Brockenhaus Zürich

Inmitten gebrauchter Möbel

Michael Guggenheimer

Eigentlich mag ich Antiquariate nicht besonders. Eine grosse Ausnahme gibt es jedoch. Es ist die Bücherabteilung im Brockenhaus Zürich. Liegt es an den Sofas und Clubsesseln, die hier stehen und die diesem Bücherreich eine so besondere Atmosphäre verleihen? Schreibtische, Esstische, Vitrinenschränke, Polstersessel, Chaiselongues, Bürostühle. Das muss es wohl sein. Die übervollen Büchergestelle sind hier so angelegt, dass sie in Kombination mit den gemütlichen Sitzecken zum Verweilen einladen. Stehlampen neben den Polstergarnituren verleihen diesem Bereich des Secondhand Reichs eine warme Note. Zudem ist da kein Antiquar, der mit Sperberaugen aufpasst, der genau hinschaut, welches Buch man gerade in die Hand nimmt, womöglich noch einen Kommentar abgibt. Ich mag das Gemütliche an diesem Bücherreich. Und ich mag das Unprätentiöse.

Buecher so weit das Auge reicht: alle nicht neu

Hierher bringen Menschen, die ihre Regale räumen Bücher, für die sie kein Geld bekommen. Hier landen nicht nur gebrauchte Möbel zum Wiederverkauf, sondern auch ganze private Büchereien. Und anders als in anderen Brockenhäusern arbeitet hier eine gelernte Buchhändlerin, die die Bücher mit Sachverstand sortiert. Katrin Lange, die früher in Aarau Bücher verkauft hat, begutachtet die eintreffenden Bücher, ordnet sie nach Themen und Sprachen ein, scheidet solche Bücher aus, von denen sie weiss, dass sie sie nie würde verkaufen können. Und sie kennt sich in den Preisen aus. Manche Bücher kommen in eine abschliessbare Vitrine, weil sie echte Raritäten sind. Die meisten Bücher aber werden zu Preisen zwischen 2 und 20 Franken verkauft. Dass richtige Büchernarren und Buchjäger im Brockenhaus regelmässig vorbeischauen und heisse Funde machen, weiss sie. Und sie kennt die Handvoll Profis ganz genau. Vielleicht ist es auch ihre gewinnende Art, die auf die Stimmung im Bücherparadies im zweiten Stockwerk des Brockenhauses ausstrahlt.

Wenn ich in der Nähe bin, dann steige ich manchmal die breite Treppe hinauf, hole mir im Café Olga, das Bestandteil der Möbel- und Bücherabteilung ist, einen Milchkaffee, setze mich hin, hole einen Schreibblock aus meiner Tasche heraus und schreibe eine Geschichte, die vielleicht eines Tages in einem Buch veröffentlicht werden könnte, das wiederum eines Tages im Brockenhaus landen könnte. Wer weiss, vielleicht wird gerade dieser Text hier eines Tages von jemanden gelesen werden, der im Brockenhaus gemütlich sitzt und Bücher sucht. Wie schön übrigens, dass der Name Brockenhaus, den ich Freunden aus Deutschland stets erklären muss, weil es den Ausdruck weder in Deutschland noch im Duden gibt, mit einem wichtigen Buch verbunden ist. Der Name Brockenhaus kommt nämlich aus dem Neuen Testament, wo Jesus nach der wunderbaren Speisung der 5000 seinen Jüngern befiehlt: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren gehe!“ (Johannes 6.12.). Der deutsche Pastor Friedrich von Bodelschwingh, Gründer der Bethelmission, schuf 1872 eine „Anstalt für Fallsüchtige“ und eröffnete eine Sammel- und Verkaufsstelle für gebrauchte Waren, deren Ertrag zur Finanzierung seines sozialen Werkes diente. Bei der Suche nach einem geeigneten Namen für seine Sammelstelle erinnerte er sich an die oben zitierte Bibelstelle – und der Name „Brockenhaus“ war geboren!

Brockenhaus Zürich
Neugasse 11
8031 Zürich
T: 055 555 55 55
www.zuercher-brockenhaus.ch

 

 

 

Günstig, da schon gelesen …

Heinz Egger

Gunestige Buecher, so viele man will. Qual der Wahl.

