenbeleuchtung. Ein Büro befindet sich in einem kleinen Nebenraum hinter der Kassentheke, von der aus sich der erste Raum gut überblicken lässt. Sind die Buchhändler gerade dort an der Arbeit, können sie nicht sehen, wer den Laden betritt. Ein Gongzeichen aber, das bei jedem Öffnen der Tür doppelt ertönt, macht sie auf neueintretende Kunden aufmerksam.

Ein Mauerdurchbruch im Hausinnern hat es erlaubt, die Buchhandlung zu erweitern: im hinteren neueren Teil befindet sich fast wie in einem eigenen Reich die Abteilung der Jugend- und Kinderbücher. Während die meisten Angestellten im Schweizer Buchhandel Frauen sind, sind hier zwei Herren an der Arbeit. Max Häne ist der Besitzer der Buchhandlung, Gaudenz Tschurr ist der ausgebildete Buchhändler im Laden. Gleich neben der Eingangstür wartet der Dispenser für das Hände-Desinfektionsmittel, bei dem man dann länger stehenbleibt, weil hier ein Puzzle aufliegt mit einer bunten Bibliotheks- und Bücherszene als Bild. Auf zwei breiten rechteckigen Tischen in der Mitte des Raums, die altarförmig mehrere Ebenen aufweisen, stehen und liegen Bücher, politische Literatur, Belletristik, aktuelle, auch viele anspruchsvolle Bücher. Etwas weiter hinten die Sachbücher und die Krimis, auf Drehgestellen bietet die Buchhandlung viele ausgesucht schöne Kunstkarten an. Man kann sich um die beiden tischartigen Präsentationsflächen bewegen und realisiert dann, wie reich bestückt das Bücherangebot hier ist. Im Gespräch wird klar, dass die beiden Buchhändler engagierte Leser sind, die treu zu «ihren» Autoren stehen. Theres Roth-Hunkelers neuer Roman „Geisterfahrten“ zum Beispiel hätten sie bestellt, weil sie ihre früheren Bücher auch im Angebot gehabt hätten, sagt Buchhändler Tschurr. Was auffällt, ist das Fehlen eines repräsentativen Angebots an englischsprachigen Büchern. Nach dem Grund befragt, meint Buchhändler Tschurr, das Angebot an Büchern aus England und den USA sei in der grossen Buchhandlung in Basel so breit, dass es sich nicht lohne, ein kleineres Angebot zu führen. Zu häufig seien früher englischsprachige Bücher liegen geblieben.

Auf einem kleinen runden Tisch beim Schaufenster liegen Ausgaben der Bücherbeilage der NZZ am Sonntag zudem genügend Exemplare der Monatsprogramme des Basler Literaturhauses, des Kulturzentrums Kaserne Basel, des anthroposophischen Goetheanums im nahen Dornach und der Basler Museen.

Geschirr für die "Literatur nach Feierabend"

Ist nicht gerade Pandemiezeit, finden drei- bis viermal im Jahr in der Buchhandlung Lesungen statt. Mit dem Titel «Literatur nach Feierabend» werden die Lesungen angepriesen. Dass dann jeweils nicht mehr als dreissig Zuhörende in der Buchhandlung Platz finden, hat mit einem besonderen Konzept dieser Anlässe zu tun: Die Lesungen werden mit Essen durchgeführt: Apéro, Hauptgang und Dessert gehören dazu, selbstverständlich kann dann auch Wein getrunken werden. Kosten inklusive Essen und Getränke (alkoholische Getränke werden separat berechnet) erstaunlich tiefe  45.-Franken pro Person. Wie aufwendig solche Anlässe sind, realisiert man, wenn man vernimmt, dass dann die Bücheraltartische von Büchern geräumt, demontiert  und verschoben werden. Drei Festbänke und Tische kommen an ihrer Stelle, worauf sich die Buchhandlung in einen Literatursalon verwandelt. Und um zu zeigen, dass hier wirklich gegessen und getrunken wird, bückt sich Buchhändler Tschurr und holt unter einem Büchergestell an der Wand eine Kiste hervor, in der Geschirr gestapelt ist. Originell sind sie die Buchhändler: An Ideen mangelt es ihnen offenbar nicht!

