Kunsthochschule Halle / Burg Giebichenstein

Die Bücher der Burg

Michael Guggenheimer

Es gibt Bücher und Bücher. Solche in hohen Auflagen, die einen industriell funktionierenden Druckerei- und Buchbindebetrieb verlassen und solche, die in Einzelanfertigung, in Handarbeit und in einer sehr limitierten Anzahl hergestellt werden. „Künstlerbücher entstehen als Behältnisse für Gedanken, Träume oder Erforschtes“, sagt Sabine Golde, Professorin für Buchkunst an der Kunsthochschule Halle – Burg Giebichenstein in Deutschland. Jedes Jahr gestalten die Studenten der Buchkunst Buchpublikationen zu einem gestellten Thema, was den Arbeiten stets eine experimentelle Note gibt. Zum Beispiel das Thema Shakespeare: Da wandelte ein angehender Buchgestalter Romeo und Julia in Romeo und William um, womit die berühmte Liebesgeschichte einen modernen Kontext erhielt.

Sara Schwerda und Yasutomo Ota

Sarah Schwerda ist eine Buchkünstlerin. Im Rahmen ihrer Weiterbildung an der Burg Giebichenstein erhielten sie und ihre Mitstudenten die Aufgabe, ein Buch zum Semesterthema „Erinnerung“ herzustellen. Ausgehend von Texten von Walter Benjamin über das Sammeln hat sie eine Publikation mit dem Titel „Kindheitssammlung – Über das Sammeln, Aufbewahren und Erinnern“ hergestellt, in der Fotografien von eigenen Sammelobjekten von früher sich abwechseln mit eigenen Textpassagen und solchen von Walter Benjamin. Muscheln, Steine, Knöpfe, Schlüssel, Büroklammern, Pflanzenblätter, kleine Teile einer Kamera, Fossilien, die sie gefunden hat oder die ihr geschenkt wurden oder auch Bonbonpapier sind hier fotografisch versammelt und stehen im Dialog mit den Texten. „Alle Objekte“, sagt sie, „haben eine gewisse Handlichkeit gemeinsam, sind leicht aufzuheben und einzustecken. Sie fühlen sich besonders an oder haben ein besonderes Aussehen. Sie markieren bestimmte Momente in der Kindheit, besondere Erlebnisse oder Personen, oder sie hatten eine gewisse magische Ausstrahlung.“

Zehn Exemplare nur gibt es von diesem Buch. „Bücher sind komprimierte Universen“ heisst es in einem Text zu einer anderen Arbeit von Sarah Schwerda. Nach einem Studium in Münster mit Schwerpunkt Illustration, befasst sie sich mit dem Buch als Medium oder Kunstform, aber ebenso mit verschiedenen Drucktechniken. Ihr Interesse an Fotografie, welches sie immer wieder mit den klassischen Drucktechniken zu verbinden versucht, ist sichtbar an ihrem Buch. „Der Buchkörper ist ein Container für die Erinnerungen des Lesers, seine Assoziationen, seine erlebte Zeit“, schreibt sie in Zusammenhang mit einer anderen Arbeit. Beim Durchblättern ihres Buchs „Kindheitssammlung“ erinnert man sich an eigene Sammlungen aus der Kindheitszeit und von später und stellt fest, dass man selber auch Objekte sammelt, ohne je daran gedacht zu haben, dass man ein Sammler sei. Da sammelt ein Freund Theaterkarten, eine Bekannte sammelt kleine Parfumflaschen, man selbst sammelt Metalldosen aus England und wiederum ein anderer hortet Ansichtskarten von Sonnenuntergängen, am liebsten möglichst kitschige. Sarah Schwerdas Buch kann als Begleitung einer Ausstellung über privates Sammeln angesehen werden oder als ein Ort der Denkanstösse für Sammler, die noch gar nicht wirklich bemerkt haben, dass sie Sammler sind. Man kann das Buch aber auch einfach so besitzen wollen, weil es eine so schöne Anmutung hat, so schön in der Hand liegt und sich angesichts der besonderen Schrift so gut liest.