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Er biegt um die Ecke und steht vor der Tür des Zürcher Brockenhauses an der Neugasse. Drei Stufen. Die Türe schwingt automatisch auf und er tritt ein. Zwei weitere Stufen, eine Schiebetür öffnet sich wie von Geisterhand und er steht im Eingangsbereich. Ort der Garderobe und der Gepäckfächer. Gerade eines von den gelben Schränkchen ist noch frei. Er schiebt seine abgegriffene lederne Mappe hinein. Da sind die Leute im Brockenhaus strikt. Zu leicht verschwinden kleine Gegenstände in Taschen und Säcken.

Durchs Drehkreuz hindurch gelangt er in den ersten Raum. Rechter Hand ist die Theke, wo bezahlt werden kann. Die Dame dahinter nickt und lächelt den Besucher freundlich an, während dieser sich bereits dem Treppenhaus zuwendet. Grosszügig, ja herrschaftlich sieht es darin aus. Von der Decke hängt ein riesiger Lüster. Die Treppe läuft im Geviert den Mauern entlang drei Stockwerke hoch. Das schmiedeiserne Geländer glänzt dunkelgrün. Er legt seine knochige Hand auf den hölzernen Handlauf und steigt hinauf.

Sein Ziel ist die Bücherabteilung. Da stehen Dutzende Bände jeden Alters. Nichts von Mief. Fein säuberlich aufgereiht stehen sie in den Regalen, alphabetisch geordnet, teilweise auch nach Sachgebieten. Einige haben deutliche Benutzungsspuren, andere sind nagelneu. Wunderliches, auch Eindeutiges, wie „Der Pinsel der Liebe“ von Bol Coolsaet, findet sich ebenso wie eine ganze Reihe von Büchern über Feng-Shui. Die Lyrik hat am Rande im Durchgang zum nächsten Raum in einem schmalen Gestell ihren Platz. Morgensterns Galgenlieder sind da, auch eine Sammlung deutscher Lyrik seit dem Mittelalter. Die gelben Rücken von Reclambändchen leuchten in einem Drehgestell, dessen Alter schwer zu schätzen ist. Auf einer kleinen Kommode liegt ein offener Koffer. Seine lederne Haut ist abgewetzt und schreit nach Pflege. Sein Inhalt: Reisebücher.

Eine Encyclopedia Britannica mit Jahrgang 1988 gefällig? Oder ein 24-bändiges Werk „Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen“? Das sind mehr als zwei Meter gebundener Lesestoff mit Lederrücken und Goldprägung für 500 Franken! Leider fehlt der Band III 9.

Kistenweise treffen hier Bücher ein. Darum wechselt das Angebot recht schnell. Aus diesem Grund steigt er auch fast jede Woche einmal die Treppen hoch in den zweiten Stock, um zwischen den Büchergestellen zu verweilen, zu schmökern, Klappentexte zu lesen, die ersten Sätze eines Buches in sich aufzunehmen und daraus ein Gefühl für die Qualität des Textes herauszufiltern. Und wenn ihn ein Band besonders interessiert, dann nimmt er ihn mit, setzt sich auf eines der Sofas in der Nähe und beginnt zu lesen. Mit schweren Büchern setzt er sich gern an einen der Esszimmertische oder an einen der hübschen Sekretäre. Ob er etwas Bestimmtes sucht? Nein, einfach Lesestoff zu günstigen Konditionen oder ein schönes Buch. Etwas Ruhe.

Der Ort ist auch ein Bücherkaffee. An der „Olga-Bar“ gibt es Sirup und Kaffee. Wer etwas ausgesucht hat und es mitnehmen möchte, wendet sich ebenfalls an die Barkeeperin. Sie ist Herrin über die Etagenkasse.

Allzu schnell vergeht die Zeit. Eine Glocke kündet die Ladenschlusszeit an. Er schaut sich um. Er ist wieder der Letzte auf der Etage, auch unten bei den Garderobenkästchen ist kein Besucher mehr. Nur ein etwas angegrauter Angestellter mit Bart schäkert mit der Kassiererin. Damit der letzte Besucher ins Freie treten kann, muss die Tür entriegelt werden. Der Angestellte schiebt seine Hand hinter einen Vorhang, lacht und drückt den entsprechenden Knopf.

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