Lektüre für den Feierabend

Heinz Egger

Kurz nach der Kantons-, Stadt- und Ortsgrenze zu Binningen taucht auf der rechten Seite der Hauptstrasse ein behäbiges Landhaus mit Walmdach auf. Unter dem Dachvorsprung leuchtet ein gelbes Schild: Birsig Buchhandlung. Das Schaufenster zur Hauptstrasse hin ist von einem mächtigen architektonischen Rahmen eingefasst. Auf der Scheibe leuchtet in Gelb die gleiche Aufschrift wie auf der Leuchtreklame.

Blick ins Schaufenster

Im Schaufenster steht ein hölzerner Sessel, ein Thron fast. Darauf und darum herum gruppiert die Buchhandlung die angesagten Titel und Autoren von T. C. Boyle bis Juli Zeh. Der Laden ist über eine metallene Aussentreppe oder über einen Rost vom ansteigenden, quer zur Hauptstrasse verlaufenden Weg erreichbar. Vor dem Eingang stehen auf hüfthohen, schwarzen Gestellen zwei graue Kunststoffkisten des Buchzentrums Hägendorf und dazwischen eine schöne, alte Holzkiste, deren Wände mit Fingerzinken verbunden sind. In den Kisten stehen vergünstigte Bücher. Mein Begleiter blättert die Auslage durch. Bei fast jedem Buch sagt er „gelesen”.

Eingangsbereich vom runden Tisch aus gesehen

Nach der Reise sind wir froh, gleich nach dem Eingang eine Flasche mit Desinfektionsmittel zu finden. Sie steht auf einem Tisch, der mit einem grossen, auf Karton geleimten Puzzle mit dem Thema Buchhandlung oder Bibliothek belegt ist. Ein erster Rundblick: Die Buchhandlung belegt einen L-förmigen Raum. Das L erhielt durch einen Durchbruch in den Anbau des Hauses eine Verlängerung. Dort sei einst eine Velohändlerwerkstatt gewesen, erzählt Gaudenz Tschurr, der Buchhändler. Hellgraue Metallgestelle bedecken die Wände, wo keine Fenster sind. Im Anbau sind sie aus gebeiztem Holz, was dem Raum Wärme schenkt, der dadurch aber auch etwas höhlenartig wirkt – vielleicht ist es gerade deshalb für Kinder und Jugendliche ein Ort, der Geborgenheit vermittelt. Einen Design-Preis würde die Buchhandlung nicht gewinnen. Etwas ältlich erscheint alles. Doch das Angebot ist topaktuell und besticht durch seine Vielfalt. Die Kundschaft, so erzählt Gaudenz Tschurr, stammt vorwiegend aus dem Leimental. Laut dem Verkehrsverein Leimental wohnen in dieser Gegend etwa 60’000 Leute.

Kinder- und Jugendbuchabteilung
Mich zieht es zuerst zu den Kinder- und Jugendbüchern. Der fast quadratische Raum wird durch einen Tisch geteilt. Darunter schaut eine schwarze hölzerne Dampflok hervor. Am Fenster steht ein Kindertisch mit zwei Stühlen. Buntstifte und Malpapier liegen bereit, wenn eine kleine Künstlerin oder ein kleiner Künstler die Kreativität ausleben möchte.

Die Bereiche der Buchhandlung sind klar beschriftet. Grüne Papierstreifen kleben dazu auf den Tablaren. Zwischen den Kinderbüchern warten auch einige Puzzles und Kartenspiele auf kleine Hände. Zu den Kartenspielen gibt es entsprechende Bücher. So leuchtet Globis grosser, gelber Schnabel von einer Schachtel, die ein Starterset zum Jassen enthält. Für Fortgeschrittene ruft unweit davon der neue Schweizer Jassführer „Stöck Wys Stich”.