Frauke Otto, gelernte Buchbinderin und Werkstattleiterin Papier und Buchkunst im Campus Kunst der Kunsthochschule Halle, leitet Werkstätten auf mehreren Stockwerken im Kornhaus der Burg. Beim Rundgang durch die auf drei Stockwerken verteilten Atelierräume wird die Kreativität spürbar, die in ihrem Arbeitsbereich herrscht. Fünf Studierende pro Stockwerk und Jahrgang haben hier ihre Arbeitstische, sie kommen aus Deutschland, Korea, Japan, Israel und Australien. Gerade liegen da Bändchen der Inselbücherei, welche die Studenten auseinandernehmen, neu illustrieren, wieder binden und mit neuen, selbst entworfenen Buchumschlägen versehen. Die Bücher werden zuerst vorsichtig auseinandergenommen, um genau zu erfassen, wie ein Buch zusammengesetzt ist. Von Hand werden die Inselbändchen anschliessend wieder sorgfältig gebunden.

Yasutomo Ota aus Japan absolviert nach einem Masterstudium an der Tokyo Metropolitan University demnächst sein Aufbaustudium im Bereich Buchkunst in Halle, sein Arbeitstisch befindet sich in der Buchbinderei-Werkstätte von Frauke Otto im Kornhaus der Burg. Er hat seine Buchobjekte schon an der Frankfurter Buchmesse, an der Berliner Art Book Messe sowie an der Frauenfelder Buch- und Druckkunstmesse gezeigt. Da ist einmal seine Arbeit mit dem Titel „Die Forelle“. Eine Art bewegliches Buch in einer Kassette, das sich beim Herausnehmen und Aufstellen einer Forelle aus dem Quintett von Franz Schubert gleich im Wasser fortzubewegen scheint. Eine Forelle in Variationen und Kürzesttexte sind hier auf einem Leporello aus zahlreichen Einzelteilen zu sehen. Auf Yasutomo Ota Arbeitstisch ist eine weitere Arbeit mit dem Titel „Vom sinnvollen Abstand und dem notwendigen Zusammenhalt“ zu sehen: In einer flachen Schachtel ist der Grundriss einer Wohnung eingelegt worden, jeder Raum wird durch dünne „Wände“ aus Karton dargestellt und in jedem Raum liegt ein Buch, jedes Mal im Format des betreffenden Raums. Auf weissen Blättern sind stilisierte Möbel mit den dazugehörenden Massangaben zu sehen. Als krönende Arbeit sodann sein Werk „Der Teeraum“ in Form eines übergrossen Teesäckchens, das sich öffnen und nach zwei Seiten durchblättern lässt, Texte in deutscher, englischer und japanischer Sprache erläutern Teerituale. Und weil das Werk so fein ist, darf man es nur in weissen Handschuhen durchblättern.

 

Kunsthochschule Halle / Burg Giebichenstein
Campus Kunst / Art Campus
Seebener Straße 1
06114 Halle
http://www.burg-halle.de/hochschule.html

 

 

 

eBook = noBook

Heinz Egger

Was ist ein Buch? – So lautet die Frage, die sich Buchgestalterin Uta Schneider aus Offenbach am Main an ihrem Vortrag im Rahmen von 100 Jahre Burg in der Galerie im Volkspark gestellt hat. Eine kleine Gruppe Zuhörerinnen und Zuhörer hat sich um sie geschart und sitzt am Boden auf Kissen oder auf Klapphockern. Professor Thomas Rug von der Abteilung Grafik der Kunsthochschule sitzt die ganze Zeit im Yoga-Sitz mit geradem Rücken da. Professorin Sabine Golde von der Abteilung Buchkunst lehnt sich an eine Säule. Die Blicke sind gespannt auf die Referentin gerichtet.

Das Kunstbuch entstand am Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenpol zur industriellen Herstellung von Büchern. Definitionen, was ein Buch ist, gibt es viele. Uta Schneider beschränkt sich auf vier Faktoren. Damit wird auch schnell klar, dass ein eBook kein Buch ist, allenfalls Text oder nicht einmal das, wenn das Gerät ausgeschaltet ist. Der erste Faktor ist die Struktur. Sie umfasst das Konzept und die buchbinderische Arbeit. Als zweiten nennt sie die Materialität. Die Papierart beeinflusst wesentlich die Aussage eines Buches. Der Einband steuert das haptische Erlebnis. Als drittes Element steht Typografie und Bild. Schlägt man ein Buch auf, so fallen Schrift, Schriftgrösse, das Seitenlayout und allenfalls das Verhältnis von Text und Bild auf. Schliesslich geht es um das Verhältnis von Innen und Aussen, die Komposition und deren Aussage. Sabine Golde beklagt an dieser Stelle, dass bei Verlagen immer häufiger nicht die gleichen Leute Inhalt und Umschlag gestalten. So zielen die einen auf den Leser und die anderen auf den Käufer. Ein Ungleichgewicht ist oft das Resultat.

Umgeben ist die Gruppe von niedrigen Tischen, die die Studierenden für diese Ausstellung selbst angefertigt haben. Darauf liegen Bücher der Design-Studentinnen und -Studenten auf. Alle Exemplare stammen aus industrieller Produktion mit niedriger Auflage und sind doch alle Kunstwerke, Designwerke.

Prof. Sabine Golde und Prof. Thomas Rug mit dem Werk von Janosch Kaden

Im Gegensatz dazu sind die Bücher der Studierenden an der Abteilung Kunstbuch in Kleinstserien von vielleicht vier bis 16 Exemplaren von Hand gedruckt und gebunden. Natürlich sind solche Bücher nicht im Handel erhältlich, sondern auf Buch- und Kunstmessen. Viel Überraschendes ist zu sehen: Ein Buch aus bemalten Holztafeln in asiatischer Bindung. Ein Leporello mit sehr schmalen, langen Seiten auf denen nur Zahlen zu sehen sind. Janosch Kaden hat Sätze von Wittgenstein darauf gedruckt, die nur zu lesen sind, wenn man weiss, was für eine Zahl ein Buchstabe des Alphabets trägt, wenn man die Buchstaben von A bis Z durchnummeriert. Oder ein Buch von Lucien Haubenreisser mit Kunststoffdeckeln und mit Wasser gefüllten Seiten, geheftet mit Kunststofffaden. Im Wasser schwimmen Buchstaben, die ein Wort oder einen Ausdruck ergeben. Ein oder zwei der Buchstaben tragen die Lösung. Alles ist sehr fein – ein Laserschnitt. Es ist umwerfend, mit welcher Kreativität die Studentinnen und Studenten ans Werk gehen.

Nicht alle Arbeiten sind frei entstanden. In der Ausbildung stehen oft Aufträge zu einem bestimmten Thema an. Beispielsweise die künstlerische Umsetzung eines katalanischen Gedichts in der Originalsprache und auf Deutsch. Die Idee dazu hatte Sabine Golde, weil Spanien Gast der Frankfurter Buchmesse 2014 war. Es entstand eine faszinierende Gemeinschaftsarbeit mit Schuber.

Blick in den ersten Stock der Ausbilddungsräume für Buchkünstler im Kornhaus der Burg Giebichenstein

Die Ausbildung in der Studienrichtung Kunstbuch erfolgt grösstenteils auf der Burg Giebichenstein. Dort lernen die Studierenden das Handwerk der Buchgestaltung. Im ersten Jahr, so stellt Frauke Otto, die Leiterin der Werkstätten, etwas betrübt fest, müssen alle zuerst das Grundhandwerk des Buchbindens erlernen. Früher kamen die Studierenden meist mit einem entsprechenden Lehrabschluss zur Kunstschule, heute sind es mehrheitlich Abiturientinnen und Abiturienten, die ihr handwerkliches Geschick erst noch erweitern und stärken müssen. Im ersten Jahr besteht beispielsweise ein Auftrag darin, ein Inseltaschenbuch komplett zu zerlegen. Dazu gehört auch, das Papier des Einbands abzulösen, dann die Lagen neu zu einem Buchblock zu heften und einen neuen Einband zu entwerfen und anzubringen. Im Kornhaus sind die Neulinge im Parterre, die Fortgeschrittenen im ersten Stock. Es gibt auch Gäste in der Ausbildung. So weilt gerade ein Japaner da und eine Australierin.

Es war still in den Räumen – unterrichtsfreie Zeit.

 

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