An einer grösseren Reihe Bücher hängt am Bücherbändchen ein verkleideter Bär. Immer trägt er nur eine Socke. Sie ist rot geringelt. Seine Kleidungsstücke leuchten genauso wie die Bücherrücken der Reihe „Der Bücherbär”, eine Buchserie fürs Erstlesealter. Auf einem der schmalen Rücken steht „Winnetou”. Dieses Buch gibt es natürlich auch im dicken Original von Karl May.

An der Wand über dem Tisch ziehen Buchcovers die Aufmerksamkeit jedes wissbegierigen Kindes an: Tiere, Pflanzen, Erdkunde, Technik. Für Erwachsene steht nach dem Durchgang eine ganze Wand an Wissenswertem über die Natur zur Verfügung.

Kassatheke rechts, Blick zum Durchgang in den Anbau

Auf dem Weg zurück in den Raum mit der Eingangstür passiere ich links drei Kartenständer und entdecke einige Tablare mit Hörbüchern. Rechts gleiten meine Augen über die Abteilung mit den Büchern zu Spiritualität und Glauben. Drei Bücher des kürzlich verstorbenen Theologen Hans Küng stehen einträchtig neben einer Biografie von Papst Franziskus. Dann stechen zwei Kataloge zu aktuellen Ausstellungen hervor: Sophie Teuber-Arp im Kunstmuseum Basel und Gerhard Richter im Kunsthaus Zürich.

In der Abteilung Kochen und Trinken machen einem auf vier Tablaren verschiedenste Bücher Lust auf Essen. Auf jedem der Tablare steht ein Buch übers Brotbacken.

Im nächsten Gestell weist schon ein Titel wie „Aussichten & Horizonte”, der 31. Band der Baselbieter Heimatbücher, darauf hin, dass es hier ein breites Sortiment über Basel und die Region gibt. Beispielsweise steht da nicht nur ein dickes Buch über die Tagfalter und Widderchen der Region Basel, sondern auch zwei Bände Baselbieter „Merk-würdigkeiten”, ein schmales Buch mit Geschichten und Dichtungen des Pfarrers Jonas Breitenstein, der von 1852 bis 1870 in Binningen amtete, ein sehr dickes Wörterbuch mit dem Baselbieter Wortschatz und eine Geschichte über fünf Jahrhunderte der Basler Familie Stähelin. In dieser Abteilung liegt Lese- und Erkundungsstoff für Jahre!

In der Abteilung mit den Kunstbüchern entdecke ich ein Buch mit dem Titel „Frauen”. Da fällt mir auf, wie viele Bücher sich mit Frauen beschäftigen. Beispielsweise finde ich zwei Bücher über die 50 Jahre seit der Einführung des Frauenstimmrechts, die Biografien von Michelle Obama und Kamala Harris, Carmen Kerns „Töchter einer neuen Zeit”, „Die Kronzeugin” von Sayragul Sauytbay / Alexandra Cavelius, „Frauen | Lyrik” aus dem Reklam-Verlag, Gedichte von Leonor Gnos und Brigitte Tobler in zwei Bänden aus dem Basler Mäd-Book-Verlag.

Die Buchhandlung wird rege besucht, auch wenn Corona Einschränkungen auferlegt. So hoffen sowohl der Inhaber, Max Häne, als auch sein Angestellter Gaudenz Tschurr, bald wieder Anlässe in der Buchhandlung anbieten zu können, zum Beispiel „Literatur nach Feierabend” – ein Abend mit Lesung und meist mehrgängigem Essen. Die Teller und Gläser, schön in Kisten verpackt, stehen unter den Gestellen jedenfalls bereit.